Die Ereignisse, die das „Ibiza-Video“ ausgelöst hat, erinnern nicht nur an den Fall von Ernst Strasser sondern auch an die internationale Reaktion im Februar 2000 als es erstmals zur Bildung einer schwarz-blauen Regierung kam.
Der Kaiser ist tot, es lebe der Kaiser. An dieses Sprichwort wird sich die österreichische Politik vielleicht bereits nach den nächsten Nationalratswahlen erinnern. Das „Ibiza-Video“ hat zwar gerade die ÖVP-FPÖ-Koalition in die Luft gesprengt, was den Applaus vor allem der linken und so genannten liberalen Kräfte in Gesellschaft und Medien findet, aber an der politischen Perspektive wenig verändert. Wenn man die SPÖ, die Grünen und die NEOS beobachtet, so werden diese auch nach den nächsten Wahlen wohl kaum für einen Kurs der tiefgreifenden Veränderung bereit sein. Bei der Regierungsbildung im Herbst 2019 wird daher wahrscheinlich eine Ausgangslage ähnlich jener wie vor zwei Jahren herrschen. Und die FPÖ sollte bis dahin in ihrem eigenen Interesse die Konsequenzen aus dem Fehlverhalten von Strache & Co gezogen haben.
Eine alternativlose Regierungsbildung
Man erinnere sich. Die Regierungsbildung von ÖVP und FPÖ im Dezember 2017 hatte zwei Gründe. Erstens war die Koalition aus SPÖ und ÖVP nach elf Jahren handlungsunfähig geworden. Zweitens waren es die Wähler, die dem Wunsch nach einer grundlegenden Veränderung der Politik und notwendigen Reform mit ihrem Votum, die Weichen für eine Koalition der ÖVP mit der FPÖ stellten. Aus all diesen Gründen lag die Bildung der türkis-blauen Regierung auf der Hand. Umso mehr als diese beiden Parteien allein imstande und willens waren, einen großen und vor allem notwendigen Reformschub zu garantieren.
Was der SPÖ erlaubt war, wurde der ÖVP nicht gestattet. Das war bereits im Jahre 2000 der Fall, als Wolfgang Schüssel eine Koalition mit der FPÖ bildete, worauf sich sogar die EU vor allem auf Grund des Druckes der Sozialistischen Internationale zu Sanktionen gegen Österreich hinreißen ließ. Und blamierte. Heimlich still und leise musste man nach wenigen Wochen zur Tagesordnung übergehen, weil sich gezeigt hatte, dass diese Regierung ein ambitioniertes, europäischen Programm verfolgte. Was auch die jetzt gerade gescheiterte Regierungskoalition für sich in Anspruch nehmen kann.
Damals wie heute wird übersehen, dass das Bestehen eines so genannten „dritten Lagers“ in Österreich nun einmal ein Faktum ist. Und es gehört auch zu den Erfahrungen einer Demokratie, dass man Gruppierungen, die sich im Rahmen des so genannten Verfassungsbogens bewegen, nicht von der Mitgestaltung ausschließen darf. Das galt nicht nur für die ÖVP sondern auch für die SPÖ als politische Richtschnur. Dazu muss man nur einen Blick in die Geschichte werfen, darf diese aber nicht verdrängen, wie dies gerade erfolgt.
FPÖ wandelte sich erst ab 1986
Zudem – diese Überlegung hat in Österreich eine lange Tradition – wollte man das so genannte „dritte Lager“, also die FPÖ nicht in einer gesellschaftlichen Außenseiterposition verharren lassen, mit der Gefahr, dass dies zu einer Radikalisierung führt, sondern in die Regierungsarbeit miteinbinden. Ganz konkret hat dies, nachdem Kurz den Schlussstrich gezogen hatte, der Landeshauptmann der Steiermark, Hermann Schützenhöfer (ÖVP) artikuliert: „Ich habe oft gesagt, ich wünsche mir aus demokratiepolitischen Gründen, dass die Freiheitlichen eine Staatspartei werden. Sie haben es nicht geschafft. Ich habe da gar keine Schadenfreude.“ Denn auch die von Kurz gebildete ÖVP-FPÖ-Regierung war auf zumindest zwei Legislaturperioden angelegt, nachdem sich Christdemokraten und Sozialdemokraten nur noch gegenseitig bei der Arbeit behindert hatten.
