Mittwoch, 18. Dezember 2024
Startseite / Allgemein / Verabschiedung des 11. Sanktionspakets der Europäischen Union gegen Russland und Ausweitung der Sanktionen gegen Belarus, um Umgehungen der Sanktionen zu verhindern

Verabschiedung des 11. Sanktionspakets der Europäischen Union gegen Russland und Ausweitung der Sanktionen gegen Belarus, um Umgehungen der Sanktionen zu verhindern

Europäische Union: Bild © Gordon Johnson, Pixabay (Ausschnitt) / Bild © CC0, via Wikimedia Commons (Auschnitt) / Bild © Homoatrox, CC0, via Wikimedia Commons
Einführung

Nachdem der Autor bereits im August 2022 eine grundlegende Untersuchung der ersten sechs Sanktionspakete der Europäischen Union gegen Russland in der EU-Infothek publiziert hat,[1] veranlasst ihn die Verabschiedung des 11., und bisher letzten, Sanktionspakets der EU gegen Russland[2], sowie die Ausweitung der EU-Sanktionen auf Belarus – das frühere „Weißrussland“ –  die Thematik neuerlich aufzugreifen und näher zu untersuchen. Die Situation ist deswegen so komplex, da im Grunde eine Reihe von Sanktionsregimen gegen Russland bestehen, die sich auf dessen Interventionen in unterschiedliche Bereiche beziehen und immer wieder aktualisiert werden mussten. So mussten die Sanktionen, die nach der Annexion der Krim und Sewastopols im Jahre 2014 durch Russland seitens der EU verhängt wurden[3], nach dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine am 23. Februar 2022 erneuert und ausgeweitet werden, ebenso wie auch die einschlägigen Personenlistungen, uam. Dazu kommen die rezenten Sanktionen in Bezug auf die russische Besetzung bzw. Annexion der Oblasten von Cherson, Donezk, Luhansk und Saporischschja[4].

Während es aber bei der Darstellung der seitens der EU gegen Russland verhängten Sanktionen des 11. Sanktionspakets – aus Gründen der Verständlichkeit – vor allem um eine systematische Darstellung der jeweiligen Art der Sanktionen geht, werden die gegen Belarus direkt verhängten, oder auf Belarus bloß ausstrahlenden EU-Sanktionen, detailliert dargestellt, da sie weniger bekannt sind.

1. Das 10. Sanktionspaket vom 25. Februar 2023

Im Vorfeld der Verabschiedung des 11. Sanktionspakets kam es am 25. Februar 2023, im Gefolge des Jahrestages des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine, zur Verabschiedung des 10. Sanktionspakets, das aus zwei Verordnungen[5] und drei Durchführungsverordnungen[6] bestand. Damit verfolgte die EU das Ziel, weiteren wirtschaftlichen und finanziellen Druck auf Russland auszuüben und dessen militärische und technologischen Möglichkeiten der Kriegsführung weiter einzuschränken. Erstmals sind dabei auch iranische Hersteller, die Russland mit unbemannten Luftfahrzeugen (Drohnen) beliefert haben, mit restriktiven Maßnahmen belegt worden.

Das 10. Sanktionspaket hat neben neuen Eintragungen auf Sanktionslisten sowie den Erlass von Handels- und Finanzsanktionen im Wert von mehr als 11 Mrd. Euro, Maßnahmen zur Bekämpfung der Umgehung von Sanktionen durch die Einbeziehung von Drittländern angekündigt. Im Ergebnis wurden aber keine konkreten Maßnahmen in diesem Zusammenhang genannt. Das wurde nun durch die Schaffung des neuen „Instruments zur Bekämpfung der Umgehung von Sanktionen“ im Rahmen des 11. Sanktionspakets nachgeholt.

2. Das 11. Sanktionspaket vom 23. Juni 2023

Als Reaktion auf verschiedene Defizite bei der Durchsetzung der bisher erlassenen Sanktionsmaßnahmen hat die EU am 23. Juni 2023 ein 11. Sanktionspaket gegen Russland verabschiedet, das die bestehenden Sanktionen aus den bisherigen zehn Sanktionspaketen verschärft und verfeinert. Das am 24. Juni 2023 in Kraft getretene 11. Sanktionspaket der EU umfasst Maßnahmen gegen die Umgehung der Sanktionen über Nicht-EU-Staaten und erweitert die bestehenden Ausfuhr- bzw. Einfuhrverbote sowie die Listen sanktionierter Personen und Organisationen.

Die Rechtsgrundlagen dafür sind die beiden Verordnungen (EU) 2023/1214[7] und 2023/1215[8] des Rates sowie die Durchführungsverordnung (EU) 2023/1216[9] des Rates. Die Verschärfungen betreffen insbesondere die personenbezogenen Sanktionen in der Verordnung (EU) Nr. 269/2014 des Rates[10] sowie die handelsbezogenen Sanktionen in der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 des Rates[11].

2.1. Hauptziel: Vermeidung von Umgehungsgeschäften

Da die bisher verhängten Sanktionen zwar Wirkung zeitigen, in ihrer Effektivität aber durch verschiedene Umgehungen gemindert werden, ist die Bekämpfung der festgestellten und vermuteten Umgehungen eines der Hauptziele, die die EU mit ihrem 11. Sanktionspaket bezweckt. Dies soll insbesondere durch ein neues System mit abgestuften Maßnahmen sichergestellt werden, die als „letztes Mittel“ auch die Sanktionierung bestimmter Güterlieferungen in Drittstaaten umfassen können („anti-circumvention tool)“. Damit hat sich die EU erstmals dazu entschieden, ihre Sanktionen faktisch auch auf Nicht-EU-Unternehmen auszudehnen, um Umgehungen durch Drittstaaten zu verhindern. Damit nähern sich die EU-Sanktionen aber dem – aus europäischer Sicht häufig kritisierten – „extraterritorialen Ansatz“ der Secondary Sanctions[12] der USA an.[13]

Anders als die „gewöhnlichen“ Primärsanktionen richten sich Sekundärsanktionen nicht direkt gegen designierte Personen, sondern gegen all diejenigen, die mit den direkt sanktionierten Personen Geschäfte machen. Unternehmen, die mit sanktionierten Personen zu tun haben, oder ihnen helfen, die EU-Sanktionen zu umgehen, riskieren, ebenfalls auf Sanktionslisten gesetzt zu werden, oder von anderen wirtschaftlichen oder rechtlichen Sanktionen getroffen zu werden. Das bedeutet, dass die EU-Sanktionen quasi „extraterritorial“ angewendet werden können, nämlich außerhalb der EU und gegen Personen aus Drittländern, die von der EU sanktionierte Personen oder Sanktionsumgehungen unterstützen. Eine extraterritoriale Anwendung von Vorschriften ist jedoch bereits seit längerem als völkerrechtlich bedenklich angesehen.[14]

