Dienstag, 3. Dezember 2024
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EU-Präsident: Der Unterschied zwischen Vorher und Nachher

Kaum ist die EU-Wahl vorbei, wird schon wieder weiter der Zorn der europäischen Bürger erhöht. Denn plötzlich wollen sich die Sozialdemokraten nicht mehr an ihre klare Ankündigung vor den Wahlen erinnern, dass jedenfalls jener Mann EU-Präsident werden soll, dessen Fraktion als erste durchs Ziel kommt.

[[image1]]Die Sozialdemokraten haben zwar formaljuristisch Recht, sie müssen nicht, aber sie begreifen gar nicht, wie sehr sie mit ihrem zwischen Vorher und Nachher geänderten Verhalten neuerlich die eigene Glaubwürdigkeit und auch jene der Politik insgesamt beschädigen.

Um EU-Kommissionspräsident zu werden, ist der EU-Vertrag ganz klar: Man muss sowohl im Europäischen Rat (der Staats- und Regierungschefs) wie auch im EU-Parlament eine Mehrheit finden. Da steht nichts von Fraktion oder Nummer eins.

Es war also von Anfang an die Festlegung von Schwarz und Rot eine weit über die EU-Verfassung hinausgehende und insofern durchaus bedenkliche. Aber sie war sonnenklar. Die beiden europäischen Großfraktionen einigten sich, dass der stärkere Spitzenkandidat der beiden Listen jedenfalls EU-Präsident werde. Das heißt, dass je nach Ausgang der Wahl entweder Martin Schulz oder Jean-Claude Juncker Kommissionschef werden sollen. Es war gerade die Sozialdemokratie, die besonders laut auf diese Einigung pochte. Sie hat diese Festlegung auch ganz massiv als Wählermotivation benutzt, vor allem aber keineswegs nur in Deutschland.

Auch auf Seite der Europäischen Volkspartei war man weitgehend mit den Sozialdemokraten einig. Nur Angela Merkel pochte auf die Rechte des Europäischen Rates, wo sie ja für Deutschland sitzt. Sie sagte (obwohl ja auch Chefin der CDU), dass dieser Rat nicht durch die Fraktionen verpflichtet werden könne. Merkel wurde aber sofort von den Sozialdemokraten attackiert, weil sie nicht blind das Wahlergebnis der EU-Wahl zu übernehmen bereit war.
Juncker selbst hingegenhat diese Festlegung aufs Wahlergebnis jedoch voll unterstützt. Insbesondere auch durch seine ausdrückliche Aussage, dass er sich nicht von den Rechtspopulisten wählen lassen würde. Damit hat er sich de facto komplett in die Hände der Sozialdemokraten begeben.

Mobilisierung hat nur in den Heimatländern funktioniert

Schwarz wie Rot erhofften sich dadurch eine Wählermobilisierung, da es nun bei den beiden großen Blöcken erstmals einen europaweiten Spitzenkandidaten gab. Dessen früheres Fehlen war ja angeblich schuld am Desinteresse an den EU-Wahlen. Diese Mobilisierung hat jedoch nur in den Heimatländern der beiden funktioniert. In Deutschland hat die SPD kräftig zugelegt, in Luxemburg haben die Christdemokraten gewonnen. Europaweit ist aber die Wahlbeteiligung auf ihrem katastrophalen Tiefststand von 43 Prozent geblieben.

Nun hat das Wahlergebnis eindeutiger als erwartet einen Sieg der Konservativen erbracht. Freilich ist „Sieg“ nur ein relativer Begriff, da ja Schwarze wie Rote wie Linksliberale deutlich weniger Mandate als bisher haben. Das ständige Trommeln von „Gefahren“, von „Schocks“, von „Erschütterung“, von „Antieuropa“, das durch Politiker und Medien erfolgt ist, hat diesen Gruppierungen keineswegs den erhofften Aufwind gebracht.

