Putin schlägt zurück: Das Moskauer Außenministerium hat vorige Woche mehrere Botschaften in EU-Ländern darüber informiert, dass 89 Europäer ab sofort nicht mehr in Russland einreisen dürfen. Die geheimnisvolle Liste, die nicht veröffentlicht werden sollte, ist eine späte und ziemlich groteske Revanche für die seinerzeitigen Strafaktionen seitens der Europäischen Union.
Es war ein Mix aus massiver Empörung und schlichter Verwunderung: Reihenweise haben europäische Politiker, allen voran Deutschlands Außenminister Frank-Walter Steinmeier, der niederländische Premier Mark Rutte und der belgische Regierungschef Charles Michel, in den vergangenen Tagen gegen den neuesten Schachzug von Kreml-Boss Putin protestiert: Es sei „kein Beitrag zu Entspannung“, meinte Steinmeier, wenn Moskau über 89 offenbar unliebsame Personen ein Einreiseverbot verhängt. Diese völlig intransparente Maßnahme, kritisierte Rutte, verstoße gegen das Völkerrecht und sollte daher, so Michel, so bald wie möglich von den russischen Behörden wieder zurückgenommen werden.
Einjährige Schrecksekunde
Die EU-weite Aufregung wurde, wie zu erwarten war, in Moskau nicht wirklich verstanden. Denn als Brüssel in Folge der Krim-Invasion vor rund einem Jahr gegen 151 Personen und 37 Unternehmen aus Russland und der Ukraine ähnliche Restriktionen verhängte, war das im Westen als durchaus logischer Schritt der Bestrafung interpretiert worden. Es hat damals niemanden besonders gestört, dass hochrangige Russen im EU-Raum nicht mehr erwünscht waren, darunter Sergej Naryschkin, Vorsitzender der Staatsduma, Walentina Matwijenko, Vorsitzende des Föderationsrates, und die Putin-Berater Wladislaw Surkow und Sergej Glasjew. Jetzt schlägt Wladimir Putin nach einjähriger Schrecksekunde eben zurück, Aug‘ um Aug‘, Zahn um Zahn. Eine durchaus kindische Reaktion, doch so funktioniert die Weltpolitik nun mal.
Ein Unterschied ist allerdings nicht wegzuleugnen: Während die Union damals die Namen aller Betroffenen fein säuberlich publiziert hat, will Russland die so genannte „Visa-Sperrliste“ geheimhalten und nicht veröffentlichen. Die europäische Tagespresse stützt sich folglich nur auf spärlich durchgesickerte Informationen darüber, wen es erwischt haben soll. Es handelt sich dabei – vielleicht mit Ausnahme des früheren belgischen Ex-Premiers Guy Verhofstadt – um keine Top-Politiker, sondern vielmehr großteils um ehemalige bzw. in der zweiten oder dritten Reihe tätige Politiker. Etwa um den früheren EU-Abgeordneten Daniel Cohn-Bendit, der das System Putin als „terroristisch“ gebrandmarkt hat. Oder um Rebecca Harms, Fraktionschefin der Grünen im Europa-Parlament, die sich während des Ukraine-Konflikts als eine der schärfsten Putin-Kritiker profilieren konnte. Oder um den stellvertretenden CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden im Bundestag, Michael Fuchs, der die wirtschaftlichen Sanktionen gegen Russland mehrfach begrüßt hat.
Die Deutschen rangieren in der Schwarzen Liste aus Moskau, die EU-Infothek unten exklusiv und in kompletter Form veröffentlicht, mit acht Personen auf Rang vier. Mit 18 Namen von permanenten Russland-Kritikern liegt Polen an der Spitze, gefolgt von Großbritannien und Estland, wo es jeweils neun erwischt hat. Das Spektrum des Bannes reicht vom ehemaligen Ministerpräsidenten (Jerzy Buzek) über einstige Minister (Malcolm Rifkind) bis zu hochrangigen Militärs und namhaften EU-Abgeordneten, wobei die Mitglieder im EU-Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten, Menschenrechte, Gemeindame Sicherheit und Verteidigungspolitik (AFET) den Russen ein besonderer Dorn im Auge sein dürften.