Die FPÖ ist allerdings an sich keine originär populistische Partei. Das zeigt ihre Entstehungsgeschichte. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren zunächst nur die demokratischen Parteien ÖVP und SPÖ sowie die kommunistische KPÖ zur Wahl zugelassen. Erst 1949 durfte gewissermaßen für die so genannten „Ehemaligen“ der NS-Herrschaft der „Verband der Unabhängigen“ (VDU) kandidieren. 1956 wurde dann die FPÖ aus der Taufe gehoben. Sie wurde zum Auffangbecken der VDU-Wählerschaft, „brauner“ Nostalgiker und überzeugter Deutsch-Nationaler, wies aber auch einen liberalen Wählerstock auf. Was nicht zuletzt dazu führte, dass die FPÖ die erste Partei war, die bereits 1959 einen Antrag des neutralen Österreichs auf Mitgliedschaft in der EWG stellte. Dieser hatte damals nur aufgrund des „Njets“ der Staatsvertragsmacht Sowjetunion keine Chance auf Realisierung.
Als Steigbügelhalter war die FPÖ der SPÖ genehm
Nachdem die ÖVP 1945 gleich bei den ersten Wahlen eine absolute Mehrheit erhielt, war es das Interesse der SPÖ, im bürgerlichen Lager für eine Konkurrenz der ÖVP zu sorgen. Der damalige SPÖ-Innenminister Oskar Helmer spielte eine nicht unerhebliche Geburtshelferrolle bei der Gründung der VDU. 1964 war es dann der mächtige SPÖ-Gewerkschaftsboss Franz Olah, der der in Geldnot befindlichen FPÖ einen Millionenspritze zukommen ließ. Die Affäre flog hoch, 1970 schließlich konnte Bruno Kreisky nur eine Minderheitsregierung bilden, indem er sich das Wohlwollen der FPÖ erkaufte. Deren damaliger Parteiobmann Friedrich Peter, dessen Mitgliedschaft bei der SS für Schlagzeilen sorgte, genoss das Wohlwollen des jüdischen Kanzlers, der ihm in mehrfacher Hinsicht das Überleben sicherte. So auch, dass die FPÖ ein Wahlrecht erhielt, das ihr mit einer 4- statt 5-Prozentklausel das Überleben sicherstellte.
Erst 1983, als Bruno Kreisky die absolute Mehrheit verlor, bekam die FPÖ, damals unter dem liberalen Parteiobmann Norbert Steger, die Chance in eine Regierung einzusteigen, um so der SPÖ zu helfen, noch weiterhin an der Macht zu bleiben. Damit war es aber 1986 zu Ende, als der Populist Jörg Haider in der FPÖ an die Macht kam und SPÖ-Bundeskanzler Franz Vranitzky die rot-blaue Koalition beendete. Nach 13 Jahren einer so genannten Großen Koalition, die es allerdings schaffte, Österreichs Beitritt in die EU auszuverhandeln, wagte Wolfgang Schüssel 2000 erstmals die Bildung einer Koalition der FPÖ mit der ÖVP. Was der SPÖ erlaubt war, wollte man bei der ÖVP nicht dulden und die EU beschloss damals Sanktionen gegen Österreich, die aber sehr rasch wieder zurückgenommen werden mussten.
An sich gab es in der SPÖ seit 1986 sogar einen Parteitagsbeschluss gegen Regierungsbildungen mit der FPÖ der aber zuletzt immer wieder ignoriert wurde. So mit einer SPÖ-FPÖ-Zusammenarbeit im Burgenland und der Landeshauptstadt Linz. Und selbst Bundeskanzler Christian Kern hatte 2017 offen mit dem Gedanken einer Kooperation mit der FPÖ gespielt, was mit ein Grund war, dass dann Sebastian Kurz, nachdem er Vizekanzler und ÖVP-Parteiobmann Reinhold Mitterlehner zum Rücktritt gebracht hatte, die rot-schwarze Koalition frühzeitig auflöste. Und noch am Wahltag, dem 15. Oktober 2017, war es nicht sicher, ob Heinz-Christian Strache in Regierungsverhandlungen mit der ÖVP, die die relative Stimmenmehrheit errungen hatte, oder der SPÖ eintritt.