Die Auflösung der türkis-blauen Regierung, die Installierung einer letztlich unpolitischen Übergangsregierung, die nur verwaltet, aber nichts initiiert und damit die Wartezeit bis zur nächsten regulären Regierung, ist in mehrfacher Hinsicht ein Verlust für Österreich. Genau genommen kommt es für ein gutes halbes Jahr zu einem Reformstopp, der letztlich mit einem beträchtlichen volkswirtschaftlichen Schaden verbunden ist.
Genau genommen ist es ein kleines Beraterteam enger, vor allem junger politischer Weggefährten, auf die Sebastian Kurz hört und vertraut. Fast allen gemeinsam ist nicht nur das fast bedingungslose Engagement für Kurz – sondern vor allem auch das Fehlen von Erfahrung. Das machte sich am Abend des 17. und vor allem am 18. Mai bemerkbar. An diesen beiden Tagen erfolgte durch die politische Reaktion auf das Ibiza-Video eine Weichenstellung, die Österreich ein halbes Jahr in der wirtschaftlichen Entwicklung zurückwirft. Und auch die allgemeine politische Atmosphäre erhitzte. So sehr es über den Rücktritt von Vizekanzler Heinz Christian Strache keine Diskussion gibt, so sehr hätte man sehr wohl eine Weiterführung der türkis-blauen und damit die Fortführung des Reformkurses versuchen müssen. Herbert Kickl, den Mastermind der FPÖ auszuhebeln, musste zum Bruch führen. Mit dem Effekt, dass nun Ungewissheit herrscht wie es nach den Neuwahlen weitergehen soll und die Regierungsarbeit faktisch zum Erliegen gekommen ist.
Stillstand beim Herzstück der Digitalisierung
Ein klassisches Beispiel dafür ist der gesamte Sektor der Digitalisierung. Hier sind gleich mehrere Ministerien involviert. Nämlich das Innenministerium, in dem sich das Herzstück befindet. Hier werden nämlich die gesamten Bürgerdaten gesammelt und verwaltet werden. Weiters das Finanzministerium, das nicht nur mit dem Rechenzentrum die Basis für das operative Handling bildet sondern wo die Finanzpolizei ganz wichtige Aufgaben im Zuge der nicht nur internationalen Betrugsbekämpfung leistet und auf ein funktionierendes System angewiesen ist. Das Gesundheitsministerium, wo gerade die eCard mit neuen Funktionen versehen wird. Das Verkehrsministerium, das mit der Koordinierung der mittlerweile fast schon unzähligen Internet-Verkehrsplattformen beschäftigt ist, die ein zentrales Element für eine neue, umweltfreundliche Verkehrspolitik bilden. Schlussendlich das Digitalisierungsministerium, das für die zentrale Lenkung und Steuerung aller betroffenen Behörden zuständig wäre.
Und niemand will letztlich etwas ändern
Es ist diesbezüglich ganz interessant zu wissen, dass Österreich aufgrund des Reformstopps derzeit beim so genannten Digitalisierungsindex um zwei Punkte zurückgefallen sein soll. In Verzug kommt Österreich auch auf dem Bildungssektor. Dabei kommt der bestmöglichen Ausbildung der heranwachsenden Jugend gerade in Hinblick auf den wachsenden internationalen Wettbewerb eine so große Bedeutung zu. Hinzu kommt noch, wie gerade eine EU-Studie zeigte, dass in vielen österreichischen Schulen die Kluft zwischen den einheimischen und den Migranten-Kindern immer größer wird und nach zielführenden Fördermaßnahmen verlangt. Etwa bei den Deutschförderklassen und dem Ethikunterricht: Die Übergangsministerin Iris Rauskala hat aber bereits eingestanden, dass sie nichts neu erfinden wird. Und damit hat sie die ganze Malaise auf den Punkt gebracht: „Ich möchte nichts daran ändern, weil diese Regierung eine Übergangsregierung ist.“
Die lange Bank ist die traurige Realität
Nicht nur für den einzelnen Einkommensbezieher, den Rentner und Pensionisten schlägt sich das Ausbleiben der für Jahresbeginn 2020 bereits zugsagten Steuersenkung negativ aus. Dazu kommt noch die kalte Progression, die wieder einmal zuschlägt. Gerade im kommenden Jahr, wenn das Wirtschaftswachstum im EU-Raum – wie prognostiziert – schwächer wird, wäre ein Impuls auf der Kaufkraftseite für die Wirtschaft besonders wichtig. Dazu kommt, dass die Wirtschaft selbst, um trotz des Wettbewerbsdrucks konkurrenzfähig zu bleiben, dringend einer steuerlichen Entlastungsoffensive bedarf. Ein weiteres Problem stellt die Reform des Pflegewesens dar, die im Interesse der betroffenen Familien und darüber hinaus aufgrund der wachsenden Alterspyramide endlich einer nachhaltigen Lösung zugeführt werden muss. Im Herbst war diese zugesagt worden, nun ist sie wieder auf der langen Bank.
Das Bundesheer als besonderer Fingerzeig
Besonders drastisch geschildert hat die Dramatik, in der Österreich steckt, der interimistische Verteidigungsminister Thomas Starlinger Er verglich das Bundesheer mit einem Baum, der vom Biber so sehr an der Substanz angeknabbert wurde, dass er vor dem Fall stehe. Tatsächlich, so sein Befund, ist das österreichische Heer im Krisenfall fast nicht mehr einsatzfähig. Ja es sei „weit davon entfernt, seine in der Bundesverfassung festgelegten Aufgaben noch erfüllen zu können“. Von den Flugzeugen bis zu den Bodenfahrzeugen, alles ist veraltet oder gar schrottreif. Ja es fehlt sogar das Geld um die Jahrespicklern zu beschaffen…… Drei Milliarden Euro wären für eine Sanierung nötig, die allerdings niemand derzeit beschließen oder verantworten würde. Ein Problem, das über die Übergangsregierung hinaus reicht, weil es mit der negativen Grundeinstellung zur Notwendigkeit einer Landesverteidigung zu tun hat.
Die Suche nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner
Zu spüren bekommt die Handlungsunfähigkeit mangels eines durch die Wähler ausgesprochenen Vertrauensvotums Österreich am europäischen Parkett. Dort, in Brüssel, stehen in den nächsten Wochen ganz entscheidende Weichenstellungen an. Nämlich, wer wird Kommissionspräsident, wer Ratsvorsitzender, wer Parlamentspräsident, wer Außenbeauftragter, wer EZB-Chef usw. Und Österreich muss seinen Kommissar nominieren. Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein kann freilich nicht wirklich mitbestimmen, wenngleich sie auch über Sitz und Stimme im alles entscheidenden EU-Rat verfügt. Sie hat bei all diesen Entscheidungen nämlich nicht die Rückendeckung durch eine vom Wähler legitimierte Regierung, die auch über eine entsprechende Mehrheit im Parlament verfügt. Sie muss und will auch um den Konsens der im Parlament vertretenen Parteien ringen. Nur, bei der Suche nach den besten und geeignetsten Personen besteht in solchen Situation die Gefahr, dass nicht der oder die Beste zum Zug kommen, sondern der Kandidat, der das am wenigsten kantige Profil aufweist und es allen scheinbar Recht macht.