Dienstag, 24. Dezember 2024
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Korruptionsexperte Hetzer: „Gier ist auch durch beste Bezahlung nicht immer wirksam einzudämmen“

Wolfgang Hetzer, von 2002 bis 2013 Abteilungsleiter im Europäischen Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF), beschäftigt sich in seinem bereits vierten Buch mit den Ursachen und Konsequenzen der Euro-Krise. Im Interview mit der EU-Infothek spricht er auch über den Hypo Alpe Adria-Skandal.

In der EU sorgen immer wieder Berichte über Milliardenschäden durch Korruption für Aufsehen. Täuscht der Eindruck, dass sich trotzdem wenig zum Besseren wendet?

Ein hinreichend umfassender und präziser belastbarer Überblick über die durch Korruption verursachten Schäden liegt aus mehreren Gründen nicht vor. Korruption gehört in den Bereich der „Kontrollkriminalität“. Ihre Entdeckung beruht häufig nicht auf Anzeigen, sondern ist das Ergebnis effektiver behördlicher Überwachung. Funktioniert diese etwa bei der notwendigen grenzüberschreitenden Zusammenarbeit nicht, erfährt man allzu oft von ihrer Existenz und ihrer Schädlichkeit nichts. Korruption wird auch zu den so genannten opferlosen Verbrechen gezählt, sind doch fast alle an ihr Beteiligten der Auffassung, dass sie jeweils für sich einen Vorteil erzielen. Korruption hat inzwischen aber auch eine systemische Qualität erlangt.

Was verstehen  Sie darunter?

Die Korruption ist nicht nur auf konkrete beweisbare Tathandlungen mit einem exakt zu beziffernden Schaden zu reduzieren. In der Realität geht es um gut ausgebaute Beziehungsnetzwerke, in denen sich Kriminelle, Politiker und Manager aus allen Teilen des Wirtschaftslebens und des Finanzwesens immer wieder begegnen, Informationen austauschen und sich über vorteilhafte Aufträge und Maßnahmen verständigen. In einem Milieu der Heimlichkeit und einer Kultur der Konspiration versagen die bestehenden Gesetze. Man bewegt sich in einem sehr großen Dunkelfeld, das typischerweise kaum erkennbar ist und in dem herkömmliche Ermittlungsmethoden erfolglos bleiben. Auch der Umfang der konkreten Vermögensvorteile ist daher meistens nicht zuverlässig bestimmbar. Sie stellen indessen grundsätzlich eine Schädigung der Allgemeinheit dar. Korruption schädigt in vielerlei Hinsicht die legale Wirtschaft, die unter den wettbewerbsverzerrenden Folgen besonders leidet und deren Einbußen durch nicht erteilte Aufträge auch dem Schadensvolumen hinzuzurechnen sind. In der EU gelten zudem unterschiedliche Strafnormen. Dadurch wird die Verfolgung und Ahndung korrupten Verhaltens erschwert. Es muss aus diesen und anderen Gründen tatsächlich der Eindruck aufkommen, dass sich wenig zum Besseren wendet.

Liegt das Problem in zu laxen Gesetzen in den Mitgliedsländern oder in zu geringer Kontrolle?

Es gibt in allen Mitgliedsländern der EU Optimierungsmöglichkeiten, insbesondere im Bereich der Gewinnabschöpfung und der Beweisführung. Oft lässt auch die Kontrollintensität zu wünschen übrig. Ausstattungsmängel und Ausbildungsdefizite tun ein Übriges.

Gewerkschaftsvertreter meinen, der beste Schutz gegen Korruption sind motivierte, gut bezahlte Beamte. Stimmen Sie dem zu?

Eine ordentliche Bezahlung hilft sicher dabei, Beamte vor den Verführungen korrumpierender Angebote zu schützen. Aber das ist nicht das Entscheidende. Gier ist auch durch beste Bezahlung nicht immer wirksam einzudämmen. Notwendig ist eine erzieherische Einwirkung, die das Ideal persönlicher Integrität und professioneller Unbestechlichkeit im Arbeitsalltag fest verankert. Vorgesetzte müssen ihren Mitarbeitern klar machen, dass sie durch Bestechlichkeit letztlich sogar ihre Selbstachtung riskieren und sich gegenüber der Allgemeinheit, deren Interessen sie zu wahren haben, in geradezu asozialer Weise verhalten. Entsprechende Appelle müssen jedoch auch durch geeignete Aufsichtsmaßnahmen begleitet werden.