Es hat ganz im Gegenteil den EU-kritischen Listen insgesamt mehr Zulauf gebracht. Ob man diese nun links einordnet (wie in Italien oder Griechenland), oder rechts (wie in Frankreich, Dänemark oder Großbritannien). Nicht zuletzt deswegen sind in vier der fünf genannten Länder die  bis hin zum Austritt gehenden EU-kritischen Parteien sogar die Nummer eins geworden. Was noch vor einem Jahr niemand für denkmöglich angesehen hat.

Dennoch sind die EU-Kritiker insgesamt in der EU noch immer deutlich schwächer als die zwei Großparteien. EU-kritische Wähler wählten nur zum Teil. Noch mehr blieben einfach daheim, da sie glaubten, die EU ginge sie eh nichts an, oder da sie auch bei den EU-Kritikern kein wirkliches Rezept gesehen haben. In vielen anderen Ländern spielten EU-Austrittswünsche freilich überhaupt keine Rolle.

Es wäre jedenfalls nach den vorherigen Festlegungen der Sozialdemokraten eindeutig, dass Juncker der nächste Kommissionspräsident wird. Umso erstaunlicher, dass nun ausgerechnet Schulz und viele andere Sozialdemokraten von ihrer früheren Festlegung nichts mehr wissen wollen. So blöd sind aber die Bürger nicht, dass sie nicht diesen provozierenden Unterschied zwischen vorherigen Festlegungen und nachherigem Verhalten merken würden. Und sich maßlos ärgern. Nur Politikern ist dieser Unterschied offenbar gleichgültig.

Parlament ist frei, nicht die Nummer eins zu wählen

Freilich: Hätten sich die Sozialdemokraten vorher nicht so festgelegt, dann wäre ihr jetziges Verhalten durchaus normal und demokratisch. Es ist in einer Demokratie völlig gleichgültig, wessen Liste Nummer eins ist, solange diese Liste keine absolute Mehrheit hat. Es kommt vielmehr nur auf die Mehrheit im Parlament an. Also im konkreten Fall auf jene im EU-Parlament. Und auf jene im Europäischen Rat (der sich aber eben nicht so festgelegt hat).

Jedes Parlament der Welt ist frei, nicht die Nummer eins zu wählen. Das ist beispielsweise bei den bürgerlichen Parteien in Skandinavien sogar der Normalfall. Denn sie agieren dort immer auf mehrere Listen aufgeteilt. Sie stellen aber immer den Regierungschef, sobald sie mehr Abgeordnete als die Linke haben. Auch Wolfgang Schüssel ließ sich 2000 als dritter zum Bundeskanzler wählen.

Nun zählen die Sozialdemokraten: Sie haben ja im EU-Parlament – vielleicht – trotz des Rechtsrucks in manchen Ländern die Mehrheit. Grüne und Kommunisten wählen fast immer linke Kandidaten und auch die (Links)liberale Fraktion tut das gerne. Während auf der rechten Seite ein viel größeres Chaos herrscht. Während sich Juncker durch seine vorherige Festlegung um das Verhandeln mit den Rechtsfraktionen gebracht hat (so wie es in selbstbeschädigender Weise einst auch die ÖVP unter Busek und Riegler getan hatte, die in der FPÖ trotz deren Aufstieg keinen relevanten Partner gesehen haben).

Anders wird die Situation freilich, wenn sich auch Juncker in den nächsten Wochen als ebenso vergesslich und beweglich wie die Sozialdemokraten zeigt und doch noch die von ihm vorher abgelehnten Rechtspopulisten hofiert. Oder wenn die Konservativen am Ende einen anderen Kandidaten als Juncker aufbieten, da sich die Sozialdemokraten weiterhin weigern, ihn zu wählen . . .

PS: Immerhin: Der österreichische SPÖ-Chef Faymann hat erkannt, welch wählervertreibendes Verhalten die deutschen und auch die europäischen Sozialdemokratien da versuchen. Er hat mit erstaunlicher Klarheit gesagt, dass auch nach den Wahlen zu gelten hat, was vorher gesagt wurde. Und dass daher Juncker zu wählen sei. Jetzt muss er nur noch seinen deutschen Freunde und seinen Landsmann Swoboda überzeugen – derzeit immerhin noch Klubchef der gesamteuropäischen Sozialdemokraten.

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