Mittwoch, 18. Dezember 2024
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Die „Westbalkan-Strategie für eine glaubwürdige Erweiterungsperspektive“ der Europäischen Kommission (2018): Sechs Leitinitiativen mit ihren Implikationen

Außenministerkonferenz im Rahmen der Westbalkankonferenz Wien 2015. Foto © CC Wikimedia/Dragan Tatic

Nachdem Jean-Claude Juncker gleich zu Beginn seiner Tätigkeit als Präsident der Europäischen Kommission vor mehr als drei Jahren jedwede Erweiterung der Europäischen Union während seiner Amtszeit kategorisch ausgeschlossen hatte, wendete sich unter dem wachsenden Einfluss Chinas, Russlands und islamischer Staaten auf dem Westbalkan das Blatt [1].

Nachdem er diesen Paradigmenwechsel bereits in seiner Rede zur Lage der Union im September 2017 angekündigt hatte, legte die Kommission Anfang Februar 2018 ihre neue Erweiterungsstrategie vor und kündigte auch ein verstärktes Engagement zugunsten der noch nicht der EU beigetretenen sechs Westbalkanländer an, deren Transformations- und Reformbemühungen unterstützt werden sollen.Das für die Europäische Nachbarschaftspolitik (ENP) und Erweiterungsverhandlungen zuständige Mitglied der Europäischen Kommission, Johannes Hahn, wies in diesem Zusammenhang auf die geopolitisch exponierte Situation dieser Staaten hin, indem er anmerkte, dass der Westbalkan „eine von EU-Mitgliedstaaten umgebene Enklave ist“ [2], für die die Tür der Union aber offensteht. Der dabei angedachte Zeithorizont bis 2025 ist allerdings weder als feststehendes Beitrittsdatum für die am weitesten fortgeschrittenen Westbalkanstaaten Montenegro und Serbien, noch als allgemeine Zielvorgabe zu verstehen, sondern stellt lediglich einen möglichen Zeithorizont dafür dar. Ob dieser ausgenützt werden kann, wird davon abhängen, inwiefern es diesen beiden Westbalkanstaaten gelingt, vor allem die „Kopenhagener Kriterien“, aber auch die „Agenda von Thessaloniki“, zu erfüllen.

Von den „Kopenhagener-Kriterien“ (1993) über die „Agenda von Thessaloniki“ (2003) zur „EU-Strategie für den Westbalkan“ (2018)

Durch die sog. „Kopenhagener Kriterien“, die vom Europäischen Rat von Kopenhagen am 21./22. Juni 1993 für die fünfte Erweiterung der EU (sog. „Ost-Erweiterung“) festgelegt wurden, wurden als Voraussetzung für den Beitritt der mittel- und osteuropäischen Länder (MOEL) zur EU folgende Kriterien postuliert:

a) Institutionelle Stabilität als Garantie für die demokratische und rechtsstaatliche Ordnung, Wahrung der Menschenrechte sowie Schutz der Minderheiten (politisches Kriterium);

b) Eine funktionsfähige Marktwirtschaft sowie Fähigkeit, dem Wettbewerbsdruck des Binnenmarktes standzuhalten (wirtschaftliches Kriterium);

c) Übernahme der Verpflichtungen aus der Mitgliedschaft (sog. „acquis communautaire“), einschließlich der Ziele der Politischen Union und der Wirtschafts- und Währungsunion (sonstige Verpflichtungen) [3].

Ausgehend von den Erfahrungen im Rahmen der fünften Erweiterung ergänzte der Europäische Rat auf seiner Tagung vom 16./17. Dezember 2004 diese Kriterien um weitere Vorgaben, die insbesondere

d) die vollständige Erfüllung der Verpflichtungen aus der Mitgliedschaft sowie

e) die Beachtung der grundlegenden Werte der Union (sog. „Verfassungsgrundsätze“) samt dem Sanktionsverfahren des Art. 7 EUV betrafen. Neben diesen Beitritts-Kriterien für Drittstaaten wurde auch noch ein Kriterium für die EU selbst postuliert, nämlich deren Fähigkeit zur Aufnahme weiterer Mitglieder (sog. „Aufnahmefähigkeitskriterium“) – und zwar sowohl in finanzieller als auch institutioneller Hinsicht.