Hypo Alpe Adria ist ein Beispiel für Korruption durch Inkompetenz

Bayern im Speziellen und die deutschen Banken im Allgemeinen sind derzeit auf die österreichische Regierung nicht gut zu sprechen, weil sie nicht mehr den Steuerzahler für den Kriminalfall Hypo Alpe Adria bzw. Heta zur Kasse bitten will, sondern auch die Gläubiger an den Kosten beteiligen will. Haben Sie Verständnis für die Alpenrepublik?

Ich habe zunächst insoweit kein Verständnis für die „Alpenrepublik“, als man nach den Erkenntnissen des Griss-Berichts über viele Jahre zugelassen hat, dass Politiker eine Bank korrumpieren, indem man sie als Instrument zur Verfolgung wirtschaftlich höchst unseriöser Projekte missbrauchte, um so auch politische Ambitionen umzusetzen. Das war nur möglich, indem es ein flächendeckendes Aufsichtsversagen gab und manche der Beteiligten eine kriminelle Energie entfalteten, mit der kein Mafia-Boss hätte konkurrieren können. Die Vorgänge zeigen im Übrigen auch, dass es eine „Korruption durch Inkompetenz“ gibt, die jedoch von keinem Straftatbestand erfasst wird.

Gleichzeitig haben Bankmanager sich wegen ihrer Willfährigkeit und ihrer Feigheit vor vermeintlichen Autoritäten als gemeinschaftsschädlich korrupt erwiesen. Solche Manager wirken nicht nur in Österreich, sondern auch in Deutschland und in vielen anderen Ländern. Ich habe daher insoweit doch auch Verständnis für die „Alpenrepublik“, wenn sie darum bemüht ist, diejenigen zur Verantwortung zu ziehen, die durch ihr Fehlverhalten den österreichischen Fiskus geschädigt haben. Bei ihrer entsprechenden Suche auch in der deutschen Bankenwelt wünsche ich der Republik jeden Erfolg.

Sind die Versäumnisse, welche die Griss-Kommission und der Rechnungshof in Sachen Hypo aufgezeigt haben, symptomatisch für Problem-Banken, die vom Staat aufgefangen werden mussten?

Die aufgezeigten Versäumnisse sind nur ein relativ kleiner Teil des Problemfelds und noch nicht einmal symptomatisch. Man darf nicht vergessen, dass diese und andere Banken sich durch ordnungspolitische Fehlentscheidungen überhaupt erst in derartige Risikofaktoren verwandeln konnten. Die Deregulierung der Finanzmärkte, die Zulassung höchst fragwürdiger Geschäftsmodelle, die Verschleuderung öffentlicher Gelder, die pathologische Gier der Investmentbanker, die unzureichende Steuergesetzgebung, die Nachlässigkeit der Aufsichtsbehörden, Unfähigkeit und Egoismus bestimmter Politiker, die Lethargie der Zivilgesellschaft, die Ablösung des Leistungsprinzips durch das Erfolgsprinzip, die Entwertung von Arbeit durch Spekulation, die widerstandslose Übernahme angelsächsischer Wirtschaftsphilosophie, die Fehlallokation von Kapital, eine fragwürdige Zinspolitik, die Dreistigkeit vermeintlicher Eliten bei der Selbstbedienung u. v. m. haben dazu beigetragen, dass diejenigen, die nie zu der großen „Party“ eingeladen waren, die sich im Laufe der Jahre zu einer obszönen Selbstbereicherungsorgie verwandelt hat, jetzt die Zeche bezahlen müssen.

Wird die EU weiterhin einen Kompromiss mit Griechenland anstreben oder wird schon bald der Geduldsfaden mit Hellas reißen?

Die EU hat in den vergangenen Jahren in bewundernswerter Weise immer wieder Kompromisse geschlossen, wie alleine die Kreditprogramme in Höhe von deutlich über 200 Milliarden Euro zeigen. Dabei fühlte sie sich zu Recht den Grundsätzen von „Solidarität und Solidität“ verpflichtet. Das Vorgehen der amtierenden griechischen Regierung verlangt in der Tat ein besonderes Maß an Geduld. Das ändert nichts daran, dass es sich um demokratisch legitimierte Vertreter eines souveränen Staates handelt, die man nicht nur nach der Maßgabe von Geduld würdigen sollte, die man ungezogenen Kleinkindern gegenüber an den Tag legt. Hier geht es um wirtschaftlich vertretbare und politisch vermittelbare Interessensabwägungen. Die Einheit Europas ist zwar einen hohen finanziellen Preis wert. Es ist aber nicht zu leugnen, dass in etlichen Ländern der EU das Verständnis für die Nöte Griechenlands schwindet.

