Die Beschäftigungssituation und die soziale Lage in der EU blieben auch im vierten Quartal des Jahres 2012 kritisch – die Zahl der Beschäftigten ging insgesamt zurück, während die Arbeitslosigkeit weiter anstieg und die finanzielle Situation der privaten Haushalte nach wie vor schwierig ist. Das geht aus dem jüngsten Vierteljahresbericht der Europäischen Kommission zur Beschäftigungssituation und zur sozialen Lage hervor.
[[image1]]In bestimmten Mitgliedstaaten treten die negativen Auswirkungen der Haushaltskürzungen und Steuererhöhungen auf die Beschäftigungslage und den Lebensstandard immer deutlicher zutage. Ferner wird in dem Bericht darauf hingewiesen, dass sich die Nettozuwanderung aus Drittstaaten in die EU verlangsamt hat und dass die Geburtenraten im Zuge der Krise gesunken sind.
László Andor, EU-Kommissar für Beschäftigung, Soziales und Integration: „Die soziale Krise in Europa verschlimmert sich weiter. In mehreren Mitgliedstaaten ist keine spürbare Verbesserung zu erkennen. Sehr oft hat die Krise gerade die Ärmsten besonders stark getroffen. Die Regierungen müssen investieren, um auf den Weg des inklusiven Wachstums zurückzufinden und den Menschen eine echte Chance auf ein menschenwürdiges Leben zu geben. Wie dies geschehen kann, hat die Kommission jüngst in ihrem Sozialinvestitionspaket aufgezeigt. Vor allem aber brauchen wir mehr Solidarität, innerhalb der einzelnen Länder und zwischen diesen. Wir können diese Krise nur überwinden, wenn wir zusammenhalten.“
Im Januar 2013 stieg die Arbeitslosigkeit in der EU weiter auf 26,2 Millionen an (im Euroraum waren es 19 Millionen) bzw. auf 10,8 % der Erwerbstätigen (11,9 % im Euroraum). Die Arbeitslosenquoten in den südlichen/peripheren Ländern einerseits und diejenigen in den nördlichen Ländern des Euroraums klafften im Jahr 2012 um 10 Prozentpunkte auseinander – so groß war die Diskrepanz noch nie. In der EU ging das BIP im vierten Quartal 2012 um 0,5 % zurück, das ist der stärkste Rückgang seit Anfang 2009. Die Gesamtzahl der Beschäftigten in der EU fiel im Jahr 2012 um 0,4%, wobei nur im Bereich der Teilzeitarbeit positive Trends festgestellt werden konnten. Allein im vierten Quartal 2012 verringerte sich die Beschäftigtenzahl im Vergleich zum dritten Quartal um 0,2 %.
Die Sozialausgaben gehen stärker zurück als in früheren Wirtschaftskrisen
Die Kürzungen der öffentlichen Haushalte haben sich auf die Beschäftigung sowohl direkt (durch Stellenstreichungen im öffentlichen Sektor) als auch indirekt (durch eine geringere volkswirtschaftliche Nachfrage) ausgewirkt. Änderungen an den Steuer- und Leistungssystemen sowie Einschnitte bei den Gehältern im öffentlichen Sektor haben zu einem erheblichen Rückgang der Realeinkommen von Privathaushalten geführt und beeinträchtigen den Lebensstandard gerade von Haushalten mit geringem Einkommen. Die Ausgabenkürzungen und Steuererhöhungen haben sich auf Spitzen- und Geringverdiener in unterschiedlicher Weise ausgewirkt. Die Analyse zeigt, dass Haushaltsreformen sorgfältig ausgestaltet werden müssen, wenn man verhindern will, dass die Ärmsten so unverhältnismäßig stark davon betroffen sind, wie es in einigen Ländern der Fall war (z. B. in Estland und Litauen). Noch nie hat in den vergangenen zehn Jahren ein so großer Teil der EU-Bevölkerung (nahezu jeder vierte Geringverdiener-Haushalt) angegeben, sich in einer finanziellen Notlage zu befinden.
In der Anfangsphase der Krise spielten die Sozialausgaben eine wichtige Rolle für den Ausgleich der Einkommenseinbußen der Haushalte und trugen zur Stabilisierung der Wirtschaft bei. Seit Mitte 2010 nahm ihre Wirkung jedoch ab, und im Jahr 2012 war sogar in Ländern mit weiterhin steigender Arbeitslosigkeit kaum mehr eine Wirkung spürbar. Diese Verringerung der Sozialausgaben fiel erheblich stärker aus als in früheren Rezessionen, was zum Teil die außergewöhnlich starken Zwänge zur Haushaltskonsolidierung im Rahmen der Eurokrise widerspiegelte. Dadurch wurde die stabilisierende Funktion der Sozialschutzsysteme für die Wirtschaft in vielen Mitgliedstaaten neutralisiert, was zumindest kurzfristig auch zur Verschärfung der Rezession beigetragen haben könnte.