Neben diesen allgemeinen Kriterien für den Beitritt der MOEL gab die EU aber für den engeren Kreis der sieben Westbalkanländer (Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Kroatien, die Frühere Jugoslawische Republik Mazedonien (FYROM) [4], Montenegro und  Serbien) in der sog. „Agenda von Thessaloniki für die westlichen Balkanstaaten: Auf dem Weg zur europäischen Integration“ ein spezielles Versprechen für eine Beitrittsperspektive ab: So erklärte der Europäische Rat im Abschlussdokument seiner Tagung vom 19./21. Juni 2003 in Thessaloniki Folgendes: „Die EU bekräftigt, dass sie die europäische Ausrichtung der westlichen Balkanstaaten vorbehaltlos unterstützt. Die Zukunft der Balkanstaaten liegt in der Europäischen Union (…). Die westlichen Balkanstaaten verpflichten sich, iSd Agenda von Thessaloniki konkrete Ziele und Initiativen in den folgenden Bereichen zu fördern: regionaler Freihandel, visafreier Verkehr innerhalb der Region, Einsammeln von Kleinwaffen, Schaffung regionaler Elektrizitäts- und Gasmärkte, Ausbau der Verkehrs-, Energie- und Telekommunikationsinfrastrukturen, Umwelt und Wasserbewirtschaftung, Forschung, Technologie und Entwicklung, grenzüberschreitende Zusammenarbeit und parlamentarische Kooperation“[5]. Der seinerzeitige Kommissionspräsident, Romano Prodi, bezeichnete die Annäherung der Westbalkanstaaten an die EU und deren spätere Mitgliedschaft als „unumkehrbarer Prozess“ [6].

Dieser „Westbalkan-Gipfel 2003“ fand seine Fortsetzung in den „Westbalkan-Konferenzen“ (sog. „Berlin-Prozess“), die auf deutsche Initiative seit 2014 jedes Jahr in unterschiedlichen Hauptstädten der Westbalkanstaaten stattfinden. In der Abschlusserklärung des Vorsitzes der ersten Konferenz zum Westbalkan in Berlin, am 28. August 2014, heißt es unter anderem: „Die heutige Konferenz soll den Anstoß zu einer Periode von vier Jahren geben, in der wir uns gemeinsam verstärkt um weitere konkrete Fortschritte im Reformprozess, bei der Lösung der offenen bilateralen und innerstaatlichen Fragen sowie bei der Versöhnung innerhalb und zwischen den Gesellschaften in der Region bemühen wollen (…) Wir haben gemeinsam entschieden, in den kommenden vier Jahren bis 2018 jährlich in diesem Format zusammenzukommen“[7]. Der vorläufig letzte Westbalkan-Gipfel wird am 17. Mai 2018 in Sofia stattfinden, auf dem die europäische Perspektive für die ganze Region des Westbalkans – 15 Jahre nachdem diese Staaten durch die „Agenda von Thessaloniki“ erstmals eine solche EU-Perspektive erhalten haben – bekräftigt werden soll. Knapp vorher will die Kommission ihre Länderberichte zu den einzelnen Kandidatenländern vorlegen [8].

Als Beleg für die enge wirtschaftliche Verflochtenheit der Staaten des Westbalkan mit der EU sei nur darauf hingewiesen, dass sich der Handel dieser Staaten – mit einer Gesamtbevölkerung von 18 Mio. Einwohnern – mit der EU im Jahr 2016 auf insgesamt mehr als 43 Mrd. Euro belief, was ca. 70% des gesamten regionalen Handels entsprach. Die EU ist damit der größte Handelspartner mit der Region des Westbalkan. Mit mehr als 10 Mrd. Euro an ausländischen Direktinvestitionen, allein in den letzten fünf Jahren, sind Unternehmen aus der EU auch die größten Investoren in der Region des westlichen Balkan [9]. Allein in den Kosovo investiert(e) die Europäische Kommission in der Periode von 2014 bis 2020 645,5 Mio. Euro, von denen 94,2 Mio. in die Bereiche Beschäftigung, Sozialpolitik und Bildung gingen bzw. gehen [10].

