Der EU-Ratsvorsitz beginnt mit Folklore. In Schladming wird am Samstag im Rahmen eines europäischen Volksfestes die Ratspräsidentschaft von Bulgarien an Österreich übergeben. Dann aber folgt harte Arbeit.
Die österreichische Ratspräsidentschaft, die am 1. Juli beginnt, stellt an sich eine Herausforderung an die EU und die Regierung in Wien dar. Ist es doch die letzte vor den Europawahlen, die vom 23. bis 26. Mai 2019 stattfinden. 200 Punkte umfasst die vorliegende Agenda, deren Lösung nicht zuletzt diesen Wahlgang maßgeblich beeinflussen wird. Im Präsidium der EU-Kommission und in den Parteizentralen der EU-Fraktionen ist man sich einer Meinung: Gelingt es nicht, die Vielzahl der offenen Fragen zu klären und einer Lösung zuzuführen, die Entschlossenheit und Handlungskompetenz der EU-Kommission unter Beweis stellen, dann drohen ein weiterer Rückgang der Wahlbeteiligung und Verluste für jene politischen Kräfte, die für Stabilität und Festigkeit sorgen.
Kurz bekennt sich zum EU-Szenario 4
Zum Start der EU-Ratspräsidentschaft holte EU-Infothek zu den wichtigen Themenschwerpunkten aktuelle Statements ein, die erkennen lassen, welche Zielrichtungen Österreich dabei verfolgt. Die aber auch mögliche Auffassungsunterschiede mit und zwischen den EU-Staaten aufzeigen.
Noch vor einem Jahr hatte Sebastian Kurz, damals noch Außenminister und nicht Bundeskanzler, davon gesprochen, einen eigenen Vorschlag zu präsentieren, wie eine „runderneuerte“ EU aussehen sollte. Inzwischen ist bekanntlich auch Frankreichs Präsident Emannuel Macron mit einer Reihe von Ideen gekommen, die vor allem darauf abzielen, die Kompetenzen der Kommission zu stärken. So sehr Kurz für eine Reform ist, hin und wieder auch Anleihen bei Macron nimmt, so sind seine Vorstellungen doch etwas anders gewichtet. Er wird nun keinen neuen Vorschlag zur Weiterentwicklung der EU präsentieren. Gleichzeitig legt er sich aber nun fest: „Wir setzen uns für das Szenario 4 von Junckers Weißbuch ein, das mehr Subsidiarität will und wir bringen uns dazu laufend ein“.
Nur zur Erinnerung. Dort heißt es unter dem Titel „Weniger aber effizienter“ wörtlich, dass sich die EU 27 darauf konzentriert, in ausgewählten Bereichen rascher mehr Ergebnisse zu erzielen. Und sie will andere Tätigkeitsbereiche den Mitgliedsstaaten überlassen. Aufmerksamkeit und Ressourcen sollen auf ausgewählte Bereiche gerichtet werden. Es handelt sich somit um jenes Modell, das nun unter dem Schlagwort der „Subsidiarität“ gehandelt wird.
Keine Rede von einem Anti-Brexit-Referendum
Das ab 2021 in Kraft tretende langjährige EU-Budget steht zwar auf der Tagesordnung, gehört aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeiten zu jenen Punkten, die in sechs Monaten noch nicht abzuhaken sind. Einerseits weil es erhebliche Differenzen über dessen Höhe gibt, einige Länder – so auch Österreich – nicht mehr zahlen wollen, wenn künftighin weniger Mitglieder der Gemeinschaft angehören werden. Andererseits weil eine Reihe von neuen Aufgaben an die EU herangetragen werden können, die es verlangen, den Spar-Standpunkt zu revidieren.
Ohne Zweifel, der „große Brocken“ der EU-Präsidentschaft betrifft den Abschluss der Brexit-Verhandlungen. Am 29. März 2019 wird Großbritannien die EU verlassen, das steht nun bereits fest. Bis zum 31. Oktober dieses Jahres soll der Austrittsvertrag unterschriftsreif sein. Man stellt sich aber schon jetzt auf die Deadline Ende Dezember ein, zumal viele konkrete Antworten noch ausständig sind. Fast alles ist möglich, heißt es dazu aus einer internen Arbeitsgruppe, von einer „Zollunion“ bis hin zu einem „No deal“. Zu immer wieder auftauchenden Gerüchten, wonach im Vereinigten Königreich an einem Anti Brexit Referendum gearbeitet wird, heißt es allerdings im Bundeskanzleramt nur, „Nein, diese sind nicht ernst zu nehmen“.
