Um einen Blick nach vorne zu werfen, ist es oft ratsam, sich auch der Geschichte zu erinnern.
Man soll mit Begriffen, wie etwa „Schicksalsjahr“ sparsam umgehen. Trotzdem, wir werden im kommenden Jahr an eine Reihe von Ereignissen erinnert, die vor 30 Jahren die politische Landkarte verändert, entscheidende Weichenstellungen getroffen haben.
Zu Beginn des Jahres 1989 war Österreich gewissermaßen Endstation des so genannten freien Westens. Keine 60 Kilometer östlich von Wien sorgte der Eiserne Vorhang für die Trennung Europas in zwei Hemisphären. In eine, in der Meinungsfreiheit und Demokratie herrschten und in eine andere, die von Diktatur und gekennzeichnet war. Zwar gab es eine Reihe von Anzeichen, dass innerhalb des kommunistischen Ostblocks eine gewisse Liberalisierung Platz greifen könnte, an ein Europa der offenen Grenzen, an ein wiedervereinigtes Deutschland glaubten nur Illusionisten.
Ahnungslose Geheimdienste
Übrigens, auch die sonst alles ausspionierenden Geheimdienste hatten keine Ahnung, dass ein System, das über 70 Jahre Millionen Menschen unterdrückte, folterte, zu Tode brachte, plötzlich wie ein Kartenhaus in sich zusammenstürzen könnte. Und genau das geschah. Die Fesseln gelockert hatte der damalige starke Mann in Kreml, Mihail Gorbatschow, der erkennen musste, dass die Sowjetunion und ihre Satellitenstaaten vor dem wirtschaftlichen und politischen Konkurs standen. Er gab die Devise Perestroika (Umgestaltung) und Glasnost (Offenheit) aus.
Ungarn öffnet das Fenster zur Freiheit
In Ungarn und Polen gab dies vielen politischen Kräften den nötigen Auftrieb, um sich von alten Dogmen zu lösen, Freiheitsraum zu verschaffen. Und plötzlich ging alles Schlag auf Schlag.
Am 2. Mai begann Ungarn mit dem Abbau des Stacheldrahtverhaus. Bloß niemand nahm davon richtig Notiz. Daraufhin entstand beim damaligen Außenminister Alois Mock die Idee, seinen ungarischen Amtskollegen anzurufen und ihm doch vorzuschlagen, ein besonderes Signal zu setzen. Am 27. Juni durchschnitten Mock und Gyula Horn bei Klingenbach vor den Augen Weltöffentlichkeit den Eisernen Vorhang. Bis heute werden die Fotos von diesem Ereignis mit der Auflösung der Teilung Europas in Verbindung gebracht.
Ostblock stürzt wie ein Kartenhaus zusammen
Die Bürgerrechtsbewegungen und die Opposition erhielten jenen Auftrieb, dem sich die noch herrschenden Regime nicht widersetzen konnten. Am 24. August wird in Polen ein demokratischer Ministerpräsident gewählt. Am 3. Oktober erklärt sich Umgarn zur demokratischen Republik, am 9. November fällt die Berliner Mauer, am 7. Dezember endet die KP-Zeit in der Tschechoslowakei, am 22. Dezember in Rumänien.
Es ist eine unblutige Revolution (mit Ausnahme von Rumänien und Jugoslawien, das noch zwei Jahre lang kommunistisch regiert wird und dessen Nationalstaaten sich in einem vierjährigen Bürgerkrieg ihre Freiheit und Unabhängigkeit erkämpfen müssen), die das Kapitel des Kommunismus in Europa schließt. Soweit die europa- und weltpolitische Dimension des 1989er Jahres.
ÖVP und FPÖ segeln auf Europakurs
Aber auch Österreich schreibt ein wichtiges Kapitel seiner Geschichte. Bereits 1957, als es zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft kam, wuchs in Österreich der Wunsch, daran teilzunehmen. Es war das „Njet“ aus Moskau, das drei Jahrzehnte verhinderte, an eine Mitgliedshaft in der EWG auch nur zu denken. Trotzdem begann man sich in der ÖVP, damals aber auch in der FPÖ, mit der, wie es vorsichtig genannt wurde, Annäherung und die Teilnahme am europäischen Integrationsprozess auseinanderzusetzen. Die treibenden Kräfte waren damals die Junge Volkspartei, die Junge Industrie und Alois Mock. In der Regierungserklärung 1987, mit der nach 17 Jahren Opposition die ÖVP wieder zurück an die Bundesregierung kehrt, beginnt die Europa-Diskussion langsam anzulaufen.
SPÖ sitzt zunächst noch auf der Bremse
Die SPÖ steht damals einem „Verhältnis“ mit der EWG noch sehr kritisch gegenüber. Hingegen ist die FPÖ noch eine Pro-Europa-Partei, die erst 1992 und das aus rein wahltaktischen Gründen umschwenkt. Bei Regierungskontakten mit der sowjetischen Führung im Jahre 1988 wird erstmals klar, dass Moskau Österreich keine Steine Richtung Brüssel auf den Weg legen wird. Allerdings müssen Mock &Co. noch beim Koalitionspartner Überzeugungsarbeit leisten. Hier spielen vor allem Franz Vranitzky als Bundeskanzler, aber auch die Wiener SPÖ-Spitzen Bürgermeister Helmut Zilk und Finanzstadtrat Hans Mayr eine wichtige Rolle.
Österreich tritt den Weg nach Brüssel an
Am 17. April 1989 ist es dann soweit. Im Ministerrat werden die Weichen für das Beitrittsansuchen zur Europäischen Gemeinschaft gestellt. Der Brief selbst wird am 17. Juli dem damaligen EG-Ratspräsidenten übergeben. Österreich ist noch rechtzeitig bereit, Beitrittsgespräche mit Brüssel aufzunehmen. Schon wenige Monate später wendet sich das Interesse der Wiedervereinigung Deutschlands und dem Umgang mit den neuen Demokratien, wie sich nun die ehemaligen Volksdemokratien nennen, zu.
Brückenbauer nach Mittel-Ost-Europa
Es dauert allerdings noch bis zum Jahre 1992, bis es aus Brüssel das so genannte Avis gibt, mit dem dann die konkreten Verhandlungen beginnen. Interessant an diesem Avis ist, dass sich die Kommission von einem Beitritt Österreichs viel erwartet. Nämlich, dass es aufgrund seiner letztlich auch historischen Bande und der Brückenfunktion, die es auch in der Zeit des Kalten Krieges immer wahrgenommen hat, besonders um jene Staaten annehmen soll, die erst vor kurzem gewissermaßen in die Freiheit entlassen wurden und einen demokratischen Aufholprozess zu absolvieren hatten.
Die Rolle Brückenbauer vor allem auch in die Region von Mittel-Ost-Europa zu sein, ist Österreich erhalten geblieben. Und ist erst Recht nach der EU-Ratspräsidentschaft ein Auftrag für die Zukunft. Was auch angesichts der Tatsache wichtig wäre, dass Österreich bislang keinen regionalen Blöcken angehört und mehr Gewicht in der EU durchaus vertragen könnte.