 

Die EU-Strategie für den Westbalkan (2018)

Wie von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker bereits in seiner Rede zur Lage der Union vom 13. September 2017 angekündigt, legte die Europäische Kommission am 6. Februar 2018 ihre Mitteilung „Eine glaubwürdige Erweiterungsperspektive für und ein verstärktes Engagement der EU gegenüber dem westlichen Balkan“[11] vor, mit der sie bekräftigt, dass die europäische Zukunft der Region eine geostrategische Investition in ein stabiles, starkes und geeintes Europa darstellt, das auf gemeinsamen Werten beruht. Konkret enthält die Strategie einen Aktionsplan mit sechs Leitinitiativen, die auf spezifische Bereiche von gemeinsamem Interesse abzielen und für die im Zeitraum 2018 bis 2020 spezielle Maßnahmen vorgesehen sind:

(1) Stärkung der Rechtstaatlichkeit: Einbeziehung des gesamten westlichen Balkans in detaillierte Aktionspläne zur Angleichung an die rechtstaatlichen Standards der EU und ihrer Mitgliedstaaten. Die Bewertung der Umsetzung der Reformen wird verbessert, auch durch neue Beratungsmissionen in allen Ländern;

(2) Sicherheit und Migration: Intensivierung der Zusammenarbeit bei der Bekämpfung des Terrorismus, der organisierten Kriminalität und des gewalttätigen Extremismus sowie Verbesserung der Grenzsicherheit und des Migrationsmanagements. Verstärkte Zusammenarbeit mit den Agenturen der EU in den Bereichen Grenzsicherung und Migrationsmanagement. Entsendung von Europol-Verbindungsbeamten in die Region sowie stärkere Förderung gemeinsamer Ermittlungsgruppen und Abschluss von Statusvereinbarungen mit FRONTEX;

(3) Sozioökonomische Entwicklung: Verstärkte Vergabe von Garantien für private Investitionen, Unterstützung für Start-up-Unternehmen und KMU sowie Förderung von Handelserleichterungen. Stärkere Unterstützung der Sozial- und Wirtschaftspolitik sowie der Bildungs- und Gesundheitspolitik. In diesem Zusammenhang sollen die Mittel von ERASMUS+ verdoppelt werden;

(4) Anbindung an die Verkehrs- und Energienetze: Ausdehnung der Energieunion der EU auf die sechs Staaten des Westbalkan. Die Fazilität „Connecting Europe“ soll in den Ländern des Westbalkans effizienter genutzt werden;

(5) Digitale Agenda: Senkung der Roaming-Kosten, Ausbau der Breitband-Verbindungen in der Region sowie der elektronischen Behördendienste, der elektronischen Auftragsvergabe und des elektronischen Gesundheitsdienstes;

(6) Aussöhnung und gutnachbarliche Beziehungen: Unterstützung bei der Beilegung der mannigfachen Konflikte in der Region – wie zB des Territorialkonflikts zwischen Slowenien und Kroatien in der Bucht von Piran, des Namensstreits zwischen Mazedonien (FYROM) und Griechenland [12], der Nichtanerkennung des Kosovo als souveräner Neustaat [13] durch die fünf EU-Mitgliedstaaten Griechenland, Spanien, Slowakei, Rumänien und Zypern [14], obwohl bereits 112 der 193 Mitgliedstaaten der VN den Kosovo anerkannt haben, uam [15] – sowie die Einsetzung einer regionalen Kommission „zur Wahrheitsfindung in Bezug auf Kriegsverbrechen“[16]. Kommissionspräsident Juncker kündigte in diesem Zusammenhang an, dass in Zukunft kein Staat in die EU aufgenommen werden wird, der ungelöste Probleme mit einem (Nachbar)Staat in der Region des Westbalkan hat.

 

Umsetzung der Westbalkanstrategie

Die sechs Länder des Westbalkans – Montenegro, Serbien, Mazedonien (FYROM), Albanien, Bosnien & Herzegowina und der Kosovo – haben zwar mehrheitlich „Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen“ (SAA) mit der EU abgeschlossen, befinden sich in ihren Beitrittsambitionen zur EU aber in ganz unterschiedlichen Positionen [17]. Mit Montenegro [18], seit 2012, und Serbien, seit 2014, werden Beitrittsverhandlungen geführt, wobei mit Montenegro 30 der 35 Beitrittskapitel [19] und mit Serbien 12 der 35 Beitrittskapitel [20] eröffnet wurden. Hauptprobleme Montenegros sind der Kampf gegen die Korruption und das organisierte Verbrechen, für Serbien ist es die Normalisierung seiner Beziehungen zum Kosovo.