Die Einigung auf das 11. Sanktionspaket erfolgte eher mühsam. Sieben Mal mussten sich die Botschafter der 27 EU-Mitgliedstaaten im COREPER II mit der genauen Ausgestaltung des Pakets befassen, bevor sie am 21. Juni 2023 eine Einigung erzielten. Dabei standen vor allem Griechenland und Ungarn einer Einigung bis zuletzt im Wege. Griechenland stimmte dem Paket erst zu, nachdem es Athen gelungen war, fünf griechische Schifffahrtsunternehmen aus der „schwarzen Liste“ der Ukraine der „Internationalen Unterstützer des Krieges“ heraus zu verhandeln. Im Gegensatz dazu gelang es Ungarn nicht, die größte ungarische Bank von dieser zu streichen. Ungarn gab aber trotzdem sein Veto auf, junktimierte es aber mit der Freigabe der nächsten Tranche seitens der EU von 500 Mio., mit denen Waffenlieferungen an Kiew subventioniert werden.[15]

Das zentrale Anliegen im Schoß des COREPER II betraf aber die Ausweitung von Sanktionen der EU auf Drittstaaten und Unternehmen, über die Russland verbotene Güter aus der EU importiert, worunter auch China figuriert. Damit stehen aber nicht so sehr direkte restriktive Maßnahmen zulasten russischer Güter und Dienstleistungen im Vordergrund, sondern vielmehr die Sanktionierung von Umgehungsgeschäften. Diesbezüglich hat die EU eine Liste von Unternehmen und Personen erstellt, an die sowohl „Dual Use“-, als auch „High Tech“-Güter, nicht geliefert werden dürfen. Diese Liste umfasst bereits 500 russische und 6 iranische Unternehmen und sollte auf 8 chinesische Unternehmen ausgeweitet werden, wogegen sich aber Ungarn neuerlich verwahrte, da es chinesische Retorsionsmaßnahmen befürchtete. Man einigte sich schließlich auf die Aufnahme von lediglich drei chinesischen Unternehmen, und zwar mit dem Zusatz, dass es sich dabei lediglich um Privatfirmen handle und auch keine Verbindung zu einem Drittstaat als Zwischenhändler anzunehmen sei.

Der praktische Verlauf des internationalen Handels war ein weiterer wichtiger Anlass für die Verschärfung der Sanktionsbestimmungen und die Präzisierung  der Verhinderung von Umgehungsmöglichkeiten: Nach den jüngsten Welthandelsstatistiken ist der Außenhandel der EU mit Russland seit der russischen Aggression gegen die Ukraine zwar deutlich zurückgegangen, jedoch ist der Handel zwischen Drittländern und Russland stark angestiegen. So sind zB die deutschen Ausfuhren in die Länder der „Gemeinschaft Unabhängiger Staaten“ (GUS) – ohne Russland – von Jänner bis April 2023 gegenüber Jänner bis April 2021 stark gestiegen. Von Jänner bis April 2023 wurden Waren im Wert von 2,9 Mrd. Euro in die GUS-Staaten exportiert. Die Ausfuhren in diese Länder stiegen um 1,5 Mrd. Euro und haben sich damit gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorkriegsjahres 2021 (1,4 Mrd. Euro) mehr als verdoppelt (+106,4%). Es liegt daher der Verdacht nahe, dass einige Unternehmen ihre Aktivitäten in Bezug auf das ehemalige Russland-Geschäft auf russlandnahe Drittstaaten verlagert haben.[16]

2.2. Systematisierung der Maßnahmen des 11. Sanktionspakets

Versucht man eine Systematisierung der im 11. Sanktionspaket angelegten vielfältigen Sanktionen, so bietet sich eine erste Zusammenstellung wie folgt an, die allerdings nur auf die wichtigsten restriktiven Maßnahmen abstellt:

(a) Personenbezogene Sanktionen:  Durch die Durchführungsverordnung 2023/1216[17] wurden – im Vergleich zum 10. Sanktionspaket – vom Rat am 23. Juni 2023 restriktive Maßnahmen gegen 71 weitere natürliche und 33 juristische Personen verhängt, sodass derzeit davon insgesamt über 1.551 Einzelpersonen und 235 Organisationen betroffen sind.

Durch die Verordnung (EU) 269/2014[18] werden Gelder und wirtschaftliche Ressourcen, die sich im Eigentum oder Besitz der in ihrem Anhang I aufgeführten gelisteten Personen befinden, „eingefroren“. „Einfrieren“ von wirtschaftlichen Ressourcen bedeutet in diesem Zusammenhang die Verhinderung der Verwendung von wirtschaftlichen Ressourcen für den Erwerb von Geldern, Waren oder Dienstleistungen. Das „Einfrieren“ führt zu einem sogenannten „Verfügungsverbot“, das bedeutet, dass eine eingefrorene Sache nicht mehr veräußert, vermietet, belastet oder anderweitig als Einkommensquelle genutzt werden kann. Das Verfügungsverbot richtet sich aber nicht nur an die gelistete natürliche/juristische Person, sondern auch an alle anderen Personen, die mit der gegenständlichen Sache befasst sind. Darüber hinaus gilt gegenüber gelisteten Personen und Entitäten aber auch ein sogenannten „Bereitstellungsverbot“, das bedeutet, dass gelisteten Personen weder Gelder noch wirtschaftliche Ressourcen zur Verfügung gestellt werden dürfen.

Da die EU-Sanktionen mit Inkrafttreten des jeweiligen Sekundärrechtsaktes in den EU-Mitgliedstaaten unmittelbar geltendes Recht darstellen, bedarf es zum „Einfrieren“ von Vermögenswerten keiner zusätzlichen behördlichen Anordnung in den Mitgliedstaaten. Vermögensgegenstände gelisteter Personen dürfen allerdings nicht allein auf der Grundlage der EU-Sanktionsverordnungen eingezogen oder beschlagnahmt werden, da sie ja weiterhin im Eigentum der gelisteten Person stehen. Ihre private Verwendung ist daher rechtlich weiterhin zulässig. Verboten ist lediglich ihr Einsatz als Einkommensquelle.

