Innenministerin Johanna Mikl-Leitner hat Griechenland in einem Interview mit der „Welt am Sonntag“ frontal attackiert: Wenn die Regierung in Athen nicht endlich mehr für die Sicherung der EU-Außengrenzen unternehme, meinte sie, solle man das Land vorübergehend aus dem Schengen-Raum ausschließen.
Der griechische Außenminister Nikos Kotzias reagierte auf die Drohgebärde aus Wien zornig: „Wenn wir Flüchtlinge stoppen wollten, müssten wir Krieg gegen sie führen, sie bombardieren, ihre Boote versenken und die Menschen ertrinken lassen“. Die VP-Ministerin wurde u.a. auch vom deutschen Außenminister Frank-Walter Steinmeier für ihre Ansage kritisiert: „Scheinlösungen wie der Ausschluss einzelner Staaten aus dem Schengen-Raum bringen niemanden weiter. Wenn wir uns gegenseitig die Solidarität aufkündigen, dann spaltet das Europa“.
Die verunglückte Wortmeldung Mikl-Leitners kam jedenfalls zur Unzeit: Die Kehrtwende in der österreichischen Asylpolitik unter der Devise „37.500 und keiner mehr“ – von Ungarns Hardliner-Premier Viktor Orban als „Sieg der Vernunft“ gelobt – wurde nämlich in Deutschland mehrheitlich mit verständnisloser Enttäuschung kommentiert. Die „Obergrenze“ (ÖVP) bzw. der „Richtwert“ (SPÖ) für die künftige Aufnahme von Flüchtlingen wird vor allem von Angela „Wir schaffen das!“ Merkel für entbehrlich gehalten, weil der politische Schwenk in Wien ihre offenherzige Politik massiv konterkariert. Die deutsche Kanzlerin ist ihrer „Willkommenspolitik“ wegen nicht bloß im eigenen Land heftig unter Beschuss geraten, sondern muss sich auch massenweise giftige Kommentare aus dem Ausland anhören: Der schräge US-Präsidentschaftsanwärter Donald Trump etwa bezeichnete ihre Bereitschaft, gleich eine Million Flüchtlinge aufzunehmen, als „irrsinnig“, weshalb ein „totales Desaster“ folgen müsse. Tschechiens Präsident Milos Zeman attestierte Merkel „einen auf gewisse Weise falschen Humanismus“, und Ungarns Viktor Orban warf der deutschen Amtskollegin bereits vor etlichen Wochen „moralischen Imperialismus“ vor. In diesem regelrechten Krieg der Worte rund um das Thema Kriegs- und andere Flüchtlinge ist zumeist eine umgehende Revanche fällig: So etwa meinte der SPD-Fraktionschef im Bundestag, Thomas Oppermann, damals, dass „Orban nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems“ sei, weil er „die Menschenrechte mit Füßen tritt“.
Das beinahe schon tägliche Hick-Hack, das europäische Regierungsvertreter einander in gewaltiger Dosierung liefern, hat zu vielen bilateralen Spannungen geführt und die Beziehungen etlicher Länder deutlich belastet, weil auf diese Weise enorm viel Porzellan zerschlagen wird. Schon im vergangenem September, als die Flüchtlingskrise ein dramatisches Ausmaß annahm, haben insbesonders die nervös gewordenen Regierungen in Mittel- und Südosteuropa primär auf gegenseitige Vorwürfe und Schuldzuweisungen gesetzt. Als Ungarn damit begann, an den Grenzen zu Serbien, Kroatien und Rumänien Stacheldrahtzäune hochzuziehen, um die Flüchtlingswelle zu stoppen und sich von diesem Problem abzuschotten, ging es so richtig los – wie in einem Kindergarten, beinahe jeder gegen jeden: Serbiens Außenminister Ivica Dacic wetterte in Richtung Ungarn, dass sein Land wegen der Grenzschließungen zu einem „Konzentrationslager“ zu werden drohe. Aus Kroatien war zu vernehmen, dass der ungarische Premier bloß Hysterie schüre. Der kroatische Ministerpräsident Zoran Milanovic titulierte das Nachbarland verächtlich als „Blinddarm Europas“. Rumäniens Außenminister Bogdan Aurescu wiederum bezeichnete den Bau des Grenzzauns als „autistische und inakzeptable Geste“. Sein ungarischer Amtskollege Péter Szijjártó konterte prompt mit dem Frontalangriff, dass sich „einige rumänische Politiker in einer Lügenspirale“ verfangen hätten und das Land seine Selbstkontrolle verloren habe. In Richtung Kroatien erhob er Vorwürfe bezüglich staatlich organisierter Schlepperei und Verstöße gegen völkerrechtliche Vereinbarungen.
