In der chilenischen Hauptstadt Santiago wurde zwei Tage lang zum Halali geblasen: Der so genannte „Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht“, ein international besetztes Gremium aus Notenbankern und Bankenaufsehern, konnte zwar noch nicht das Ende der weltweiten Jagd auf die Kreditinstitute verkünden, denen er neue Kapitalvorschriften verpassen möchte. Doch der Name der Schweizer Stadt, nach der etwa das globale Regelwerk Basel III benamst ist, bleibt für Banker weiterhin ein Synonym für Horror. Denn das in Planung befindliche Projekt Basel IV, mit dem die Regulierer die Geldhäuser noch mehr an die Kandare nehmen sowie künftige Finanzkrisen verhindern möchten, schwebt nach wie vor über der jammernden Branche – die Frage ist eigentlich nur, ob und wann es einen Kompromiss geben wird oder ob die Verhandlungen letztendlich gar platzen werden.
In Santiago hat es sich jedenfalls als Glücksfall erwiesen, dass sich die Europäer und die Amerikaner wieder nicht einigen konnten, wie etwa die Risiken der Bankinstitute zu bewerten seien. In dieser transatlantischen Kontroverse geht es vor allem darum, dass die europäischen Institute die von der Gegenseite geforderte strengere Risikobewertung von Aktiva ablehnen, weil sie in der Verfeinerung der Kapitalvorschriften eine Gefährdung ihrer Geschäftsmodelle sehen. Die Amis hingegen, die ihre europäischen Rivalen für zu schwach kapitalisiert halten, lehnen die in Europa üblichen internen, also selbst gestrickten, auf Kreditausfällen in der Vergangenheit basierenden Bewertungsmodelle ab, weil diese geeignet wären, das Risiko schön zu rechnen. Einheitliche Standards in der Frage, wie viel Eigenkapital die Banken für Kredite und andere Geschäfte zur Seite legen müssen, würden den Europäern automatisch einen weiteren Kapitalbedarf abverlangen, der von PricewaterhouseCoopers (PwC) auf 300 Milliarden Euro geschätzt wird und damit schlichtweg nicht zu verdauen wäre.
Starke Front gegen Regulierer
Genau deshalb haben etwa die EU-Finanzminister schon vor Monaten an den Baseler Ausschuss appelliert, die Kapitalanforderungen nicht signifikant zu erhöhen – eine Forderung, die bei der zitternden Kreditwirtschaft naturgemäß auf ungeteilte Zustimmung sorgt. Deutschlands Finanzminister Wolfgang Schäuble und sein französischer Amtskollege Michel Sapin haben unmissverständlich festgehalten, dass die geplante Regulierungswut unter dem Codewort Basel IV nicht in ein Dilemma für europäische Banken ausarten dürfen. Auch die EU-Kommission unter Präsident Jean-Claude Juncker hat mehrfach gefordert, den Fokus stärker auf Wachstum zu legen und weitere Finanzmarktregeln auf deren Verhältnismäßigkeit zu prüfen. Schließlich stellte Finanzmarkt-Kommissar Valdis Dombrovskis kürzlich klar, dass Europa – so wie übrigens auch Japan – weltweiten Bankenregeln nur dann zustimmen könne, wenn „die Finanzierung der europäischen Wirtschaft nicht über Gebühr erschwert“ werde.
Die allgemeine Empörung über dieses Regelwerk, das nicht nur die europäische Bankenszene, sondern auch die Realwirtschaft bedroht, ist also beträchtlich – naturgemäß auch in Österreich. Obwohl Banken hierzulande seit Jahren so wie überall relativ wenig Sympathien genießen, ist ihnen seit Monaten die Rückendeckung von Basel IV-Skeptikern aller Ausprägungen sicher. FPÖ-Finanzsprecher Hubert Fuchs etwa befürchtet – falls Basel IV käme – „eine massive Gefährdung des österreichischen Wirtschaftsstandortes durch die Abwanderung von Unternehmenssitzen und Arbeitsplätzen ins Ausland. Denn während Beteiligungen von Banken an Unternehmen nach geltendem Aufsichtsrecht grundsätzlich mit 100 Prozent zu gewichten sind, solle das Risikogewicht solcher Beteiligungen nach Ansicht des Basler Ausschusses künftig auf 250 Prozent erhöht werden, was für Fuchs völlig inakzeptabel sei. Tatsächlich halten heimische Kreditinstitute wesentliche Beteiligungen an strategisch wichtigen Unternehmen wie z.B. an der Voestalpine, der Agrana oder der NÖM, die mangels inländischer Investoren womöglich an ausländische Geldgeber verkauft werden müssten, womit Arbeitsplätze gefährdet wären.
