Donnerstag, 21. November 2024
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Wahlen 2017: Ein Rückblick mit Vorschau

Bild: © stux/Pixabay (Ausschnitt)

Die Resulate der deutschen Bundestagswahl sind Fakten. Daran lässt sich manche Überlegung zur österreichischen Nationalratswahl knüpfen.

Was lässt sich aus dem dramatischen Wahlergebnis in Deutschland für den 15. Oktober in Österreich ableiten?

Acht objektive Wahrnehmungen im Nachbarland und ebenso viele – durchaus subjektive – Anmerkungen zur enorm spannenden Nationalratswahl bei uns:

1. Faktum ist, dass die Große Koalition in Deutschland von den Wählern kräftig abgestraft wurde: Die CDU/CSU verlor fast neun Prozentpunkte, die SPD büßte mehr als fünf ein.

In Österreich muss, wie’s derzeit aussieht, nur der größere Koalitionspartner SPÖ einen Denkzettel befürchten. Der kleinere Koalitionspartner indes – die nunmehr türkise Liste Kurz – könnte einen Machtwechsel schaffen, weil er sich unter neuer Führung als Bewegung der Erneuerung zu positionieren versteht.

2. Faktum ist, dass die christdemokratische Parteichefin der Union, Angela Merkel, Kanzlerin und damit weiterhin politische Primaballerina im Nachbarland und der Europäischen Union bleibt.

Im Gegensatz zur 63jährigen Merkel, die nach 12 Jahren an der Spitze Europas Polit-Profi schlechthin ist, wird bei uns – sofern nicht noch ein Wunder geschieht – künftig ein 31-jähriger Jungstar vom Wiener Ballhausplatz aus die Republik führen. Sebastian Kurz dürfte jedoch trotz gegenteiliger Prognosen der Meinungsforscher kaum an Merkels 33 Prozent herankommen.

3. Faktum ist, dass die CDU/CSU immer noch zu den wenigen konservativen Parteien Europas zählt, die sich an der Spitze behaupten können. Ihre Schwesterparteien etwa in Frankreich, Portugal, Polen, Griechenland oder Finnland sind hingegen bereits vor Jahren tief abgestürzt.

Mit einem Wahlsieg würde Sebastian Kurz die ÖVP nach elf Jahren wieder in die Pole-Position bringen und den europäischen Volksparteien zu einem sensationellen Triumph verhelfen. Und dies ganz gegen den Trend.

4. Faktum ist, dass die SPD, die mit 20,5 Prozent das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte eingefahren hat, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in Opposition gehen wird.

Falls Kanzler Christian Kern nach verlorener Schlacht nicht sogleich wieder in die Wirtschaft flüchtet, wird er wohl dem Beispiel von Martin Schulz folgen und ebenfalls Oppositionschef der Sozialdemokraten werden: Die Chance hierfür steht ungefähr 80:20. Die Alternative wäre freilich, dass die Roten unter neuer Führung – die Rede ist von Heeresminister Hans Peter Doskozil – Juniorpartner der Türkisen werden, um mit aller Gewalt an der Macht zu bleiben.

5. Faktum ist, dass Angela Merkel höchstwahrscheinlich eine so genannte Jamaika-Koalition schmieden, sich also die Grünen und zugleich die wieder in den Bundestag einziehende FDP anlachen wird müssen. Das kann lange dauern, weil es keine gesetzlichen Fristen gibt, was wiederum heißt, dass die Kanzlerin von den potenziellen Partnern kaum unter Druck gesetzt werden kann.

Eine vermutlich ähnlich schwierige Aufgabe kommt auf Sebastian Kurz zu: Er dürfte es freilich auf Grund ähnlicher Wahlprogramme auf eine Koalition mit den Blauen abgesehen haben, obwohl er sich im Wahlkampf beinahe täglich mit HC Strache in den Haaren liegt: Ab 16. Oktober wird zwangsweise die türkis-blaue Harmonie angesagt sein.

6. Faktum ist, dass der Sprung der wahlweise als rechtspopulistisch, rechtsextrem oder rechtsradikal eingestuften AfD in den Bundestag für die meisten Deutschen eine als Schock empfundene Premiere darstellt, welche massive und langwierige politische Auseinandersetzungen nach sich ziehen dürfte.

In Österreich werden die Freiheitlichen zwar fast doppelt so stark werden als ihre AfD-Freunde, doch wird dies trotzdem wesentlich gelassener aufgenommen werden, wenn die beileibe nicht so rechtsextreme FPÖ in die Regierung einzieht. Ein beträchtlicher Teil der Wählerinnen und Wähler wünscht sich das sogar: Weil erstens hatten wir das schon zwei Mal, und zweitens hat sich die Alternative Türkis/Rot bereits grandios selbst disqualifiziert.

7.   Faktum ist, dass die Protestpartei AfD mit 12,6 Prozent drei kleinere Mitbewerber abhängen konnte, die das naturgemäß sehr schmerzt: Die Linken (9,2 %) und Grünen (8,9 %) zweifellos noch mehr als die FDP, die bei ihrem Comeback auf 10,7 Prozent der Stimmen kam und wahrscheinlich wieder in die Bundesregierung einziehen wird. Auch die Grünen haben wider Erwarten jene kritische Größe geschafft, die ihnen eine Regierungsbeteiligung ermöglicht.

In Österreich spielen die Kleinparteien eine vergleichsweise geringe Rolle: Das Potenzial der Grünen dürfte zwar in etwa gleichbleiben; allerdings wird ihnen die erstmals antretende Liste Peter Pilz von den 12,4 Prozent im Jahr 2013 im Extremfall etwa die Hälfte abnehmen. Die NEOS wiederum, die mit etwas Phantasie durchaus mit der FDP vergleichbar sind, werden voraussichtlich nicht annähernd so viele Stimmen und Mandate erreichen wie FDP-Chef Christian Lindner. Die drei genannten Parteien kämen also mit einem Wählerpotenzial von rund 17 Prozent theoretisch als Regierungspartner von Sebastian Kurz bloß in einer Vierer-Konstellation in Frage, was freilich ein aufgelegter Blödsinn wäre.

8. Faktum ist, dass in Deutschland erstens mit Angela Merkel und ihren (vermeintlichen) Fehlern abgerechnet wurde und dabei auch der sozialdemokratische Newcomer Martin Schulz unter die Räder kam, weil er nicht als echte Alternative gesehen wurde. Trotzdem sichert das Wahlergebnis weitgehend eine politische Kontinuität ab:  Für einen Kurswechsel hat es jedenfalls nicht gereicht.

Anders in Österreich: Hier wird am 15. Oktober der Wunsch nach einem Neustart weitaus stärker ausgeprägt sein als am 24. September bei unseren Nachbarn. Dass viele dieses Kunststück am ehesten justament der konservativen Volkspartei zutrauen, der ein frisch-modernes Dessin und eine perfekte Marketingstrategie verpasst wurde, ist einigermaßen erstaunlich und auch durchaus riskant. Es wird an Sebastian Kurz liegen, zu beweisen, dass er bereits reif genug ist, diesen schweren Rucksack zu übernehmen. Bleibt zu hoffen, dass er der Last auch gewachsen ist und seine vielen Versprechen auch nur halbwegs umsetzen kann…

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