Donnerstag, 21. November 2024
Startseite / Allgemein / Bis Herbst bleibt die Katze im Sack

Bis Herbst bleibt die Katze im Sack

Die Politik hat Europa Ruhe verordnet. Auch wenn es in vielen Krisenstaaten brodelt – vor den deutschen Bundestagswahlen am 22. September sollen die Bürger die Wahrheit nicht erfahren. Und die könnte Anleger und Steuerzahler im Herbst und Winter eiskalt erwischen. Ein neuer Schuldenschnitt für Griechenland gilt fast schon als sicher, ein ähnlicher Schritt in Portugal ist zumindest nicht ausgeschlossen. Während die Europäer ihre Ferien genießen, braut sich etwas zusammen, über das die Politik nicht reden möchte.

[[image1]]Europa hat in den Ferienmodus umgeschaltet und ist mit leichtem Gepäck unterwegs. Kein Wölkchen soll in diesen Hochsommerwochen die gute Laune trüben, kein defätistisches Krisengerede den urlaubenden Menschen den Spaß rauben. Und sogar die Börsen spielen mit: Manche Kommentatoren jubilieren bereits über „einen der wohl schönsten Börsensommer, die es jemals gab“. Euro-Krise? Sicher bald ausgestanden, jedenfalls wächst das Vertrauen der Europäer in ihre Gemeinschaftswährung allmählich wieder. Inflationsgefahren? Weit und breit nicht erkennbar, zumindest, wenn man den offiziellen Zahlen glaubt.

Die Griechen dürfen sich über steigende Touristenzahlen freuen, in Spanien gingen die extrem hohen Arbeitslosenzahlen zuletzt leicht zurück, in Portugal wurde eine Regierungskrise zumindest vorerst verhindert, und in Frankreich verspricht Staatspräsident Francois Hollande sogar: „Die wirtschaftliche Erholung ist da“.

Geht es nach dem Willen der Euro-Retter in den Staatskanzleien, Notenbanken und internationalen Finanzinstitutionen, dann kann sich die relaxte Stimmung der Bürger gern bis in den Spätsommer hinein fortsetzen, mindestens aber bis zum 22. September. Denn an diesem Tag wird ganz Europa nach Berlin schauen, wenn die Deutschen einen neuen Bundestag wählen. Noch wesentlich spannender als der Wahlsonntag mit seinem fast schon absehbaren Ergebnis dürften jedoch die Wochen und Monate danach werden. Denn die meisten Marktbeobachter sind sich sicher: Die Eurokrise könnte den Sommerträumen bald ein jähes Ende bereiten. Schon jetzt braut sich etwas zusammen, doch Schweigen ist die erste Politiker-Pflicht. Vor den wichtigen Parlamentswahlen in Deutschland sollen die Bürger und Steuerzahler nicht erneut „verunsichert“ werden. Das klingt nobel und einfühlsam, ist aber nichts anderes als dreiste Volksverdummung. Neu ist die Masche nicht: Erst wird gewählt – und dann erst die Katze aus dem Sack gelassen.

Griechenland ist außer Kontrolle

Doch zumindest realistisch denkende Anleger sollten auch im Ferienmodus die zahlreichen Krisensignale nicht ausblenden, die auf einen politisch heißen Herbst und ein Wiederaufflammen der Euro-Schuldenkrise hindeuten. Wer zum Beispiel am Finanzplatz Frankfurt unterwegs ist, hört seit Wochen immer wieder diesen Satz: „Griechenland ist außer Kontrolle“. Die Zahlen sprechen in der Tat für sich. In diesem Jahr dürfte der Schuldenberg dieses Landes auf über 330 Milliarden Euro steigen. Das entspricht rund 180 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Die hohen Zinszahlungen reißen Griechenland immer tiefer in die Rezession – mit der Folge weiter steigender Staatsschulden. Ein Teufelskreis, aus dem es nach Ansicht der meisten Ökonomen nur einen Ausweg gibt: einen zweiten Schuldenschnitt. Und der dürfte schon sehr bald nach der deutschen Bundestagswahl auf der Agenda stehen.