Mazedonien (FYROM) [21] und Albanien [22] sind Beitrittskandidaten, wobei seitens der Kommission mit Mazedonien (FYROM), seit 2005, und mit Albanien, seit 2014, die Aufnahme von Beitrittsgesprächen empfohlen wurde. Das Hauptproblem in diesen beiden Kandidatenstaaten ist die Umsetzung der Reformen im Justizbereich sowie die Verbesserung des Grenzschutzes [23]. Bosnien & Herzegowina und der Kosovo sind potentielle Beitrittskandidaten, die im Februar bzw. April 2016 Beitrittsanträge gem. Art. 49 EUV an die EU gestellt haben. Bei diesen beiden Staaten geht es vor allem um die Stärkung der Rechtsstaatlichkeit sowie, bei letzterem, um die Anerkennung von dessen Staatlichkeit durch alle Mitgliedstaaten der EU, dh auch durch die noch immer zögernden vorerwähnten fünf Staaten.

Trotz dieser unterschiedlichen Positionierung der einzelnen Westbalkanstaaten in Bezug auf die EU gilt die Westbalkan-Strategie nicht nur für die beiden „Vorreiter“ Montenegro und Serbien, mit denen bereits seit einigen Jahren Beitrittsverhandlungen geführt werden, sondern sie bezieht sich auf alle Staaten des Westbalkan. Die Strategie enthält jedoch eine vorläufige Darstellung der seitens Montenegros und Serbiens zur Vollendung des Beitrittsprozesses mit dem möglichen Zeithorizont 2025 noch notwendigen Schritte. Das Zieldatum 2025 ist allerdings nicht verbindlich, da dessen Erreichung vom effektiven Einsatz der beiden Länder abhängt, die noch offenen Probleme zu lösen. Da es sich dabei aber um einen ergebnisoffenen Prozess handelt, kann ein Westbalkanstaat, je nach den objektiven Fortschritten, die er erzielt, zu den beiden Staaten Serbien und Montenegro aufschließen bzw. diese in ihren Beitrittsbemühungen sogar noch überholen.

Zur Umsetzung der in dieser Strategie enthaltenen Leitinitiativen schlägt die Kommission vor, die bisherige Mittelausstattung für den Westbalkan im Rahmen des „Instruments für Heranführungshilfe“ (IPA) bis 2020 aufzustocken und zusätzlich zu dem Betrag von 1,07 Mrd. Euro, der 2018 für die Region vorgesehen ist, weitere Mittel bereitzustellen. Insgesamt wurden durch die Heranführungshilfe für den Westbalkan im Zeitraum von 2007 bis 2017 8,9 Mrd. Euro zur Verfügung gestellt [24]. Für die konsistente Umsetzung der einzelnen Investitionen – vor allem in Infrastrukturprojekte im Verkehrs-, Energie- und digitalen Bereich – soll eine eigene Koordinierungsgruppe eingesetzt werden.

 

Fazit

Durch die 2015 ausgebrochene Flüchtlings- und Migrationskrise sind die Westbalkanstaaten sowohl als Transitrouten für Flüchtlinge und Migranten, als auch als eigene Quelle von Migration [25], erneut in das Blickfeld der Union geraten, nachdem sie im Gefolge der Verkündung der „Agenda von Thessaloniki“ im Jahre 2003 mehr oder weniger in Vergessenheit geraten waren. Es sollte fünfzehn Jahre dauern, bis die Europäische Kommission eine neue Erweiterungsstrategie zugunsten der Staaten des Westbalkans Anfang 2018 vorgelegt hat.

