Sonntag, 22. Dezember 2024
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Ein System, das in die Korruption führen muss

Bild © Creative Commons Pixabay (Ausschnitt)

Wohin mit Ex-Politikern? Die Antwort auf diese Frage ist für die Qualität der Demokratie wichtiger als man glaubt. Denn dabei sollten weder Kumpanei noch Humanitätsduselei, aber auch keinesfalls Schadenfreude und die Ressentiments des kleinen Mannes gegen die da oben im Vordergrund stehen, sondern einzig das Interesse der Bürger am Funktionieren, an der Qualität, an der Sauberkeit der Demokratie. Eine Fülle schmieriger Exempel zeigt auf, wie aktuell und dringend das Problem ist, wie schlecht derzeit die Frage beantwortet ist. Es erweist sich zunehmend als Katastrophe und korruptionsfördernd, dass die sinnvollsten Berufswege für Ex-Politiker mit dicken Zementmauern versperrt sind.

Gewiss: Wenn es nach der Stimmung auf dem Boulevard, an vielen Stammtischen und auch bei etlichen Richtern geht (die emotional von der Möglichkeit der Rache an einstigen Gesetzesmachern getrieben sind), sollten sich ehemalige Politiker am Ende ihrer Funktion ohnedies in Luft oder Salzsäure auflösen. Das ist freilich nicht nur eine ethische schlimme, sondern auch dumme Haltung.

Sie ist schon deshalb dumm, da ja auch jeder aktive Politiker weiß, dass seine Karriere sehr leicht viel früher als geplant und oft sehr abrupt zu Ende gehen kann. Etwa weil Wahlen ungünstig ausgehen, weil man die Gunst des Parteichefs verliert, weil man die Nerven in irgendeinem Shitstorm wegwirft, weil man irgendeinem Quotenproporz zum Opfer fällt usw. Ja, und bisweilen auch wegen echter Fehler.

Die meisten Politiker sehen, was in der Regel dem Jobverlust folgt: In wohl keinem anderen Bereich wird man, wenn man seinen Job verliert, so sehr von Häme, von Verachtung, von Schadenfreude der Umwelt und Medien getroffen wie in der Politik. Die Abgänge aus hohen Staatsämtern sind selten geworden, wo einer mit lange anhaltendem Beifall aus Altersgründen wie geplant in die Funktion eines Ehren … (-präsidenten/-vorsitzenden usw) wechseln kann.

Man denke an die letzten vier ÖVP-Chefs Molterer, Pröll, Spindelegger und Mitterlehner, aber etwa auch an den SPÖ-Altchef Werner Faymann: Sie alle waren über Nacht weg. Vergessen und ausradiert. Wahrscheinlich würde heute sogar der Portier in der Parteizentrale, der früher nie tief genug seinen Bückling machen hat können, einen dort auftauchenden Ex-Politiker fragen: „Wer sind Sie? Was wollen Sie?“

Aber auch die Medien reagieren bösartig. Praktisch jeder Job, den ein Politiker nachher bekommt, wird sofort als Versorgungsjob denunziert. Selbst wenn die Qualifikation noch so gut passen würde (auch ich bin bisweilen vorschnell dieser Denunzierungs-Routine verfallen wie etwa beim Pröll-Wechsel ins Raiffeisen-Imperium). Das ist wohl ein Hauptgrund dafür, warum immer öfter Politiker nach dem Abschied dann einen sehr üblen Weg gehen. Motto: „Wenn dieses Land, für das ich (meiner Meinung) so viel getan habe, ohnedies keine ordentliche Verwendung für mich hat oder auch nur zulässt, dann gehe ich halt gleich auf den Strich.“

Die spektakulärsten Beispiele der jüngeren Vergangenheit: Eva Glawischnigg heuert als gut bezahlte Lobbyistin bei einem einst von ihr selbst verdammten Glücksspielimperium an, Alfred Gusenbauer arbeitet für eine Reihe grauslicher mittelasiatischer Diktatoren, Gerhard Schröder für Wladimir Putin und die russische Öl/Gas-Mafia, Ernst Strasser (in früheren Jahren) für jeden, der willens war, ihn zu bezahlen.

Sie hatten alle die gleiche Motivation: Sie wollten alle nicht als Straßenkehrer enden. Sie müssen aber, da es – als Folge einstiger Kampagnen von Boulevard und Jörg Haider – keine Politikerpensionen mehr gibt, sich und ihre Familien irgendwie ernähren. Daher schrammen sie bewusst und vielleicht sogar gezielt an Mafia, Halbwelt, Verbrechen und dubiose Geschäftspartner. Man kann es zwar als sozialen Hochmut ansehen, dass sie nicht bereit sind, finanziell in der Gosse zu landen. Subjektiv ist das aber verständlich. Auch wenn es derzeit überwiegend rotgrüne Politiker sind, die schnurgerade in den Sumpf gesteuert sind, so ist dieses Verhalten doch keineswegs ein Privileg der Linken.

