In Europa glauben viele, dass die Schaffung eines „europäischen Islams“ die Probleme mit den Muslimen lösen könnte. Im Vatikan hält man davon wenig.
Die europäische Gesellschaft hat es sich zur Angewohnheit gemacht, wenn Probleme auftauchen, nicht bei sich selbst nach Ursachen und Lösungen zu suchen, sondern bloß nach neuen Instrumenten zu rufen. Genau dieses ist jetzt in Zusammenhang mit der Schwierigkeit der Integration muslimischer Zuwanderer der Fall. Nicht nur die Politik sieht ein Problem darin, dass der Islam nicht mit der europäischen Wertegesellschaft zu Recht kommt. Daher wir die Forderung nach der Kreation eines eigenen „europäischen Islams“ laut.
Definition der „roten Linie“
Tatsache ist, dass Europa insgesamt kulturell, gesellschaftlich und religiös vielfältiger geworden ist. So leben heute über 16 Millionen Muslime allein in der Europäischen Union. Weit über 90 Prozent der Flüchtlinge, die 2015 und 2016 nach Europa gekommen sind, sind muslimischen Glaubens. Die Frage ist nun, wie wird mit dieser Vielfalt umgegangen und wo zieht Europa im Lichte seiner eigenen gewachsenen Werte- und Gesellschaftsordnung eine Art „rote Linie“. Vor allem aber nicht nur bei den linken Gruppierungen wird eine Politik des Wegsehens, der falsch verstandenen Toleranz vor gesellschaftlich falschen Entwicklungen betrieben.
Integration erfolgt immer später
Mit 7,5 Prozent hat das laizistische Frankreich den höchsten Anteil muslimischer Bürger. Sie kommen übrigens vor allem aus dem Maghreb und der Sub Sahara. In einigen europäischen Staaten wie Deutschland und Österreich ist der Anteil an Muslimen seit 2015 beachtlich gestiegen. Schätzungen zufolge erhöhte sich der Anteil der Muslime an der deutschen Bevölkerung 2015 auf 5,4 bis 5,7 Prozent. In Österreich liegt er noch etwas höher. Der Österreichische Integrationsfonds geht sogar davon aus, dass in der Anteil der Muslime in der Alpenrepublik bei acht Prozent liegt. Doch die Integration geht nur schleppend voran, sie verschiebt sich immer mehr auf spätere Generationen. Dazu kommt, dass sich auch islamische Organisationen beispielsweise im Bereich des Kindergarten- und Schulwesens oft als wenig kooperationsbereit zeigen. Die Folge sind gesellschaftliche Spannungen und Auseinandersetzungen.
Eine Audienz setzt ein Signal
Nicht nur seitens der Politik wird daher seit einiger Zeit immer wieder die Forderung nach einem so genannten „europäischen Islam“ erhoben. Vor kurzem hat Papst Franziskus, wie das Nachrichtenmagazin „profil“ berichtete, bei einer Privataudienz für eine kleine Gruppe von Katholiken aus Österreich aufhorchen lassen. Er ließ die Anwesenden wissen, dass er „nichts von falsch verstandener Toleranz“ halte und ihm „das Missionarische bei dieser Debatte“ fehle. Seine größte Sorge sei nicht die Ausbreitung des Islam selbst, sondern die „indifferente Haltung“ der Katholiken zu ihrem eigenen Glauben, auf der diese falsch verstandene Toleranz beruhe.
