Das jüngste Krisengespräch zwischen der EU und der Türkei hat erwartungsgemäß nichts gebracht: Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu verteidigte die Festnahme mehrerer Menschenrechtler, mit der das Regime Erdogan erneut für eine Eskalation gesorgt hatte.
Der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini und Erweiterungskommissar Johannes Hahn ist es nicht gelungen, die Gegenseite zum Einlenken zu bewegen. Der wochenlange Konflikt speziell rund um die Inhaftierung des deutschen Menschenrechtlers Peter Steudtner, des Korrespondenten der deutschen Tageszeitung „Welt“, Deniz Yücel, und der Landesdirektorin von Amnesty International, Idil Eser, wurde also prolongiert.
Trotz der extrem belasteten Beziehung zwischen Brüssel und Ankara stellte Mogherini zum wiederholten Mal fest, dass die Türkei ein EU-Beitrittskandidat sei und auch bleibe. Sie forderte allerdings – wie schon so oft – die Einhaltung rechtsstaatlicher Standards in der Türkei, konkret im Bereich von Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechten, Demokratie und Medienfreiheit. Der Österreicher Hahn hingegen, ganz auf Linie seines neuen Parteichefs Sebastian Kurz, tendierte eher zu einer härteren Tour: Seit dem gescheiterten Militärputsch habe die Vorgangsweise der türkischen Regierung in den EU-Mitgliedsstaaten so große Besorgnis ausgelöst, sagte er, dass diese im Dezember entschieden, die Beitrittsverhandlungen nicht mehr auszuweiten. Ein klares Nein zur Türkei sieht zwar anders aus, doch ein solches Nein kommt offensichtlich aus taktischen Gründen vorerst noch von keinem hochrangigen EU-Politiker.
Auf Erdogan Spuren
Eine konsequente, einheitliche Haltung der EU wäre allerdings angebracht: Die Türkei wurde nämlich schon jahrzehntelang mit allen möglichen Mätzchen hingehalten, sodass man ihr jetzt, angesichts der immer größer werdenden Distanzierung und Entfremdung, keine falschen Hoffnungen mehr machen, sondern endlich reinen Wein einschenken sollte. Die Fakten sind klar: Der aggressive Kurs des islamisch-konservativen Alleinherrschers Recep Tayyip Erdogan, der sich seit geraumer Zeit wie ein Irrer aufführt, fast alle demokratischen Spielregeln ignoriert und nach Belieben schalten und walten möchte, wobei er selbst vor der Einführung der Todesstrafe nicht Halt zu machen scheint, ist mit dem in Europa üblichen Wertesystem nicht vereinbar, weshalb die Türkei in der Europäischen Union nichts verloren hat.
Ein solcher Schritt würde höchstwahrscheinlich auch den beiden Enfant Terribles innerhalb der Union zu denken geben, die irgendwie auf Erdogans Spuren wandeln und mit ihm so etwas wie ein politisches Trio Infernal bilden: Der eine ist Jaroslav Kaczynski, seines Zeichens Chef der polnischen Regierungspartei
PiS (Prawo i Sprawiedliwość – auf Deutsch witzigerweise: Recht und Gerechtigkeit), der andere der ebenso autoritäre wie eigenwillige ungarische Ministerpräsident Viktor Orban. Bei beiden Herrschaften handelt es sich um ausgeprägte Polit-Selbstdarsteller mit Hang zu absolutistischem Gehabe, die im Umgang mit der Macht so ihre Probleme zu haben scheinen: Kaczynski, bei der nationalkonservativen, rechtspopulistischen, christdemokratischen und EU-skeptischen Regierungspartei seit 2015 der starke Mann im Hintergrund, führt unter anderem bei der höchst umstrittenen Justizreform Regie. Diese hat zum einen EU-weit für Aufruhr gesorgt, weil sie das Ende der polnischen Rechtsstaatlichkeit einläuten würde, und zum anderen für massive Protestaktionen im Lande selbst, die Staatspräsident Andrzej Duda bewogen, sein Veto gegen das durch die zwei Parlamentskammern geschleuste Gesetzespaket einzulegen.
Viktor Orban wiederum, der gerne im Stil totalitärer Herrscher agiert, andere Meinungen kaum duldet und so oft wie möglich auf Widerspruch setzt, hat in Worten und Taten schon oftmals bewiesen, dass Autoritarismus und Nationalismus für ihn und seine Fidesz-Partei ganz oben rangieren. Im Laufe der Jahre hat er beispielsweise die Zuständigkeiten des Verfassungsgerichts eingeschränkt, per neuem Mediengesetz die Pressefreiheit stark reduziert, etliche klassische Instanzen der demokratischen Kontrolle geschwächt, sich vor allem aber unentwegt mit Brüssel in zahlreichen Detailfragen, allen voran in der Asylpolitik, angelegt. Orban ist innerhalb der Union längst zum Fremdkörper geworden, immer gut für schräge Ansichten, derbe Provokationen und unkooperative Haltungen – ein beim Volk gar nicht einmal unbeliebter Politiker, für den Solidarität ein absolutes Fremdwort darstellt.
Ungarns Premier, der sich seit Mai 2010 an der Macht hält, ist im Vorjahr freilich bei einem Referendum über die EU-Quoten für Asylbewerber gescheitert, desgleichen an einer von ihm angepeilten Verfassungsänderung bezüglich Ansiedlung von Nicht-EU-Bürgern in Ungarn – in beiden Fällen wurde das erforderliche Maß der Zustimmung nicht erreicht. Seine Zweidrittel-Mehrheit ist jedenfalls futsch, und ob die Ungarn die Fidesz-Partei bei der nächsten Parlamentswahl 2018 wiederum zur Nummer Eins machen, darf zumindest bezweifelt werden. Die sozialistische MSZP und die rechtsextreme Partei Jobbik scharren jedenfalls bereits in den Startlöchern.
Der Tag X kommt…
Die rechten Extremisten in ganz Europa, die jahrelang und vielerorts wie der Teufel gefürchtet waren, sind aus heutiger Sicht – siehe Niederlande, siehe Frankreich – gar nicht mehr das primäre Problem. Die demokratiepolitischen Gefahren, für die nationalkonservative Politiker vom Schlage eines Jaroslav Kaczynski oder eines Viktor Orban sorgen, sind nämlich ungleich höher einzuschätzen. Die polnische Regierung unter der marionettenhaften Ministerpräsidentin Beata Szydło wird, ist zu befürchten, trotz Präsidentenveto an ihrem Vorhaben festhalten – auch wenn das eigene Volk und die EU-Gewaltigen in Brüssel weiterhin auf die Barrikaden steigen, demonstrieren bzw. protestieren. Die einzige Hoffnung, dass der drohende Horror letztlich doch noch an den Menschen vorbeizieht, ist in einer Demokratie immer der nächste Wahltag. In Polen wird für die mit absoluter Mehrheit regierende PiS voraussichtlich erst im Herbst 2019 die Stunde der Wahrheit schlagen. Derzeit sind laut aktuellen Meinungsumfragen noch keine Sensationen zu erwarten, aber wenn die Regierung ihre Hardliner-Politik nicht aufgibt, was unwahrscheinlich ist, könnte den Wählerinnen und Wählern noch rechtzeitig dämmern, was sie mit ihrer letzten Entscheidung an der Wahlurne eigentlich angerichtet haben. Und dann könnte Polen womöglich zur Normalität zurückkehren…