Diese Entwicklung hat freilich schlimme Folgen. Erstens wird dadurch das Image von Politik und Demokratie immer schlechter. Die zweite – und noch katastrophalere – Folge sieht man am politischen Nachwuchs.

Denn auch wenn Sebastian Kurz aktuell eine Ausnahme ist, so ist doch völlig unbestreitbar: Immer weniger begabte und anständige junge Menschen denken daran, in die Politik zu gehen. Selbst Kurz hat trotz des um ihn entstandenen Hypes praktisch nirgendwo andere junge Menschen gefunden, von denen man sagen kann: „Da ist eine tolle neue Generation angetreten; es blüht nicht nur der Ausnahmefall Kurz“.

Die talentierten – und charakterlich sauberen – Jungen wollen einfach nicht in die Politik. Sie sehen den immensen Druck, der auf Regierungsmitgliedern in der Amtszeit lastet. Sie erkennen, dass sinnvolles politisches Gestalten ohnedies immer weniger möglich ist. Sie denken im Gegensatz zu früheren Generationen ständig an ihre persönliche „Work-Life-Balance“ (auf deutsch: „Nur keinen Stress!“). Sie stellen sich vor allem die Frage: Und was ist nachher, werde ich auch so wenig seriöse Optionen haben wie die vielen anderen?

Aus all diesen Gründen entscheiden sich immer mehr junge Menschen gegen die Politik.

Das ist aber immens schlecht für das Gemeinwesen, für uns alle. Wir brauchen gute Politiker, ständig guten Nachwuchs. Daher sollten wir alle gemeinsam nachdenken, was wir tun können, um das zu ändern. Außer jammern und auf die Politiker schimpfen.

Hilfreich ist da der Blick ins Ausland. Vor allem die Vereinigten Staaten fallen da positiv auf. Dort gibt es – auch unterhalb der Top-Ebene, wo man zumindest in Amerika vom Memoirenschreiben und Vorträgehalten leben kann – eine breite und für alle Seiten positive Perspektive für viele Ex-Politiker: Das sind die Universitäten.

Die Unis als Closed shop

Der Weg dorthin ist keine Versorgung, sondern total sinnvoll. Die US-Unis reißen sich geradezu darum, ehemalige Politiker zu akquirieren. Nicht nur, weil sich diese im Vorlesungsverzeichnis und damit beim Andrang zahlungswilliger Studenten gut ausmachen. Sondern auch weil Politiker wirklich viel fundierter über Politik, Gesetzgebung, internationale Beziehungen, Sozialsystem, gesellschaftliche Realitäten, Migration, politische Psychologie, wirtschaftliche Realitäten, öffentlich-rechtliche Organisationsprobleme und ähnliche Felder vortragen können als Professoren, denen die weltfremde Theorie bei den Ohren hinausstaubt. Professoren produzieren zwar viele Fußnoten, haben aber oft keine Ahnung vom wirklichen Leben. Politiker meist schon.

Jedoch: In Österreich, und in vielen anderen europäischen Ländern ist Ex-Politikern gerade dieser Weg versperrt. Dort kommt niemand in die Unis hinein, der sich nicht auf der akademischen Eselstour und mit dem Schreiben dicker Habilitationen hochgedient hat. Die Professoren und Dozenten haben einen Closed Shop errichtet, der sie gegen jeden externen Wettbewerb gut absichert.

Menschen, die aus der politischen, wirtschaftlichen oder Verwaltungs-Praxis kommen, die also viel geeigneter wären, jungen Menschen Relevantes mit großer Sachkenntnis und auf hohem Niveau zu vermitteln, können sich an den Unis ohne dicke Habilitationen mit Tausenden Fußnoten höchstens als externe Lehrbeauftragte verdingen. Diese Tätigkeit wird aber, wenn überhaupt, so schlecht bezahlt, dass man besser beraten wäre, sich um die Reinigung der Hörsäle nach der Vorlesung zu bewerben als um den Auftrag, darin vortragen zu dürfen.

Ganz ähnliches spielt sich auch in der Diplomatie ab. Dort halten schwarze und rote Beamte wie Pech und Schwefel zusammen, um nur ja zu verhindern, dass an der Eselstour und der Préalable-Prüfung vorbei jemand in den diplomatischen Dienst gelangen kann. Praktischerweise sind es die Diplomaten selber, vor denen diese Prüfung abzulegen ist und die so als Torwächter gegen externe Konkurrenz fungieren können.

Bruno Kreisky war der letzte, der es geschafft hat, frühere Spitzenjournalisten und einen ehemaligen Außenminister (Willibald Pahr) im Diplomatischen Dienst zu platzieren. Selbst Außenminister waren dort nämlich verpönt. Kaum war er aber aus der Macht geschieden, wurde von den Diplomaten dieses Schlupfloch sofort wieder geschlossen und mit doppelten Sperren versehen. Seither bleibt man wieder unter sich. Und so können im Auswärtigen Dienst weiterhin vor allem Söhne und Töchter von Diplomaten konkurrenzreduziert nachrücken.