Österreich bleibt verschont
Alles in allem ereilte der Zorn aus Moskau Staatsbürger aus 17 EU-Ländern, wobei Frankreich, die Niederlande, Belgien, Spanien, Griechenland, Bulgarien und Finnland mit einem bis drei Betroffenen glimpflich davonkamen. Gar nicht vom russischen Boykott von Putin-Kritikern betroffen sind hingegen elf Staaten, darunter Österreich (siehe Liste unten). Warum das so ist, bleibt ebenso ein Geheimnis wie die offenbar in chaotischer Manier erfolgte, willkürlich anmutende Auswahl der 89 Europäer. Diese dürfte vom russischen Inlandsgeheimdienst FSB getroffen worden sein, dem Vernehmen nach ohne Rücksprache mit den russischen Botschaften in Europa, die eine profundere Lokalkenntnis haben müssten. Und so mutet es beispielsweise merkwürdig an, dass mit dem deutschen Bundestagsabgeordneten Karl-Georg Wellmann und dem französischen Philosophen Bernard-Henri Levy justament die Proponenten der vom in Wien lebenden ukrainischen Oligarchen Dmitry Firtash kürzlich ins Leben gerufenen „Agentur für die Modernisierung der Ukraine“ bestraft werden sollen. Firtash ist bekanntermaßen alles andere als ein Russland-Gegner.
Dem CDU-Abgeordneten Wellmann, der als Vorsitzender der deutsch-ukrainischen Parlamentariergruppe fungiert, ist übrigens am 24. Mai die Einreise am Moskauer Flughafen verweigert worden, was prompt zu diplomatischen Verstimmungen zwischen Deutschland und Russland führte. Für Wellman war das „kein Zeichen von Stärke“. Andere Betroffene nehmen die Angelegenheit jedenfalls lockerer, weil es gewiss andere Vergnügungen im Leben gibt als Dienstreisen in das östliche Putin-Imperium: „Es ehrt mich, wenn mich ein totalitäres System wie Russland als Feind des Totalitarismus brandmarkt“, merkte etwa Daniel Cohn-Bendit an.
DIE SCHWARZE LISTE – IM DETAIL:
Insgesamt wurden in Moskau für 89 mehr oder minder prominente Personen aus 17 EU-Staaten Einreiseverbote verhängt. Es handelt sich großteils um ehemalige Politiker – ein früherer Staatspräsident, einige Ex-Ministerpräsidenten und frühere Minister – , aber auch um einstige und derzeitige EU-Abgeordnete, hochrangige nationale Würdenträger wie etwa Parlamentspräsidenten, sowie um militärische Führungspersönlichkeiten bzw. militärische Vertreter bei der EU und der NATO. EU-Infothek liefert als einziges österreichisches Medium die komplette Liste – geordnet nach Ländern (in Klammer die Anzahl der von Russland Boykottierten):
POLEN (18)
Jerzy Buzek
Ex-Ministerpräsident, Ex-Präsident des Europäischen Parlaments, nunmehr EU-Abgeordneter
Robert Kupiecki
seit 2012 stv. Verteidigungsminister, früher Botschafter in den USA
Jacek Saryusz-Wolski
EU-Abgeordneter, Mitglied im Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten, Menschenreche, Gemeindame Sicherheit und Verteidigungspolitik (AFET)
Bogdan Borusewicz
Vorsitzender des polnischen Senats, Mitglied des Rats für nationale Sicherheit
Zbigniew Wlosowicz
stv. Leiter des Büros für nationale Sicherheit
Stanislav Koziej
Sekretär des Nationalen Sicherheitsrats und Leiter des Büros für nationale Sicherheit
Pawel Kowal
ehemaliger Vorsitzender der EP-Delegation im Komitee für parlamentarische Zusammenarbeit EU-Ukraine
Radoslav Kujawa
als Brigadegeneral Leiter der militärischen Aufklärung sowie Leiter des Dienstes für militärische Aufklärung des Verteidigungsministeriums
Ryszard Antoni Legutko
EU-Parlamentarier in der Fraktion Europäische Konservative und Reformer“
Adam Lipinski
Sejm-Abgeordneter
Marek Henryk Migalski
