Wenn nicht noch ein Wunder geschieht – also in höchster Not ein Retter auftaucht, vielleicht sogar mehrere – wird das „WirtschaftsBlatt“ am 2. September zum letzten Mal erscheinen. Nachdem sich gerade erfreuliche Wunder in der Medienbranche leider nur ganz selten ereignen, ist freilich das Schlimmste zu befürchten: Österreichs einzige Wirtschaftstageszeitung wird nach 21 Jahren eingestellt und somit vom Markt verschwinden.
Ich hatte als einer der Gründer des Blattes die Ehre, 13 Jahre Chefredakteur, davon vier Jahre auch alleiniger Herausgeber dieser Zeitung sein zu dürfen und bin naturgemäß über das Aus sehr traurig. Das „WirtschaftsBlatt“, das ich bereits Ende 2007 verlassen habe, ist am 6. Oktober 1995 erstmals erschienen und hat sich trotz zahlreicher Unkenrufe dank eines maßgeschneiderten redaktionellen Konzepts rasch am Markt etablieren können. Das war nicht zuletzt dem schwedischen Bonnier-Konzern zu verdanken, der neben einer österreichischen Aktionärsgruppe 50 Prozent der Firmenanteile übernommen hatte. „Unsere Schweden“ haben die verlegerische Strategie eingebracht, weil sie schon damals in rund zehn Staaten Europas durchaus profitable Wirtschaftstageszeitungen besaßen und damit über enormes Know how verfügten.
Gemeinsames Ziel war es, mit einer qualitativ hochwertigen Special Interest-Zeitung, die auf die rot-weiß-rote Business Community fokussiert war, eine interessante Marktnische zu besetzen. Nach den obligaten Anlaufschwierigkeiten in der Pionierphase ist es gelungen, ein schlagkräftiges Team zu formieren, dem erfahrene Branchenprofis ebenso wie talentierte Jungjournalisten angehörten – in der besten Zeit rund 80 redaktionelle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Dieses Team hat es rasch geschafft, der ständig wachsenden Leserschaft fünf Mal pro Woche ein neuartiges Informationsangebot zu liefern, das andere Blätter nicht einmal annähernd zu Stande gebracht haben – freilich ohne die sonst üblichen Sport-, Kultur-, TV-, Motor-, Reise- und sonstigen fixen Seiten. Das „WirtschaftsBlatt“ hat sich obendrein dank des Spirits aus dem hohen Norden gut entwickelt, einen in publizistischer und kommerzieller Hinsicht erfolgversprechenden Kurs eingeschlagen und sich einen Fixplatz am österreichischen Zeitungsmarkt erkämpft – auch wenn bei einem derartigen Projekt stets Geduld erforderlich ist, um nachhaltig schwarze Zahlen zu schreiben. Ein überraschender Eigentümerwechsel wurde schließlich zur Zäsur in der Firmengeschichte.
Der Sieg brachte kein Glück
Anfang 2004 stieg der Grazer Styria-Gruppe, die schon bei der im selben Haus ansässigen Zeitschriftengruppe ET Multimedia – alsbald styria.Multi Media AG – das Sagen hatte, als 50 Prozent-Gesellschafter beim „WirtschaftsBlatt“ ein. Eine wünschenswerte Harmonie zwischen den Steirern und den Schweden war leider nicht einmal in mikroskopischer Dosis vorhanden, sodass es zwangsweise zu einer griechischen Tragödie kommen musste: Als die Styria im Juni 2006 den Machtkampf für sich entscheiden konnte und alleiniger Eigentümer des „WirtschaftsBlatts“ wurde, war das freilich alles andere als ein Glücksfall. Sie besaß nunmehr neben ihrer exzellent aufgestellten Cash Cow „Kleine Zeitung“ und der in kommerzieller Hinsicht stets not-leidenden Qualitätszeitung „Die Presse“ eine dritte Tageszeitung, die sie allerdings vom Start weg zu überfordern schien.
Offenbar in Unkenntnis oder als Fehleinschätzung der bewährten redaktionellen Strategie wurden in Graz diskussionslos Entscheidungen getroffen, die von den statthalterischen Wiener Geschäftsführern pflichtbewusst umgesetzt wurden – ohne die Sinnhaftigkeit zu hinterfragen. So zum Beispiel ist die Erscheinungsweise – früher Dienstag bis Samstag – schlagartig auf Montag bis Freitag geändert worden. Mit diesem fragwürdigen Schachzug war die bis dahin meistverkaufte und inseraten-trächtige Samstag-Ausgabe gekillt. Die Montag-Zeitung, die großteils bereits am Freitag davor redaktionell entstand und am Sonntag produziert wurde, blieb indes weitgehend anzeigenfrei, im Verkauf weit zurück und sorgte automatisch für zusätzliche Kosten. Wenn man all das – inklusive Inseratenausfälle – hochrechnet, lässt sich ein beträchtlicher Teil des mit 17 Millionen Euro bezifferten Verlustes erklären, den die Styria Media Group in diesem Zeitraum eingefahren hat.