Der Europäische Rat hat auf seiner März-Tagung 2013 die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und die Bewältigung der sozialen Folgen der Krise als Priorität für die EU und ihre Mitgliedstaaten bestätigt. Im Februar 2013 hat die Kommission ein Sozialinvestitionspaket vorgelegt, das den Mitgliedstaaten Leitlinien für eine effizientere und effektivere Sozialpolitik an die Hand gibt, mit der sie auf die erheblichen Herausforderungen reagieren können, denen sie gegenüberstehen. Darin wird hervorgehoben, dass öffentliche Investitionen in Bereiche wie beispielsweise die Kinderbetreuung, die Bildung oder die Unterstützung von Aktivität und Gesundheit im Alter trotz knapper Haushaltsmittel der Mitgliedstaaten aufrechterhalten oder ausgeweitet werden müssen, weil ohne derartige Investitionen viele Menschen nicht an der Gesellschaft teilhaben oder ihr wirtschaftliches Potenzial entwickeln können.
Jugendarbeitslosigkeit und -erwerbslosigkeit so hoch wie nie zuvor
In der gesamten EU hat die Jugendarbeitslosigkeit nicht nur eine neue Rekordhöhe erreicht (im Januar 2013 waren 23,6 % der erwerbstätigen jungen Menschen arbeitslos), doch das ist noch nicht alles – junge Menschen sind auch immer länger arbeitslos. 7,1 % der erwerbstätigen jungen Menschen waren im dritten Quartal des Jahres 2012 schon seit über einem Jahr arbeitslos (6,3 % im Vorjahr). Dieser Trend birgt ein ernsthaftes Risiko, nämlich dass junge Menschen auf dem Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft allgemein den Anschluss verlieren. Die steigende Zahl der unter 25-Jährigen, die weder einen Arbeitsplatz haben noch in der Ausbildung sind – inzwischen sind es ungefähr 8 Millionen junge Menschen – gibt ebenfalls Anlass zu großer Sorge.
Zur Bekämpfung der unannehmbar hohen Jugendarbeitslosigkeit hat die Kommission am 5. Dezember 2012 ein Jugendbeschäftigungspaket vorgelegt. Das Paket umfasst einen Vorschlag für eine Empfehlung zur Einführung einer Jugendgarantie in jedem Mitgliedstaat, damit sichergestellt werden kann, dass alle unter 25-Jährigen innerhalb von vier Monaten nach Abschluss ihrer formalen Ausbildung oder nach Verlust ihres Arbeitsplatzes ein gutes Angebot für eine Arbeits-, Ausbildungs- oder Praktikumsstelle bzw. für eine Weiterbildung erhalten. Der Ministerrat hat am 28. Februar 2013 eine politische Einigung über diese Empfehlung erzielt. Vor kurzem hat die Kommission außerdem konkrete Vorschriften vorgeschlagen, damit die Jugendbeschäftigungsinitiative zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit rasch umgesetzt werden kann. Die Jugendbeschäftigungsinitiative wurde vom Europäischen Rat auf seiner Tagung am 7. und 8. Februar 2013 vorgeschlagen und für den Zeitraum 2014-2020 mit 6 Mrd. EUR ausgestattet.
Die Krise schlägt sich auf die Geburtenraten nieder
Im vierteljährlichen Bericht werden auch die negativen Auswirkungen der Krise auf die Geburtenraten untersucht. Seit 2009 steigen sie nicht mehr an und haben sich in den 27 Mitgliedstaaten der EU auf knapp unter 1,6 pro Frau eingependelt. Das Durchschnittsalter der Frauen bei der Geburt steigt weiter und hat inzwischen 30 Jahre erreicht. Andererseits ist die Lebenserwartung ebenfalls weiter angestiegen und liegt nun bei den Männern bei 77,4 Jahren und bei den Frauen bei 83,1 Jahren. Die Zuwanderung aus Drittstaaten ist seit ihrem Höchststand im Jahr 2007 zurückgegangen, doch selbst im Jahr 2011 verbuchte die EU-27 noch einen Nettozuwachs von ½ Million, was einem Zuwanderer pro tausend EU-Einwohner entspricht. Die Zahl der Neubürger ist stärker gestiegen und hat fast eine Million erreicht. Die langfristige Herausforderung, die eine schrumpfende und überalterte Erwerbsbevölkerung für die EU-Arbeitsmärkte darstellt, ist keineswegs zu unterschätzen.