ehemaliges Mitglied der EP-Delegation im Komitee für parlamentarische Zusammenarbeit EU-Russland
Agniezska Pomaska
Sejm-Abgeordnete
Marek Siwiec
ehemaliger EU-Abgeordneter, AFET-Mitglied
Marek Tomaszycki
General, Befehlshaber des „Führungskommandos“ der polnischen Streitkräfte
Andzej Falkowski
Polens Militärvertreter im Militärausschuss der NATO und der EU in Brüssel, ehemaliger stv. Leiter des Generalstabs der Streitkräfte Polens
Anna Elzbieta Fotyga
EU-Abgeordnete der Fraktion „Europ. Konservative und Reformer“, Vorsitzende des Unterausschusses für Verteidigung und Sicherheit
Maciej Hunia
Leiter der Agentur für (Auslands-)Aufklärung
Ryszard Czarnecki
stv. EP-Vorsitzender, Fraktion „Europäische Konservative und Reformer“
GROSSBRITANNIEN (9)
Nick Clegg
bisher stellvertretender britischer Premierminister und Chef der Liberaldemokraten
Malcolm Rifkind
britischer Abgeordneter und Ex-Außen- und Verteidigungsminister
Philip Dunne
bisher Staatssekretär im Verteidigungsministerium
Robert John Sawers
britischer Diplomat und Ex-Chef des Geheimdiensts MI6
Ed McMillan-Scott
liberal-demokratischer EU-Abgeordneter, ehemaliger Stv. Vorsitzender des EU-Parlaments
Andrew Parker
Generaldirektor MI5
Andrew Robathan
ehemaliger Staatsminister für Nordirland
Robert Walter
ehemaliger Abgeordneter im House of Commons
Nicolas Houghton
Chef des Verteidigungsstabs der Streitkräfte
ESTLAND (9)
Urmas Reinsalu
ehemaliger Justizminister, Vorsitzender der „Vaterlandsunion und Republik“
Odd Sven-Eric Werin
militärischer Vertreter Schwedens bei der EU und NATO
Meelis Kiili
als Brigadegeneral Befehlshaber der Landesverteidigungskräfte
Tunne Kelam
EU-Abgeodneter und AFET-Mitglied
Kristina Ojuland
ehemalige EU-Parlamentarierin und AFET–Mitglied
Andres Parve
stv. Vorsitzender der Vereinigung der Rüstungsindustrie, Leiter der estnischen Delegation in der NATO Industrial Advisory Group
Arnold Sinisalu
Generaldirektor der Sicherheitspolizei
Riho Terras
Generalmajor, Oberbefehlshaber der Streitkräfte
Arthur Tiganik
stv. Oberbefehlshaber der Streitkräfte
DEUTSCHLAND (8)
Uwe Corsepius
seit Mitte 2011 Generalsekretär des EU-Ministerrats, Europa-Berater von Angela Merkel
Karl-Georg Wellmann
CDU-Bundestagsabgeordneter und Vorsitzender der deutsch-ukrainischen Parlamentariergruppe
Rebecca Harms
Fraktionschefin der Grünen im Europa-Parlament
Daniel Cohn-Bendit
ehemaliger Europa-Abgeordnete der Grünen
Michael Fuchs
stv. Unionsfraktionsvize im Bundestag
Bernd Posselt
CSU-Politiker, ehemaliger EU-Parlamentarier der EVP-Fraktion, Bundesvorsitzender der Sudetendeutschen Landsmannschaft
Katrin Suder
Staatssekretärin im Bundesverteidigungsministerium
Karl Müllner
Generalleutnant und Inspekteur der Luftwaffe
SCHWEDEN (7)
Eva Lidström Adler
Leiterin der Steuerbehörde
Lena Aelsohn-Liljeroth
ehemalige Kultur- und Sportministerin
Gunnar Karlson
Leiter der Verwaltung für militärische Aufklärung und Spionageabwehr der schwedischen Streitkräfte
Anna Maria Corazza Bildt
stv. Vorsitzende des EP-Ausschusses für Binnenmarkt und Verbraucherschutz
Marietta de Pourbaix-Lundin
ehemalige Parlamentsabgeordnete und Leiterin der schwedischen PACE-Delegation
Magnus Söderman
Aktivist „Schwedische Widerstandsbewegung“
Gunnar Hökmark
EU-Parlamentarier, Mitglied des EP-Ausschusses für Wirtschaft und Währung
LITAUEN (7)
Vytautas Landsbergis
Ex-Präsident und Ehrenvorsitzender der „Vaterlandsunion – Christdemokraten Litauens“
Petras Austrevicius
Europa-Parlamentarier der ALDE-Fraktion
