Es ist die größte Problemzone im europäischen Bildungssystem. Nur wird darüber kaum geredet, weil es in der polit-medialen Blase nicht populär ist. Umso mutiger und lobenswerter ist die deutsche Bildungsministerin Johanna Wanka: Sie plädiert für ein neues Unterrichtsfach „Alltagwissen“.
Wanka trifft damit den Nagel auf den Kopf. Denn mit Alltagswissen ist genau das größte Defizit beschrieben, das junge Europäer am Ende ihrer Schulausbildung haben. Selbst in anspruchsvollen Schulen – ja, auch die gibt es noch in manchen Ländern Europas, – lernen junge Menschen viele für den Rest ihres Lebens eher unwichtige Dinge, aber eben zu wenig Alltagswissen.
Gewiss: Die Punischen Kriege, Integrieren und Differenzieren, der Aorist oder die Zahl der Staubgefäße einer Pflanze sind zweifellos interessant und in ihren jeweiligen Disziplinen wichtig. Auch möchte ich sie im Wissensschatz meiner Schulzeit nicht missen, obwohl ich das Meiste davon nie gebraucht habe. Allgemeinbildung ist schön und gibt auch mehr Selbstsicherheit.
Ganz sicher viel wichtiger ist jedoch für jeden jungen Menschen ein größeres Stück an Lebenstüchtigkeits-Vermittlung, an einsetzbarem Wissen um jene Dinge, mit denen er in seinem erwachsenen Leben zu tun haben wird. Dabei geht es aber sicher nicht um jene Bereiche, die der medialen Debatte in den letzten Jahren wichtig erschienen sind. Politische Ideologie-Indoktrinierung zur Versorgung arbeitsloser Politologen ist damit nicht gemeint. Auch weiß heute fast jeder junge Schulabgänger im Umgang mit Smartphones und Kosmetik, mit Autos und Computer bestens Bescheid, sodass es da keinen Zusatzunterricht braucht. Er hat auch im Gegensatz zur Jugendzeit der heute regierenden Gouvernanten-Generation ein hohes Wissen rund um die Sexualität (jene, die diesbezüglich neuerdings einen dringenden Nachholbedarf behaupten, bereiten oft unbewusst oder auch bewusst den Boden für Päderasten vor).
Aber die großen Defizite betreffen etwa alle Bereiche der Ernährung. Weder junge Frauen noch junge Männer haben in der Regel irgendeine Ahnung vom gesunden Kochen. Sie begnügen sich mit dem Erwärmen von Fertiggerichten oder Verschlingen von Junk Food. Dementsprechend katastrophal schaut das gewaltige Übergewicht vieler junger Menschen aus. Wankas pointierte Formulierung: „Viele Jugendliche schauen mit Begeisterung Kochsendungen, können aber ohne Mikrowelle keine Lebensmittel mehr zubereiten.“
Mehr Aufklärung Jugendlicher ist auch in Hinblick auf alle Internet-Bereiche nötig. Wer da etwa in „soziale“ Netze blöde Informationen über sich oder Nacktfotos hineinstellt, wird das später oft heftig bereuen, etwa bei der Suche nach einem Arbeitsplatz, – und kann es dennoch nicht mehr rückgängig machen.
Ebenso überfordert sind sie mit allen rechtlichen Aspekten ihres künftigen Lebens. Selbst bei der Anmietung ihrer ersten Wohnung benötigen sie die Hilfe eines Rechtsanwalts. Auch die Konsequenzen eines Ratenkaufs oder des Abschlusses von Handy-Verträgen überfordern viele. Noch folgenreicher: Viele junge Menschen gehen bald nach Schulabschluss eine Ehe ein, ohne eine Ahnung von den Konsequenzen zu haben (etwa für den Fall einer Scheidung, von der ja heute jede zweite Ehe bedroht ist).
Besonders wichtig wäre es auch, wenn jungen Menschen die wichtigsten Bestimmungen des Strafrechts vermittelt würden
Es ist absurd, dass der Staat ausgerechnet in jenem Bereich, wo er potenziell am härtesten zuschlägt, nämlich mit Strafhaft und Geldstrafen, nirgendwo jungen Menschen vermittelt, wie sie sich eigentlich verhalten müssen. Zwar gibt es den Religionsunterricht mit seinem „Du sollst nicht stehlen“. Aber das ist in einem kasuistisch und kompliziert gewordenen Strafrechtssystem viel zu wenig ausreichend. Ganz abgesehen davon, dass viele Schüler heute gar keinen Religionsunterricht mehr besuchen.
Genauso unfähig sind die allermeisten Schulabsolventen in allen wirtschaftlichen Angelegenheiten. Viele fallen auf windige Finanzberater hinein. Kaum einer weiß den simplen Unterschied zwischen Aktie und Anleihe. Kaum einer begreift, dass die Zahl der angeblich Armutsgefährdeten genauso groß bleibt, selbst wenn man jedem Einwohner das reale Einkommen verdoppeln würde. Kaum einem wird vermittelt, dass er selbst für vieles Eigenverantwortung trägt, für Gesundheit ebenso wie das eigene Leben im Alter. Statt dessen wird den Jugendlichen ein dumpf-diffuses Wohlfahrtsdenken vermittelt, das den Irrglauben wachruft, dass sich der Staat eh um alles in ihrem kommenden Leben kümmern würde.
Noch weniger Jugendliche bekommen irgendeine Vorstellung vermittelt, was es braucht und bedeutet, um Unternehmer zu werden. Wie sollen das Lehrer auch können, die selbst keine echte Lebenserfahrung in der Wirtschaft oder gar als Selbständiger gesammelt haben! Dabei ist das zweifellos die wichtigste Berufs-Perspektive für viele junge Menschen, weil die einst von Bruno Kreisky und heute von Griechenland praktizierte Methode der Arbeitsmarktpolitik – Arbeitslosigkeit durch Schaffung von immer noch mehr unnötigen Beamten-Jobs zu bekämpfen – nicht mehr funktioniert.
Nur in einem weiteren Bereich der großen Defizite von Schulabgängern wird die bloße Vermittlung von Alltagswissen nicht ausreichen. Das sind die uralten Kulturtechniken Pünktlichkeit, Höflichkeit, Grüßen. Diese Defizite gibt es freilich nicht aus Mangel an Wissen, sondern weil niemand Schülern solche Verhaltensweisen konsequent eintrainiert hat.
Gewiss liegen da viele Versäumnisse bei den Eltern. Aber auch in den Schulen wäre diesbezüglich Konsequenz enorm wichtig. Jedoch: Seit die 68er Generation Disziplin als überflüssige „Sekundärtugend“, die auch die SS gehabt hätte, verteufelt hat und damit in Politik und Medien viele Anhänger gefunden hat, trauen sich viele Lehrer und Direktoren nicht mehr, Pünktlichkeit und Höflichkeit einzufordern. Und schon gar nicht, das mit ungebrochener Konsequenz jeden Tag zu tun. Das ist ein großer Schaden für Jugendliche, wenn sie diese Verhaltensweisen weder von den Eltern noch von ihrer Kuschelschule als unverzichtbar vermittelt bekommen haben.
Die Vermittlung dieser Kulturtechniken wie auch von grundlegendem Alltagswissen: Das sind zweifellos die wahren Aufgaben, die eine echte Reform des Bildungswesens im Visier haben müsste. Sowohl für Pflichtschulabsolventen wie auch für Maturanten.