Für die Europäische Union mag es ein schwacher Trost sein, dass sie sich momentan in bester Gesellschaft befindet: Donald Trump legt sich nicht nur mit ihr an, sondern zugleich auch mit Australien, Kanada, China und vor allem dem Iran, Mexiko natürlich nicht zu vergessen.
Der neue Boss im Weißen Haus scheint zwar mit der britischen Premierministerin Theresa May halbwegs klar zu kommen und sympathisiert offensichtlich mit Rechtspopulisten wie Frankreichs Marine LePen, doch Brüssel, Berlin und dem Rest von Europa steht er mit gespenstischer Distanz gegenüber. Umgekehrt machen so gut wie alle führenden EU-Politiker kein Hehl daraus, dass die bisherige Performance des US-Präsidenten am so genannten Alten Kontinent für Unverständnis, Ungewissheit und Unmut sorgt. Am meisten hat viele das Einreiseverbot für Muslime geschockt, das aber gottlob von US-Bundesrichter James Robart zumindest für’s Erste einmal aufgehoben wurde.
Eines ist jedenfalls gewiss: Trump, der täglich TV-gerecht zumeist höchst verwunderliche Dekrete zu signieren und in die Kameras zu halten pflegt, wird der EU noch beträchtliche Probleme bereiten. Seine Skepsis dem Verteidigungsbündnis NATO gegenüber wirft die Frage auf, ob sich die Mitgliedsländer künftig noch auf die Vereinigten Staaten verlassen werden können oder ob die jahrzehntelange Allianz nicht bald Geschichte sein wird. Obendrein ist so gut wie fix, dass das lange geplante, vielerorts kritisierte Freihandelsabkommen TTIP wegen Trump’s Einspruch niemals zu Stande kommen wird. Daraus folgert, dass sich Brüssel darauf gefasst machen muss, in politisch-militärischer Hinsicht nicht mehr blindlings auf den großen Bruder jenseits des Atlantiks vertrauen zu können. Und dass auch die durchaus stabilen Wirtschaftsbeziehungen zwischen Europa und den Vereinigten Staaten einen ordentlichen Dämpfer erhalten werden.
Das ist justament in einer Situation, wo die Sanktionen gegen Russland zu merklichen Rückschlägen im Außenhandel geführt haben, keineswegs lustig. Wenn es Brüssel weiterhin mit einem störrischen US-Präsidenten zu tun hat, der der Union die kalte Schulter zeigt, doch dem Kreml-Boss Avancen zu machen bereit ist, könnte der Worst Case eintreten, dass die EU in absehbarer Zeit – bildlich gesprochen – zwischen zwei Sesseln auf dem Boden sitzen wird. Während die sanktionsbedingten Rückschläge im Fall Russland noch halbwegs verkraftbar zu sein scheinen – so etwa sind die österreichischen Exporte dorthin von Jänner bis September 2016 um 9,5 Prozent und die Einfuhren um 5,4 Prozent zurückgegangen – sähe es bei einem Einbruch der Wirtschaftsbeziehungen zu den USA weitaus schlimmer aus: Die Staaten sind nämlich für die Union der wichtigste Exportmarkt und der zweitwichtigste Lieferant von Importgütern (siehe Kasten unten).
Handelskrieg statt Freihandel
Trumps oftmals strapazierte Devise „America first“ darf zweifellos als gefährliche Drohung verstanden werden – beispielsweise von den Deutschen, für die die USA der wichtigste Exportmarkt sind. Das große Zittern bei Konzernen wie BMW, Daimler, Siemens oder BASF, die sich jenseits des großen Teichs einen beträchtlichen Teil ihres Umsatzes holen, hat jedenfalls schon begonnen. Die gewaltigen Unsicherheiten, für die der völlig unberechenbare Selbstdarsteller in Washington unentwegt sorgt, macht derzeit jedwede Unternehmensplanung zum Lotteriespiel. Nicht bloß die von Trump bereits direkt bedrohten Auto-Bosse, sondern auch viele andere Topmanager von EU-Konzernen können sich darauf gefasst machen, aus seiner Sicht als potentielle Gegner in einem drohenden, aber letztlich fatalen Handelskrieg betrachtet zu werden.
Den US-Präsidenten scheint es freilich nicht im Geringsten zu stören, dass er als deklarierter Freihandels-Muffel nicht nur TTIP killen, sondern zugleich auch andere Abkommen in Frage stellen möchte: Mit der Ankündigung, den seit 1994 bestehenden nordamerikanischen Freihandels-Pakt NAFTA neu verhandeln zu wollen, stellt er Kanada und Mexiko die Rute ins Fenster. Der abrupte Ausstieg aus der von Barack Obama eingefädelten Allianz TPP (Transpazifische Partnerschaft), die als Gegengewicht zur Volksrepublik konzipiert war, hat zwar die Chinesen sehr gefreut, die elf Partnerländer indes vor den Kopf gestoßen. Es wäre nunmehr denkbar, dass sich Australien, Japan, Neuseeland, Malaysia, Singapur oder Chile auch ohne USA zusammentun, um Handelshemmnisse abzubauen. Möglicherweise werden all jene Staaten, von denen sich Trump abwendet, in Bälde gegen ihn verbünden – was auch für die Europäische Union eine faszinierende Option wäre.