Um der aktuellen Erweiterungsperspektive entsprechend gerecht zu werden, bedarf es in den sechs Westbalkanstaaten vor allem der Umsetzung von Reformen in den Bereichen Rechtstaatlichkeit, Grundrechtsschutz und „good governance“ sowie der Herstellung gutnachbarschaftlicher Beziehungen. Zur Bekämpfung von systemischen Bedrohungen der Rechtsstaatlichkeit oder Verstöße gegen diese in den einzelnen Mitgliedstaaten hat die Kommission die Vorlage einer entsprechenden Initiative für Oktober 2018 angekündigt [26]. Bei den Justizreformen, der Bekämpfung der Korruption und der organisierten Kriminalität sowie der Reform der öffentlichen Verwaltung müssen definitive Ergebnisse erzielt, und die Arbeitsweise der demokratischen Institutionen deutlich verbessert werden. Es müssen aber auch besondere Vorkehrungen dafür getroffen werden, dass die zukünftigen Mitgliedstaaten den Beitritt anderer Kandidaten des westlichen Balkans nicht blockieren [27].

Des Weiteren müssen die einzelnen Volkswirtschaften durch eine forciertere Entwicklung des Privatsektors gestärkt und eine definitive Regelung für die Beilegung der vielfältigen bilateralen Streitfälle, die vordringlich komplexe Grenzstreitigkeiten darstellen, gefunden werden, ohne die ein Beitritt zur EU nicht möglich sein wird. In den politischen Kommentaren überwiegen diesbezüglich aber die skeptischen Äußerungen, ob all diese Voraussetzungen in absehbarer Zeit überhaupt erreicht werden können. Auch der EU-Erweiterungskommissar, Johannes Hahn, gibt sich nicht sehr enthusiastisch, wenn er anmerkt: „Allerdings ist die Leidenschaft für einen Beitritt bekanntermaßen nicht rasend groß“ [28].

Trotz alledem muss aber jetzt rasch vorgegangen werden, damit sich das gegenwärtig offene „Zeitfenster“ nicht wieder schließt. In diesem Zusammenhang wird zurecht darauf hingewiesen, dass „die reale Wartezeit auf einen möglichen und keinesfalls sicheren EU-Beitritt fast schon im Bereich der Generationen liegt. Nach 15 Jahren der EU-Annäherung liegen für Menschen im mittleren Alter in Bosnien und Herzegowina, Kosovo oder in Mazedonien die möglichen Beitrittsdaten fast schon außerhalb ihrer eigenen Lebensspanne. So ist die Tendenz bei den Zustimmungsraten zur EU sinkend und es gibt immer mehr Menschen, die den Weg in die EU als unumstößliches Ziel in Frage stellen. (…) So sind zwar weiterhin 40 Prozent der Menschen in den Westbalkanstaaten der Meinung, dass die EU-Mitgliedschaft etwas Gutes sei. 37 Prozent sind sich hingegen nicht sicher und sagen, dass die EU-Mitgliedschaft weder gut noch schlecht sei, während 20 Prozent der Befragten in der Region in der Mitgliedschaft gar nichts Gutes sehen. Das ergibt eine Mehrheit von 57 Prozent der Bevölkerung, deren Einstellung zur EU entweder schlecht oder bestenfalls gemischt ist. In Serbien oder Bosnien & Herzegowina sind es gar 71 bzw. 67 Prozent der Befragten, die diese skeptische Haltung teilen.“ [29]

Wahrlich keine guten Aussichten für eine effektive Umsetzung der „Westbalkan-Strategie für eine glaubwürdige Erweiterungsperspektive“ der Europäischen Kommission, in deren Stringenz die EU so große Erwartungen setzte, dass sie keine alternativen Lösungsmodelle – wie zB die Unterstützung regionaler Integrationszonen zwischen den Westbalkan-Staaten, die danach an die EU „angekoppelt“ werden könnten – konzipiert hat. Diesbezüglich wird ganz allgemein von einer „fatalen Alternativlosigkeit Europas für den Westbalkan“ gesprochen [30]. Schwindet aber der Einfluss der EU am Balkan, so „befeuert das ein massiveres Engagement Russlands, aber heutzutage auch der Türkei, Chinas, Saudiarabiens oder anderer arabischer Staaten“ [31]. Sorgen bereitet aber auch der offensichtlich bevorstehende Abzug von 37 Richtern und Staatsanwälten, die bisher im Rahmen der Rechtsstaatsmission „EULEX“ im Kosovo tätig waren. 2014 wurde diesbezüglich bekannt, dass einige dieser Richter und Staatsanwälte aus Mitgliedstaaten der EU im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit Bestechungsgelder angenommen hatten [32].

