Die politischen Verantwortungsträger der Südtiroler Regierungspartei SVP geben sich der Autosuggestion hin. Und die Publizistik steht ihnen darin in nichts nach. Unter dem Motto „Europa der Regionen“ fand soeben auf Schloss Prösels, einst Sitz des Landeshauptmanns an der Etsch, eine Tagung statt.
[[image1]]Zugegen war die gesamte „Dramatis personae“ des SVP-dominierten politischen Lebens des Süd- sowie des ÖVP-bestimmten Nord- und Ostteils des Landes Tirol. Dazu gesellten sich Repräsentanten Welschtirols, mit dem das 1918 von Italien annektierte Südtirol seit 1946 in der Autonomen Region Trentino – Alto Adige zwangsvereint ist, sowie institutionelle und behördliche Vertreter der italienischen Staatsmacht und eine Flugzeugladung österreichischer Zaungäste aus Wien, schließlich Heerscharen von Journalisten.
„Nation“, „Regionalismus“, „Föderalismus“, „Supranationalismus“
Natürlich lockten nicht das der EUropäischen Realität zuwiderlaufende Tagungsthema und Referenten wie der Bonner Staatsrechtler Josef Isensee oder der Münchner Politologe Werner Weidenfeld. Die Wissenschaft(l)er mühten sich mit den staubtrockenen Materien ab, welche Begriffe wie „Nation“, „Regionalismus“, „Föderalismus“ und „Supranationalismus“ umfassen, beschwörten zum Weisgott wievielten Male die „Regionalisierung Europas“ und wünschten sich zum ebensovielten Mal, dass der kompetenzlose „Ausschuss der Regionen“ der EU institutionell endlich Beschlusskompetenzen erhalten möge. Auch der Schriftsteller Robert Menasse konnte sich kaum als Magnet für so viel austro-italienische Prominenz am Fuße des Schlern erweisen – trotz seiner marxistisch-leninistisch anmutenden Prophetie vom „Absterben der (National-)Staaten“. Und der in die Jahre gekommene Bergsteiger Reinhold Messner, ein begnadeter Selbstdarsteller, schon gar nicht, wiewohl er – völlig realitätsfremd – von EU-Bürgerschaft schwadronierte und damit den Wunsch vieler Südtiroler nach Erteilung auch der österreichischen Staatsbürgerschaft lächerlich zu machen versuchte.
„Historisches“ erstmaliges Zusammentreffen
Nein, eine unbändige Anziehungskraft auf das zuvor vom Südtiroler Landeshauptmann Arno Kompatscher handverlesene und ob der räumlichen Begrenztheit historischen Gemäuers kontingentierte Publikum aus Politik, Wirtschaft und Publizistik übte das zurecht „historisch“ zu nennende erstmalige Zusammentreffen eines italienischen und eines österreichischen Regierungschefs auf Südtiroler Boden aus. Es erübrigt sich eigentlich, doch verdient es festgehalten zu werden: die Anwesenheit des Ministerpräsidenten Matteo Renzi überstrahlte bei weitem jene des Bundeskanzlers Werner Faymann. Das war samt und sonders den anwesenden SVP-Granden anzumerken, die ansonsten in Sonntagsreden das „Vaterland Österreich“ im Munde führen. Ob Kompatschers „Einfädelungsgeschick“ – Matteo und Arno sind per Du – hätte man am liebsten einander auf die Schenkel geklopft. Jedenfalls hinterließen die SVP-Politiker den auch – von allen Medien reflektierten – Eindruck, als ob der zähe Kampf der Altvordern wider die „ewige Italianità“ längst behaglichem Wohlgefallen an der politischen, ökonomischen, sozialen und weitgehend auch kulturellen Inkorporation in den italienischen Zentralstaat gewichen sei.