Zersplitterung des Islam schafft Probleme
Tatsächlich hält man im Vatikan, wie von einem Insider dazu ergänzend zu erfahren war, wenig von einem „europäischen Islam“. Auch vom Papst selbst gibt es dazu weder eine Andeutung noch eine Erklärung. Von ihm wurde diesbezüglich bislang nicht einmal eine Andeutung gemacht. Eine europäische Version des Islam zu fordern oder gar zu kreieren, sei nämlich eine nicht gar nicht realistische Vorstellung. Tatsächlich gibt es nämlich DEN Islam nicht, sondern es gibt eine Vielzahl von unterschiedlichen „Traditionen“, soll heißen Richtungen. Diese Zersplitterung macht es auch so schwierig, mit dem Islam in einen Dialog zu treten. Was man sich von Europa erwartet, heißt es dazu aus der unmittelbaren Papst-Umgebung, wäre sehr wohl eine intensive Auseinandersetzung mit dem Islam. Diese würde allerdings mehr Selbstbewusstsein im Auftreten, eine offensive Auseinandersetzung mit der muslimischen Glaubenslehre und deren Repräsentanten sowie eine Festigkeit, ja Glaubwürdigkeit im eigenen christlichen Glauben verlangen.
Vorbild ist das europäische Gesellschaftsmodell
Hinter der leisen Kritik des Papstes verbirgt sich auch Kritik an den Vertretern der europäischen Kirchen, denen eine gewisse Laschheit vorgehalten wird. Nicht umsonst heißt es im Vatikan, dass Europa der sekularisierteste aller fünf Kontinente sei. Wörtlich meinte Papst Franziskus bei der zitierten Audienz in Anspielung auf den Wiener Kardinal Christoph Schönborn: „Ich habe zur Islamisierung einen anderen Zugang als Ihr Kardinal“. Was auch sogleich für eine gewisse Aufregung in Wiener Kirchenkreisen sorgte, gilt doch Schönborn als ein besonderer Vertrauter des Heiligen Vaters. So sehr Schönborn in religiösen Grundsatzfragen das Vertrauen und die Anerkennung von Papst Franziskus genießt, dass die Erzdiözese mangels der Führungskraft des eigenen Kardinals mit vielen Problemen kämpft, hat sich mittlerweile bis nach Rom durchgesprochen.
Die Kirche agiert zu weich
In den altehrwürdigen Gemächern der päpstlichen Residenz hält man wenig von der These, dass sich der Islam eine eigene Version für Europa zulegen sollte. Man fordert nun auch nicht eine Art „heiligen Krieg“ sondern man verlangt, dass die Kirche ihre Position im so genannten christlichen Abendland nicht nur verteidigt, sondern entschlossen vertritt. Dazu gehört vor allem, dass sich nicht die europäische Gesellschaft, die nun einmal von der Kultur des Christentums, dem griechischen Demokratie- und dem römischen Rechtsverständnis über mehr als zwei Jahrtausende geprägt wurde, dem Islam anpasst, gesellschaftliche Anmaßungen zu akzeptieren hat, sondern auf der Wahrung der eigenen Identität besteht. Und hier würden die katholische Kirche, aber auch deren Vorfeldorganisationen viel zu weich agieren. Das heißt, man muss von den neu zugewanderten Bürgern nicht nur erwarten sondern verlangen, die europäische Werteorientierung, die Menschenrechte, das Rechts- und Demokratieverständnis zu achten und zu übernehmen. Und das bei voller Wahrung der Religionsfreiheit.
Die Akzeptanz ist das zentrale Kriterium
Was vom Papst daher eingefordert wird, so interpretiert man in hohen Vatikanischen Kreisen seine jüngsten Äußerungen, bedeutet nichts anderes, als dass das „europäische Gesellschaftsmodell“ glaubhaft vorgelebt und praktiziert wird. Daran, dass dies auch so geschieht, gibt es bei Papst Franziskus jedoch Zweifel. Seine Botschaft, die er mit der Wortspende bei einer Audienz formuliert hat, lautet daher: Europa und die EU, Politiker ebenso wie Kirchenleute, Wissenschaftler wie Kulturschaffende sind gefordert, in einen offenen und offensiven Dialog einzutreten, klare Standpunkte zu vertreten, Festigkeit und nicht Nachgiebigkeit unter Beweis zu stellen. Es geht nicht darum, die muslimischen Glaubensbrüder zum Christentum zu bekehren, sondern darauf zu bestehen, dass sie sich den geltenden Normen der europäischen Gesellschaft anpassen.