Sonntag, 24. November 2024
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Warum der Brexit allen hilft

Die Briten hatten einen schüchternen (und billigen) Zollverein gebucht – aber einen zentralistischen (und teuren) Superstaat geliefert bekommen. Der Austritt war nur eine Frage der Zeit. Gelingt er schon beim ersten Mal, wird das die EU und England positiv verändern. 

Die Beziehungen zwischen England und Europa waren von Anfang  an von Missverständnissen geprägt. Während die marktliberalen Insulaner mit einer reinen Zollunion a la NAFTA[1] zufrieden gewesen wären, musste es für die Bewohner des Kontinentes eine Sozial- und Gesellschaftsunion sein. Das ist der Hauptgrund, warum den Briten Europa von Anfang an zu teuer war. Und warum die Trennung beiden Partnern helfen wird.

De Gaulle: „Briten eigenwillig“

Als die Römischen Verträge 1957 von Frankreich, Deutschland, Italien und den Benelux-Staaten unterzeichnet wurden, blieb England skeptisch vor der Tür. Weil es aber den Vorteil gemeinsamer Märkte erkannt hatte, gründete es 1960 eilig die Konkurrenzveranstaltung Efta. Und stellte zur Vorsicht noch 1961 das Beitrittsgesuch für die Europäische Gemeinschaft.

Was Charles de Gaulle auf den Plan rief. Die Gründungsmitglieder, so der französische Staatschef 1963 schroff, seien wirtschaftlich „von gleicher Art, ohne Streit und sie wären keine Rivalen bei Macht und Dominanz“. Das (damals noch koloniale) Empire hingegen sei „insular, maritim und weltweit verpflichtet“ – und außerdem „pflegten seine Bürger sehr eigenwillige Traditionen“.[2]

Erst als de Gaulle (1969) gestorben war, sollte der EU-Beitritt Großbritanniens (gemeinsam mit Irland und Dänemark) 1973 gelingen.

 

Thatcher: „Briten-Rabatt“

Im ersten britischen EU-Referendum von 1975 war es einerseits der marxistische Teile Labors, der sich gegen – und andererseits die Wirtschaft, die sich für den Verbleib in der EU aussprachen (wobei letztere siegreich blieb). Als sich in den 1980ern aber abzeichnete, dass sich Europa von der reinen Zollunion in einen Großstaat verwandeln wollte, der verarmte Länder wie Portugal und Spanien aufnehmen und England zum Bundesland degradieren wollte, schlug die Stimmung um.

Und Margret Thatcher schlug sich einen saftigen Rabatt auf die Nettozahlungen ihres Landes heraus. Ihr Argument: Man wolle nicht für etwas bezahlen, das man gar nicht brauche: Europäische Gesetze, welche britische aushebelten, und englische Zahlungen an verarmte Südeuropäer. Von 1985 bis 2014 hatte man England 111 Milliarden Euro nachgelassen, fast vier Milliarden Euro jährlich!

 

Alles schlecht vom Kontinent

Wer mitteleuropäische Medien konsumiert, kann nicht glauben, dass England die Union ernsthaft verlassen möchte. Und wer britische Medien konsumiert, der wundert sich, warum der Brexit erst so spät gekommen ist. Denn die Engländer halten nichts von der kontinentaleuropäischen Tradition, die Wirtschaft mit scharfen Vorschriften zu gängeln, die Gewerkschaften in die Aufsichtsräte der Betriebe einzuladen und den Staat über die Geldbörsen der Bürger regieren zu lassen.

Das „linke“ Gelddrucken der Sozialpolitiker, um Wahlversprechen zu bezahlen, ist Engländern  genauso zuwider wie das Anwerfen der staatlichen Notenpresse, um die mangelnde Reformbereitschaft einzelner Länder auszugleichen.

Die Engländer trauen dem Euro nicht, weil ihr Wirtschaftsverständnis sie wissen lässt, dass eine gemeinsame Währung nicht zu gemeinsamen Mentalitäten, sondern zu ökonomischen Verwerfungen führt.

 

Die Polen kommen – und die Türken auch!

