Die Tagesordnung wackelt. Für Dienstag vormittag ist im Europäischen Parlament um elf Uhr ein Auftritt des Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, vorgesehen. Um zwölf Uhr sollten die Europa-Abgeordneten über die neue europäische Bankenaufsicht abstimmen. Doch noch ringen Draghi und der Präsident des Europäischen Parlaments Martin Schulz um einen Kompromiss, der sicherstellt, dass die Abstimmung tatsächlich wie geplant stattfinden kann.
[[image1]]Bisher sind die Abgeordneten nicht zufrieden mit den Auskunftspflichten, die sich die EZB künftig bei der Bankenaufsicht auferlegen will.
Mit den Verhandlungen Vertraute halten eine Einigung für möglich „Aber dazu muss sich die EZB bewegen“, sagte der finanzpolitische Sprecher der Grünen im Europäischen Parlament, Sven Giegold, der Nachrichtenagentur Reuters. Druck für eine Einigung besteht durchaus, denn jede Verzögerung bei der Abstimmung wird die europäische Bankenaufsicht weiter hinausschieben. Ohne das Plazet der Parlamentarier können beispielsweise keine Personalentscheidungen getroffen werden. Die neue Bankenaufsicht benötigt 1000 neue Mitarbeiter.
Im Mittelpunkt der aktuellen Verhandlungen steht die Transparenz der europäischen Bankenaufsicht bei der EZB. Die Parlamentarier verlangen Einblick in die Sitzungsprotokolle des Gremiums und begründen das mit der Kontrollfunktion der Volksvertreter. Der EZB geht ein solches Maß an Transparenz aber zu weit. Sie argumentiert, dass im Zweifel zu viel Details über Banken an die Öffentlichkeit geraten könnten.
Als Kompromissangebot hatte die EZB vorgeschlagen, künftig „Zusammenfassungen“ nach Brüssel zu schicken, die Einblick in die nicht-vertraulichen Diskussionen und Entscheidungen geben würden. Doch dies reicht den Abgeordneten quer durch die Fraktionen nicht aus.
Das zähe Ringen zwischen EZB und den Abgeordneten hat gleich mehrere Gründe.
Europa-Abgeordnete wollen eine wichtigere Rolle bei der Euro-Rettung spielen
Bisher hat das Europäische Parlament bei der Eurorettung eine Nebenrolle gespielt. Die Rettungspakte für die Programmländer haben die Finanzminister im Rat beschlossen, ohne dass die Abgeordneten hätten eingreifen können. Auch auf den Rettungsschirm ESM haben die Parlamentarier keinen Einfluss. Dies erklärt, warum sie nun bei der Bankenaufsicht die Chance sehen, endlich ein entscheidendes Wort mitzureden. Diese Chance haben sie von Anfang an genützt, indem sie darauf gepocht haben, dass die gesamte Gesetzgebung für die Bankenaufsicht durch das Parlament muss und nicht nur ein Teil, wie anfangs vorgesehen.
Gleichzeitig geht es auch um eine wichtige Grundsatzfrage: Wie viel parlamentarische Kontrolle ist die EU bereit, in einem so wichtigen Projekt wie der Bankenunion zu gewähren? EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy etwa betont gerne, dass die Frage nach der parlamentarischen Aufsicht zentral für die Fortsetzung des europäischen Projekts ist. Bereits jetzt monieren Kritiker das Demokratiedefizit der EU. Ein ernstes Nachdenken über die parlamentarische Kontrolle in der Bankenunion ist deshalb angebracht.
Erschwert werden die aktuellen Verhandlungen allerdings von der Tatsache, dass die interinstitutionelle Vereinbarung zwischen EZB und Europäischem Parlament ein Novum ist. Es gibt keinerlei Vorbild, an dem sich beide orientieren könnten. Zudem war die EZB in der Geldpolitik absolute Unabhängigkeit gewohnt, wie sie ihr die Verträge zusichern. Es wird ein echter Kulturwandel für die Institution, dass sie nun bei der Bankenaufsicht rechenschaftspflichtig wird.
Parlamentarier können die Bankenaufsicht blockieren
Die Abgeordneten haben eine starke Waffe in der Hand, indem sie die Bankenaufsicht vorübergehend blockieren können. Die Bankenaufsicht wird schon nach dem bisherigen Zeitplan später an den Start gehen als ursprünglich geplant. Herbst 2014 galt bisher als realistisch, aber wenn die Abgeordneten mauern, würde sich dieser Termin nach hinten verschieben.
Geplant ist, dass die neue europäische Bankenaufsicht die rund 130 größten Banken der Eurozone überwacht. Damit würde 85 Prozent der Bilanzsumme aller Banken in den Euro-Staaten künftig von Frankfurt aus kontrolliert. Bei Bedarf soll die Europäische Aufsicht auch kleinere Banken in den Euro-Staaten an die Kandare nehmen können. Fahrlässige Bankenaufsicht war ein Auslöser der Eurokrise. In Irland und Spanien etwa hatten Aufseher die Risiken ignoriert, die sich im Bankensektor ansammelten. Die EZB hatte die entsprechenden Aufseher zwar auf die Probleme aufmerksam gemacht, konnte aber bisher in solchen Fällen nicht durchgreifen.