Deutschlands Kanzlerin muss sich vor dem 22. September nicht besonders fürchten. Die Chancen, dass Angela Merkel weiter machen darf, stehen nämlich hervorragend. Die 59jährige Pastorentochter aus Brandenburg hat seit November 2005 immerhin bewiesen, wie rasch eine gelernte Diplomphysikerin zur mächtigsten Frau Europas, wenn nicht der Welt mutieren kann.
[[image1]]Nach Polit-Legenden wie Willy Brandt und Helmut Schmidt, nach dem hochgeschätzten Helmut Kohl, dem Kanzler der deutschen Einheit, und dem vielfach unterschätzten Reformer Gerhard Schröder blieb es Merkel vorbehalten, auf der politischen Bühne eine europaweit neue Rolle zu übernehmen – als eine Art Maria Theresia des 21. Jahrhunderts.
Deutschlands Eiserne Lady hat beispielsweise den kleinen französischen Selbstdarsteller Nicolas Sarkozy so lange abgebusselt, bis er in seinem Land die Macht verlor, sie hält seither dessen Nachfolger Francois Hollande geschickt in Schach und macht sich ungleich besser als etwa der britische EU-Querulant David Cameron. Merkel spielt, wenngleich sie da und dort, etwa in Griechenland, höchst unbeliebt geworden ist, nicht nur konsequent die erste Geige, wenn es um wichtige Entscheidungen geht, sondern ist zugleich die unumstrittene Dirigentin – als vermeintlich oberste Chefin von 27 weiteren Regierungschefs. Und sie erledigt ihren Job mit einer derartigen Überzeugungskraft, dass sie beispielsweise sogar vom andersfärbigen österreichischen Kanzler Werner Faymann, der mit ihr zumeist im Gleichschritt marschiert, geradezu bewundert wird.
Obzwar die erste deutsche Kanzlerin, die noch dazu aus dem Osten kommt, nicht unbedingt ein politischer Wunderwuzzi ist – Pannen und Hoppalas sind ihr schon zur Genüge passiert – , konnte sie die Bundesrepublik zur dominanten Nation innerhalb der Europäischen Union machen. Merkel, die vor acht Jahren noch wie eine kleine Duckmaus gewirkt hatte, profilierte sich dabei einerseits als überzeugte Europäerin, die stets für ein einheitliches, gemeinsames Europa eintritt, sie kämpfte aber zugleich, so schwierig das auch bisweilen war, für die prioritären Interessen ihrer Landsleute. Die Bürgerinnen und Bürger dürften die Performance der eloquenten, bodenständigen und überzeugend wirkenden Nummer eins in Europa bei der Bundestagswahl in nicht einmal drei Wochen entsprechend honorieren. Merkel hat freilich das Glück, dass ihr roter Rivale Peer Steinbrück keine wirklich Ernst zu nehmende Alternative abgibt.
Bonmots reichen nicht
Auch wenn der eher farblose SPD-Chef ab und an mit Bonmots punkten kann – Beispiel: „Die Koalition verhält sich wie in einem Kreisverkehr: Sie hat keine Richtung, aber sie fährt ganz gut“ – wird ihn Merkel ähnlich souverän abhängen wie bei den letzten Wahlen Frank-Walter Steinmeier, der eine schwere Schlappe einstecken musste. Selbst eine rot-grüne Koalition wird sich auch diesmal laut Meinungsforschern nicht ausgehen. Die zahlreichen Versprechen Steinbrücks – ein gesetzlicher Mindest-stundenlohn von 8,50 Euro, ein Spitzensteuersatz von 49 Prozent und andere Kuriositäten – können letztlich nicht darüber hinwegtäuschen, dass er für Deutschland ein ziemlich ungeeigneter Regierungschef wäre. Und als Kanzler alsbald eine ähnlich hilflose Figur machen würde wie Hollande, sein linker Parteifreund in Frankreich, der auch im eigenen Land mit einer immer stärker spürbaren Welle des Misstrauens konfrontiert ist.
Angela Merkel ist da aus anderem Holz geschnitzt: Sie fackelt im Wahlkampf nicht lange herum, verspricht niemandem das Blaue vom Himmel, sondern verweist stattdessen am liebsten darauf, wie exzellent sie als Kapitän das Schiff durch eine stürmische Phase gesteuert habe. Die deutsche Wirtschaft stehe großteils sehr gut da, die Arbeitslosenrate sei niedriger als in fast allen anderen EU-Ländern, den meisten Wählerinnen und Wählern gehe es besser als je zuvor – und dass die Kluft zwischen Reich und Arm in ihrer Amtszeit größer geworden ist, fällt ohnedies kaum jemandem auf.
Die nicht gerade modebewusste deutsche Kanzlerin wird jedenfalls nach menschlichem Ermessen weiter in Mode bleiben: Sie versteht es dank einem genialen Mix aus Professionalität, Cleverness und Routine – immerhin diente sie sieben Jahren als Ministerin, drei Jahre als Oppositionsführerin und acht Jahre als Bundeskanzlerin – , dem Wahlvolk zu signalisieren, dass sie Steinbrück turmhoch überlegen ist. Und sorgt geschickt für das, was Experten den „Wohlfühleffekt“ nennen, weshalb der Wunsch nach einer politischen Wende in der Bundesrepublik alles andere als stark ausgeprägt ist. Wenn die Machtverhältnisse in Berlin nach dem 22. September weitgehend konstant bleiben, wird das bestimmt auch Brüssel freuen: Die Union hatte in den vergangenen Jahren auf Grund diverser Regierungswechsel in einigen Mitgliedsstaaten ohnedies schon genügend Zores zu bewältigen.