Kaum zu glauben, aber wahr – weil mit Besen „bewaffnete“ Funktionäre der Landtagspartei Süd-Tiroler Freiheit (STF) 2010 aus Anlass einer Demonstration unter dem umstrittenen Mussolini-Fries vor dem Palazzo der Finanzbehörden in Bozen ein Plakat mit dem Slogan „90 Jahre Annexion – 90 Jahre Unrecht – Auf Italien kann SÜD-TIROL verzichten“ mit sich führten, sind drei ihrer Führungsmitglieder soeben vom zuständigen Landesgericht zu saftigen Geldstrafen verurteilt worden.
[[image1]]Der Grund: Auf dem Plakat, von dem die Partei 800 Exemplare hatte herstellen lassen, die schon nach der Demonstration auf staatsanwaltschaftliche Anordnung hin konfisziert wurden, war die italienische Tricolore zu sehen, über die der Besen der Südtiroler, versinnbildlicht durch die rot-weiße Landesflagge mit dem Tiroler Wappen-Adler, im Kehraus hinwegfegte. In dieser Symbolik wollte der Leitende Staatsanwalt Guido Rispoli, der sich als Ankläger auch in anderen Fällen, in denen es um „Italiens Ehre“ ging, längst einen zweifelhaften Namen erwarb, nicht etwa eine verfassungsrechtlich geschützte freie Meinungsäußerung sehen, sondern vielmehr eine strafgesetzlich (Art. 110, 292 StGB) bewehrte „Schmähung der Fahne“. Alle Argumente von Verteidigung und des in den Zeugenstand gerufenen STF-Landtagsabgeordneten Sven Knoll, wonach man die politische Meinungsäußerung und das Verlangen seiner Partei, nämlich „Loslösung von Italien“ zwar nicht teilen aber rechtlich doch akzeptieren müsse und ein Besen offenbar ein „schlimmeres Symbol“ darstelle als das „auf die italienische Fahne abgedruckte Konterfei Mussolinis“ nutzten nichts: Parteivorsitzende Eva Klotz, Fraktionschef Knoll und STF-Geschäftsführer Werner Thaler wurden zu einer Geldstrafe von je 3000 Euro verurteilt. Überdies müssen sie die Prozesskosten sowie und die Vernichtung der beschlagnahmten Plakate tragen.
Verständlich, dass die Verurteilten und ihr Verteidiger Nicola Canestrini gegen den Richterspruch Berufung einlegten. Die Freiheit politischer Aktionen und das Recht auf freie Meinungsäußerung müssen mehr zählen als die in Italien fortgeltende Paragraphen des während des Mussolini-Faschismus erlassenen „Codice Rocco“. Daher ist die STF zu ermutigen, den juristischen Instanzenweg zu beschreiten, nötigenfalls bis hin zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EuGHMR). Zuzustimmen ist auch ihrer Beschuldigung, die italienische Justiz messe mit zweierlei Maß. Denn die Fakten sprechen eine deutliche Sprache.
„Faschistische“ Werbeartikel – keine Instanz schreitet ein
Seit Jahren sind in Italien – und besonders in Bozen, der Hauptstadt der Provincia autonoma di Bolzano – Alto Adige „faschistische“ Werbeartikel gang und gäbe, wogegen keine Instanz wirklich einschreitet. Dazu zählen unter anderem Mussolini-Kalender, Mussolini-Feuerzeuge, Mussolini-Fahnen oder -Zuckersäckchen. Alle Verbotsverlangen gegen derartige Artikel sind stets unter Berufung auf die „freie Meinungsäußerung“ gerichtlich abgewiesen worden. Dasselbe gilt auch für in ganz Italien erhältliche Weinflaschen mit Etiketten, auf denen die Konterfeis Hitlers und Mussolinis prangen. Einmal, es war im Herbst 2007, hatte der damalige Bozner Staatsanwalt Cuno Tarfusser tatsächlich Etiketten der Kellerei Lunardelli aus Pasian di Prato in der Provinz Udine beschlagnahmen lassen, auf denen Adolf Hitler, Benito Mussolini, Heinrich Himmler und Rudolf Hess abgebildet sind. Sie mussten mitsamt dazugehörigen Matritzen dem Friulaner Weinhändler wieder zurückgegeben werden, da der zuständige Bozner Richter Edoardo Mori – „Die Justiz ist wie eine Waffe. Es kommt darauf an, wer sie in der Hand hält.“ (Südtiroler Magazin „FF“, Ausgabe Nr. 39 / 2010) seinerzeit die Aufhebung der Beschlagnahme verfügte.
In Österreich trüge ihr „Verkaufsschlager“ Alessandro Lunardello und dessen Sohn Andrea ein Strafverfahren wegen des inkriminierten Delikts der „nationalsozialistischen Wiederbetätigung“ ein. Auch in Deutschland würden sie wegen öffentlichen Gebrauchs nationalsozialistischer Symbole belangt, zudem stünden sie unter Beobachtung des Verfassungsschutzes. In Italien dagegen ist nicht strafbar, dass sie ihren „Cabernet Blanc“, „Merlot“, „Tocai“ und „Gewürztraminer“ mit faschistischen und nationalsozialistischen Figuren etikettierten. In der Urteilsbegründung für den Freispruch hieß es, der Verkauf derartig etikettierter Weine verstoße nicht gegen geltende Gesetze.
Man stelle sich also vor: Adolf Hitlers Gröfaz-Pose prangte als sinnstiftendes „Markenzeichen“ eines deutschen oder österreichsichen Weinabfüllers auf Flaschen mit edlem Rebengewächs. Wäre dem so, ein Sturm internationaler Entrüstung bräche los. Geschieht dergleichen hingegen in Italien, wird davon kaum Notiz genommen. Spielt sich der Vorgang zudem im 1918 waffenstillstandswidrig besetzten und 1920 förmlich annektierten südlichen Teil Tirols ab, der Eroberungsziel glühender Erlöser unerlöster Gebiete war, so tut das die dortige Justiz als „guten Verkaufsgag“ ab.
Im Wein ist Wahrheit? Zumindest dort, wo derlei Geschmacklosigkeit nicht für justitiabel gehalten wird, verbirgt sich der Geist nicht in der Flasche, sondern klebt als Tabu-Bruch auf dem Etikett. Wenn aber Südtiroler symbolisch mit dem Besen die zerfransende Tricolore (aus)kehren, werden sie bestraft. Blind ist Iusticia italiana auf einem Auge – wohl nicht nur dem Anschein nach.