Ganz besonders wenig mögen die Engländer (mittlerweile) die Öffnung der Grenzen. Dabei waren es die Briten selber, die – im Gegensatz zu Deutschland und Österreich – 2007 auf einen siebenjährigen Zuwanderungsstopp für Menschen aus osteuropäischen Beitrittsstaaten verzichtet hatten. Mit dem Ergebnis, dass alleine fünf Millionen Polen heute England als ihre neue Heimat auserkoren haben.

Es ist die Erkenntnis (die sich mit siebenjähriger Verzögerung auch hierzulande durchzusetzen beginnt), dass das britische Sozial- und Lohnniveau südosteuropäischen Zuwanderern einen Lebensstandard bietet, den diese selbst als Hochgebildete in ihrer Heimat nur unwahrscheinlich zu Lebzeiten erreichen würden. Dabei verdrängen die neuen Zuwanderer sowohl die älteren, als auch Briten aus der Unterschicht.

Und da liegt ein weiterer Knackpunkt für jenes Empire, dessen gewaltiger Militärapparat einst ein Viertel der Welt beherrschte: Es ist die Einsicht, dass die EU weder bereit ist, die Binnenwanderung einzuschränken, noch die EU-Außengrenzen mit der Waffe gegen afrikanische oder arabische Einwanderer zu schützen.

Im Gegenteil: Es wird immer klarer, dass Brüssels Bestreben, die muslimische Türkei in die Union aufzunehmen, früher umgesetzt wird, als so manche wahrhaben wollen.

 

Was passiert beim Brexit?

Wenn die Briten „Good bye!“ sagen, dann wird vor allem die „Personenfreizügigkeit“ unter massiven Beschuss kommen. EU-kritische Bewegungen in Schweden, Österreich, Holland oder Frankreich scharren da schon in den Löchern.

Wie in Kanada oder Australien wird es plötzlich möglich sein, Zuwanderern die Sozialleistungen zu kürzen oder gar zu streichen. Projekte, Flüchtlinge mit dem Schiff aufzulesen (was ein humanitäres „must“ darstellt), sie aber zurück nach Afrika zu bringen, werden plötzlich an Fahrt gewinnen.

 

Pleitestaaten stützen

Leichter geht es jetzt auch gegen die Wirtschaft: Brüssel kann stärkere Konsumentenvorschriften erlassen, Energie und Industrie stärker subventionieren und Banken stärker kontrollieren. Schon bald wird die EU eigene Steuern erlassen – etwa auf Kerosin und Heizöl. Bisher wurde das von England abgewehrt.

Die Europäische Zentralbank kann nun Pleitestaaten stärker stützen (da stört jetzt nur mehr Bundesbank-Chef Weidmann). Die Anleihen brustschwacher Länder werden EU-weit sozialisiert, deren Zinsen von Österreich und Deutschland subventioniert (indem man nur mehr EU-Anleihen zum europäischen Einheitszins begeben kann – und nicht mehr jede Nation eigene Anleihen mit einem Zins entsprechend seiner Bonität).

 

Profitiert auch „Little Britain“?

Was nicht zusammengehört, wird jetzt endlich getrennt. England wird mit Europa noch bessere Verträge bekommen als dies den Eidgenossen gelang – zu stark ist Englands Wirtschaft mit jener des Kontinentes verbunden. Für die Teilnahme am Binnenmarkt wird man von „Great Britain“ eine vertretbar hohe Prämie kassieren, und bei der Vereinheitlichung von Normen wird man weiterhin im Gespräch bleiben.

Europa kann endlich seine Sozialunion mit gemeinsamen Steuern, einem gemeinsamen Heer und gemeinsamen Sozialstandards durchbringen, während England endlich wieder Herr im eigenen Haus ist.

Wenn dieses Haus nur nicht plötzlich etwas kleiner wird. Denn die Schotten fühlen sich mentalitätsmäßig eher zum Kontinent gehörig (sie sind gegen Atomkraft – und für einen starken Staat) – und dorthin werden sie sich bei erster Gelegenheit auch absetzen.

Was echte Briten nicht stören wird – heißt es in ihren kleinen Reihenhäuschen denn nicht „small but mine“?

 



[1] NAFTA, Abkürzung für „North Atlantic Free Trade Agreement“, bestehend aus Kanada, USA und Mexico

[2] „Der Hahn krähte“, Der Spiegel 4/1963, S. 40

 

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