Da auch Konten, Wertpapierdepots oder Unternehmensbeteiligungen unter die sanktionsrechtliche Definition von „Geldern“ fallen, sind sie ebenfalls „eingefroren“, das heißt, dass die gelisteten Personen nicht darauf zugreifen dürfen. Allerdings können Vermögensgegenstände präventiv beschlagnahmt werden, wenn konkrete Verdachtsmomente dafür bestehen, dass Sanktionsverstöße begangen werden könnten. Das zu beurteilen, liegt im Ermessen der zuständigen Gefahrenabwehrbehörde.[19]

Durch die Durchführungsverordnung 2023/1496 des Rates vom 20. Juli 2023[20] wurden fünf weitere iranische Geschäftsleute mit personenbezogenen Sanktionen belegt. Sie gehören der Geschäftsführung von „Qods Aviation Industries“ bzw. der „Paravar Pars Company“ an, zwei Unternehmen, die Drohnen an Russland für den Einsatz im Ukraine-Krieg verkaufen. Gemäß der Durchführungsverordnung (EU) 2023/1563 des Rates vom 28. Juli 2023[21] wiederum werden restriktive Maßnahmen auch gegen sieben weitere russische Personen und fünf Organisationen verhängt, die eine Kampagne zur digitalen Informationsmanipulation mit dem Namen „Recent Reliable News“ führen, die auf die Verbreitung von Propaganda zur Unterstützung des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine ausgerichtet ist.[22]

(b) Handelsbezogene Sanktionen: Am spektakulärsten ist in diesem Zusammenhang die Einrichtung eines neuen Instruments zur Bekämpfung der Umgehung von Sanktionen zu erwähnen, das es der EU ermöglicht, den Verkauf, die Lieferung, die Verbringung oder die Ausfuhr bestimmter sanktionierter Güter und Technologien in bestimmten Drittländern zu beschränken, in denen das Umgehungsrisiko besonders hoch ist. Dieses neue Instrument gegen Umgehungen soll aber nur ausnahmsweise und als „letztes Mittel“ zum Einsatz kommen, nämlich dann, wenn andere individuelle Maßnahmen und Demarchen der EU gegenüber den betreffenden Drittländern nicht ausreichen, um eine Umgehung zu verhindern[23].

Technisch ist dafür insoweit ein abgestuftes System, wie folgt, vorgesehen: zunächst sollen diesbezüglich besonders verdächtige Drittländer durch diplomatische Bemühungen und durch die Bereitstellung verstärkter technischer Hilfe unterstützt werden, um Anreize für solche Umgehungsgeschäfte zu minimieren. Sollte dies aber keine Wirkung zeitigen, sollen konkrete Einzelmaßnahmen ergriffen werden, wie zB die Aufnahme in die Sanktionslisten im Anhang I der Verordnung (EU) 269/2014 bzw. im Anhang IV der Verordnung (EU) 833/2014. Falls auch diese keine Wirkung zeitigen, können als „letztes Mittel“ handelsbezogene Beschränkungen für bestimmte Güter durch Aufnahme in den neuen Anhang XXXIII der Verordnung (EU) 833/2014 auch hinsichtlich Verkauf, Lieferung, Verbringung und Ausfuhr in – ebenfalls in den neuen Anhang XXXIII aufzunehmende – Drittländer vorgesehen werden. Es muss sich dabei um sensible Güter und Technologien mit doppeltem Verwendungszweck oder Güter und Technologien, die zur Stärkung der militärischen, technologischen oder industriellen Kapazitäten Russlands bzw. um solche Güter handeln, die zur Entwicklung des russischen Verteidigungs- und Sicherheitssektors beitragen könnten. Der Ausnahmecharakter des Instruments wird zusätzlich durch die Anforderung unterstrichen, dass die EU die Regierung des betreffenden Drittlandes vor der Aufnahme in den Anhang XXXIII „unterrichten und aktiv ihre Stellungnahme einholen“ muss.[24]

Der Einsatz des „neuen Instruments“ zur Bekämpfung von Umgehungspraktiken bedeutet aber nicht, dass die EU „extraterritoriale“ Sanktionen gegen Drittländer oder deren Regierungen verhängt, was, wie vorstehend bereits ausgeführt, völkerrechtlich mehr als bedenklich wäre. Die EU verlangt von Wirtschaftsteilnehmern, die sich außerhalb der EU befinden, nämlich nicht, dass sie die EU-Sanktionen einhalten. Die EU versucht lediglich dafür zu sorgen, dass Sanktionen unterliegende EU-Waren nicht nach Russland gelangen. Wenn jedoch ausländische Wirtschaftsteilnehmer an der Umgehung von EU-Sanktionen beteiligt sind, können gegen diese Maßnahmen im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) der EU ergriffen werden.

Des Weiteren soll es zu einer Ausweitung des Durchfuhrverbotes für bestimmte sensible Güter – zB fortgeschrittene Technologien, Luftfahrgüter etc. – die aus der EU über Russland in Drittländer ausgeführt werden, kommen[25]. Auch wurden weitere 87 Personen und Organisationen in Anhang IV der Verordnung (EU) 833/2014 aufgenommen. Die nunmehr dort insgesamt gelisteten 593 Personen und Organisationen sind entweder militärische Endnutzer, dem militärisch-industriellen Komplex Russlands zuzuordnen oder jedenfalls mit dem russischen Sicherheits- und Verteidigungssektor verbunden. Neben den bereits gelisteten russischen und iranischen Unternehmen finden sich dort nunmehr auch Unternehmen aus der Volksrepublik China, Usbekistan, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Syrien, Hongkong und Armenien.

Auch sollen die Einfuhrbeschränkungen für Eisen- und Stahlerzeugnisse verschärft werden. Wer sanktionierte Eisen- und Stahlerzeugnisse, die in einem Drittland verarbeitet wurden einführen will, muss den Nachweis erbringen, dass die verwendeten Vorleistungen nicht aus Russland stammen. Für bestimmte Arten von Maschinenbauteilen wird ein vollständiges Verbot verhängt. Des Weiteren wird ein Verbot des Verkaufs, der Übertragung und der Weitergabe von Rechten des geistigen Eigentums und Geschäftsgeheimnissen in Verbindung mit sanktionierten Gütern verhängt, um zu verhindern, dass diese Güter außerhalb der EU hergestellt werden, uam.

Daneben werden einschlägige restriktive Maßnahmen im Verkehrsbereich – vor allem ein vollständiges Verbot für LkWs mit russischen Anhängern und Sattelanhängern, Güter in die EU zu befördern – und im Energiebereich verhängt, wie zB die Beendigung der Möglichkeit, russisches Öl über Pipelines nach Deutschland und Polen einzuführen. Es kam auch zu einer Erweiterung der Sanktionsliste und zu einem Einfrieren des Vermögens von über 100 weiteren Personen und Organisationen[26]. Dazu gehören hochrangige Militärangehörige, in den Krieg involvierte Entscheidungsträger, Personen, die an der illegalen Deportation ukrainischer Kinder nach Russland beteiligt waren, Richter, die politisch motivierte Entscheidungen gegen ukrainische Staatsbürger getroffen haben, Personen, die für Plünderungen von kulturellem Erbe verantwortlich sind, russische IT-Unternehmen, die dem russischen Geheimdienst kritische Technologien und Software zur Verfügung gestellt haben, uam.