Ein Hoffnungsschimmer kann allerdings darin gesehen werden, dass Österreich am 1. Juli 2018 die „EU-Präsidentschaft“, dh den Vorsitz im Rat, übernimmt und dabei seine Präferenz für eine Aufnahme der Westbalkanstaaten in die EU deutlich machen und sich dafür auch aktiv einsetzen könnte. Eine weitere Chance sieht der montenegrinische Außenminister Srdjan Darmanović auch darin, dass – im Anschluss an den österreichischen Vorsitz im zweiten Halbjahr 2018 – im ersten Halbjahr 2019 mit Rumänien und im ersten Halbjahr 2020 mit Kroatien zwei EU-Mitgliedstaaten mit ausgeprägter „Westbalkan-Connection“ die „Präsidentschaft“ in der EU innehaben werden [33].Ob diese Chance wirklich besteht, oder ob sich diese Konstellation nicht gerade in das Gegenteil verkehren wird, sei dahingestellt.


[1] Vgl. EU öffnet Tür für Balkanländer, Wiener Zeitung, vom 7. Februar 2018, S. 4.

[2] Die Strategie für den westlichen Balkan: EU präsentiert Leitinitiativen und Unterstützung für die reformorientierte Region; Europäische Kommission, Pressemitteilung IP/18/561, vom 6. Februar 2018, S. 1; //europa.eu/rapid/press-release_IP-18-561_de.htm (zuletzt abgefragt am 9. Februar 2018).

[3] BullEG 6-1993, Ziff. I.13

[4] Aufgrund eines Namensstreits mit Griechenland wird Mazedonien ua im Rahmen der EU formal als „The former Yugoslav Republic of Macedonia“ (FYROM) bezeichnet; vgl. dazu Hummer, W. Mazedonien: Ein Staat, zwei Namen. Flüchtlingstragödie überlagert einen lange schwelenden Namens- und Territorialkonflikt am Balkan. „Republik Mazedonien“ oder „Former Yugoslav Republic of Macedonia“ (FYROM)?, EU-Infothek vom 24. März 2016, S. 1 ff.; aktuell wird intensiv an einer Lösung dieses Konflikts gearbeitet. So traf der Persönliche Beauftragte des GS der VN, Matthew Nimetz, am 13. Februar 2018 mit den Außenministern von Griechenland und der FYROM in Wien zusammen, um eine einvernehmliche Lösung in der „Namensfrage“ zu besprechen (UNIS/INF/534).

[5] Europäische Union: Gipfeltreffen EU – westliche Balkanstaaten Thessaloniki, vom 21. Juni 2003, Punkte 2. und 9. [10229/03 (Presse 163)]; //europa.eu/rapid/press-release_PRES-03-163_de.htm (zuletzt abgefragt am 9. Februar 2018); Gipfeltreffen EU-westliche Balkanstaaten, Europäische Union-Press Releases C/03/163, vom 21. Juni 2003.

[6] Nachruf auf Thessaloniki, faz.net, vom 18. Dezember 2012; //www.faz.net/frankfurter-allgemeine-zeitung/nachruf-auf-thessaloniki-11998216… (zuletzt abgefragt am 9. Februar 2018).

[7] Presse und Informationsamt der (deutschen) Bundesregierung, Pressemitteilung 288/2014, vom 28. August 2014; https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Pressemitteilungen/BPA/2014/08/2014-… (zuletzt abgefragt am 9. Februar 2018); Abschlusserklärung des Vorsitzes zur Konferenz zum Westlichen Balkan, 28. August 2014 in Berlin; https:///www.bundesregierung.de/Content/DE/Pressemitteilungen/BPA/2014/08/2014-… (zuletzt abgefragt am 9. Februar 2018).

[8] Vgl. EU-Beitrittsperspektive für Westbalkan-Staaten, krone.at, vom 6. Februar 2018, S. 1; //www.krone.at/1633208 (zuletzt abgefragt am 9. Februar 2018).

[9] COM(2018) 65 final, S. 1, 15.

[10] Peschel, F. Jugend ohne Zukunft, Wiener Zeitung, vom 17./18. Februar 2018, S. 36.

[11] COM(2018) 65 final.

