Viel zu wenig Frauen – das ist derzeit das allergrößte Problem des neuen Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker. Der Luxemburger muss nämlich ein rundum erneuertes Team aufstellen, in dem rund 40 Prozent der Jobs mit Damen besetzt sind – andernfalls wird ihm das EU-Parlament einen Strich durch die Rechnung machen.
[[image1]]Die nationalen Regierungen schlagen ihm jedoch bloß reihenweise männliche Kandidaten vor, sodass die angepeilte Frauenquote vorerst als irrealer Wunschtraum erscheint.
Im Detail stellt sich Junckers Dilemma so dar: Gemeinsam mit José Manuel Barroso werden im Herbst die britische Baroness Catherine Ashton, die Holländerin Neelie Kroes, die Zypriotin Androulla Vassiliou, die Luxemburgerin Viviane Reding, die Griechin Maria Damanaki sowie die irische Wissenschafts-Kommissarin Maire Geoghegan-Quinn ausscheiden. Sie müssen gehen, weil ihnen entweder so wie der Labour-Lady Ashton die politische Rückendeckung abhanden gekommen ist, weil sie längst das Pensionsalter erreicht haben – Kroes und Vassiliou sind immerhin bereits 73 bzw. 71 – , oder weil sie so wie die griechische Fischerei-Kommissarin stets unauffällig und längst nicht mehr erste Wahl waren.
Im Amt hingegen könnten von den bislang neun Kommissarinnen theoretisch nur die Dänin Connie Hedegaard, die Schwedin Cecilia Malmström sowie die Bulgarin Kristalina Georgieva bleiben. Letztere genießt eine beträchtliche Reputation und wäre für höhere Weihen – sprich: als Nachfolgerin der Hohen EU-Außenvertreterin – geeignet, doch als konservative Politikerin gehört sie der falschen Fraktion und als Repräsentantin des Balkanstaates einem zu unbedeutenden Land an, als dass sie sich reelle Hoffnungen auf den Karrieresprung machen dürfte. Hedegaard wiederum hat das Pech, nicht automatisch mit der Unterstützung der sozialdemokratischen Ministerpräsidentin Helle Thorning-Schmidt rechnen zu dürfen. Und Malmström konnte sich schließlich als Innen-Kommissarin nur mäßig profilieren. Das heißt also: Im Worst Case könnte den weiblichen Kommissionsmitgliedern der Ära Barroso ein Posten-Waterloo drohen – für alle drei sind männliche Nachfolger im Gespräch.
Für Jean-Claude Juncker, dem das Mirakel abverlangt wird, die zu vergebenden Topjobs möglichst gerecht zwischen Konservativen, Sozialdemokraten, vermutlich auch Liberalen einerseits, großen und kleinen Staaten bzw. Euro- und Nicht-Euro-Ländern anderseits zu verteilen und dabei die Interessen der westlichen und nordischen Mitglieder genauso wie die der südlichen und östlichen zu berücksichtigen, muss jedenfalls – so wie in Emmerich Kalmans Operette „Die Csárdásfürstin“ die Devise gelten: Ganz ohne Weiber geht die Chose nicht ….
Die Chose in Brüssel hängt jedoch weitgehend davon ab, welche Kandidaten Juncker von den nationalen Regierungen ans Herz gelegt werden. Und das sind nach aktuellem Wissensstand im extremen Ausmaß maskuline – zumeist Ex-Politiker mit Auslaufstempel: In Bulgarien etwa hat der scheidende Sozialistenchef Sergej Stanischew gute Chancen, als Kommissar ausgewählt zu werden. In Estland wurde der frühere liberale Ministerpräsident Andrus Ansip für dieses Amt nominiert. Finnland entschied sich für seinen früheren Ministerpräsidenten Jyrki Katainen, der bereits den bisherigen Wirtschafts- und Währungskommissar Olli Rehn ersetzen darf. In Irland gilt der frühere Umweltminister Phil Hogan als Favorit für einen Posten in der EU-Zentrale. In Ungarn wiederum fiel die Wahl auf Vizepremier und Außenminister Tibor Navracsics, der das größte Vertrauen von Viktor Orban genießt. Die litauische Regierung hat sich auf Gesundheitsminister Vytenis Andriukaitis geeinigt, der dem bisherigen Steuerkommissar Algirdas Semeta folgen soll. Polen ist bemüht, seinen Außenminister Radek Sikorski als Chefdiplomaten in Brüssel zu installieren. Schweden bringt für diese Position Außenminister Carl Bildt in Stellung. Die Briten schicken schließlich mit Jonathan Hill, dem Vorsitzenden der Konservativen im House of Lords, einen prononcierten Euro-Skeptiker ins Rennen, der praktisch in letzter Minute den früheren Favoriten für einen Brüssel-Job, Andrew Lansley, ausbooten konnte.