Worum im Hintergrund vor allem ernst gerungen wird, ist die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Verteidigung. Hier stellt nämlich Großbritannien das mit Abstand stärkste militärische Potential. Damit, dass man sich auf den Standpunkt zurückzieht, dass London ohnedies auch weiterhin mit den meisten EU-Staaten im Rahmen der NATO zusammengebunden ist, wird man freilich nicht das Auslangen finden. Bereits im vergangenen Jahr haben Österreich und 22 EU-Staaten ein eigenes Verteidigungsbündnis geschlossen, das aber was die Schlagkraft im Ernstfall betrifft, noch auf sehr schwachen Beinen steht.
Auch USA und China im Fokus
Sehr ernst nimmt man dagegen die Herausforderungen, die die US-Handelspolitik von US-Präsident Donald Trump unter anderem für die EU bedeutet. Diesbezüglich ist immer wieder auch davon die Rede, dass sich Österreich – die USA zählen ja zu den vier Signatarmächten des Staatsvertrages – um einen Dialog bemüht. So wurde auch Wien als Treffen für den Gipfel von Trump mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin ins Gespräch gebracht, das aber nun in Helsinki stattfindet. Was ein EU-Treffen mit Trump betrifft, so will man darüber „im Moment nicht spekulieren“. Allerdings gibt es eine Reihe von vertraulichen Bemühungen auch hier einen Gipfel zustande zu bringen. Übrigens ebenso, was die Verbesserung des Gesprächsklimas zwischen der EU und Russland betrifft.
Nicht mehr spekulieren muss man darüber, dass der weiteren Strategie der EU zu den wirtschaftlichen Expansionsplänen von China ein spezielles Augenmerk gewidmet werden soll. Das betrifft unter anderem das Projekt der neuen Seidenstraße, bei dem die Gefahr einer Einbahnstraße von Peking bis ins das Herz Europas besteht. Daher steht nun am 18. und 19. November in Brüssel ein eigenes Asia-Europe-Meeting (ASEM) auf dem Programm: „Darauf fokussieren wir uns“, heißt es aus dem Kanzleramt. Chinas Premierminister Li Kequiang hat seine Teilnahme bereits anlässlich des Besuches einer großen Staatsbesuchs unter der Führung von Bundespräsident Alexander van der Bellen und Bundeskanzler Kurz im Frühjahr dieses Jahres zugesagt.
EU muss Westbalkan bei der Stange halten
Mit einem weiteren Schwerpunkt will Österreich einem Auftrag folgen, der im Zuge der Beitrittsverhandlungen vor 25 Jahren expressis verbis festgehalten wurde. Dabei ging es darum, dass sich die Regierung in Wien um die Heranführung der ehemaligen Ostblockstaaten an die EU und deren demokratischen Standards annimmt.
Dem wird nun mit einer verstärkten Zusammenarbeit mit den so genannten Westbalkanstaaten voll Rechnung getragen. Gilt es jetzt doch die so genannten neuen Demokratien (und damit ehemaligen Volksdemokratien) an die politische und wirtschaftliche Gemeinschaft der EU heranzuführen, sie zu integrieren und so zu verhindern, dass sie sich anderen Orientierungspunkten (wie etwa China, der Türkei oder Saudi Arabien) zuwenden. Gerade hier hat Österreich aufgrund seiner historischen Bande eine besonders wichtige Aufgabe.
Und das kommt auch im Programm für den EU-Ratsvorsitz zum Ausdruck. Kurz gesagt: „Die Balkan Initiative ist einer der der Schwerpunkte des Vorsitzes. Wir werden uns sehr für EU-Perspektive des Westbalkans einsetzen, so gut wie alle Westbalkan-Staaten waren daher schon in Vorbereitung zu Besuch in Wien. Die jetzt erzielte Einigung, Beitrittsverhandlungen nächstes Jahr mit Albanien und Mazedonien aufzunehmen, ist eine gute Voraussetzung, dass nachhaltige Erfolge erzielt werden.“
Der Delegationsleiter der ÖVP im Europäischen Parlament, Othmar, Karas, nicht immer auf einer Linie mit seiner Partei, ist in diesem Punkt deckungsgleich mit Kurz & Co. Er bedauert allerdings die schleppende Vorgangsweise innerhalb der EU, die dazu geführt hat, dass der Auftakt der Beitrittsverhandlungen mit Albanien und Mazedonien nicht während der österreichischen Ratspräsidentschaft, sondern erst Mitte 2019 sein wird. Und das hat mit einer bestimmten Sorge zu tun: „Wir dürfen die Länder des Westbalkan nicht länger warten lassen: Wenn die Bedingungen für Beitrittsverhandlungen gegeben sind, diese aber nicht beginnen, dann schwindet das Vertrauen des Westbalkans in Europa. Konkurrenten der EU wie Russland und China reiben sich die Hände“.