Was die Sanktionierung von Medien betrifft, so hat die EU das Ausstrahlungsverbot auf fünf russische Medien – RT Balkan, Oriental Review, Tsargrad, New Eastern Outlook und Katehon – ausgeweitet, da diese nachweislich unter der ständigen Kontrolle der russischen Führung stehen und systematisch an der Verbreitung von Desinformationen und falscher Propaganda beteiligt sind, was eine Bedrohung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit der EU darstellt.[27]

Im Bereich der handelsbezogenen Verbote des Russland-Embargos wird auch eine sogenannte „Jedermannspflicht“ eingeführt, die bedeutet, dass eine an Jedermann gerichtete allgemeine Informationsoffenlegungspflicht eingeführt wird. Wer über sanktionsrelevante Informationen verfügt, muss diese den Sanktionsdurchsetzungsbehörden melden. Das ist wichtig, denn Hinweise und Informationen weiterzugeben, ist ein entscheidender Faktor für eine effektive Bekämpfung von Sanktionsumgehungen.[28] Fraglich erscheint in diesem Zusammenhang nur, ob damit eine Art „Whistleblowing“-Pflicht eingeführt werden soll, oder nicht.[29]

Es kommt aber auch zur vorübergehenden Befreiung vom Verbot der Erbringung von Rechtsdienstleistungen. Die zuständigen Behörden können die Erbringung von Rechtsdienstleistungen genehmigen, die für den Verkauf oder die Übertragung von Anteilen an einer juristischen Person, Organisation oder Einrichtung mit Sitz in der EU – die direkt oder indirekt von einer juristischen Person, Organisation oder Einrichtung mit Sitz in Russland gehalten wird – rechtlich erforderlich sind. Diese Genehmigung kann von den Behörden aber nur bis zum 31. März 2024 erteilt werden.[30]

3. Auswirkungen der EU-Sanktionen gegen Russland

Die Sanktionen der EU haben die politischen und wirtschaftlichen Optionen Russlands einigermaßen eingeschränkt, da sie mit beträchtlichen finanziellen Auswirkungen einhergehen und die industriellen und technologischen Kapazitäten Russlands massiv beeinträchtigen. Sie erfüllen ihre drei Hauptziele – (a) nämlich die militärische Fähigkeit Russlands, seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine zu führen und zu untergraben, (b) dem Kreml die Einnahmen zu entziehen, mit denen er den Krieg finanziert und (c) die Kosten für die russische Kriegswirtschaft hochzutreiben – allerdings nur zu einem gewissen Maß.[31]

Darüber hinaus steht der EU-Sonderbeauftragte für die Umsetzung der Sanktionen, David O’Sullivan, mit wichtigen Drittländern in Kontakt, um damit Umgehungen gemeinsam verhindern zu können. Erste greifbare Ergebnisse sind bereits sichtbar.  So werden in einigen Ländern bereits Systeme zur Überwachung, Kontrolle und Blockade von Wiederausfuhren eingerichtet. Dabei sind anomale, sprunghaft erhöhte Handelszahlen für einige Produkte und Länder ein eindeutiger Beweis dafür, dass Russland gezielt versucht, die Sanktionen zu umgehen.[32] Gemeinsam mit einigen Partnern hat sich die EU auch auf eine Prioritätenliste sanktionierter Kriegsgüter[33] geeinigt, bei denen Unternehmen besondere Sorgfalt walten lassen sollen und die Drittländer nicht nach Russland ausführen dürfen. Darüber hinaus wurde innerhalb der EU auch eine Liste wirtschaftlich kritischer Güter[34] erstellt, hinsichtlich derer sowohl Unternehmen, als auch Drittländer, besonders wachsam sein sollen.

Die geopolitischen, wirtschaftlichen und finanziellen Auswirkungen des anhaltenden russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine sind offensichtlich, da der Krieg die globalen Rohstoffmärkte, insbesondere für Agrar- und Lebensmittelprodukte und Energie, beeinträchtigt. Die EU stellt weiterhin sicher, dass ihre Sanktionen keine Auswirkungen auf Energie-, Agrar- und Lebensmittelausfuhren aus Russland in Drittstaaten haben. Als Hüterin der EU-Verträge überwacht die Europäische Kommission die Durchsetzung der EU-Sanktionen durch die EU-Mitgliedstaaten.[35]

4. Belarus als weiterer sanktionierter Nachbarstaat und Unterstützer Russlands

4.1. Sanktionen der EU gegen Belarus vor der kriegerischen Aggression Russlands gegen die Ukraine Ende Februar 2022

Mit dem Gemeinsamen Standpunkt 2004/661/GASP vom 24. September 2004 über restriktive Maßnahmen gegen einzelne belarussische Amtsträger[36] hat der Rat erstmals restriktive Maßnahmen gegen Belarus erlassen. Gem. Art. 1 haben die EU-Mitgliedstaaten alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um den im Anhang genannten hochrangigen Amtspersonen – Juri Siwakow,[37] Viktor Schejman,[38] Dmitrij Pawlitschenko[39] und Vladimir Naumov[40], die für das Verschwinden von vier namhaften Persönlichkeiten[41] in Belarus in den Jahren 1999/2000 und die anschließende Verschleierung der Vorfälle – gemäß dem von der Parlamentarischen Versammlung des Europarates am 28. April 2004 angenommenen „Pourgourides-Bericht[42] – verantwortlich sind, sowohl die Einreise in ihr Hoheitsgebiet als auch die Durchreise durch dasselbe zu untersagen. Diese Personen sind für die Einleitung einer unabhängigen Untersuchung und anschließender strafrechtlichen Verfolgung der Tatvorwürfe verantwortlich, sind aber untätig geblieben und konnten sich bisher einer strafrechtlichen Verfolgung entziehen.

Bereits drei Jahre vorher verschwand der belarussische Journalist Dmitri Zavadski unter ähnlichen Umständen und wurde in der Folge offensichtlich von Mitgliedern des Geheimdienstes exekutiert. Der Generalstaatsanwalt der Republik Belarus war zu dieser Zeit ausgerechnet der vorerwähnte Viktor Schejman, der von vielen Bürgern von Belarus als der hinter dieser Entführung und Exekution stehende „mastermind“ angesehen wurde.[43]

In der Folgezeit hat der Rat immer wieder seine ernsthafte Besorgnis darüber geäußert, dass die Menschenrechte, die Demokratie und die Rechtsstaatlichkeit in Belarus weiterhin nicht geachtet und politische Häftlinge nicht freigelassen oder nicht rehabilitiert werden, und hat aus diesem Grunde seine restriktiven Maßnahmen gegen Belarus verlängert und ausgeweitet. So erließ der Rat am 18. Mai 2006 die Verordnung (EG) Nr. 765/2006 bezüglich restriktiver Maßnahmen gegen Präsident Lukaschenko und bestimmte Beamte von Belarus[44], aufgrund derer alle Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen, die Präsident Lukaschenko gehören oder die im Eigentum bestimmter anderer Beamter von Belarus stehen, eingefroren werden. In der Folge erging am 25. Oktober 2010 der Beschluss 2010/639/GASP des Rates über restriktive Maßnahmen gegen einzelne belarussische Amtsträger[45], gemäß dessen die Mitgliedstaaten auch denjenigen belarussischen Personen die Ein- oder die Durchreise durch ihr Hoheitsgebiet zu untersagen haben, die für die Fälschungen bei den Wahlen und beim Referendum vom 17. Oktober 2004 in Belarus verantwortlich sind, sowie für jene, die für schwere Menschenrechtsverletzungen beim Vorgehen gegen friedliche Demonstranten im Anschluss an die Wahlen und das Referendum in Belarus die Verantwortung tragen.

