Die Bilanz zur Jahresmitte fällt an den europäischen Börsen ambivalent aus. In den vergangenen Monaten wurden zwar deutliche Kurssteigerungen erzielt. Doch allmählich wächst die Sorge, ein langsames Ende der Liquiditätsschwemme könnte zu einem jähen Absturz führen. Spätestens ab dem vierten Quartal dürfte dann aber die Börsenwelt wieder in Ordnung sein. Wer derweil nach dem Top-Performer unter den europäischen Börsen sucht, erlebt eine faustdicke Überraschung.
[[image1]]Europas Börsianer haben allen Grund, sich bei Draghi und Bernanke zu bedanken. Deren umstrittene Politik des extrem billigen Geldes hat – bei allen negativen Konsequenzen für die Sparer – den Aktienmarkt befeuert. Kein Wunder, wenn allein mit den Dividenden für viele Blue chips deutlich mehr Geld zu verdienen ist als mit konventionellen Spareinlagen. Wer sich die Performance der wichtigsten europäischen Börsenindices ansieht, kann den Eindruck gewinnen, die Euro-Krise sei endgültig überwunden. Zumindest in den Köpfen, denn gelöst sind die Probleme längst noch nicht.
Die führenden europäischen Börsenindices verzeichneten in den zurückliegenden zwölf Monaten zwar allesamt einen zweistelligen Wertzuwachs, dennoch nehmen sich die Unterschiede beträchtlich aus, was ein deutlicher Indikator für die Stärken und Schwächen der Volkswirtschaften im Euro-Raum ist.
Wie es sich für ein „Geburtstagskind“ gehört, glänzt der Deutsche Aktien Index Dax mit einer besonderen Performance. Von Anfang Juli 2012 bis Ende Juni 2013 stieg das Börsenbarometer, das vor einem Vierteljahrhundert aus der Taufe gehoben worden war, um beinahe 30 Prozent – trotz des deutlichen Einbruchs Ende Juni. Als Performance-Index werden im Dax unter anderem auch die Dividenden berücksichtigt, weshalb er sogar dann zulegen kann, wenn die Kurssteigerung der in ihm enthaltenen Aktien nur mäßig ausfällt.
Der Dax ist fest in ausländischer Hand
Zudem ist der Dax zwar ein deutscher Aktienindex, doch seine Werte befinden sich mittlerweile überwiegend in ausländischer Hand. Nach einer Untersuchung der Beratungsgesellschaft Ernst & Young halten aktuell ausländische Investoren rund 55 Prozent aller Dax-Aktien. Vor acht Jahren waren es erst 44 Prozent. Das zeigt: Der deutsche Aktienmarkt ist bei ausländischen Anlegern beliebter als bei den Deutschen.
Unterdurchschnittlich performte der österreichische Index ATX. Die Zwölfmonats-Performance zum 30. Juni lag unter 18 Prozent. Er war damit schwächer als der EuroStoxx 50, in dem die wichtigsten Blue chips aus dem Euro-Raum enthalten sind (+ 20,6 Prozent). Zuletzt belasteten vor allem die Finanztitel den ATX.
Außerhalb der EU überzeugte wiederum der Schweizer SMI mit einem überdurchschnittlichen Plus, das mit über 28 Prozent fast an die Jahres-Performance des Dax heranreicht. In den ersten sechs Monaten 2013 legte der SMI sogar um elf Prozent zu – und damit stärker als der Dax sowie der weltweite Index MSCI.
Zumindest in den vergangenen zwölf Monaten spiegelte sich die Schwäche der französischen Wirtschaft noch nicht im Pariser Aktienindex CAC 40 wider, der um 22,52 Prozent stieg. Sogar der IBEX 35 (Spanien) und der FTSE MIB (Italien) legten um 15,7 beziehungsweise 14,3 Prozent zu. Diese Performance ist allerdings nicht nur deutlich unterdurchschnittlich, sie muss darüber hinaus vor dem Hintergrund der vorangegangenen Abstürze beurteilt werden. In fünf Jahren verlor der IBEX 35 fast 36 Prozent und der MIB sogar über 47 Prozent an Wert. Auf sehr niedrigem Niveau verbesserte sich schließlich auch der griechische Athex um rund 16 Prozent.
Den ausgesprochenen Outperformer findet man in der EU ausgerechnet dort, wo ihn nur die wenigsten vermuten hätten: Im ersten Halbjahr 2013 stieg der bulgarische Index Sofix um mehr als 30 Prozent. Allerdings hat diese Zahl nur eine sehr begrenzte Aussagekraft. Der bulgarische Aktienmarkt ist sehr eng. An manchen Tagen werden mit den im Sofix gelisteten Aktien gerade einmal Umsätze von 100.000 Euro (!) erzielt. Das meiste Geld konnte man seit Jahresbeginn an der tschechischen Börse verlieren. Der Prague Stock Exchange Index gab um 18 Prozent nach.
Top-Performer in Afrika
Wenn es stimmt, dass an der Börse die Zukunft gehandelt wird, dann haben die Börsianer im ersten Halbjahr deutlich zu verstehen gegeben, was sie von den noch vor wenigen Jahren so euphorisch gefeierten BRIC-Staaten halten (BRIC = Brasilien, Russland, Indien und China) – nämlich nicht mehr allzuviel. Der Hang Seng China Entire Index verlor seit Januar rund 21 Prozent, der russische RTS Index 16 Prozent und der brasilianische Ibovespa Index sogar fast 30 Prozent. Lediglich der indische Index BSE Senex veränderte sich gegenüber dem Jahresbeginn kaum, obwohl in der Zwischenzeit starke Schwankungen auftraten.
Während die Investoren mit Blick auf die BRIC-Staaten also mehr als vorsichtig sind, haben sie offenbar neue Favoriten ausgemacht. Hoch im Kurs stehen für risikobereite Anleger die Emerging Markets in Afrika. Der GSE Composite Index in Ghana legte seit Januar um sage und schreibe 53 Prozent zu. Kein Wunder, dass manche dieses Land schon als die „Schweiz Schwarzafrikas“ bezeichnen. Auch in Nigeria, Kenia und Sambia haussieren die Börsen. Doch die langjährige Erfahrung zeigt, dass gerade die Emerging Markets sehr launenhaft sind und viel Nervenstärke von den Investoren erfordern.
Die Börsen-Junkies reagieren nervös
Noch interessanter als der Blick in den Rückspiegel ist für Anleger naturgemäß der Blick in die Zukunft. Wird die größtenteils liquiditätsgetriebene Hausse, von der manche sagen, sie sei eine Blase, anhalten? Erlebten wir in den vergangenen Wochen den Beginn einer Korrektur – oder sogar die Vorboten eines Crashs? Fest steht, dass die Stimmung an den Börsen derzeit in irrational starkem Maße von der Geldpolitik der Notenbanken abhängt. Allein die vorsichtige Ankündigung eines langsamen Entzugs reicht aus, um die Börsen-Junkies extrem nervös zu machen. Das könnte auf schwierige Monate hindeuten. Doch ähnlich wie beim Gold, das nach dem Preissturz der jüngsten Vergangenheit nun seinen Boden bald gefunden haben dürfte, könnte nach einer zwischenzeitlichen Korrektur auch an den Aktienmärkten die Luft ab Herbst wieder turbulenzfrei sein und die Voraussetzungen zu neuen Höhenflügen bieten.
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