Eiszeit in Osteuropa
Die vollständige Abriegelung der ungarisch-serbischen Grenze provozierte sodann einen Konflikt von Kroatien mit Serbien und Slowenien, weil die Regierung in Zagreb nahezu alle Grenzübergänge geschlossen und zum Ärger Sloweniens gleichzeitig die Idee eines Flüchtlingskorridors nach Österreich ins Spiel gebracht hatte. Als Kroatien wiederum die Grenze zu Serbien schloss, brach ein wüster Streit zwischen den beiden Nachbarn aus, weil auf der serbischen Seite kilometerlange Lkw-Staus entstanden. Serbiens Premierminister Aleksandar Vucic sprach von „einem unglaublichen Skandal“, weil Kroatien versuche, auf diese Weise einen „Handelskrieg“ zu entfachen. Der kroatische Innenminister Ranko Ostojic warf ihm daraufhin vor, Flüchtlinge absichtlich in sein Land zu schicken. Der bilaterale Konflikt wurde naturgemäß auch in den Medien ausgetragen: Während Serbien mit dem Flüchtlingsstrom „auf zivilisierte Weise“ umgehe, hieß es im Boulevardblatt „Informer“, sei Kroatien „ein neonazistisches Provisorium, nur zu Hass und Konflikten fähig“.
Obwohl es sich Ungarn in dieser aufgeheizten Phase mit vielen Nachbarn verscherzt hatte – auch Kanzler Werner Faymann lieferte sich damals mit Premier Orban wilde Wortgefechte -, waren sich die osteuropäischen Regierungschefs alsbald einig, wer letztlich als gemeinsames Feinbild herhalten müsse: Brüssel. Robert Fico, Ministerpräsident der in Flüchtlingsfragen komplett untätigen Slowakei, warf der EU-Kommission vor, Europas Sicherheit aufs Spiel zu setzen, weil auch immer mehr Terroristen zuwandern würden. Recht raue Töne standen auch bei einem zweitägigen Treffen der vier Visegrad-Staaten am Plattensee auf der Tagesordnung: Die Präsidenten Ungarns, Polens, Tschechiens und der Slowakei kritisierten die Unfähigkeit der EU, ihre Außengrenzen zu schützen, forderten die Kommission auf, in der Flüchtlingsfrage entschlossener zu agieren und betonten obendrein, dass es EU-weit mehr Solidarität geben müsse. Was übrigens ein riesiger Hohn war, weil genau diese vier Länder sämtliche Lösungsvorschläge aus Brüssel torpedieren und so gut wie keine Asylbewerber aufzunehmen bereit sind. Tschechien beispielsweise hat bislang erst an die 100 Migranten reingelassen. Im allgemeinen Brüssel-Bashing fiel bestenfalls Serbiens Außenminister Dacic halbwegs positiv auf, als er die Schließung der Grenzen scharf kritisierte: „Statt eines Europas ohne Grenzen“, sagte er bei einer OSZE-Menschenrechtskonferenz in Warschau, „haben wir ein Europa mit bewaffneten Mauern“.
Mit guten Ratschlägen an andere Länder wird jedenfalls nicht gegeizt, wobei Griechenlands Alexis Tsipras der begehrteste Adressat ist. Ihm werfen etliche Amtskollegen, gerade eben auch die vereinigten EU-Innenminister laufend vor, viel zu wenig für den Schutz der EU-Außengrenzen zu unternehmen. Der kroatische Premier Zoran Milanovic etwa warf unlängst die Frage auf, warum die Hellenen ihr Seegebiet zur Türkei nicht kontrollieren. Die Regierungschef von Slowenien und Ungarn wiederum empfahlen den Griechen, hunderte Kilometer lange Sperranlagen an der Grenze zu Mazedonien und Bulgarien zu errichten, um die Flüchtlingswelle zu stoppen.
Die Regierung in Athen hat derzeit jedoch – verständicher Weise – ganz andere Probleme, als so wie Europas allergrößter Stacheldraht-Fan Viktor Orban ein wahres Vermögen für den Bau von Zäunen auszugeben. Die Griechen wollen ihre Rolle als vielgescholtener Sündenbock auch gar nicht akzeptieren und drehen den Spieß einfach um: Ihr Präsident Prokopis Pavlopoulos warf kürzlich der Türkei vor, die Zahl der Flüchtlinge gar nicht – wie vorgegeben wird – reduzieren zu wollen: „Ich hege die starke Befürchtung“, sagte er zur „Süddeutschen Zeitung“, „dass die türkischen Menschenschmuggler Unterstützung von den Behörden bekommen – vor allem die Hafenbe-hörden tun so, als ob sie nichts mitbekämen“. Die Retourkutsche aus Ankara wird wohl nicht lange auf sich warten lassen – und die gegenseitigen, zumeist kontraproduktiven Schuldzuweisungen werden weiterhin absolut nichts zur Lösung der europäischen Causa Prima beitragen…