[12] Siehe Fn. 4.

[13] Der Kosovo erklärte am 17. Februar 2008 seine Unabhängigkeit von Serbien.

[14] Für diese EU-Mitgliedstaaten gilt der Kosovo lediglich als „Kosovo unter der Resolution 1244/99 des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen“ vom Juni 1999 iVm dem Gutachten des IGH zur Unabhängigkeit des Kosovo vom 22. Juli 2010 (ICJ, Accordance with International Law of the Unilateral Declaration of Independence in Respect of Kosovo, Year 2010, 22 July, General List No. 141); //www.webcitation.org/5rRB9e3bz, vgl. dazu Hantke, M. – Wagner, J. IGH-Gutachten zum Kosovo. Weg in einen neuen Imperialismus, IMI, Ausdruck August 4/2010, S. 24 f.

[15] Vgl. Hummer, W. Balkankonflikt, in: Woyke, W. (Hrsg.), Handwörterbuch Internationale Politik, 12. Aufl. (2011), S. 13 ff.

[16] Europäische Kommission, Factsheet MEMO/18/562, vom 6. Februar 2018; EU-Nachrichten Nr. 03 vom 15. Februar 2018, S. 4.

[17] Für eine chronologische Zusammenstellung siehe Beziehungen zwischen der EU und den Westbalkan-Ländern [DE], EURACTIV.de; https://www.euractiv.de/section/erweiterung-und-nachbarn/linksdossier/beziehungen-… (zuletzt abgefragt am 9. Februar 2018).

[18] Montenegro reichte am 15. Dezember 2008 sein Beitrittsgesuch zur EU ein.

[19] Davon wurden allerdings erst 3 Kap. vorläufig geschlossen.

[20] Davon wurden allerdings erst 2 Kap. vorläufig geschlossen.

[21] Mazedonien (FYROM) reichte am 22. März 2004 sein Beitrittsgesuch zur EU ein.

[22] Albanien reichte am 28. April 2009 sein Beitrittsgesuch zur EU ein.

[23] Diesbezüglich hat der EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos am 12. Februar 2018 mit dem albanischen Innenminister Fatmir Xhafaj den Entwurf eines ersten Abkommen zur Zusammenarbeit von FRONTEX mit Albanien unterzeichnet. Ähnliche Abkommen sollen mit Serbien und Mazedonien (FYROM) abgeschlossen werden; https://ec.europa.eu/germany/news/20180212-Albanien_de (zuletzt abgefragt am 9. Februar 2018).

[24] Strategie für den Westbalkan: Die Zukunft der Region liegt in der EU, Europäische Kommission/Vertretung in Deutschland, vom 6. Februar 2018, S. 2; https://ec.europa.eu/germany/news/20180206-westbalkan-strategie_de (zuletzt abgefragt am 9. Februar 2018).

[25] Diesbezüglich sei nur an den Massenexodus der Kosovaren im Winter 2014/2015 erinnert; vgl. Dzihic, V. Westbalkan als Kollateralschaden der europäischen Passivität?, ÖGfE, Policy Brief 38‘2015, S. 4; ebenso veröffentlicht als oiip Policy Paper 7/2015, vom November 2015.

[26] Strategie für den Westbalkan (Fn. 24), S. 2; COM(2018) 65 final (Fn. 9), S. 19.

[27] IP/18/561 (Fn. 2), S. 2.

[28] Zitiert nach Zitate zum Tag, Wiener Zeitung, vom 17./18. Februar 2018, S. 2.

[29] Dzihic, Westbalkan als Kollateralschaden (Fn. 25), S. 5.

[30] Grimm, O. Europas fatale Alternativlosigkeit für den Westbalkan, Die Presse, vom 12. Februar 2018, S. 2.

[31] Lunacek, U. „Frieden bauen heißt weit bauen“ (2018), zitiert nach Böhm, W. In der Kosovo-Frage werden Europas Widersprüche sichtbar, Die Presse, vom 17. Februar 2018, S. 7.

[32] Peschel, Jugend ohne Zukunft (Fn. 10), loc. cit.

[33] Vgl. Laczynski, M. „EU bleibt einzige Alternative für Westbalkan“, Die Presse, vom 17. Februar 2018, S. 7.

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