Als stärkste Wirtschaftsmacht der Welt sollte die EU auf gar keinen Fall vor dem bisweilen geradezu dilettantisch agierenden Egomanen in Washington klein beigeben, sondern ihm vom Start weg mit großem Selbstbewusstsein begegnen. Naturgemäß wäre Trump – so wie Putin – daran interessiert, dass weitere Länder so wie Großbritannien der Union adieu sagen, weshalb er – so wie Putin – mit rhetorischen Kraftakten auch den Teufel an die Wand zu malen versucht. Was Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker übrigens für extrem unfair hält: „Wir fordern ja auch Ohio nicht auf, aus den Vereinigten Staaten auszutreten“, sagte er in einem „Spiegel“-Interview. Die führenden EU-Politiker müssten freilich diese Gefahr insofern ausschalten, als sie mehr als jemals zuvor Einigkeit demonstrieren, sich nicht spalten lassen, endlich einen Schulterschluss schaffen und dem Polit-Amateur die Stirn bieten. Auch die Wählerinnen und Wähler, etwa demnächst in Frankreich und Deutschland, sollten reif genug sein, um rechtspopulistische Parteien, die von ihrer permanenten EU-Kritik leben, in die Schranken zu weisen und bei den kommenden Urnengängen einen Denkzettel zu verpassen. Nur so wird der Alptraum zu verhindern sein, dass die Europäische Union zwischen Trump und Putin – also einem durchgeknallten Populisten im Westen und einem machthungrigen Autokraten im Osten – isoliert beziehungsweise sogar aufgerieben werden könnte.
Die derzeit beliebten Spekulationen, dass Trump und der Kreml-Boss schon bald ein Herz und eine Seele sein könnten, sind freilich ziemlich realitätsfern, sodass allzu große Sorgen diesbezüglich nicht angebracht zu sein scheinen. Die kurzfristige Hoffnung ist auf jüngsten Ankündigungen seitens der Trump-Administration begründet, wonach erstens die NATO nicht umgehend zertrümmert werden soll und zweitens die US-Sanktionen gegenüber Russland vorerst aufrecht bleiben. Mittelfristig mag es durchaus ein besseres Gesprächsklima zwischen den beiden geben, was wiederum dazu führen könnte, dass der Polit-Profi in Moskau den Polit-Amateur in Washington nach Belieben über den Tisch ziehen wird. Langfristig werden sich die beiden höchst unterschiedlichen Charaktere freilich wohl niemals wirklich gut verstehen, weil sie als Alpha-Tiere letztlich zu egozentrisch, zu machtbewusst, zu kompromisslos sowie zu unberechenbar sind.
Fazit: Die EU muss sich zwar damit abfinden, dass in den transatlantischen Beziehungen eine neue Ära eingeläutet wird, aber deshalb nicht sofort in die Hose machen. Auch wenn Trump die amerikanische Außenpolitik der vergangenen 70 Jahre in Frage zu stellen scheint, wird Europa nicht gleich automatisch untergehen. Rats-Präsident Donald Tusk, den der US-Präsident erst kürzlich in einem Interview glatt mit Jean-Claude Juncker verwechselt hat, sollte daher lieber nicht „die schwierige Lage der Europäischen Union“ auf Grund „beunruhigender Erklärungen Trumps“ beklagen, sondern, ähnlich wie Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem, besser auf Offensive setzen: Der erklärte nämlich, dass man sich nicht zurücklehnen und untätig abwarten dürfe, was im Weißen Haus noch alles passiert, sondern sich um neue Handelspartner umsehen solle – gemeint waren etwa die Chinesen…
DIE NACKTEN FAKTEN
Die EU, auf die ein Fünftel des weltweiten Bruttoinlandsprodukts entfällt, ist längst die stärkste Wirtschaftsregion der Welt. Mit jährlichen Exporten und Einfuhren in Höhe von jeweils weit mehr als 2000 Milliarden Euro nimmt sie die Spitzenposition im Warenhandel ein und liegt auch beim Handel mit Dienstleistungen klar in Führung. Bei den Warenausfuhren sind die USA der wichtigste Zielmarkt, gefolgt von China, der Schweiz und der Türkei. Was die Importe anlangt, liegt die Volksrepublik auf Platz eins – vor den USA und Russland. Beim Handel mit Dienstleistungen wiederum sind die Staaten, die EFTA-Länder sowie Asien die wichtigsten Partner.
Aus US-amerikanischer Sicht sieht das Bild anders aus: Nach dem mit Abstand größten Exportmarkt folgen – etwa gleichauf – die EU sowie Mexiko, dahinter rangieren mit Respektabstand China und Japan. Bei den Importen liegt China vor der Europäischen Union in der Poleposition, Mexiko und Kanada folgen auf den Rängen Zwei und Drei. Das heißt also: Wenn Donald Trump wie angekündigt auf Protektionismus setzt, womit sich automatisch die Wirtschaftskontakte zu China, Mexiko und der EU verschlechtern würden, könnte er zwar das monströse US-Handelsbilanzdefizit (2015: Milliarden Dollar) eindämmen, zugleich käme es jedoch zu beträchtlichen negativen Auswirkungen für alle Beteiligten und drastischen Veränderungen im Welthandel.
Wie wichtig sind die USA für Österreich? Lediglich 6,6 Prozent der rot-weiß-roten Exporte landen in den Staaten – das ist nicht einmal ein Zehntel dessen, was in EU-Länder ausgeführt wird. Immerhin handelt es sich um den nach Deutschland (mit rund 31 Prozent) größten Exportmarkt, der wert- und anteilsmäßig noch vor Italien und der Schweiz rangiert. Von den österreichischen Importen kommen etwas mehr als vier Prozent aus den USA, jedoch mehr als 71 Prozent von EU-Lieferanten. Die US-Amerikaner belegen in der Einfuhr-Statistik nach Deutschland, Italien, China, der Schweiz und Tschechien nur Rang Sechs. |