Dass vor allem die Regierungen in den Geberländern jede Diskussion darüber am liebsten im Keim ersticken würden, hat einen guten Grund. Dieses Mal müssen auch die öffentlichen Gläubiger, bei denen inzwischen rund zwei Drittel der griechischen Verbindlichkeiten liegen, einen Teil ihres Geldes abschreiben. Das heißt, es kommt zu unmittelbaren Verlusten für die Haushalte der Geberländer. Das ist dann das Ende der Märchenstunde von der vermeintlichen Euro-Rettung, die angeblich die Steuerzahler nichts koste.

Nicht nur in Griechenland glimmt die Lunte am Schulden-Pulverfass. Seit Monaten spitzt sich ausgerechnet beim einstigen „Musterschüler“ Portugal die Situation besorgniserregend zu. Trotz der allenthalben gelobten Sparanstrengungen der Regierung in Lissabon stiegen die Staatsschulden von 108 Prozent des BIP im Jahr 2011 auf aktuell 123 Prozent. Inflationsbereinigt sank das BIP inzwischen auf den Wert des Jahres 2001. Akut gefährdet sind nach wie vor einige portugiesische Banken. Nicht ausgeschlossen, dass zur Stabilisierung der Finanzbranche das „zypriotische Modell“ angewendet wird, also eine Teilenteignung der privaten Sparer und Anleger. Renommierte Analysten gehen von einem zweiten Rettungspaket für Portugal oder gar von einem Schuldenschnitt aus. Jedenfalls rechnet kaum noch jemand damit, dass Portugal im Sommer 2014, wenn das aktuelle Rettungspaket ausläuft, schon wieder in der Lage sein wird, sich am Markt selbst zu finanzieren.

Nach dem 22. September – das Ende der Märchenstunde

Mit solchen Hiobsbotschaften will man die Bürger in den Geberländern und vor allem die Deutschen vor den Bundestagswahlen nicht irritieren. Daher vertagte die Troika ihren Besuch in Lissabon erst einmal auf Anfang September. Höchst unwahrscheinlich, dass vor dem 22. September die wahre Lage des Krisenstaates offenkundig wird.

Im Nachbarland Spanien wirkt derweil die Regierung mitten in der Krise infolge der schwelenden Korruptionsaffäre weitgehend paralysiert, Frankreich verharrt nach Angaben des nationalen Statistikamtes in der Rezession und steht womöglich vor einem heißen Herbst, wenn Präsident Holland die hochsensible Rentenreform anpackt. Italien hat seit einigen Wochen zwar eine neue Regierung, aber das alte Problem – die mangelnde Bereitschaft zu wirklichen Reformen. Auch die Schuldenkrise in Slowenien und Zypern ist weit davon entfernt, gelöst oder zumindest nachhaltig entschärft zu sein.

Man muss kein Pessimist sein, um ein baldiges Ende der sommerlichen Gelassenheit vorherzusagen. Realismus reicht völlig aus. Anleger sollten jedenfalls auf der Hut sein. Nach dem 22. September kommt die unangenehme Wahrheit auf den Tisch, und das könnte die Märkte erneut in Turbulenzen stürzen. Die Politik aber wird wieder treuherzig versichern, sie habe das alles im Voraus nicht abschätzen können.

 

Bild: tommyS / pixelio.de/ © www.pixelio.de

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Das könnte Sie auch interessieren

Der zweite Anlauf von Alexis Tsipras

Das dritte, 86 Milliarden Euro schwere Hilfspaket für Griechenland ist also, nachdem sogar Wolfgang Schäuble als Europas Skeptiker Nummer Eins schmeichelweich seinen Widerstand beendete, auf Schiene - doch jetzt geht es primär darum, dass Athen nicht noch entgleist.