Die schwierige Rolle des Brückenbauers
„Wir wollen Brückenbauer sein während unseres Ratsvorsitzes“, lautet die generelle Ansage von Bundeskanzler Kurz. Und das wird auch nötig sein, hat doch „die ungelöste Migrationsfrage sehr viele Spannungen ausgelöst und zu unterschiedlichen Zugängen geführt“. Die beim nächtlichen EU-Gipfel getroffene Einigung, „Anlandezentren“ für Flüchtlinge außerhalb der EU sowie geschlossene Flüchtlingslager innerhalb der Europäischen Union zu schaffen – letzteres allerdings nur auf freiwilliger Basis – ist ein erster Lösungsansatz. Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigte sich daher auch optimistisch, verwies aber gleichzeitig darauf, dass nun auf die österreichische Ratspräsident noch harte Arbeit wartet, um ein großes Asyl- und Flüchtlingspaket bis zu Herbstbeginn zu verabschieden. Unbestritten ist dabei, wie dies Merkel ständig formuliert, dass nur „eine gemeinsame europäische Lösung, sicherstellen kann, dass es ein Europa ohne Grenzen nach innen gibt“.
Und hier will man einen strengen Maßstab anlegen. Soll heißen, „dass Menschen nach der Rettung im Mittelmeer nicht mehr nach Europa gebracht werden, sondern in Länder außerhalb der Europäischen Union.“ Dazu benötigt es die Schaffung von „regionalen Landungsplattformen“ außerhalb der EU, einer noch stärkeren Zusammenarbeit mit der libyschen Küstenwache, und einem wirksamen Außengrenzschutz. Österreich unterstützt daher die Aufstockung von Frontex auf 10.000 Mann. Dies muss, so Kurz, schneller als bis 2027 erfolgen: „Wir müssen sofort damit anfangen, Frontex zu stärken.“
Spätestens bis September soll das Maßnahmenpaket beschlossen werden. Gleichzeitig damit aber auch für mehr konkrete vor allem wirtschaftliche Hilfe vor Ort gesorgt werden. Hier denkt man an Resettlementprogramme, Treuhandfonds und eine Art „Marshall-Plan“ für Afrika.
Der EU-Parlamentarier Karas geht bei diesem Thema allerdings weiter als sein Parteivorsitzender. Er spannt den Bogen größer, für ihn ist das sprichwörtliche Herunterlassen des Rollbalkens zu wenig: „Zur Lösung der Migrationsprobleme brauchen wir ein Maßnahmenpaket: Zum Außengrenzschutz bedarf es auch zusätzlich klarer Zuständigkeiten und gemeinsamer Standards für Asylverfahren, legaler Wege für die Einwanderung – zum Beispiel von dringend benötigten Fachkräften – und Integration.“
Plädoyer für ein Euro-Budget
Dass es sehr wohl unterschiedliche Positionen zwischen Brüssel und den jeweiligen nationalen Regierungen geht, macht Karas, der sich in der Rolle des Über-Drüber-Europäers gefällt und seiner eigenen Partei beziehungsweise Regierung immer wieder Ratschläge gibt, mit seinem Statement zum Ausbau der Eurozone deutlich. Ähnlich wie Macron – der damit allerdings nur bei Merkel ein offenes Ohr fand – will Karas mehr Kompetenzen: „Der Euro ist die zweitwichtigste Währung der Welt, hat aber als einzige Währung noch immer keine gemeinsame Budget-, Fiskal-, Wirtschafts- und Steuerpolitik. Daher brauchen wir ein Euro-Budget, das auch für die Unterstützung von Strukturreformen und Heranführungshilfen für Nicht-Euro-Länder genutzt wird. Wir müssen den Euro-Rettungsschirm ESM zum Europäischen Währungsfonds auf dem Boden des Gemeinschaftsrechts ausbauen und brauchen einen Stufenplan zur Einführung der gemeinsamen Einlagensicherung. Alle notwendigen Vorschläge liegen seit Jahren auf dem Tisch und müssen nur endlich umgesetzt werden“. Das wird nur in dieser Form so sicher nicht erfolgen.
Kurz hat diesbezüglich schon lange Position bezogen und wissen lassen, dass mit seiner Zustimmung für einen europäischen Finanzminister, ein eigenverantwortliches Budget für die Eurozone und teilweise auch eine gemeinsame Schuldenverwaltung der Euro-Länder nicht zu rechnen ist. Und so viel steht fest, in dieser Frage gibt es Unterstützung durch eine Reihe anderer EU-Regierungschefs.