Mit seinem Beschluss 2012/642/GASP vom 15. Oktober 2012 über restriktive Maßnahmen gegen Belarus[46] hält der Rat seine schwerwiegenden Bedenken hinsichtlich der Lage in Belarus weiterhin aufrecht und untersagt nunmehr den Verkauf, die Lieferung, die Weitergabe oder die Ausfuhr von Rüstungsgütern, einschließlich Waffen und Munition, Militärfahrzeugen und entsprechender Ersatzteile, an bzw. nach Belarus, durch Staatsangehörige der EU-Mitgliedstaaten  oder vom Hoheitsgebiet derselben aus, unabhängig davon, ob diese Güter ihren Ursprung im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten haben oder nicht. Neben der innenpolitisch bedenklichen Lage in Belarus, war es aber vor allem die Beteiligung von Belarus an der russischen Aggression gegen die Ukraine, die diese Sanktionen ausgelöst hat.

Nachdem bereits eine Reihe von Sanktionen gegen Belarus wegen der massiven Repressionen gegen Protestierende nach den mutmaßlich gefälschten Präsidentschaftswahlen vom 9. August 2020 verhängt worden waren, folgten erste sektorale Sanktionen nach der erzwungenen Landung einer Ryanair-Maschine, die sich auf dem Weg von Athen nach Vilnius befand, in Minsk am 23. Mai 2021.

So erließ der Rat am 1. Juni 2021 die Verordnung (EU) 2021/996 zur Änderung der vorstehend erwähnten Verordnung (EG) Nr. 765/2006[47] sowie den Beschluss 2021/1031 vom 24. Juni 2021[48], womit umfassende Ausfuhrverbote aus der EU nach Belarus verhängt wurden. Ferner besteht ein Ausfuhrverbot für gewisse Maschinen nach Belarus gem. Anhang XIV der Verordnung (EG) Nr. 765/2006, das vom Rat mit der Verordnung (EU) 2022/355 vom 2. März 2022[49] konkretisiert wurde.

Daneben bestehen auch Einfuhrverbote aus Belarus in die EU gem. der Verordnung (EU) 2021/996 des Rates vom 21. Juni 2021[50] und dem Beschluss (GASP) 2021/1031 des Rates vom 24. Juni 2021[51], die vor allem Mineralölerzeugnisse, Pottasche und Düngemittel betreffen.

Aber auch Finanzsanktionen wurden gegen Belarus verhängt, wobei der vorerwähnte Beschluss (GASP) 2021/1031 des Rates[52] eine Reihe finanzieller Sanktionen umfasst, die gegen die Republik Belarus, ihre Regierung und staatliche Finanzinstitute verhängt wurden und deren Zugang zu den Finanzinstituten der EU verwehren. So wurde ein SWIFT-Verbot für fünf belarussische Banken, ein Verbot von Transaktionen mit der Zentralbank von Belarus, eine Begrenzung der Finanzzuflüsse aus Belarus in die EU und ein Verbot der Bereitstellung von auf Euro lautende Banknoten nach Belarus, angeordnet.

Am Transportsektor hat die EU ihren Luftraum für Flugzeuge aus Belarus gesperrt und den Gütertransport in der EU, einschließlich der Durchfuhr, für in Belarus niedergelassene Kraftverkehrsunternehmen, verboten.[53]

Im Bereich personenbezogener Sanktionen hat die EU seit Oktober 2020 fünf Sanktionspakete gegen insgesamt 233 Einzelpersonen und 37 Organisationen verhängt,[54] wobei vor allem Reiseverbote und das Einfrieren von Vermögenswerten zu erwähnen sind.

Die Regierungen weiterer westlicher Staaten haben vor Kriegsausbruch ebenfalls Sanktionen gegen Belarus erlassen, darunter die USA, die Schweiz, das Vereinigte Königreich, Kanada, Australien und Japan.

4.2. Sanktionen der EU gegen Belarus nach der kriegerischen Aggression Russlands gegen die Ukraine

Auf diese restriktiven Maßnahmen, die bereits vor der militärischen Aggression Russlands gegen die Ukraine am 24. Februar 2022 gegen Belarus verhängt wurden, war deswegen kurz einzugehen, um damit aufzuzeigen, dass die EU bereits seit längerem gegen die Gefährdung der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Belarus unter der Präsidentschaft von Alexander Lukaschenko (seit 1994) vorgegangen ist.

Nach der Eröffnung des Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine weitete die EU ihre Sanktionen gegenüber Belarus aus, um eine Umgehung ihrer Sanktionen gegenüber Russland über Belarus zu verhindern. Die „Ausweitung“ der Sanktionen findet dabei technisch über eine Angleichung der Sanktionen gegenüber Belarus mit den Sanktionen gegenüber Russland statt. Die Änderungen erfolgen als Reaktion auf die belarussische Unterstützung der russischen Militärintervention in der Ukraine.

Die neuen Maßnahmen umfassen vor allem Ausfuhrverbote für eine Reihe sensibler Güter, bezüglich derer es am 3. August 2023 sowohl zum Erlass des Beschlusses (GASP) 2023/1601 des Rates[55] als auch der Verordnung (EU) 2023/1594 des Rates über restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in Belarus und der Beteiligung von Belarus an der Aggression Russlands gegen die Ukraine[56] gekommen ist, wobei in beiden Rechtsakten neuerlich das Verbot ausgesprochen wird, Feuerwaffen unmittelbar oder mittelbar an natürliche oder juristische Personen, Organisationen oder Einrichtungen in Belarus oder zur Verwendung in Belarus zu verkaufen, zu liefern, weiterzugeben oder auszuführen. Des Weiteren soll das Ausfuhrverbot für Güter mit doppeltem Verwendungszweck und für fortschrittliche Güter und Technologien ausgeweitet werden.

