Donnerstag, 21. November 2024
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Aiginger: Österreich könnte vom Balkan profitieren

Soll die EU, die noch immer unter den Auswirkungen der Finanz- und Schuldenkrise leidet, die Erweiterung vorantreiben oder nicht? Wifo-Chef Karl Aiginger erläutert im Gespräch mit der EU-Infothek die Vor- und Nachteile.

[[image1]]Im Mai jährt sich die Erweiterung der EU zum zehnten Mal. Kann man aus österreichischer Sicht von einer uneingeschränkte Erfolgsstory sprechen – schließlich ist die Alpenrepublik bei den Direktinvestitionen in den diversen Ländern stets unter den Top drei – oder sehen Sie auch Schattenseiten?

Österreich konnte in den letzten 15 Jahren seine Exportquote deutlich steigern und hat nunmehr einen Überschuss in der Leistungsbilanz. Die Ostöffnung und der spätere EU-Beitritt waren für diese Entwicklung ein entscheidender Faktor.

Hat sich die EU-Erweiterung für die neuen Mitgliedsländer wie etwa Tschechien, Polen oder Ungarn wirtschaftlich ebenso bezahlt gemacht wie für Österreich?

Wir sprechen oft negativ über Europa. Die Weltbank hingegen hat die EU als Integrationsmaschine bezeichnet, weil sie schneller als bei jedem historischen Vergleich imstande war, die Integration einer neuen Ländergruppe zu gewährleisten. Alle drei genannten Länder wachsen deutlich stärker als Westeuropa, Polen war überhaupt das einzige Land, das in der Finanzkrise 2009 weiter gewachsen ist. Natürlich gab es Lasten der Transformation für einzelne Bevölkerungsgruppen und die Entwicklung in Ungarn ist nicht krisenfrei.

Im Zusammenhang mit der EU-Erweiterung bestand die Sorge, der heimische Arbeitsmarkt könnte von Billig-Arbeitskräften überschwemmt werden. Was war der Grund, dass diese Befürchtungen nicht eingetreten sind?

Österreich hat den Arbeitsmarkt schrittweise geöffnet. Das Wachstum in den Neuen Mitgliedsländern hat dazu beigetragen, dass der Wunsch, das Land dauerhaft zu verlassen, in Grenzen geblieben ist. Investitionen westlicher Firmen in den neuen Mitgliedern haben Arbeitsplätze geschaffen

Von den Befürwortern einer größeren EU wurde argumentiert, dass viele heimische Betriebe Niederlassungen in diesen Ländern gegründet haben, wodurch die Arbeitsplätze zu Hause abgesichert werden konnten. Stimmen Sie dieser Aussage zu?

Ja, es lässt sich zeigen, dass jene Firmen, die im Ausland investieren, auch in Österreich erfolgreicher sind. Viele Mittelbetriebe sind durch die Ostöffnung zu internationalen Unternehmen geworfen. Und Arbeitsplätze in der Zentrale zahlen immer hohe Löhne.

Außenminister Sebastian Kurz  warb kürzlich  bei seinem Antrittsbesuch in Brüssel für eine Erweiterung der EU auf dem Westbalkan. Würde das nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich Sinn machen, zumal sich die Begeisterung der Österreicher in Grenzen hält?

Der Balkan ist die nächste Erweiterungsregion, von der Österreich profitieren kann. Die Entwicklung wird nicht immer glatt und störungsfrei sein, aber österreichische Firmen haben die Fähigkeit, auch schwierige Situationen zu bewältigen. Wer vor 15 Jahren gesagt hätte, Serbien und Mazedonien würden sich einem großen europäischen Einigungsprojekt anschließen, wäre als Utopist bezeichnet worden. Es ist sehr klug von der österreichischen Außenpolitik, hier initiativ zu werden, neue Marktchancen öffnen sich.

Kooperation mit der Türkei und der Ukraine wäre für die EU strategisch wichtig

Hierzulande ist ein möglicher EU-Beitritt der Türkei heftig umstritten. Welche Vor- und Nachteile sehen Sie?

