Lange Zeit hatte sich die Wirtschaft vor einer Stellungnahme in der kontroversen Europa-Debatte gedrückt. Doch nun schalten sich internationale Konzerne ein.
[[image1]]Als erster großer ausländischer Konzern hat Nissan Großbritannien soeben vor einem Austritt aus der Europäischen Union gewarnt. „Es ist sehr wichtig, dass das Vereinigte Königreich Teil der Europäischen Union bleibt“, erklärte Toshiyuki Shiga, der Chief Operating Officer des japanischen Multis. Außerhalb der EU könnte es erhebliche Hindernisse für Investoren mit Beteiligungen in Großbritannien geben, so Shiga, dessen Stimme als Stellvertreter von Nissan-Chef Carlos Ghosn besonderes Gewicht hat. Sorgen machten ihm die Aussicht auf neue Regulierung, die Ungewissheit der steuerlichen Lage, sowie die zusätzlichen Kosten durch Zölle, betonte der Manager. Das Ergebnis des von Premier David Cameron in Aussicht gestellten Referendums über Verbleib oder Austritt der Briten aus der EU werde sein Unternehmen zwar „respektieren“, doch sei es wichtig, dass bei den Exporten von Nissan-PKWs ins restliche Europa, keine Zölle oder sonstige zusätzliche Kosten anfielen und die Regulierung für die Autoindustrie in Großbritannien auch in Zukunft den selben Standards folge wie im restlichen Europa.
Wichtiger Investitionsstandort
Nissan betreibt im nordenglischen Sunderland Großbritanniens größte PKW-Fertigungsanlage, dort werden im Jahr rund 510.000 Fahrzeuge produziert. In Sunderland beschäftigt Nissan über 6000 Mitarbeiter, indirekt sind weitere 24.000 Jobs bei den Automobilzulieferern von dem japanischen Konzern abhängig. Nordengland ist für Nissan ein wichtiger Standort und der Brückenkopf für den europäischen Markt. Seit 1986 investierte Nissan insgesamt 3,5 Milliarden Pfund im Vereinigten Königreich; erst kürzlich hatten die Japaner weitere Investitionen in Höhe von 125 Millionen Pfund getätigt, um das Werk in Sunderland zu erweitern. Shiga stellte nun in Aussicht, dass dort künftig eine neue Modellreihe gebaut werden könnte. Erst im September war in Sunderland der neue Nissan Note vom Band gerollt. Auch Toyota gehört zu den wichtigen Investoren auf der Insel: Der japanische Autohersteller will sein Werk in Burnaston in der mittelenglischen Grafschaft Derbyshire für 100 Millionen Pfund erweitern. Insgesamt haben ausländische Autokonzerne in den vergangenen zwei Jahren rund sechs Milliarden Pfund auf der Insel investiert.
Ausländische Autobauer haben enorme Bedeutung
Die Automobilindustrie im Vereinigten Königreich ist der Stolz der britischen Regierung, die sich gerne mit den Exporterfolgen so bekannter Marken wie Mini oder Jaguar Landrover brüstet, ohne dabei zu erwähnen, dass es inzwischen keinen einzigen großen britischen PKW-Massenhersteller mehr gibt, denn alle bedeutenden Automobilproduzenten sind inzwischen in ausländischer Hand. Etwa 85 Prozent der auf der Insel produzierten Fahrzeuge gehen in den kontinental-europäischen Markt. Die Branche gilt als einer der wenigen Lichtblicke in einem Land, das kaum mehr über verarbeitende Industrie verfügt und sich in erster Linie auf Dienstleistungen stützt. In den vergangenen fünf Jahren bauten ausländische Autohersteller wie Jaguar Land Rover, BMW, Nissan, Honda und Toyota ihre britischen Standorte aus, erweitern die Modellpalette und stellen mehr Personal ein. Doch all das könnte sich ändern, wenn die Briten bei der von Cameron im Jahr 2017 angekündigten Volksabstimmung für eine Trennung Großbritanniens von der restlichen EU votieren sollten.
Auch die Finanzindustrie erhebt die Stimme
Ausländische Banken in London, dem wichtigsten Finanzplatz Europas, haben nun ebenfalls auf die negativen Folgen eines Ja-Votum hingewiesen. Michael Sherwood, Chef von Goldman Sachs in London warnte in diesem Zusammenhang bereits vor einem Exodus vieler europäischer und amerikanischer Institute: „Binnen kurzer Zeit werden sie weg sein“. Goldman Sachs werde in diesem Fall zwar die Europazentrale in der britischen Hauptstadt nicht ganz schließen, aber einen Teil seiner Angestellten in andere europäische Länder versetzen. Die US-Wall-Street-Bank Goldman Sachs beschäftigt in London 6000 ihrer 7000 europäischen Mitarbeiter. Richard Gnodde, Sherwoods Co-Chef an der Themse befürchtet, dass die Bedeutung des Londoner Finanzzentrums im Falle eines EU-Austritts schwinden würde: „Die City war lange vor der EU da. Ob die Briten nun drinnen oder draußen sind – die City wird es unabhängig vom Ausgang des Referendums sicherlich noch lange geben. Die Frage ist nur: was für ein Finanzzentrum wird die City sein?“ Das ist in der Tat ein viel diskutiertes Thema. Denn im Gegensatz zu Gnodde meinen manche Banker, außerhalb der EU werde die Londoner City als Off-Shore-Finanzplatz eine ganz neue Blüte erleben.
Camerons Vize hat Bedenken
„Die EU zu verlassen wäre wirtschaftlicher Selbstmord“, meint allerdings Nick Clegg, Vizepremier und Parteichef der Liberaldemokratischen Partei. Die Debatte über den sogenannten „Brexit“ sei ein Spiel mit dem Feuer. „Wenn wir diesen Weg gehen, werden wir uns daran verbrennen“, befürchtet er. Die Liberaldemokraten sind die europafreundlichste Partei Großbritanniens. Doch als Juniorpartner einer Koalitionsregierung mit der Konservativen Partei, in der die anti-europäischen Stimmen immer lauter werden, haben die Liberaldemokraten derzeit kaum Einfluss auf die öffentliche Meinung. Umfragen zeigen, dass derzeit eine Mehrheit der Briten die EU verlassen will. Tory-Chef und Premier Cameron wird unterdessen immer stärker von seinen eigenen Hinterbänklern unter Druck gesetzt. Im Boulevardblatt „Mail on Sunday“ forderte der Tory-Abgeordnete Adam Afriyie, die Volksabstimmung schon im kommenden Jahr abzuhalten. „Das wird unter keinen Umständen geschehen“, kam prompt die Reaktion aus dem Büro des Premierministers.