Durch die Durchführungsverordnung (EU) 2023/1591 des Rates vom 3. August 2023[57] wiederum wurde der Anhang I der Verordnung (EG) Nr. 765/2006 um 38 natürliche Personen und 3 juristische Personen ergänzt. Deren Listung hat zur Folge, dass ihre in der EU befindlichen Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen „einzufrieren“ sind (sog. „Einfrierensgebot“)[58] und ihnen keine Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen zur Verfügung gestellt werden dürfen (sog. „Bereitstellungsverbot“). Bei den natürlichen Personen handelt es sich um Personen, die als Leiter von Strafkolonien, Staatsanwälte, Richter oder politische Entscheidungsträger für schwere Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sind, bei den neugelisteten juristischen Personen um die staatlichen Unternehmen PJSC und den belorussischen Staatskonzern für Öl und Chemie (Belneftekhim).

Während diese Neulistung von natürlichen und juristischen Personen nicht in unmittelbaren Zusammenhang mit Russlands völkerrechtswidrigem Angriffskrieg gegen die Ukraine steht, wurden durch die vorerwähnte Verordnung (EU) 2023/1594[59] des Rates neue güter- und dienstleistungsbezogene Beschränkungen gegen Belarus implementiert, die mit der Beteiligung von Belarus an der Aggression Russlands gegen die Ukraine in Verbindung stehen. So wurden unter anderem wie neue Beschränkungen in Bezug auf Feuerwaffen eingeführt. Parallel dazu wurden korrespondierende Dienstleistungs- und Finanzierungsverbote im Zusammenhang mit diesen Gütern eingeführt. Dabei wurde aber weder ein Verbot der Durchfuhr derartiger Waren durch das Hoheitsgebiet von Belarus, noch ein Verbot des Verkaufs, der Lizenzierung, der Übertragung oder der Weitergabe von geistigen Eigentumsrechten und Geschäftsgeheimnissen im Zusammenhang mit derartigen Waren verhängt, wie das allerdings im Rahmen des 11. Sanktionspakets der EU gegen Russland[60] der Fall war.

Daneben kam es zu einer Neufassung und Ergänzung der Beschränkungen für „Dual-Use“- und „Advanced Technologies“-Güter, bezüglich derer verkaufs- und ausfuhrseitige Verbote verhängt wurden. Eine vollständige Angleichung der Verbotsnormen aneinander hat jedoch nicht stattgefunden. Stattdessen sind die Beschränkungen in Bezug auf „Dual-Use“- und „Advanced Technologies“-Güter bei Verkäufen bzw. Ausfuhren nach Belarus bei weitem nicht so stringent wie bei Verkäufen/Ausfuhren nach Russland.

Die güter- und dienstleistungsbezogenen Wirtschaftssanktionen der EU gegen Belarus bleiben auch nach dieser Sanktionsverschärfung weit hinter denen gegen Russland zurück. Dabei sind das Auseinanderfallen der verkaufs-/ausfuhrseitig erfassten Güter und die abweichenden korrespondierenden Verbote sowie divergierenden Befreiungs- und Ausnahmebestimmungen deswegen nur schwer nachzuvollziehen, da Russland und Belarus – neben Armenien, Kasachstan und Kirgisistan – ja Mitglieder der „Eurasischen Wirtschaftsunion“ (EWU)[61] sind, und sich daher Güter, die in eines der Länder eingeführt wurden, im zollrechtlich freien Verkehr befinden und somit zwischen den Mitgliedstaaten frei zirkulieren können.[62]

Dass die Sanktionen gegen Russland und Belarus, die nach der russischen Aggression gegen die Ukraine zunächst relativ gleichartig aufgebaut waren, aber seither zunehmend voneinander divergieren, scheint vor allem daran zu liegen, dass sich die EU bei der Verhängung der Sanktionen auf den Hauptverantwortlichen, nämlich Russland, konzentriert hat. Es bleibt aber abzuwarten, ob die EU die beiden Sanktionsregime in Zukunft wieder stärker aufeinander abstimmen wird.

5. Schlussbetrachtungen

Was die Effizienz der seitens der EU gegen Russland angeordneten Sanktionen betrifft, so hat sich im Spätsommer 2023 die Situation völlig geändert. Trotz der Sanktionen legen in russischen Häfen schon wieder so viele Containerschiffe an, wie vor dem Krieg. Kurz nach dem Überfall auf die Ukraine Ende Februar 2023 brachen die Warenlieferungen über den wichtigen Containerhafen in St. Petersburg aufgrund der EU-Sanktionen um bis zu 90% ein. Eineinhalb Jahre später nähert sich die Auslastung aber bereits wieder dem Niveau vor Kriegsbeginn an.[63]

China, der inzwischen mit Abstand größte Handelspartner Moskaus, hat allein im August 2023 11,5 Mrd. US-$ (10,7 Mrd. Euro) für russische Importe ausgegeben, wobei Russland 34% seiner Importe aus China mit Yuan statt mit Dollar oder Euro beglichen hat.[64] Heuer dürfte im bilateralen Handel zwischen China und Russland erstmals die 200 Mrd.-Dollar-Marke erreicht werden. Der Handel zwischen Russland und Indien entwickelt sich ähnlich stark. Es gibt aber auch eine Reihe anderer Staaten, die es Russland ermöglichen, seine Exporte zu platzieren bzw. sich mit den notwendigen Materialien durch Importe einzudecken. Dazu gehören etliche zentralasiatische Republiken, die Türkei, aber auch einige europäische Länder, wie Bulgarien, Griechenland, Slowenien und Österreich.

Bezüglich der Unterstützung Russlands durch das dauernd neutrale Österreich hat sich aktuell ein interessanter diplomatischer Eklat ergeben. Martin Selmayr, der Vertreter der Europäischen Kommission in Wien, nannte am 7. September 2023 in einer Podiumsdiskussion zum Thema „Inklusives Europa“ – im Rahmen der Kunstmesse Vienna-contemporary im Almanac Hotel am Wiener Parkring – die Zahlungen von Österreich für Gas an Russland „Blutgeld“, was für eine große diplomatische Verstimmung gesorgt und zur Zitierung von Martin Selmayr in das österreichische Außenministerium geführt hat.[65]

Von der überzogenen Wortwahl abgesehen, hätte Selmayr bei dieser Gelegenheit nur darauf hinweisen müssen, dass die hohe österreichische Bezugsquote von russischem Gas – diese betrug im Juli 2023 noch immer 66 Prozent[66] – im Grunde auf eine unzulässige Vorgangsweise Österreichs zurückzuführen ist. Zum Zeitpunkt der Begründung der österreichischen immerwährenden Neutralität im Jahr 1955[67] herrschte nämlich im Völkerrecht die gewohnheitsrechtliche Verpflichtung für dauernd Neutrale vor, ihre Außenhandelsbeziehungen stets ausgeglichen auszugestalten, damit sie nicht durch eine übermäßige Abhängigkeit von einem einzelnen Importeur in eine Situation kommen, die sie neutralitätspolitisch „erpressbar“ machen würde. Das dauernd neutrale Österreich hat diese Verpflichtung in der Folge aber nicht beachtet, sondern sich im Energiebereich immer stärker an Russland „angelehnt“, was bis zum Zeitpunkt des russischen Aggressionskrieges gegen die Ukraine zu einer fast 80-prozentigen Abhängigkeit Österreichs von russischem Gas geführt hat.