Geheimtipp aus Frankreich
Frauen sind indes nur wenige im Spiel: Die tschechische Regierung hat sich lobenswerter Weise auf die 49-jährige Ministerin für regionale Entwicklung, Vera Jourová, festgelegt, die zwei männliche Kandidaten besiegt hat und eine Rivalin für Regionalkommissar Johannes Hahn werden könnte. In Slowenien dürfte die scheidende Ministerpräsidentin Alenka Bratusek den brutalen Posten-Poker gegen den bisherigen Kommissar Janez Potocnik für sich entscheiden, der nach zwei durchaus nicht erfolglosen Amtszeiten wohl abtreten wird müssen – für eine Frau war es eben noch nie so einfach, EU-Kommissarin zu werden. Ob selbiges auch für die flämisch-christdemokratische Europa-Abgeordnete Marianne Thyssen gilt, die neben Außenminister Didier Reinders häufig als Ersatz für den belgischen EU-Handelskommissar Karel De Gucht genannt wird, wird sich noch weisen: Im Moment dürfte sie nur zweite Wahl sein.
Seit kurzem ist die französische Ex-Justizministerin Elisabeth Guigou, die Staatspräsident Francois Hollande letztlich trotz ihrer 67 Jahre seinem früheren Finanzminister Pierre Moscovici vorgezogen hat, ein besonders heißer Tipp: Die erfahrene Französin wird jedenfalls als mögliche EU-Außenbeauftragte gehandelt, weil die von Italiens sozialistischem Premier Matteo Renzi vorgeschlagene Neo- Außenministerin Federica Mogherini aufgrund ihres Alters (41), offensichtlich mangelnder Erfahrung sowie ihrer vermeintlichen Russland-Sympathien bei etlichen Staats- und Regierungschefs bereits abgeblitzt sein dürfte. Renzi, der vermutlich einen Rückzieher machen muss, könnte – sofern er die Zeichen der Zeit erkannt hat – erneut auf eine Dame setzen: Am ehesten in Frage kämen die 59-jährige Ministerin für regionale Angelegenheiten, Maria Carmela Lanzetta, und seine 54-jährige Bildungs- und Forschungsministerin Stefania Giannini, früher Universitätsprofessorin für Linguistik. Die beiden kämen freilich für den Ashton-Job, um den – wie bereits erwähnt – die Außenminister von Polen und Schweden, Sikorski und Bildt, rittern, keineswegs in Frage, sondern bloß für ein unspannenderes Ressort.
Dass es für Frauen letztlich verdammt schwer ist, in der Männerwelt der Europäischen Union ein Amt zu ergattern, lässt sich am Beispiel von Spitzenposten erahnen, die überhaupt nichts mit der EU-Kommission zu tun haben: Als potenzielle ständige Ratspräsidenten und Nachfolger der Belgiers Herman Van Rompuy beispielsweise werden zwar seit Wochen etliche Herren genannt – darunter Irlands konservativer Premier Enda Kenny, Italiens ausrangierter Ex-Regierungschef Enrico Letta, der rechtsliberale niederländische Premier Mark Rutte oder der schwedische Regierungschef Fredrik Reinfeldt – , doch lediglich zwei Frauen: Dabei handelt es sich einerseits um die sozialdemokratische Regierungschefin Dänemarks, Helle Thorning-Schmidt, die den Job angeblich gar nicht anstrebt, weil sie offenbar Bedenken Ernst nimmt, dass ihr Land nicht der Eurozone angehört, und anderseits die litauische Präsidentin Dalia Grybauskaite, die seit 2009 an der Spitze der ehemaligen Sowjet-Republik steht.
