Donnerstag, 21. November 2024
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Griechenland: OXI und die Folgen

Das einzig Erfreuliche am griechischen Referendum ist die Tatsache, dass Finanzminister Yanis Varoufakis endlich zurückgetreten ist. Oder besser: zurückgetreten wurde.  Nach dem überraschend klaren Votum der Griechen, die sich zwischen Pest und Cholera  entscheiden mussten,  bedarf  es eines totalen Neustarts der Verhandlungen – und dafür wäre Varoufakis, der laut „Kurier“-Befund „Freund und Feind mit einer arrogant-selbstgefälligen Chuzpe gepaart mit einer erratischen Dialog-Unfähigkeit verblüffte“, die falsche Besetzung.

Alexis Tsipras, der wahrlich einen Pyrrhussieg errungen hat, muss nun beweisen, dass er mehr ist und kann als ein populistischer Traumtänzer ohne jegliche Politerfahrung und ohne auch nur minimalistisches Fingerspitzengefühl. Für ihn gilt es, Vertrauen in Brüssel aufzubauen und mit den derzeit geschockten Toppolitikern in den EU-Partnerländern umgehend konstruktive Verhandlungen aufzunehmen – auch wenn die Gesprächsbasis ziemlich ramponiert ist.

Mit schönen Worten allein – „Wir wollen ein Europa der Solidarität und der Demokratie“ – wird es nicht getan sein, so lange Tsipras und die überwiegende Mehrheit seiner Landsleute die Auffassung vertreten, dass die katastrophale Lage Griechenlands nicht dem Versagen der dortigen Politik anzulasten sei, sondern den sturen, brutalen und kompromisslosen Gläubigern in Brüssel, Frankfurt, Berlin und Washington. Wie kompliziert seine Mission in den nächsten Tagen, Wochen und Monaten sein wird, deuten etwa die Kommentatoren prominenter europäischer Zeitungen an. Sieben Passagen aus ihren Wortmeldungen:

„Der Standard“, Wien: „Das Votum ist ein Denkzettel für Europa. Nachdem der Wahlkampf und die Zeit der Schlachtrufe vorbei ist, sollten alle nach vorne schauen. Es ist Zeit für einen neuen Umgang mit den Griechen. Griechenlands Sparpolitik hat die Rezession vertieft, soziale Ungleichheiten verschärft und den Mittelstand in Bedrängnis gebracht. Eine von internationalen Institutionen forcierte Politik der Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen wird nicht richtiger, wenn sie um jeden Preis fortgesetzt wird“.

„Frankfurter Allgemeine Zeitung“: „Alexis Tsipras und seine Regierung haben ihren Wählern Unmögliches versprochen. Sie werden jetzt entweder über ihren politischen Schatten springen und sich doch mit den Partnern auf ein vernünftiges Programm einigen müssen. Oder sie werden eine weitere negative Episode in der an solchen nicht eben armen Geschichte ihres Landes bleiben. Die Menschen in Griechenland haben wahrhaft Besseres verdient“.

„Süddeutsche Zeitung“: „Die EU-Partner sind frustriert, Griechenland ist gespalten und der Verhandlungsspielraum gleich Null: So viel Schaden mit einem einzigen Polit-Manöver anzurichten, ist beeindruckend. Die Klarheit, die Volksabstimmungen hervorbringen sollen, bleibt hier aus. Sicher erscheint nur, dass die Griechen jetzt noch viel härteren Zeiten entgegengehen, als die vergangenen Jahre waren. Tsipras und seine Koalition haben das Volk mit dem Appell an nationale Emotionen, an Ehre, Würde und Widerstandsgeist, zu einem Nein zu Europa“  überredet. Es liegt jetzt wie ein Schatten über künftigen Verhandlungen“.