Seit Beginn des Krieges sollen mindestens 7 Mrd. Euro für Gaslieferungen von Österreich nach Russland überwiesen worden sein.[68] Im Übrigen hat die OMV mit Gazprom Export einen aufrechten Liefervertrag über 6 Mrd. Kubikmeter Gas pro Jahr, der 2018 – also vier Jahre nach der Annexion der Krim durch Russland (!) – bis 2040 verlängert wurde, und eine sog. „Take-or-pay“-Klausel enthält, die einen früheren Ausstieg Österreichs eher unwahrscheinlich macht.

Abschließend soll noch ein kurzer Blick auf die Einstellung der Österreicher bezüglich der Sinnhaftigkeit der EU-Sanktionen gegen Russland geworfen werden.[69] Waren schon im April 2023 insgesamt 41% der Österreicher – und damit die relative Mehrheit – dafür, dass die Sanktionen gegen Russland beendet werden sollen, so zeigt eine aktuelle INSA-Umfrage[70] ein noch deutlicheres Ergebnis: 54% der Österreicher meinen, dass die Sanktionen gegen Russland negative Folgen für die EU haben. Nur 12% der Befragten meinen, dass die harten Maßnahmen gegen Russland positive Folgen hätten, 21% wiederum sehen in der Sanktionierung Russlands weder positive noch negative Folgen. Mit anderen Worten: Eine klare absolute Mehrheit sieht die EU-Sanktionen gegen Russland mittlerweile höchst kritisch.

Was hingegen die Einstellung der für die Sanktionen bzw. die Unterstützung der Ukraine zuständigen EU-Organe betrifft, so kommen seit dem Ausbruch des russischen Aggressionskrieges der Europäische Rat und der Rat der EU regelmäßig zusammen, um die Lage in der Ukraine aus verschiedenen Blickwinkeln zu erörtern. Zum Abschluss des ersten Treffens führte der Europäische Rat diesbezüglich unmissverständlich aus: „Russland muss diesen grausamen Krieg unverzüglich beenden. Die Europäische Union wird der Ukraine so lange wie nötig mit unverbrüchlicher Unterstützung zur Seite stehen“.[71] Es wird sich zeigen, wie lange die EU dieses Versprechen wird einhalten können.

[1] Hummer, W. Von den „smart sanctions“ der EU gegen Russland anlässlich der Okkupation der Krim (2014) zu den Sanktionen wegen der kriegerischen Aggression gegen die Ukraine (2022), EU-Infothek, vom 16. August 2022, S. 1 ff; vgl. auch Hummer, W. Rechtsgrundlagen der „smart sanctions“ der EU im Gefolge der Krim-Krise, Zeitschrift für Europarecht (EuZ) 5/2014, S. 100 ff.

[2] Für eine Kurzdarstellung der bisherigen EU-Sanktionen siehe Rat, Russische Invasion in die Ukraine: Reaktion der EU (https://consilium.europa.eu/de/policies/eu-response-ukraine-invasion/)

[3] Beschluss 2014/386/GASP des Rates vom 23. Juni 2014 (ABl. 2014, L 183, S. 70 f.)  und Verordnung (EU) Nr. 692/2014 des Rates vom 23. Juni 2014 (ABl. 2014, L 183, S. 9 ff.).

[4] Beschluss (GASP) 2022/266 des Rates vom 23. Februar 2022 (ABl. 2022, L 42I, S. 109 ff.) und Verordnung (EU) 2022/263 des Rates vom 23. Februar 2022 (ABl. 2022, L 42 I, S. 77 ff.).

[5] Verordnung (EU) 2023/426 des Rates vom 25. Februar 2023 (ABl. 2023, L 59 I, S. 1 ff) und Verordnung 2023/427 des Rates vom 25. Februar 2023 (ABl. 2023, L 59 I, S. 6 ff.).

[6] Durchführungsverordnungen (EU) 2023/428, 2023/429 und 2023/430.

[7] ABl. 2023, L 159 I, S. 1 ff.

[8] ABl. 2023, L 159 I, S. 330 ff.

[9] ABl. 2023, L 159 I, S. 335 ff.

[10] ABl. 2014, L 78, S. 6 ff.

[11] ABl. 2014, L 229, S. 1 ff.

[12] https://www.sanctions.io/blog/primary-and-secondary-sanctions-explained

[13] Gleiss&Lutz, Außenwirtschaftsrecht Update: 11. Sanktionspaket der EU gegen Russland, vom 28. Juni 2023, S. 5.

[14] Vgl. Tamašauskas, I. Maßnahmen gegen Sanktionsumgehungen im 11. EU-Sanktionspaket – Folgen für Sanktions-Compliance Anforderungen, Rödl&Partner, vom 7. August 2023, S. 2.

[15] Vgl. Gutschker, T. Ein schärferes Schwert gegen Russland, faz.net vom 21. Juni 2023.

[16] Vgl. Tamašauskas, Maßnahmen gegen Sanktionsumgehungen im 11. EU-Sanktionspaket (Fn. 14), S. 2.

[17] Vgl. Fn. 9.

[18] Vgl. Fn. 10.

[19] Für die diesbezügliche Situation in der Bundesrepublik siehe „Umsetzung der Russland-Sanktionen – Kurzüberblick“, Die Bundesregierung, vom 17. Januar 2023, S. 3 ff.

[20] ABl. 2023, L 183 I, S. 15 ff.

[21] ABl. 2023, L 190 I, S. 1 ff.

[22] Vgl. Vargas, T. Russland: Aktueller Stand der EU-Sanktionen, bayme vbm, S. 1; Vargas, T. EU-Sanktionen gegenüber Russland, vbw-bayern, vom 28. Juli 2023, S. 3.

[23] Neuer Art. 12f der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 (Fn. 11).

[24] EU verhängt weitere Sanktionsrunde gegen Russland, NOERR, News vom 26. 6. 2023.

[25] Neue Art. 2a Abs. 1a und Art. 3c Abs. 1a der Verordnung (EU) Nr. 833/2014.

[26] In Anhang I der Verordnung (EU) Nr. 269/2014 neu aufgenommen.

[27] Europäische Kommission, Fragen und Antworten zum 11. Sanktionspaket gegen Russland, QANDA/23/3449, S. 3.

[28] Europäische Union beschließt umfangreiches Maßnahmenbündel gegen Sanktionsumgehung im 11. Sanktionspaket, Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, Pressemitteilung vom 21. 6. 2023, S. 1.

[29] Gleiss&Lutz, Außenwirtschaftsrecht Update: 11. Sanktionspaket der EU gegen Russland (Fn. 13), S. 4.