Europa hat die zwei Möglichkeiten, entweder es bindet seine heutigen Nachbarn an das europäische Projekt, dann kann Europa auch 2050 noch ein wichtiger Spieler in der globalisierten Wirtschaft sein, mit einem Anteil von etwa 30 %. Es hätte dann auch noch 2050 – so wie die EU-28 heute- dann aber gemeinsam mit China den höchsten Anteil an der Weltwirtschaftsleistung vor den USA. Oder es zieht sich auf einen Kern zurück (etwa Deutschland plus Frankreich plus angrenzende Staaten), dann sinkt es auf weniger als 10% und kann die Regeln der Weltwirtschaft nicht mitbestimmen. Zu der Nachbarschaft im weiteren Sinn gehören der Schwarzmeerraum und Nordafrika. Wobei ich unter Bindung nicht unbedingt Mitgliedschaft verstehe, schon gar nicht Übernahme des EURO, aber doch engere Beziehungen. Wenn Europa mit dem Schwarzmeerraum und Nordafrika nicht kooperiert, dann schließen sich diese Länder einem anderen Block an: entweder einem neuen Großrussland, oder dem Iran und Irak. Afrika wird zunehmend von China dominiert, das alle Bodenschätze kauft. Eine Kooperation mit der Türkei und der Ukraine, die stärker ist als die Bindung dieser Länder an Russland oder an den Iran, ist für Europa strategisch ganz wichtig.

Mit der Erweiterung der EU sinkt der für Österreich zur Verfügung stehende Förderkuchen. Kann dieser Nachteil durch die sich bietenden zusätzlichen Exportchancen kompensiert werden?

Es ist selbstverständlich, dass das zweitreichste Land der EU (nach Luxemburg) geringere Fördermittel erhält. Der Zweck der Förderung ist es, so stark zu werden, dass man die Förderung nicht mehr braucht. Exporterfolge sind für jede Firma und für jeden Beschäftigten angenehmer als Subventionen.

Besteht die Gefahr, dass die Aufnahme neuer Länder die EU überfordert, zumal sie noch immer mit den Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise beschäftigt ist?

Europa muss seine Strukturen so verbessern, dass es fähig ist, weitere Länder zu integrieren. Aber man kann auch nicht so lange warten, bis alles geregelt ist, sonst kommt man zu spät. Die Finanzmitteln, mit denen Russland die Politik der Ukraine beeinflusst und Ungarn dazu bringt, mit russischer Technologie die Atomkraft zu forcieren, sind Beispiele dafür, was kommt wenn Europa den Nachbarn nichts anzubieten hat.

Im Zuge der Aufnahme neuer Länder mussten die Entscheidungsprozesse in Brüssel vereinfacht werden. Sehen Sie hier in Zukunft weiteren Handlungsbedarf?

Ja, die europäische Politik muss wachstums- und beschäftigungsorientierter werden, die Bankenunion soll Regierungen entlasten sodass bei künftigen Krisen keine Steuermittel mehr investiert werden müssen. Die Europäische Kommission und das Parlament sollten mehr Entscheidungen treffen, nicht Regierungschefs, die nach einer anstrengenden Woche für zwei Tage zusammenkommen und an das Interview nach ihrer Rückkehr denken müssen.

Wurde mit der EU-Erweiterung das Ziel, die Trennung zwischen einem reichen und einem armen Europa verfehlt bzw. was müsste unternommen werden, um die Kluft in Europa zu verringern?

Die Ostintegration ist rascher gelungen als erhofft. Leider hat Südeuropa es versäumt, auf die Globalisierung mit Reformen zu reagieren. Deswegen ist die Kluft zwischen Nord und Süd stärker geworden. Europa ist eine Erfolgstory und kann es bleiben, wenn es die soziale Komponente stärkt und Energieeffizienz und Umwelttechnologie als Stärken sieht. In dem großen europäischen Forschungsprojekt „Ein neuer Wachstumspfad für Europa“ entwirft das WIFO mit 32 Partnern die Zukunftsstrategie (http//wwwforeurope.eu), Europa dynamischer, sozialer und ökologischer zu machen. Und wenn der neue österreichische Umweltminister Andrä Rupprechter Österreich zum Vorreiter in Umweltfragen machen will, dann kann Österreich zu diesem neuen Kurs beitragen.

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