Samstag, 21. Dezember 2024
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Abenddämmerung im „Sultanat“ Erdogan …

Bild © Creative Commons Pixabay (Ausschnitt)

… und die Opposition in der Türkei wittert Morgenluft nach den türkischen Kommunalwahlen

Wenn man mit Kritikern des Regimes von Recep Tayyip Erdogan spricht, ist längst nicht mehr von einer „Präsidialrepublik“ sondern einem „Sultanat“ die Rede. Agiert doch der türkische Premierminister fast wie ein islamischer Alleinherrscher. Seine Minister führen ein Schattendasein und das Parlament ist weitgehend machtlos. Dazu kommt, dass in den letzten Jahren die regierungskritische Presse ausgeschaltet beziehungsweise schwer unter Druck gesetzt wird, sodass eine objektive Berichterstattung kaum mehr möglich ist. Dementsprechend dominant war ihm Wahlkampf zu den Kommunalwahlen auch der öffentliche Auftritt Erdogans. Im Zeitalter der so genannte „Social Media“ sind Grenzen der Berichterstattung durchaus überwindbar.

Aufschwung für die Atatürk-Partei

Und genau das nützte die Opposition. Und zwar allen voran die CHP. Sie ist eine Gründung der großen Reformators und Staatsgründers der modernen Türkei, Mustafa Kemal Atatürk. Das war 1923 und somit ist die CHP die älteste Partei. Seit den 1960er Jahren hat sie sich zu einer sozialdemokratischen Partei gewandelt. Wobei ihre Anhänger zunehmend, was mit dem gesellschaftlichen Wandel des Landes, der Rückkehr zu fundamentalistischen Alltagsregeln zu tun hat, aus dem so genannten bürgerlichen Milieu stammen. Sie gilt bis heute als jene politische Bewegung, die für eine strikte Trennung von Staat und Religion eintritt. Und hat daher auch den Kern ihrer Wählerschaft im guten, aufgeschlossenen, westlich-orientierten Mittelstand.

Erdogan begann als Hoffnungsträger

Schon seit mehreren Legislaturperioden unternimmt sie Anläufe, um die erst 2001 von Erdogan gegründete AKP, die Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung aus den Angeln zu heben. Was unter anderem daran gelegen war, dass ihr eine charismatische politische Führungspersönlichkeit fehlte. Das war ohne Zweifel Erdogan. Er ist ein Kind Istanbuls und hat in der 15-Millionen-Stadt am Bosporus auch seine politische Karriere begonnen. Und zwar zunächst als Oberbürgermeister der Stadt. In dieser Zeit verschaffte er sich auch tatsächlich einen guten und kompetenten Ruf. Er galt als Hoffnungsträger eines Landes, das an der Wende vom 20. zum 21. Jahrhundert von Misswirtschaft und Korruption gekennzeichnet war.

Als die EU der Türkei die Hand reichte

2003 schaffte es dann Erdogan mit seiner neu gegründeten AKP einen politischen Umschwung herbeizuführen und das Amt des Ministerpräsidenten zu erringen, das er seither nicht mehr aus der Hand gab. Zu Beginn seiner Tätigkeit setzte er auch eine Reihe von politischen und wirtschaftlichen Maßnahmen, die den Eindruck eines zielgerichteten Reformkurses erweckten. Das imponierte auch der EU, die am 4. Oktober 2005 die Eröffnung von Beitrittsverhandlungen mit Ankara verkündete, was damals vor allem unter der gebildeten und jüngeren Bevölkerungsschicht als Signal der Öffnung empfunden wurde. Tatsächlich begann man sehr zügig mit der Eröffnung der ersten Verhandlungskapitel. Schon frühzeitig aber machte sich eine Kehrtwendung Erdogans in Richtung Fundamentalismus bemerkbar, so indem zum Beispiel auf das Tragen des Kopftuches für Frauen, die im öffentlichen Dienst tätig sind, Wert gelegt wurde. Was sich auch alsbald im Straßenbild zeigte.

Türkei als Taktgeber der islamischen Welt

Zudem versuchte Erdogan selbst sich eine Rolle zuzuschanzen, die nicht in einem verlässlichen Partner am Scharnier zwischen Abend- und Morgenland bestand, sondern zu einem Taktgeber in der islamischen Welt werden sollte. Dazu gehörten auch seine wiederholten Versuche einer Achsenbildung mit Moskau. Und das obwohl die Türkei einen Eckpfeiler der NATO im gesamten Mittelmeerraum bildet. Was wiederum dazu führte, dass die USA Druck unter anderem auf Großbritannien ausübten, um einen Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen zu verhindern. Das neue Selbstbewusstsein konnte Erdogan auch eine Zeit lang nützen, um der Türkei einen echten Wirtschaftsaufschwung zu bescheren, die auch in einer Reihe gigantischer Bauvorhaben mündeten. Von der Untertunnelung des Bosporus bis hin zum Bau eines protzigen überdimensionierten Präsidentenpalastes in Ankara.

Vom Wachstum in die Krise

Die expansiven öffentlichen Ausgaben forderten Tribut. Vor zwei, drei Jahren begann sich das Wirtschaftswachstum einzubremsen. Mittlerweile steckt die Türkei in einer veritablen Wirtschaftskrise, die Währung befindet sich auf Talfahrt. Und das drückte auch die Stimmung im Land. Ja wiegte fast noch schwerer als die unzähligen Verletzungen der Presse- und Meinungsfreiheit, die in der Verhaftung von unliebsamen Journalisten und Regimekritikern, dem Niederknüppeln von Demonstrationen ihren Ausdruck fanden. Die triste Wirtschaftsstimmung im Lande, die sich auch politisch zu artikulieren begann, hatte jedenfalls zur Folge, dass sich Erdogan selbst ganz massiv in den Wahlkampf einschaltete und nun auch die Rechnung präsentiert bekam. Es ist dies mehr als ein Denkzettel.

Signalwirkung durch Ankara und die Küstenstädte

„Wer Istanbul gewinnt, gewinnt die Türkei“, hatte Erdogan noch im Wahlkampf hinausposaunt. Nun ist er damit konfrontiert, dass seine Partei die großen Metropolen des Landes verloren hat. Die oppositionelle CHP konnte nicht nur die drei größten Städte Ankara, Istanbul und Izmir gewinnen, was eine besondere Signalwirkung hat, sondern auch die Städte entlang der Südküste wie Antalya und Adana. Nicht nur das. Auch die von Erdogan so bekämpfte prokurdische Oppositionspartei HDP bescherte der AKP herbe Verluste. Sie eroberte sogar Gemeinden zurück, die unter Zwangsverwaltung stehen.

Auffälliges Stadt-Land-Gefälle

Die Anfechtung der Wahlergebnisse durch die Regierungspartei ist Ausdruck der Nervosität, die die türkische Regierungspartei befallen hat und ändert nichts mehr daran, dass die türkischen Kommunalwahlen die Endlichkeit des Regimes angezeigt haben. Es zeigt sich allerdings einmal mehr auch das Stadt-Land-Gefälle und weist damit auch auf ein zentrales gesellschaftliches Problem hin, das auch mit dem Bildungsstandard zu tun hat. Landesweit konnte die AKP nämlich ihren Stimmenanteil von 43 auf 44 Prozent steigern und ihre Dominanz in Zentralanatolien festigen. Dort sind genau jene Wähler zu Hause, die dem politischen Islam einiges abgewinnen können, für die Staat und Islam fast eine Einheit bilden, die Erdogan mit seiner Politik noch ansprechen kann.

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