Als künftiger Boss der Eurogruppe ist der spanische Wirtschaftsminister Luis de Guindos vorgesehen, ein 54-jähriger Konservativer, der sich im Zuge der Bankensanierung in seiner Heimat einen Namen machen konnte. Er soll den ziemlich farblos gebliebenen Niederländer Jeroen Dijsselbloem beerben, dessen Mandat Mitte 2015 ausläuft. Als Nummer Eins der Euro-Finanzminister spitzt der dem Kabinett Rutte II angehörende Säckelwart freilich auf den Posten des holländischen Kommissars – die Amtsübergabe könnte daher schon vorzeitig erfolgen.
Alles neu in Brüssel
Der EU-Routinier Jean-Claude Juncker wird jedenfalls ein Team aus zumindest 20 neuen Gesichtern anführen, das im November an die Arbeit gehen soll. Die wesentlichen Akteure, an deren Namen man sich mittlerweile bereits gewohnt hat, werden nicht mehr an Bord sein: Von Barrosos acht Vizepräsidenten etwa scheiden gleich sieben aus, darunter die Damen Ashton, Reding und Kroes sowie vier Herren, nämlich der einstige Berlusconi-Spezi Antonio Tajani, der finnische Liberale Olli Rehn, der spanische Wettbewerbskommissar Joaquin Almunia und der für Verkehr zuständige Siim Kallas aus Estland. Kein Leiberl mehr werden obendrein der französische Binnenmarkt-Kommissar Michel Barnier, der tschechische Erweiterungs-Kommissar Stefan Füle, der für Finanzplanung zuständige Pole Janusz Lewandowski oder der bislang für Sozialthemen verantwortliche Ungar Laszlo Andor haben – sie verloren durchwegs die Unterstützung ihrer nationalen Regierungen und/oder befinden sich in einem fortgeschrittenen Alter, in dem man längst an den Ruhestand denken sollte.
Während sich vier künftige Ex-Kommissare – Reding, Rehn, Lewandowski und Tajani – weiterhin im EU-Parlament betätigen werden, zählen nur ganz wenige Player als Fixstarter in der neuen Kommission, nämlich Günther Öttinger (Deutschland), Maros Sefcovic (Slowakei), Neven Mimica (Kroatien), Dacian Ciolos (Rumänien) und vermutlich auch Johannes Hahn (Österreich). Es wird zum einen großer Kunst seitens des designierten EU-Bosses bedürfen, allen Kandidaten, die ihm von den Regierungen sozusagen „aufs Auge gedrückt werden“, die optimalen Ressorts zuzuteilen, damit die fachlichen Ressourcen bestens genutzt werden. Und zum anderen wird Juncker äußerst geschickt verhandeln müssen, um zumindest wieder neun, im Idealfall sogar elf weibliche Kommissare in seinem Team vorweisen zu können. Das wird nur dann klappen, wenn die Regierungen in Portugal, Spanien, Griechenland, Malta und Zypern allesamt auf Frauen-Power schwören und ihm kompetente Kandidatinnen empfehlen. Geschieht das nicht, ist beileibe nicht auszuschließen, dass Juncker etwa von der österreichischen Bundesregierung fordern wird, Johannes Hahn durch eine Frau zu ersetzen. In diesem Fall könnte das, wie gerüchteweise zu vernehmen ist, Ex-Justizministerin Beatrix Karl, die bei der EU-Wahl leer ausging, einen überraschenden Karrieresprung bescheren. Eines ist allerdings sicher: Maria Fekter wird NICHT die nächste EU-Kommissarin …