Haben auch diejenigen, die jetzt mit Griechenland hart ins Gericht gehen, Fehler gemacht?

Die Verantwortlichen in der EU haben das Versagen der griechischen Politik lange Zeit beobachtet, ohne Fehlentwicklungen in geeigneter Weise vorzubeugen.

Im Gegenteil: Denkt man an die Bedingungen, unter denen der Eintritt Griechenlands in die Europäische Währungsunion stattfand, dann stellt sich die Frage der Verantwortlichkeit auch jenseits der Grenzen Griechenlands in einem besonderen Licht. Statistische Angaben sind das eine. Die Wahrheit ist das andere. Diese Differenzierung hat in etlichen Hauptstädten der EU-Mitgliedsländer das bei den Entscheidungsträgern vorhandene intellektuelle Niveau und deren analytische Begabung offensichtlich überschritten. Dabei hätte die Anwendung von Grundrechenarten schon ausgereicht, um sich ein Urteil über die Beitrittsreife Griechenlands ein zuverlässiges Urteil zu bilden. Und jetzt gibt man sich sehr erstaunt darüber, dass die damalige politische Opportunität die Aussagekraft exakter und richtiger Zahlen jedenfalls nicht auf Dauer beseitigen kann. Wenn man aber genau wusste, dass Griechenland seinerzeit die objektiven Kriterien nicht würde erfüllen können, dann stellen sich weniger Fragen nach der mathematischen Intelligenz, sondern nach den Motiven für einen derartigen (Selbst-)Betrug und nach der Bereitschaft zur Folgenabschätzung. Entweder die damals Verantwortlichen konnten oder wollten die Fragwürdigkeit ihrer Entscheidungen nicht erkennen oder sie haben sogar absichtlich Risiken eröffnet, die sich jetzt aber als kaum noch behrrschbar erweisen. Bei alledem hätte doch ein halbwegs gesunder Menschenverstand genügt! Wie auch immer: Die Frage, wer hier von wem Geduld erwarten darf, bleibt offen.

Im Übrigen geht es nicht nur um Geld. Gerade in jüngerer Zeit wird die strategische Dimension deutlich, in der sich die Verknüpfung sicherheitspolitischer Fragen mit wirtschaftlichen Erwägungen abzeichnet. Das Verhältnis Griechenlands zu Russland und China ist selbstverständlich auch für die europäische Integration von existenzieller Wichtigkeit. Vor diesem Hintergrund ist nur zu hoffen, dass der Geduldsfaden lange genug ist und nicht zerreißt.

Manche Experten meinen, der Austritt Griechenlands aus dem Euro wäre wirtschaftlich verkraftbar. Lassen Sie das gelten?

Ich lasse jede Meinung gelten. Ich habe zwar von der gegenwärtig amtierenden deutschen Bundeskanzlerin gelernt, dass Europa scheitert, wenn der Euro scheitert. Aber dazu muss es nach einem rechtlich übrigens gar nicht vorgesehen Austritt Griechenlands aus der Europäischen Währungsunion auch nicht kommen, wenn das Vertrauen in die Wirksamkeit zwischenzeitlich getroffener Maßnahmen (Bankenunion, etc.) gerechtfertigt ist. Ich hoffe indessen, dass uns die „Probe aufs Exempel“ erspart bleibt.

Regulierung der Finanzmärkte reicht nicht aus

Auf EU-Ebene wurde versucht, die Finanzmärkte mit strengeren Vorschriften an die Kandare zu legen. Reichen die bisherigen Maßnahmen aus, um eine neuerliche Finanzkrise und weitere Notverstaatlichung von Banken zu verhindern?

Nein.

Wo sehen Sie vor allem noch Handlungsbedarf?

Diese Frage ist nur in monographischer Breite zu beantworten. Erste Versuche habe ich in einigen Büchern unternommen („Finanzmafia“, 2011; „Finanzkrieg“, 2013; „Die Euro-Party ist vorbei“, 2014; „Politiker Patrioten Profiteure“, 2015).

