Das ist wahrlich ein politisches Beziehungsdrama: Der Kreml – in der Rolle des brutalen Mannes mit Machogehabe – ist stinksauer, weil er seine Felle davonschwimmen sieht. Die Ukraine – ihr Part ist der einer Frau, die endgültig genug hat und von dem Kerl nichts mehr wissen möchte – hat sich einem anderen Partner zugewandt, von dem sie sich eine glücklichere Zukunft erhofft.
[[image1]]Der Dritte im Bunde, die Europäische Union, macht ihr zwar heftige Avancen, beschränkt diese allerdings auf unverbindliche Versprechen. Das wiederum wurmt den Machtmenschen Wladimir Putin, der auf die Abtrünnige starken politischen und wirtschaftlichen Druck ausübt, weil diese beispielsweise offene Gasrechnungen in Milliardenhöhe nicht begleichen kann. Er schüchtert die einstmals brüderlich verbündete Ex-Sowjet-Republik, die finanziell am Ende ist, trickreich ein und setzt sie zugleich seit Wochen mit allen möglichen Finessen militärisch unter Druck.
Szenen einer gescheiterten Partnerschaft: Zunächst kam es zu brutalen Tätlichkeiten – sprich: zur Annexion der Halbinsel Krim – , dann mündeten weitere Drohgebärden in blutige Konfrontationen. Zwischen den beiden Streithähnen gibt es keine Gesprächsbasis mehr, nur noch gegenseitige Schuldzuweisungen. Die EU sieht der Eskalation in ostukrainischen Städten relativ fassungslos zu und beweist damit einmal mehr ihre Ohnmacht. Das Dreiecksverhältnis, bei dem es wie immer um Einfluss und Geld geht, wird obendrein durch die USA, die wie eine reiche Tante aus dem Hintergrund gute Ratschläge erteilen, noch erheblich komplizierter, als es ohnedies schon ist. Alle Beteiligten drohen unentwegt mit negativen Konsequenzen für die Gegenseite, überall geht die Angst um, dass noch Schlimmeres passieren könnte. Es ist nicht mehr auszuschließen, dass der offensichtlich Stärkere nochmals kräftig zulangt und der eindeutig Schwächeren etwas abnimmt, was diese nicht freiwillig hergeben will – anders formuliert: dass die aus Moskau geschürte Aggression zur Abspaltung der Ostukraine führen könnte.
Im so genannten normalen Leben gibt es aus solch total verfahrenen Situationen, also bei gescheiterten Beziehungen, nur einen einzigen Ausweg: den Gang zum Scheidungsrichter und eine Trennung für immer. Bei zwei Nachbarländern, die noch dazu eine lange gemeinsame Geschichte verbindet, ist das nicht so einfach. Ein zuständiges Gericht, das den Konflikt mit einem Machtwort beendet, ist nicht vorgesehen. Das Verhältnis der beiden Staaten ist bereits derart von Abneigung, ja von Hass geprägt, dass von den geplanten Gesprächen in Genf nicht allzu viel zu erwarten ist. Die beiden Mediatoren – einerseits die USA, die Putin so weit wie möglich in die Isolation treiben wollen, anderseits der Brautwerber aus Brüssel, der sich‘s mit Russland nicht gänzlich verscherzen möchte – dürfen jedenfalls nicht darauf hoffen, den Bruch zwischen Moskau und Kiew am Verhandlungstisch rasch kitten zu können.
Kommt der Gas-Krieg?
Der Riese im Osten, der drauf und dran ist, aus dem Europarat eliminiert und sogar praktisch weltweit isoliert zu werden, will in Genf offensichtlich die Muskeln spielen lassen und die Spielregeln vorgeben – wofür er ein probates wirtschaftliches Druckmittel in der Hand hat: Die Gaslieferungen an die Ukraine sind bereits um 80 Prozent teurer geworden, womit die Energieversorgung zusammenbrechen könnte. Sobald der Gas-Transit durch das Land wegfiele, wäre auch die künftige Belieferung mehrerer europäischer Staaten, darunter Österreich, in Gefahr. Der drohende Gas-Krieg wäre aus heutiger Sicht lediglich abzuwenden, wenn der ausgepowerte Staat seine Schulden halbwegs begleichen könnte. Nur: Dafür bräuchte er geradezu blitzartig eine Art Marshall-Plan seitens der internationalen Community – die von den Außenministern am vergangenen Montag beschlossene EU-Finanzhilfe von 1,6 Milliarden Euro würde nämlich bei weitem nicht reichen. Falls der Westen bereit wäre, finanziell effizient zu helfen – wonach es leider gar nicht aussieht – , müsste die Ukraine obendrein wohl auf die politischen Forderungen Russlands eingehen: Nämlich ein neutrales Land zu werden, auf einen Nato-Beitritt zu verzichten und ihren östlichen Regionen mehr föderalistisches Eigenleben zu erlauben. Nur so wäre vermutlich eine nachhaltige Deeskalation des Konflikts zu schaffen.
Die überfordert wirkende Übergangsregierung in Kiew hat sich bislang für keine erkennbare Strategie entscheiden können: Einerseits lehnte Präsident Alexander Turtschinow ein Referendum in den östlichen Landesteilen nicht ab, anderseits kündigte er nur ein paar Stunden später eine Militäroperation gegen die prorussischen „Terroristen“ an. Die Ratlosigkeit wird wohl noch einige Zeit andauern. Sofern die Wahl am 25. Mai überhaupt stattfinden kann, wird sich die nächste Staatsführung der Ukraine – womöglich der Oligarch Pjotr Poroschenko, hoffentlich nicht Julia Timoschenko – rasch auf einen klaren Kurs einigen müssen um aus dem großteils hausgemachten Schlamassel zu gelangen. Sie wäre jedenfalls gut beraten, sich nicht weiterhin der EU ohne Wenn und Aber an den Hals zu werfen – ein Beitritt ist ohnedies Zukunftsmusik. Die Ukraine sollte sich bewusst sein, dass es in Zukunft ohne geordnetes Gesprächsklima Richtung Moskau nicht gehen wird, weil die wirtschaftlichen Abhängigkeiten einfach zu groß sind. Eine ukrainisch-russische Feindschaft auf Dauer würde ihr schweren Schaden zufügen und das vor dem Bankrott stehende Land nicht zur Ruhe kommen lassen. Deshalb kann es eine akzeptable Lösung des Ukraine-Dramas ohne Einbindung Wladimir Putins, der ebenfalls an einer Schadensbegrenzung interessiert sein müsste, nicht geben.
Auch seine Gegenspieler im Westen sollten allmählich einsehen, dass es gar nichts bringt, den Kreml-Chef langfristig als gefährlichen Verrückten zu ächten. Dieser wiederum könnte heilfroh sein, mit möglichst geringem Gesichtsverlust aus der dramatischen Krise auszusteigen: Russland kann zwar die bisherigen – weichen – Sanktionen locker verkraften, weitere Strafmaßnahmen würden allerdings seine Wirtschaft schwer treffen. Am meisten fürchtet sich Putin jedoch vor der Nato direkt an seinen Grenzen. Das ist der Knackpunkt: Als neutraler Staat hätte die Ukraine letztlich die Chance, von Gazprom wieder einen niedrigeren Gaspreis zu erhalten. Zur Stunde ist der Konflikt Ukraine gegen Russland noch von zahlreichen Unsicherheiten – hätte, könnte, würde und sollte – geprägt, aber die Hoffnung, dass die Vernunft in Genf siegt, die stirbt zuletzt …