Jenseits von „Friede, Freude, Eierkuchen“
Wer geglaubt hätte, dass Renzi und/oder Faymann jenseits von „Friede, Freude, Eierkuchen“ auch nur ein Wort mehr als die gängigen, zum Tagungsmotto passenden Stereotypen verlieren würden, sah sich getäuscht. Europa mache es möglich, dass Staatsgrenzen ignoriert werden könnten, weil sie nicht mehr trennten. Die Autonomie „ein Modell für andere in Europa“, die Verwaltung effizient. Ausgeklammert, besser beschwiegen, blieben die ständigen Probleme zwischen Bozen und Rom über Zuständigkeiten, Kompetenzen (neue womöglich). Auch das stete Ringen um Durchführungsbestimmungen. Sodann seit einigen Jahren der – aus Gründen der Staatsüberschuldung (137 Prozent des Bruttoinlandsprodukts) – vertragswidrige Entzug von der Autonomen Provinz Bozen-Südtirol zustehenden Finanzmitteln durch alle römischen Regierungen, egal welcher politischen Couleur. Dagegen die Beschwörung der „Euregio Tirol“ als beispielgebendes Zukunftsprojekt und Widerpart gegen das Verlangen Ewiggestriger nach Selbstbestimmung(sreferenden) und Unabhängigkeit sowie damit verbundener Grenzverschiebungen. Auch als Kontradiktion wider die erstarkten „EUroskeptischen“ und „EUropafeindlichen“ Kräfte, nicht zuletzt auch gegen die Euro-Skeptiker. Das war die Intention der Initiatoren dieser kaum anders denn als „Staatstheater“ zu charakterisierenden Veranstaltung, in welcher der „Dolomiten“-Leitartikler autosuggestiv wie die zu Prösels sich selbst Bejubelnden den „Aufbruch ins Europa der Regionen“ wähnt.
Die EUropäische Wirklichkeit ist eine andere
Nach wie vor bestimmen „nationale Interessen“ maßgeblich das Geschehen in der Union. Nicht von ungefähr steckt hinter den Ambitionen Frankreichs, der „Grande Nation“, nach wie vor De Gaulles Diktum vom „Europa der Vaterländer“, das in der bayerischen CSU nurmehr von Franz Josef Strauß’ „Statthalter“ Peter Gauweiler hochgehalten, ansonsten bei der erstarkten AfD und deren von der „sozialdemokratisierten“ CDU/CSU-Führung angewiderten konservativ-(wirtschafts)liberalen Klientel verfängt. Es sind just stark zentralistisch aufgebaute, stets die „ein(heitlich)e Nation“ betonende und sie verfassungsrechtlich erhöhende Staaten wie – beispielsweise – Italien, Frankreich, Rumänien, welche sich der Föderalisierung weitgehend verschließen. Deren Minderheitenpolitik, um eine stets virulente, im Rahmen der EU unterbelichtete bis ignorierte Agenda, anzuführen, die just für Südtirol wichtig ist, vornehmlich der Schutz nationaler respektive ethnischer Minoritäten, ist prinzipiell dem „nationalen Interesse“ untergeordnet oder fällt ihr im Zweifelsfall gänzlich zum Opfer. Selbst in Prösels konnte man das aus den Äußerungen der Renzi begleitenden Regionenministerin und Parteigängerin Maria Carmela Lanzetta (PD) heraushören, was natürlich niemand wollte: „Tirol, Südtirol und das Trentino“ seien zwar ein „Beispiel für ,multilevel Government’ und die Zusammenarbeit der Regionen in Europa“; allerdings müssten „die Regionen im Rahmen der staatlichen Gemeinschaft gesehen werden“. Oder aus einer Bemerkung des Staatssekretärs Graziano Delrio, „rechte Hand“ im Palazzo Chigi und zuvor Regionenminister unter Renzis Kurzzeitvorgänger Enrico Letta: Ausgerechnet auf Schloss Prösels in Südtirol hob Delrio die Bedeutung der Trikolore hervor.
„EUropa der Regionen“ – Wunschdenken, Chimäre
Nach wie vor auch ist der EUropäische Rat, mit welchem die Staats- und Regierungschefs die Unionspolitik bestimmen, die tragende Säule und der maßgebliche Entscheidungsträger in der Union überhaupt. Selbst die um Mehrung ihrer Kompetenzen stets ringende EU-Kommission sowie die ihr untergeordnete, überbordende und sich weithin verselbständigende Euro(büro)kratie rangieren ebenso wie das EUropaparlament – trotz leichter Positionsgewinne aufgrund der Direktwahl im Mai – weit darunter. Daran wird sich, auch auf längere Sicht, wohl nichts Substantielles ändern. Das gilt auch für die von Integrationisten ersehnte absolute „Vergemeinschaftung“ in Form der „Vereinigten Staaten von EUropa“. Nur darin ließe sich, bei Auflösung aller Nationalstaaten, die durchaus sympathische Idee eines auf vor-nationalen volklichen Identitäten basierenden Regionalismus, mithin eines „Europa der Regionen“, verwirklichen. Gemessen an den derzeitigen realpolitischen Gegebenheiten ist in Hinkunft allenfalls eine „Konföderation EUropäischer Staaten“ denkbar. Wenig „Aufbruch“ also, und die „modellhafte Euregio Tirol“ gewissermaßen als „Keimzelle“ für das „EUropa der Regionen“ – Wunschdenken, Chimäre.