Der Abzug der österreichischen Einheiten der UNDOF (United Nations Disengagement Observer Force) vom Golan ist ein schwerer strategischer Fehler und die überstürzte Form des Rückzugs ist geradezu verstörend.
[[image1]]Aufgrund der Zahlenstärke der österreichischen Soldaten im Rahmen des UNDOF-Kontingents stellt der hastig beschlossene Abzug auch eine Gefährdung der gesamten Mission dar. Zudem verstärkt der äußerst kurze Zeitplan für den Rückzug die ohnehin bereits bemerkbaren Auflösungserscheinungen der UNDOF, nachdem kroatische, kanadische und japanische Einheiten aus der UNDOF bereits ausgeschieden sind.
Der begrenzte militärische Zwischenfall am Bravo Gate am 6. Juni, das Rebelleneinheiten für kaum eine Stunde unter ihre Kontrolle gebracht hatten, war für die politische Elite des Landes Anlass und Vorwand, innerhalb weniger Stunden eine Mission zu beenden, die vor 39 Jahren begonnen hatte. Das Bravo Gate wurde durch die offiziellen syrischen Streitkräfte bald wieder befreit. Blauhelme wurden nicht zum Ziel militärischer Kampfhandlungen. Wenn dieses passiert wäre, hätte statt des Rückzugs aus der UNDOF auch eine Verlegung der österreichischen Einheiten auf israelisches Gebiet erwogen werden können, bis der Sicherheitsrat sich auf eine neue Bewertung der militärischen Lage verständigt hätte.
Abzug erleichtert militärische Eskalation
Wenn nicht wirklich nur auf einen Anlassfall gewartet wurde, den man in der österreichischen Regierung am 6. Juni dann gegeben sah, dann erfolgte der Abzug jedenfalls verfrüht. Die kurze Besetzung des BRAVO-Gate war keine Gefährdung der UNDOF-Einheiten, auch wenn zuzugeben ist, dass in den vergangenen Monaten Übergriffe auf österreichische und philippinische Blauhelmsoldaten durch irreguläre syrische Kämpfer stattgefunden haben. Ein Abzug der Einheiten wäre aber rechtlich und politisch nur dann zu vertreten und geboten gewesen, wenn sich offizielle syrische und israelische Streitkräfte nicht mehr an die Waffenstillstandsvereinbarungen halten. Das aber ist nicht der Fall! Österreich erleichtert mit seinem Abzug nun, dass es an der Waffenstillstandslinie zu einer militärischen Eskalation kommen könnte.
Es stimmt zweifellos, dass das derzeitige Mandat den UNDOF-Einheiten, das auf der Resolution 350 des Sicherheitsrates der VN aus dem Mai 1974 beruht, nur begrenzte Möglichkeiten einräumt; es stimmt auch, dass das Mandat nur auf die regulären Streitkräfte der Konfliktparteien Israel und Syrien ausgerichtet ist, nicht aber auf irreguläre bewaffnete Kämpfer. Aber auch das derzeitige Mandat bietet die Möglichkeit zum Waffeneinsatz zu Zwecken der Selbstverteidigung.
Unbesonnenheit mit Gesichtsverlust
Eine besonnene Vorgangsweise hätte diesen Zwischenfall als An-lass dafür genommen, im Rahmen der UN für ein robusteres Mandat für die UNDOF nachzusuchen; die hätte auch schon vor vielen Monaten erfolgen sollen. Dieses Mandat hätte nach Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen beschlossen werden sollen. Es ist keineswegs sicher, dass sich der Sicherheitsrat dazu bereitgefunden hätte. Österreich hätte bei einem Scheitern dieses Versuchs seine Soldaten aber ohne Gesichtsverlust abziehen können.
Daraus leitet sich ab, dass die österreichische Regierung durchaus noch Zeit gehabt hätte, auf die prekäre Sicherheitslage zu reagieren und mit dieser zurechtzukommen, ohne den sofortigen Rückzug anzuordnen. Es gilt für die österreichische Bevölkerung aber, was vielen demokratischen Gesellschaften eigen ist: es sind postheroische Gesellschaften, in denen dem Soldaten kein heroischer Status zugebilligt wird und Soldaten auch nicht fallen dürfen. Unabhängig davon, dass die gegenwärtige Situation auf dem Golan für die österreichischen Soldaten noch nicht lebensbedrohlich war, zählt es aber zum Wesen des Soldaten, in gefährlichen Situationen auch das äußerste Risiko, den Einsatz des eigenen Lebens, einzugehen. Österreichische Blauhelme, die keine Wehrpflicht-, sondern sich freiwillig für diesen Einsatz gemeldete Berufssoldaten sind, waren von Anfang an am Golan, weil es eine militärisch-gefährliche Region ist. Die Teilnahme an UN-Operationen kann doch nicht ernsthaft an deren absolute Gefahrlosigkeit geknüpft sein.
Der Abzug der österreichischen Verbände führt zu einer unüber-sichtlichen Lage auf den Golan-Höhen. Letztlich ist die Region auf die Lage vor dem 31. Mai 1974 zurückgeworfen, als sich Syrien und Israel zwar auf ein Truppenentflechtungsübereinkommen geeinigt hatten, aber dessen internationale Überwachung erst beschlossen werden musste. Gerade Österreich mit seiner schmutzigen Vergangenheit des letzten Jahrhunderts wäre auch dringlich anzuraten, diese Sicherheitsaufgabe gegenüber dem Staat Israel ernst zu nehmen.
Bravogate ist nicht Embargogate
In Österreich betonen nun viele Mitglieder der politischen Eliten, der Truppenabzug wäre auf Ebene der EU für den Fall der Nicht-verlängerung des Waffenembargos gegen die beiden Konfliktpar-teien in Syrien doch angekündigt gewesen. Das ist zynisch und sachlich haltlos: Die Entscheidung des Ratstreffens, das Embargo nicht mehr zu verlängern, hat derzeit noch keinerlei Änderung der Waffenversorgung der irregulären Kampfverbände in Syrien bewirkt. Bravo Gate und Embargogate haben nichts miteinander zu tun.
Österreich hat mit dieser Entscheidung, die wohl nicht zuletzt auch von wahltaktischen Motiven getragen war, das Ansehen von 39 Jahren UNDOF-Engagement in kurzer Zeit verspielt. Im Schacher um Wählerstimmen wurden die internationale Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit Österreichs geopfert.
Anders als andere kleinere Staaten, hat die österreichische Au-ßenpolitik seit vielen Jahren keine Akzente mehr zu setzen vermocht, vielleicht auch nicht gewollt. Anders als Norwegen oder die Schweiz hat sich Österreich nicht um die Vermittlung bei zwischen- oder innerstaatlichen Konflikten bemüht. Österreich ist international damit kaum noch sichtbar gewesen. Der Abzug vom Golan löscht nun einen der letzten verbliebenen Akzente dieses Landes in der internationalen Politik aus. Kleine Staaten sind an sich nicht bedeutungslos, eine wenig kluge Außenpolitik kann sie aber sehr rasch dazu machen.