Da soll noch einer behaupten, dass EU-Kommissare keine Arbeitstiere sind. Bei einem Lokalaugenschein auf www.ec.europa.eu stellt sich nämlich folgendes heraus: Die Kommission hat ihre offenbar emsige Tätigkeit im zu Ende gehenden Jahr mit insgesamt 3.500 Presseaussendungen dokumentiert – macht immerhin rund 15 PR-Mitteilungen pro Arbeitstag.
[[image1]]Bei diesem zumindest in quantitativer Hinsicht eindrucksvollen Leistungsnachweis der Öffentlichkeit gegenüber ging es vorwiegend um Statements, Festreden und Meetings, aber auch diverse Reports, Vorschläge und getroffene Entscheidungen wurden entsprechend gewürdigt.
Der Kommissionspräsident hat, der Rangordnung entsprechend, den wohl randvollsten Terminkalender zu bewältigen: José Manuel Barroso schreibt nicht nur unentwegt Briefe – das Spektrum reicht von Gratulations- bis Kondolenzschreiben – , sondern hält auch laufend Vorträge zu Themen wie „A new era of good feelings“ oder „A united, strong and open Europe“, er nimmt unermüdlich an unzähligen Sitzungen teil und kümmert sich nicht zuletzt um direkte persönliche Kontakte mit den Mächtigen dieser Welt. Die Top-Politiker der Mitgliedsstaaten machen ihm in der Regel in Brüssel ihre Aufwartung. Dort parlierte Barroso heuer beispielsweise mit den Präsidenten von Tschechien und Zypern sowie mit den Premierministern aus Italien, Griechenland, Bulgarien, Ungarn, Rumänien oder Slowenien. Bei ihm zu Gast waren u.a. auch die Staatsoberhäupter von Kenya, Mali, Paraguay, Kasachstan, Tadschikistan, Aserbaidschan und der Mongolei bzw. die Regierungschefs von Kanada, Norwegen, Libyen, Äthiopien, Albanien, Montenegro und Moldavien. Der Portugiese empfing obendrein gekrönte Häupter wie den jordanischen König Abdullah II sowie unterschiedliche Promis wie Arnold Schwarzenegger, Placido Domingo oder die Friedensnobelpreisträgerin und Parlamentsabgeordnete aus Myanmar, Aung San Suu Kyi.
Der oberste EU-Boss hatte 2013 auch ein dichtes Reiseprogramm zu absolvieren, um zum Beispiel Papst Franziskus kennenzulernen und mit Politgrößen wie Barack Obama, den beiden Top-Chinesen Xi Jinping und Li Keqiang oder Russlands Ministerpräsident Dmitri Medvedev zu konferieren. Er war auch zwei Mal in Wien, um wieder einmal Werner Faymann zu treffen bzw. einen Preis entgegen zu nehmen. Abgesehen von den EU-Hauptstädten stattete er im zu Ende gehenden Jahr Hongkong, Macao, Peking, Tokyo, New York, St. Petersburg, Yekaterinburg, Moskau, Kapstadt, Addis Ababa und Abu Dhabi dienstliche Visiten ab – die Aufzählung ist freilich nicht vollständig. Die Hohe Vertreterin für Außen- und Sicherheitspolitik stand da keineswegs in seinem Schatten: Auch Catherine Ashton jettete fleißig durch alle Weltgegenden, zuletzt in die Ukraine, nach Myanmar, Indonesien und Ägypten. Weiters hatte sie meist in geheimer Mission in Singapur, den USA, Serbien, Israel, der Mongolei, China, Albanien, Montenegro und etlichen anderen Staaten etwas zu erledigen.
Die große Linie fehlt
Alles in allem gibt es nur wenige Metropolen auf dem Globus, die nicht von einem der EU-Kommissare heimgesucht wurden. Die Reiselust war zwar bei manchen stärker und bei anderen schwächer ausgeprägt, aber in Summe ist den Brüsseler EU-Spitzen eine beträchtliche Kontaktfreudigkeit kaum abzusprechen. Sie waren – mit dem gemeinsamen vorrangigen Ziel, das Projekt Europa voranzutreiben – bei internationalen Veranstaltungen anwesend, hielten Vorträge, nahmen an Diskussionen teil, diskutierten mit Bürgerinnen und Bürgern, führten großteils knifflige Verhandlungen, überreichten an junge Wissenschafter ebenso wie an Musiker und Studenten diverse Awards und mussten dabei ständig den Nachweis liefern, dass sie in zahllosen Sachfragen firm sind.
Die Kommissare haben sich jedenfalls, zumindest gemäß ihren Presseaussendungen, um unzählige Themen gekümmert: Da ging es zum Beispiel um die maritime Piraterie im Golf von Guinea, die Integration der Roma oder Staatszuschüsse an belgische Stadien. Die Bekämpfung von Waldbränden, das Mitrauchen in Bars oder der Kampf gegen Malaria und Aids standen heuer ebenso auf der Agenda wie Geldwäsche in Westafrika, die EU-Zusammenarbeit mit Afghanistan sowie diverse Handelsabkommen, etwa jenes mit Peru. Die Kommission musste obendrein eine Reihe knallharter Entscheidungen treffen, als sie etwa Staatszuschüsse an die polnische LOT bewilligte, die Übernahme von Aer Lingus durch Ryanair jedoch verhinderte oder aber den geplanten UPS-Deal mit TNT blockierte. Nicht zuletzt verteilten die Granden in Brüssel unter verschiedenen Titeln beträchtliche Geldbeträge, was stets ausreichend Beachtung in den Pressetexten gefunden hat.
Kurzum: Die Bandbreite ihrer Aktivitäten reichte von der finanziellen Unterstützung des griechischen Hafens Piräus bis zum offiziellen Statement der Union zum Tornado in Oklahoma. Diese thematische Vielfalt scheint allerdings den Blick auf das Wesentliche zu verbarrikadieren: Die Kommission war heuer zwar zweifellos durchaus aktiv, jedoch mit zu viel Kleinkram beschäftigt, sodass sie mit ihrem im Herbst des Vorjahres vorgelegten Arbeitsprogramm für 2013 nicht wirklich weiter gekommen ist. Die dort definierten großen Ziele sind folglich weitgehend verfehlt und in die Zukunft vertagt worden. Barroso und sein Team stehen jedenfalls angesichts der EU-Wahlen im Mai unter beträchtlichem Leistungsdruck: Die EU-„Regierung“ muss sich in den nächsten Monate auf die große Linie konzentrieren und konkrete Beschlüsse in zentralen Fragen schaffen – sonst wird es für sie ein böses Erwachen geben…