Das Problem der Qualität des politischen Nachwuchses würde alternativ natürlich auch noch durch eine ganz andere Reform entschärft: durch die forcierte Einführung der direkten Demokratie. Wenn die Gesamtheit der Bürger alle wichtigen Fragen entscheiden und kontrollieren kann, ist es lange nicht mehr so wichtig, wie fähig oder unfähig, wie korrupt oder sauber die repräsentativ gewählten Machthaber sind. Sind doch dann die Bürger mächtiger als die Repräsentativpolitiker (weshalb diese von der direkten Demokratie immer nur reden!).

Aber von dieser Reform sind wir ja noch weiter entfernt als von einer Durchlüftung und Öffnung von Unis und Diplomatie.

Ja, und um mich ganz unpopulär zu machen: Wir sollten auch die Abschaffung der Politikerpensionen noch einmal überdenken. Wir würden uns wohl viel ersparen, würden wir allen Ex-Ministern eine solche zahlen – und zugleich ganz strenge Unvereinbarkeitsbestimmungen erlassen, dass Ex-Politiker keinen nach Korruption riechenden Job annehmen können.

Fall Westenthaler: zusätzliche Abschreckung auch durch Strafrichter

Auch der vor kurzem rechtskräftig entschiedene Prozess gegen den Ex-Politiker Peter Westenthaler hat eine zutiefst abschreckende Wirkung auf jeden jungen Menschen, der überlegt, in die Politik zu gehen. Westenthaler muss jetzt für ein Verhalten längere Zeit ins Gefängnis gehen, das bei Nicht-Politikern in 99 Prozent der Fälle nicht bestraft worden wäre. In seinem Verfahren sind auch tiefe Ressentiments vieler Richter gegen Politiker sichtbar geworden.

Sein Delikt: Westenthaler hat in seinem Nach-Politik-Job als Geschäftsführer der Bundesliga mit einem legal hereinkommenden Förderbetrag andere legale (und dringende) Ausgaben der Bundesliga getätigt. Was er so offenbar nicht tun hätte dürfen. Daneben ging es auch um eine Subvention der (staatlichen) Lotterien an das BZÖ. Westenthaler hat sich dabei unbestrittenermaßen nie bereichert. Dennoch ist er dafür nicht nur durch eine siebenjährige(!) Verfahrensdauer beruflich lahmgelegt und existenziell bestraft worden; er hat auch 250.000 Euro Verfahrenskosten zu tragen und nun eine Strafe von 24 Monaten zu absolvieren.

Der letztentscheidende Richter begründete diese Verurteilung sogar ganz offen damit, dass Westenthaler „seine exponierte Führungsposition“ als langjähriger Spitzenpolitiker benützt habe, um die Tathandlung zu setzen. Westenthaler wird also nur deshalb so hart bestraft, WEIL er Politiker gewesen ist. Auch schon in einer früheren Instanz wurde Westenthaler von einem Richter verhöhnt.

Mit anderen Worten: Gerade in diesem Fall hat sich ganz eindeutig ein massiver und sogar existenzvernichtender Politiker-Malus gezeigt. Westenthaler hat ein doppeltes Problem: Er ist nicht nur Politiker, sondern kommt auch aus einem bei Richtern und Staatsanwälten gar nicht beliebten Lager. Deshalb zeigen etliche von ihnen geradezu Lustverhalten, wenn sie einen noch so kleinen Anlass finden, gegen einen „rechten“ Politiker vorgehen zu können. Während es ja in der ganz ähnlich gelagerten Kärntner Top-Team-Affäre zu Verfahrenseinstellungen oder Diversions-Erledigungen gekommen ist. Während der durch Ex-Ministerin Bures einst angerichtete 300.000 Euro teure Schaden für die Republik, weil sie aus feministischen Motiven wider das Gesetz nicht den bestqualifzierten Kandidaten genommen hat, nicht einmal zu einem Strafverfahren geführt hat. Freilich: Dort hat die Sachlage ja SPÖ-Exponenten belastet …

PS: Man kann sich übrigens auch vorstellen, welche Rachedimension sich bei Richtern und Staatsanwälten gerade in diesen Tagen wieder zusätzlich aufbaut, da jetzt im Bereich der Justiz gespart werden muss! Wir werden es wohl irgendwann einmal an Urteilen sehen.

PPS: Ganz unabhängig von der Kritik an der Westenthaler-Verurteilung: Es gibt in Wahrheit überhaupt keinen Grund, warum ein Millionen-Business wie die Bundesliga mit Steuergeldern subventioniert wird. Selbst für die körperliche Fitness der jungen Menschen ist es nicht ideal, wenn sie in die Fänge eines Spitzenklubs gelangen (die sich aber fast alle Politiker als Präsidenten halten, was interessanterweise noch nie als Korruption angeklagt worden ist).

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