Donnerstag, 19. Dezember 2024
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Der gar nicht so lange Weg zur neuen Regierung

In Österreich hat es vom Wahltag bis zur Bildung der neuen Regierung gerade einmal 64 Tage gedauert. Bild © CC BY-SA 3.0 Michael Ziemann/Wikimedia

Davon kann Deutschland nur träumen. In Österreich hat es vom Wahltag bis zur Bildung der neuen Regierung gerade einmal 64 Tage gedauert.

Man kann es drehen und wenden wie man will. Am Tisch liegt nun ein Regierungsprogramm, das nach einer langen Zeit des Reformstillstands bedingt durch die gegenseitigen Lähmungen innerhalb der SPÖVP-Koalition eine Fülle von Maßnahmen verspricht. Es ist aber kein Ho-Ruck-Programm, mit dem es schlagartig zu einem Kurswechsel kommt, sondern man legt die Realisierung der Reformen und Systemkorrekturen schrittweise an. Die Absicht dahinter ist, erstens das Land und seine Bürger nicht zu überfordern und zweitens den Umgestaltungsprozess auf zumindest zwei Legislaturperioden anzulegen.

Wähler machten Weg für Veränderung frei

Bei den Parlamentswahlen war das Versprechen für Veränderung und Erneuerung zu sorgen, eines der ausschlaggebenden Motive für den Wahlerfolg der christ-demokratischen Volkspartei. Zusammen mit den Freiheitlichen verfügt die Regierung über 57,5 Prozent der Stimmen und damit eine respektable Mehrheit im Parlament. Die Wählerbewegung, die dahinter stand, charakterisiert allein der Umstand, dass seit 1983 zwar eine so genannte bürgerliche Mehrheit bestand, diese aber nur knapp über 50 Prozent hinaus reichte. Nunmehr verfügt man zusammen mit den NEOS über weit mehr als 60 Prozent der Stimmen, bei den Mandaten sogar über eine absolute Mehrheit. Damit kann die notwendige Veränderung angegangen werden.

Nur einer von 16 hat Regierungserfahrung

Die nun nach zweimonatigen Verhandlungen gebildete neue Regierung widerspiegelt den Anspruch von Veränderung und Erneuerung. Von den 16 Regierungsmitgliedern hat nur ein einziger bereits Regierungsverantwortung, nämlich Bundeskanzler Sebastian Kurz selbst. Alle anderen müssen sich diese erst erarbeiten. Einige von ihnen, die als Experten geholt wurden, sind gefordert, auch noch das politische Geschäft zu erlernen.

Die verschworenen Sebastian-Jünger

Ganz so selbstverständlich war es freilich nicht, dass es nun zur Bildung einer ÖVP-FPÖ-Koalition kam. Vor einem Jahr hatte noch SPÖ-Vorsitzender Christian Kern damit begonnen, sich vom alten Parteitagsbeschluss, keine Koalition mit der Rechts-Partei einzugehen, verabschiedet und ergebnisoffene Gespräche mit Heinz-Christian Strache begonnen. Zu diesem Zeitpunkt bastelte ein Freundeskreis rund um Außenminister Sebastian Kurz, zu dem unter anderem sein JVP-Generalsekretär Axel Melchior, sein Kabinettsmitarbeiter Stefan Steiner, die  EU-Parlamentarierin Elisabeth Köstinger und der damalige Staatssekretär Harald Mahrer zählten, an der Strategie für eine „neue Volkspartei“. Ausschlaggebend waren Umfragen, die signalisierten, dass die ÖVP mit Kurz an der Spitze die Chance hätte, wieder zur Nummer 1 aufzusteigen.

Teilorganisationen als Verbündete

Zunächst war man in der Partei noch skeptisch. Nicht wenige sahen darin den Versuch einer Selbstprofilierung des schon damals jüngsten Ministers im Kreis der EU-Staaten. Während sich Vizekanzler Reinhold Mitterlehner mit dem Bundeskanzler Freundschaft schloss, wurde das Klima zwischen der restlichen ÖVP und dem Koalitionspartner immer frostiger. Es waren vor allem die Chefs und Chefinnen der sechs Teilorganisationen, die auf Mitterlehner einredeten, doch einen geordneten Rückzug anzutreten. Zwar ging dann Mitte Mai der Wechsel an der Spitze der ÖVP sehr rasch über die Bühne, er hinterließ aber beim abgehalfterten Parteiobmann seelische Wunden, wie sich erst jetzt bei einem Intervier zeigte.

Damoklesschwert einer Liaison der FPÖ mit Kern

Ab dem Zeitpunkt der Neuaufstellung der Volkspartei übernahm diese die Themenführerschaft. Erst in den letzten beiden Wochen vor dem Wahltag, als die Dirty-Campaigning-Aktion von Tal Silberstein im Auftrag der SPÖ die öffentliche Diskussion bestimmte, hatte man den Eindruck als würde der neuen Volkspartei auf den letzten Metern vor dem Ziel die Luft ausgehen. Dazu kam vor allem die Unsicherheit über das Verhalten der FPÖ. Insbesondere in der Industriellenvereinigung, die schon immer zu beiden bürgerlichen Parteien gute Beziehungen unterhielt, hatte man die Sorge, dass sich Strache & Co. letztlich für eine Kern –Liaison entscheiden könnten, weil dies der Partei möglicherweise bessere Profilierungsmöglichkeiten bietet.