Erwarten Sie, dass die geplante Einführung einer Finanztransaktionssteuer – für die sich unter anderem Österreich ausspricht – kommen wird?

Meine prophetische Begabung reicht zur Beantwortung dieser Frage leider nicht aus.

Es gibt in vielen Ländern massiven Widerstand gegen das geplante Freihandelsabkommen mit den USA, das die lahmende Wirtschaft in Europa ankurbeln soll. Aus ihrer Sicht zu recht?

Ja.

Die EZB versucht mit Niedrigst-Zinsen und dem massiven Ankauf von Staatsanleihen die Konjunktur zu unterstützen. Befürworten Sie diesen Weg, schließlich zahlen die Sparer dabei drauf?

Inhalt und Grenzen des Mandats der EZB sind zur Zeit Gegenstand eines Verfahrens, das aufgrund eines Vorlagebeschlusses des deutschen Bundesverfassungsgerichts beim Europäischen Gerichtshof stattfindet. Fest steht allerdings jetzt schon, dass auch der EZB monetäre Staatsfinanzierung nicht erlaubt ist. Ihre Aufgabe ist die Sicherung der Geldwertstabilität und nicht allgemeine Wirtschaftspolitik. Die Zinspolitik der EZB macht nicht nur bestimmte Formen der Vermögensanlage weniger attraktiv. Sie gefährdet auch die Lebensplanung zahlloser Menschen insbesondere im Hinblick auf die Versorgung im Alter (Lebensversicherung, etc.)

Wie wahrscheinlich halten Sie es, dass Großbritannien der EU den Rücken kehren wird und welche Konsequenzen hätte das für Europa?

Die Frage ist nach dem für 2017 in „Großbritannien“ vorgesehenen Referendum hoffentlich eindeutig zu beantworten. Solange sollte man sich in Geduld üben. Viele Politiker, darunter auch die deutsche Bundeskanzlerin halten das Vereinigte Königreich als Mitglied der EU anscheinend für unverzichtbar. Üblicherweise wird in diesem Zusammenhang an mehrere Punkte erinnert, die unterschiedlich überraschend und nicht immer sehr überzeugend sind: In Großbritannien wird Englisch gesprochen, das Land verfügt über eine leistungsfähige Armee, zu den USA besteht ein traditionsreiches besonderes Verhältnis, es gibt einen erfahrenen diplomatischen Apparat und das Land ist die Wiege der Popkultur.

Über diesen ungeheuer wichtigen Hinweisen wird allerdings gerne vergessen, dass sich die europapolitische Phantasie führender englischer Politiker (Thatcher) zumindest früher und über Jahre in dem Satz „I want my money back“ erschöpfte und dass die Damenhandtasche dieser Politikerin das eindrucksvollste Symbol für die Unabhängigkeit des Landes vom restlichen Europa war.

Die nur zu einem sehr geringen Teil konstruktive Haltung ihres Amtsnachfolgers Cameron in der Debatte um die Besetzung des Präsidentensessels der Europäischen Kommission mag inzwischen auch weitgehend vergessen sein, obschon darin sehr deutlich wurde, dass sich das Verständnis mancher Verantwortlicher dieses Landes für die berechtigten Interessen der übrigen Mitgliedsländer EU in recht überschaubaren Grenzen hält.

Die Konsequenzen einer Abwendung Großbritanniens von der EU wären allerdings auch überschaubar: Der Kontinent würde nach einem Abschied dieser Inselgruppe wohl doch nicht in den Fluten der Nordsee und des Atlantiks versinken. Natürlich bestünde die große Gefahr, dass Europa bei dichtem Nebel im Ärmelkanal isoliert wäre. Dieses Risiko wäre aus meiner Sicht aber sehr wohl hinnehmbar.

Wie beurteilen Sie das Juncker-Programm zur Ankurbelung der europäischen Wirtschaft? Wird es die gewünschte Wirkung haben und die hohen Arbeitslosenzahlen reduzieren können?

Die Wirksamkeit des von Ihnen zitierten Programms sollte man erst beurteilen, wenn es verabschiedungsreif geworden ist. Ich wünsche ihm aber schon jetzt in jeder Hinsicht im Interesse eines prosperierenden Europas den angestrebten Erfolg.

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