„Neue Zürcher Zeitung“: „Griechenlands Gläubiger können nun beim besten Willen nicht mehr davon ausgehen, dass das Land mit seiner radikallinken Regierung zu den Reformen bereit und fähig ist, die Voraussetzung für eine prosperierende Zukunft innerhalb der Euro-Zone wären. Es gibt keinen Grund mehr, dem Land mit neuen Krediten weitere Zeit zu kaufen. Ein Austritt Griechenlands aus der Währungsunion kann nicht erzwungen werden, ist aber die logische Konsequenz aus dem Volksnein. Die Syriza-Truppe soll ohne den „reichen Onkel“ aus Brüssel ihre Wege suchen müssen um Einnahmen und Ausgaben in Einklang zu bringen. Athen muss jetzt seinen eigenen, schwierigen Weg gehen — je konsequenter, desto besser. Europa wird das nicht schaden“.

„El Mundo“, Madrid: „Der Sieg von (Ministerpräsident Alexis) Tsipras ist eine Ohrfeige für Deutschland und für den harten Euro-Kern. Diese werden den Druck der öffentlichen Meinung, die gegen weitere Hilfen für die Griechen ist, kaum in Einklang bringen können mit den Forderungen der Regierung in Athen, die sich zum Beispiel weigert, das Rentenalter zu erhöhen, obwohl das derzeitige System aus finanzieller Sicht unhaltbar ist (…) Griechenland ist für die Europäische Union zu einem Riesenproblem geworden.“

„De Telegraaf“, Amsterdam: „Ein Austritt aus der Eurozone ist für das Land das beste Szenario. Das ist schmerzlich für Griechenlands Gläubiger. Der Prozess des Austretens muss dennoch so flexibel gestaltet werden, dass Griechenland Teil Europas bleibt und nicht anderen Mächten in die Arme getrieben wird. Ruhe an Europas Ostgrenze ist ein wichtiges Gut.“

„De Standaard“, Brüssel: „Wenn ein Mitgliedstaat lieber untergeht, als sich einer Politik zu beugen, die er als aussichtslos erachtet, wird dem europäischen Projekt damit das moralische Fundament entzogen. Juristisch gesehen kann nun nichts mehr verhindern, dass die Gläubiger der griechischen Nation den Gerichtsvollzieher schicken und sie damit an den Bettelstab bringen. Das ist ihr Recht, denn so sind die Regeln. Doch wenn dies das Ergebnis dieses Kräftemessens ist, hat niemand etwas davon. Griechenland nicht, die Gläubiger nicht und Europa erst recht nicht.“

Pokerface im Dilemma

Das heißt also: Die Türen stehen für Alexis Tsipras, wie allseits unentwegt bekundet wird, zwar weiterhin offen, schon allein deshalb, weil die EU-Gewaltigen eine Riesenangst vor dem Austritt Griechenlands aus der Eurozone und den damit verbundenen dramatischen Folgen haben – aber ewig werden sie sich vom pokernden Ministerpräsidenten auch nicht pflanzen lassen. Im Moment ist jedenfalls vom baldigen Staatsbankrott der Hellenen samt raschem Grexit bis zu einem Doch-noch-Kompromiss mit den Gläubigern plus spätem Reformstart im Lande alles möglich. Es wird primär am Pokerface aus Athen liegen, ehebaldigst konkrete Vorschläge auf den Verhandlungstisch zu legen, wie Griechenland aus seiner Misere herauszukommen gedenkt.

Tsipras braucht zum einen den sofortigen Goodwill der Europäischen Zentralbank, damit sich die griechischen Banken halbwegs über Wasser halten können. Und zum andern benötigt das im Schuldensumpf versinkende Land blitzartig drei Dinge: Geld, Geld und nochmals Geld, weil die nächsten Milliardenzahlungen schon sehr bald fällig sind. Das Dilemma dabei: Als kämpferischer Gegner aller Schuldenprogramme ist Tsipras seinen Landsleuten speziell nach dem klaren Nein vom Sonntag im Wort – doch ohne Zugeständnisse, die man ihm daheim übel nehmen würde, kann er das Match um Griechenlands Zukunft nicht gewinnen. Mit Sicherheit wird es daher bei den Gesprächen in den kommenden Tagen wieder um ein Thema gehen, das bereits abgehakt wurde – einen neuerlichen Schuldenschnitt. Die große Frage lautet, ob und wenn ja wie lange die genervten Geldgeber bereit sind, auf die Forderungen des Inselstaats einzugehen – schließlich könnte es sich um ein Fass ohne Boden handeln…

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