Damit aber nicht genug: Die Geschäftsführung des „WirtschaftsBlatts“ schwor sich, vermutlich im Glauben an das baldige Ende für Zeitungen auf Papier, mit stürmischer Begeisterung auf das Internet ein: Gemäß der Devise „Online First!“ waren allabendlich alle Zeitungsartikel auf der Homepage gratis lesbar, die tags darauf verkauft werden sollten – nicht gerade eine verkaufsfördernde Maßnahme. Zugleich bewiesen die kaufmännisch Verantwortlichen eine höchst unglückliche Hand im Umgang mit Inseraten-Akquisiteuren: Sie holten beispielsweise einen Anzeigenleiter aus Ostfriesland an Bord, der in Wien kaum zwei Jahre lang an Akklimatisationsproblemen zu leiden hatte, und trennten sich überdies ausgerechnet von den erfolgreichsten Inseratenverkäufern – deren Provisionen erschienen der Chefetage als zu üppig.
Ein verlegener Verleger
Am gravierendsten wirkte sich bei der Zeitung, die sowohl an Auflage als auch an Einnahmen zum Sinkflug ansetzte, jedoch die geradezu absurde Hire & Fire-Strategie im Bereich Redaktion aus: Man trennte sich sukzessive von erfahrenen, professionellen, ergo auch den teuersten Mitarbeitern, um sie durch junge, unerfahrene, natürlich auch entsprechend billige zu ersetzen. Seit 2008 haben fast 50 großteils exzellente Kollegen aus meiner damaligen Truppe, auf die ich sehr stolz sein durfte, das Blatt verlassen – zumeist müssen. Dieser personelle Aderlass hat – wiewohl der jetzigen Redaktionscrew großer Respekt für Einsatz und Engagement zu zollen ist – die journalistische Qualität der Berichterstattung massiv beeinträchtigt. Das einstmals oberste Ziel, den Leserinnen und Leser fernab des anderswo üblichen Einheitsbrei an Themen exklusive, profund recherchierte und im Geschäftsalltag anwendbare, also nützliche Storys zu bieten, ist damit praktisch unerreichbar geworden.
Der Ausbruch der großen Finanzkrise 2008, die allen Verlagshäusern den dramatischen Umbruch in der Medienbranche endgültig klar gemacht hat, traf so gut wie alle Verleger auf dem falschen Fuß. In eine beträchtliche Verlegenheit geraten, setzten sie beinahe durchwegs auf eine einzige Option – und seither jagt ein Sparprogramm das andere, wobei sich die Grazer Styria-Zentrale besonders hervorgetan hat. Als drittgrößtem Medienunternehmen des Landes fiel den Steirern nichts anderes ein, als die (Personal)Kosten drastisch runterzufahren. Die einzig offensive Maßnahme beim „WirtschaftsBlatt“ war der Start von neun monatlich erscheinenden Bundesländer-Supplements im Jahr 2013 – diese Regionalausgaben hatten freilich daran zu leiden, dass man zuvor kurioserweise die langjährigen Korrespondenten in Linz, Salzburg und Graz gekündigt hatte. Ein großartiger kaufmännischer Erfolg können die recht bieder gemachten Beilagen offensichtlich nicht gewesen sein…
Die heftigen Personalrochaden infolge der Sparwut machten letztlich vor den Führungskräften nicht halt: In Graz wurden aus bis heute großteils ungeklärten Ursachen gleich drei Vorstandsdirektoren ausgetauscht, nämlich der bis dahin allseits bejubelte CEO Horst Pirker (2010) und seine Kollegen Wolfgang Bretschko (2013) und Malte von Trotha (2015). Beim „WirtschaftsBlatt“ in Wien war die Rotation noch bedeutend größer: Seit Dezember 2007 waren innerhalb von sechs Jahren vier Chefredakteure am Werk, in sechs Jahren inklusive des Herrn aus Ostfriesland mindestens sechs Anzeigenleiter, und allein im Zeitraum von Juli 2012 bis Oktober 2014 gab es drei jeweils doppelt besetzte Geschäftsführungen. Das erste dieser Köpferollen fand – intern wegen dringend vermuteter Inkompetenz längst herbeigesehnt – statt, weil sich das damalige Chef-Duo gegen den Verlust der Eigenständigkeit des Blattes zu wehren trachtete.
Eine Fusion, die keine war
Die seinerzeitigen Pläne für eine Fusion von „WirtschaftsBlatt“ und „Presse“ sind zwar nicht realisiert worden, doch die beiden Blätter wurden an einer Adresse versammelt und beispielsweise per gemeinsamem Anzeigenverkauf aneinander gebunden – wobei naturgemäß die schwächere Marke wiederum das Nachsehen hatte. Seit etwa zwei Jahren werden die beiden Zeitungen von einem ebenso jungen wie unerfahrenen Duo gemanagt, das den achtjährigen Überlebenskampf des „WirtschaftsBlatts“ kaum mehr als zu verwalten vermochte. Den steirischen Eigentümern, die sich zuletzt auch um mediale Baustellen in Kroatien und Slowenien zu kümmern hatten – in Laibach stellte die Styria zwei Blätter ein – fiel absolut nichts mehr ein, wie sie das Ruder doch noch herumreißen könnten. Am 16. August musste der seit drei Jahren amtierende neue CEO, ehemals Generaldirektor der Raiffeisen-Landesbank Steiermark, die traurige Entscheidung bekanntgeben. 66 Mitarbeiter verlieren ihren Job, ein einstmals hoffnungsvolles Zeitungsprojekt ist Geschichte – und ein trauriges Kapitel der heimischen Mediengeschichte zu Ende.. Die Verantwortung für dieses Fiasko hat niemand anderer als der Eigentümer des Blattes, die Styria Media Group, zu übernehmen – sie hat zu 100 Prozent versagt…