ÖVP-Finanzsprecher Werner Groiß sieht diesbezüglich ebenfalls eine Gefahr für den Industriestandort Österreich – doch nicht nur das: Er verlangt, dass es keine Verschärfung puncto Ausnahmegenehmigungen für Kredite für Kleinunternehmen geben dürfe, sondern diese bei Basel IV sogar ausgebaut werden sollten. Nur so wäre eine Bankfinanzierung der österreichischen kleinstrukturierten Unternehmerschaft möglich. Groiß: „Man darf nicht gerade anlaufende Konjunkturprogramme wie etwa die Wohnbauoffensive oder das Alternativfinanzierungsgesetz, gefährden“. Gerade dafür brauche es Kapital am Markt und nicht in den Rücklagen-Depots der Finanzinstitute. Mögliche Verschlechterungen bei der KMU-Finanzierung bereiten auch WKÖ-Präsident Christoph Leitl Sorge, weshalb er schon mehrmals vorschlug, Erleichterungen im Basel III-Regelwerk anzudenken. Franz Rudorfer wiederum, Geschäftsführer der Bundessparte Bank und Versicherung in der WKÖ, hält es für „verantwortungslos“, dass „schon wieder an der Regulierungsschraube gedreht wird“, obwohl Basel III noch nicht einmal fertig umgesetzt ist.
Scharfe Kritik kommt auch vom Raiffeisenverband, dessen Generalsekretär Andreas Pangl die Aktivitäten des Baseler Ausschusses als „Gefährdung für die Finanzierung der österreichischen Wirtschaft“ beurteilt: „Während weltweit die Regierungen das Wirtschaftswachstum beleben wollen, um Wohlstand sicherzustellen, konterkarieren diese Pläne alle Bemühungen in diese Richtung. Es ist nicht Aufgabe von Aufsehern, Wirtschaftspolitik zu betreiben“. Die Unsinnigkeit etlicher geplanter Maßnahmen stößt jedenfalls vielen sauer auf: So etwa sollen Europas Banken auch wegen Hypothekarkrediten, die sie – anders als in den USA – in ihren Bilanzen haben, die Kapitalunterlegung erhöhen müssen – ungeachtet der Tatsache, dass das Risiko bei solchen Krediten ziemlich gering ist.
Stoppt Donald Trump die Regulierer?
Die Pläne des Basler Ausschusses, dem es „an Legitimität und Transparenz mangelt“, wie es EU-Abgeordneter Othman Karas formuliert hat, werden deshalb europaweit so vehement abgelehnt, weil zu befürchten ist, dass sich die Amerikaner durchsetzen und damit ihre Mitbewerber jenseits des Atlantiks schwächen bzw. an die Wand spielen können. Die Pikanterie am Meeting in Santiago war allerdings, dass mit Donald Trump jemand ins Weiße Haus einziehen wird, der im Wahlkampf angekündigt hat, die nach der Finanzkrise eingeführten Regeln auf den Prüfstand stellen oder gänzlich abschaffen zu wollen. Das bedeutet zum einen, dass sehr fraglich ist, ob die US-Abgesandten in Santiago überhaupt noch die erforderliche Rückendeckung besaßen, um an ihrer Strategie festzuhalten. Und zum andern lässt sich daraus ableiten, dass ein künftiger Kompromiss im aufkeimenden Wirtschafts-Duell USA contra Europa immer schwieriger zu erreichen sein dürfte.
Stefan Ingves, Chairman des Baseler Ausschusses, übt sich indes in Zweckoptimismus: Der Governor der Schwedischen Notenbank hofft nach wie vor, eine Lösung zu finden, mit der alle leben können, um das ungeliebte Regelwerk Anfang 2017 von den Chefs der Nationalbanken und Aufsichtsbehörden unterzeichnen zu lassen. Falls es Donald Trump gelänge, diese Absicht zu durchkreuzen und den vermeintlichen Wahnsinn zu stoppen, wäre das in den Augen der zahlreichen Basel IV-Kritiker ein riesiger Pluspunkt für den US-Milliardär – und den würde er am Beginn seiner Amtszeit dringend gebrauchen…
In Kürze lesen Sie in Teil 2 dieser Serie, wie der Basler Ausschuss für Bankenaufsicht personell besetzt ist, wie er funktioniert und wie er die internationale Bankenwelt unbedingt retten möchte.