[30] Vgl. Müller, S. EU beschließt 11. Sanktionspaket gegen Russland, Oppenhoff-Newsletter vom 28. 6. 2023, S. 3.

[31] Vgl.  dazu nachstehend.

[32] Vgl. Vertretung der Europäischen Kommission in Deutschland, 11. Sanktionspaket der EU gegen Russland, Pressemitteilung vom 23. Juni 2023, S. 3.

[33] Vgl. EUs restrictive measures against Russia: Addressing the circumvention of EU export restrictions against Russia – List of High Priority Battlefield Items.

[34] Vgl. EUs restrictive measures against Russia: Economically Critical Goods List.

[35] Europäische Kommission, Pressemitteilung IP/23/3429 vom 23. Juni 2023.

[36] ABl. 2004, L 301, S. 67 ff.

[37] Minister für Sport und Tourismus der Republik Belarus.

[38] Generalstaatsanwalt der Republik Belarus.

[39] Offizier der Spezialeinsatzkräfte der Republik Belarus.

[40] Innenminister der Republik Belarus.

[41] Einen früheren Innenminister, einen ehemaligen Vizepräsidenten des Parlaments, einen Geschäftsmann und einen Kameramann eines russischen Fernsehsenders; vgl. Weissrussland im Europarat nicht willkommen, NZZ vom 29. April 2004 (https://www.nzz.ch/article9KDGX-ld.299350).

[42] Vgl. Erklärung des Vorsitzes im Namen der EU zur Annahme der Entschließung und der Empfehlungen des Pourgourides-Berichts über „Vermisste Personen in Belarus“ durch die Parlamentarische Versammlung des Europarates am 28. April 2004 (PE 344.004) (Europäisches Parlament/Generaldirektion Präsidentschaft 06/A-2004, S. 85). In dem Bericht von Christos Pourgourides aus Zypern wird als bezeichnend der Umstand genannt, dass mit der Untersuchung in Weissrussland ausgerechnet ein Generalstaatsanwalt – nämlich der vorstehend genannte Viktor Schejman (Fn. 38) – betraut wurde, der selbst schwerwiegender Verbrechen beschuldigt werde.

[43] Siehe Res. 1372 (2004) der Parlamentarischen Versammlung des Europarates („Persecution of the press in the Republic of Belarus“) vom 28. April 2004, Punkt 4.

[44] ABl. 2006, L 134, S. 1 ff.

[45] ABl. 2010, L 280, S. 18 ff.

[46] ABl. 2012, L 285, S. 1 ff. Durch den Beschluss des Rates (GASP) 2023/421 vom 24. Februar 2023 (ABl. 2023, L 61, S. 41 ff.) wurde die Geltungsdauer von letzterem bis zum 28. Februar 2024 verlängert.

[47] Vgl. Fn. 44.

[48] ABl. 2021, L 224 I, S. 15 ff.

[49] ABl. 2022, L 67, S. 1 ff.

[50] ABl. 2021, L 219 I, S. 1 f.

[51] ABl. 2021, L 224 I, S. 15 ff.

[52] Vgl. Fn. 48.

[53] Verordnung (EU) Nr. 2022/577 des Rates vom 8. April 2022 (ABl. 2022, L 111, S. 67 ff.).

[54] Vgl. Durchführungsbeschluss (GASP) 2023/1592 des Rates vom 3. August 2023 (ABl. 2023, L 195 I, S. 31 ff.).

[55] ABl. 2023, L 196, S. 37 ff.

[56] ABl. 2023, L 196, S. 3 ff.

[57] ABl. 2023, L 195 I, S. 1 ff.

[58] Vgl. dazu vorstehend.

[59] Vgl. Fn. 56.

[60] Vgl. dazu vorstehend.

[61] Die „Eurasische Wirtschaftsunion“ ging mit Wirkung vom 1. Jänner 2015 aus der im Jahr 2000 gegründeten „Eurasischen Wirtschaftsgemeinschaft“ hervor; vgl. Thielicke, H. Eurasische Integration nimmt Gestalt an: Vertrag über die Eurasische Wirtschaftsunion geschlossen, WeltTrends, Zeitschrift für Internationale Politik, September/Oktober 2014, S. 11 ff.

[62] Vgl. Göcke, K. Neue EU-Sanktionen gegen Belarus, GvW Graf von Westphalen-Blog, vom 28. August 2023, S. 3.

[63] Sie dazu die Graphiken bei Auer, M. Russland ist zurück im Geschäft, Die Presse, vom 8. September 2023, S. 1.

[64] Auer, Russland ist zurück im Geschäft (Fn. 63).

[65] Vgl. Kim Son Hoang, Ein blutiger Sager sorgt für Wirbel, Der Standard, vom 9./10. September 2023, S. 14; Ultsch, Chr. Warum Selmayr von Blutgeld sprach, Die Presse, vom 9. September 2023, S. 4.; EU-Botschafter ins Außenamt beordert, Die Presse, vom 8. September 2023, S. 5; Nach „Blutgeld“-Sager: EU-Vertreter Martin Selmayr ins Außenamt zitiert, Kurier vom 8. September 2023, S. 6.

[66] Vor dem Aggressionskrieg Russlands lag der Wert noch bei 80 Prozent; vgl. Österreich kommt nicht von Russlands Gas los, Die Presse, vom 9. September 2023, S. 4; im Übrigen hat die OMV mit Gazprom Export einen aufrechten Liefervertrag, der 2018, also vier Jahre nach der Annexion der Krim, bis 2040 verlängert wurde und eine sog. „Take-or-pay“-Klausel enthält.

[67] Hummer, W. Der internationale Status und die völkerrechtliche Stellung Österreichs seit 1918, in: Reinisch (Hrsg.), Österreichisches Handbuch des Völkerrechts, Bd. I, 6. Aufl. (2021), S. 743 ff.

[68] Wörgetter, S. – Sendlhofer, T. So abhängig ist Österreich von Putin, Salzburger Nachrichten, vom 9. September 2023, S. 4.

[69] Vgl. Schmitt, R. Klare Mehrheit sagt: Die harten Sanktionen gegen Russland schaden uns EU-Bürger, eXXpress vom 8. September 2023.

[70] Sample: 1.000 Befragte, Durchführung vom 4. bis 7. September 2023.

[71] Schlussfolgerungen des Europäischen Rates, 9. Februar 2023.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Das könnte Sie auch interessieren

Der Standard / Ibiza und die Folgen – Freispruch für Novomatic-Partner rund um Vorwurf der Zeugenbeeinflussung

Der Standard / Ibiza und die Folgen – Freispruch für Novomatic-Partner rund um Vorwurf der Zeugenbeeinflussung

Das Oberlandesgericht Wien hob einen Schuldspruch gegen Gert Schmidt auf. Es ging um Treffen mit …