Edmundas Vaitekunas
Vorsitzender der Kommission für Radio und Fernsehen
Gediminas Grina
ehemaliger Direktor der Abteilung für Staatssicherheit
Andrius Kubilus
Mitglied des litauischen Parlaments, Vorsitzender der Partei „Vaterlandsunion – Christdemokraten Litauens“
Jovita Neliupsiene
Leiterin der Gruppe für Außenpolitik beim litauischen Präsidenten
Arturas Palauskas
Vorsitzender des Komitees für Nationale Sicherheit und Verteidigung, ehemaliger Parlamentssprecher
LETTLAND (5)
Sandra Kalniete
Ex-Außenministerin und kurtfristig Ex-EU-Kommissarin, seit 2014 EU-Abgeordnete der EVP-Fraktion
Solvita Aboltina
Sprecherin des lettischen Parlaments, Vorsitzende der Partei „Einigkeit“
Inese Vaidere
EU-Parlamentarierin und AFET-Mitglied
Roberts Zile
EU-Abgeordneter der Fraktion „Europ. Konservative und Reformer“
Artis Pabrikis
Parlamentsabgeordneter
RUMÄNIEN (5)
Iulian Chifu
ehemaliger Berater des rumänischen Präsidenten in strategischen Fragen und internationaler Sicherheit
Tiberiu-Liviu Chondon
Flotten-Befehlshaber der Seestreitkräfte
Eugen Tomac
Vorsitzender der Partei „Volksbewegung“
Gheorghe Hategan
stv. Generaldirektor des Staatsunternehmens „Transgas“
Adrian Cioroianu
ehemaliger stv. Vorsitzender der EP-Fraktion der Liberalen und Demokraten, Dekan der historischen Fakultät der Universität Bukarest
DÄNEMARK (4)
Thomas Arenkel
Leiter des militärischen Aufklärungsdienstes der dänischen Streitkräfte
Lene Despersen
früher Sprecher für Außen- und Verteidigungspolitik der Parlamentsfraktion der konservativen Volkspartei
Daniel Carlsen
Vorsitzender der „Partei der Dänen“
Per Stig Moller
Vorsitzender des Parlamentskomitees für Außenpolitik, Sprecher für EU-Politik der Fraktion der konservativen Volkspartei und ehemaliger Außenminister
TSCHECHIEN (4)
Stefan Füle
Ex-EU-Kommissar für Erweiterung und Nachbarschaftspolitik
Karel Schwarzenberg
ehemaliger Außenminister, Vorsitzender der Partei „TOP-09“, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses der Abgeordnetenkammer
Marek Zenisek
Abgeordneter und stv. Vorsitzender der Partei TOP-09
Jaromir Stetina
EU-Abgeordneter der EVP-Fraktion, stv. Vorsitzender des Unterausschusses für Verteidigung und Sicherheit
FRANKREICH (3)
Bruno Le Roux
Fraktionsführer der Sozialisten im Parlament
Bernard-Henri Levy
Philosoph, Publizist, Journalist und Verlagsdirektor
Henri Malosse
Vorsitzender des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
NIEDERLANDE (3)
Johannes Cornelis Van Baalen
Europa-Abgeordneter und AFET-Mitglied
Louis Bontes
Abgeordneter, früher Vorsitzender der Partei „Für die Niederlande“
Michiel Servaes
Abgeordneter, 2. Kammer der Generalstaaten, Arbeitspartei
BELGIEN (2)
Guy Verhofstadt
früher Premierminister, heute Chef der Liberalen im EU-Parlament
Mark Demesmaeker
EU-Abgeordneter der Fraktion „Europ. Konservative und Reformer“
SPANIEN (2)
Ramon Luis Valcarcel Siso
stv. Vorsitzender des EP, ehemaliger Präsident der Regierung der autonomen Region Murcia
José Ignacio Salafranca Sanchez-Neyra
ehemaliger EU-Parlamentarier und AFET-Mitglied
GRIECHENLAND (1)
Theodore Margellos
Miteigentümer der Consultingagentur „Informed Judgement Partners“
BULGARIEN (1)
Ilian Vasilev
ehemaliger Botschafter in Russland, Miteigentümer der Consultingfirma OAO
FINNLAND (1)
Heidi Hautala
Grüne-Europa-Parlamentarierin
Elf EU-Staaten sind von Einreiseverboten nach Russland verschont geblieben – nämlich:
ÖSTERREICH
ITALIEN
UNGARN
SLOWAKEI
SLOWENIEN
KROATIEN
MALTA
ZYPERN
LUXEMBURG
PORTUGAL
IRLAND