So hielt ÖVP die FPÖ bei Laune

Den wohl wichtigsten Schritt setzte Kurz noch in der Wahlnacht. Er bot Heinz-Christian Strache an, sich zu einem Vier-Augen-Gespräch zu treffen. Dieses fand sogleich am darauffolgenden Montag im privaten Wohnhaus des FPÖ-Obmanns in Klosterneuburg statt. Vier Stunden dauerte der Gedankenaustausch, der mit einem Handschlag endete. Und damit den Startschuss für die türkis-blauen Verhandlungen bedeutete. So sehr im Wahlkampf selbst die ÖVP den politischen Takt vorgab, während der Regierungsverhandlungen hatten politische Beobachter den Eindruck, dass eher die FPÖ tonangebend war. Sie deponierte gleich ihre prioritären Ressortwünsche, wie etwa das Innen- und Außenministerium. Bei der Kurz-Truppe spielte dagegen eine gewisse Vorsicht die Rolle. Man wollte ja nur die FPÖ bei Laune halten.

Warum Moser nicht Finanzminister wurde

Josef Moser / Bild © Eco Austria / WeinwurmKurz und sein Team bekamen zudem auch einen gewissen innerparteilichen Druck zu spüren. Begonnen hatte es bereits mit den Inhalten. Relativ rasch weg vom Fenster war die Forderung nach Abschaffung der Pflichtmitgliedschaft bei den Kammern. Wesentlich trug dazu bei, dass sich WKO-Präsident und Wirtschaftsbund-Obmann Christoph Leitl entschlossen hatte, mit Harald Mahrer einen Mann aus dem engsten Kreis rund um Kurz als seinen Nachfolger vorzuschlagen. Schon wesentlich heikler wurde es mit den Vorschlägen zur Verwaltungsreform, dem Abbau der Bürokratie sowie der Entflechtung bei der Kompetenzverteilung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden. Dass Rechnungshofpräsident Josef Moser nicht Finanzminister wurde, „verdankt“ er übrigens den Ländern, die sich nicht allzu sehr in die eigenen Karten schauen lassen wollten. Ganz ausschalten konnten sie ihn nicht, zu sehr hatte er eine Art Leuchtturmfunktion. Er bekommt jetzt als Justizminister auch die Agenden der Verwaltungsreform.

Der Kampf des Wolfgang Sobotka

Wolfgang Sobotka / Bild © Michael Kranewitter, Wikimedia Commons, CC-by-sa 4.0Das, was vor allem die so genannten „Länderfürsten“ in der ÖVP bewegte, waren die anstehenden – aber scheinbar offenen  -Personalentscheidungen. Zwar wurden viele Namen kolportiert, diese aber hatten offenbar den Zweck der Nebelgranaten-Funktion. Hatten sich doch Kurz und seine engsten Berater vorgenommen, auch mit neuen Köpfen an die Regierungsarbeit zu gehen. Die Schwierigkeit daran war, dass Kurz vor allem der niederösterreichischen Landeshauptfrau das Versprechen gegeben hatte, Wolfgang Sobotka auch weiterhin in der Spitzenmannschaft zu belassen. Umso mehr als er zu jenen gehörte, die Kurz in der Endzeit der SP-VP-Regierung den sprichwörtlichen Rücken frei hielten und die Speerspitze spielten. Bloß das Innenministerium war schon an die FPÖ vergeben. An sich hätte man Sobotka gerne als „General“ in der Volkspartei gesehen, damit aber gaben sich weder Sobotka noch Johanna Mikl-Leitner zufrieden. Also musste es schlussendlich der Nationalratspräsident werden.

 

Zufriedene Johanna Mikl-Leitner

Johanna Mikl-Leitner / Bild © Superbass / CC-BY-SA-4.0 (via Wikimedia Commons)An sich hatte der Abschluss der Regierungsverhandlungen vor Weihnachten oberste Priorität für Mikl-Leitner. Sie wollte schon immer im Jänner für die anstehende Landtagswahl einen von der Bundesebene her unbelasteten Wahlkampf führen. Und für sie war daher auch wichtig, das Kernland der ÖVP stark in der Regierung verankert zu wissen. Zwar sitzt kein gebürtiger Niederösterreicher auf ÖVP-Seite in der Regierung, aber gleich vier Regierungsmitglieder haben ihren Wohnsitz in Niederösterreich. Und mit Margarete Schramböck wurde sogar eine ihrer engsten politischen Freundinnen Wirtschaftsministerin.

 

 

Der vergebliche Kampf von Andrä Rupprechter

Andrä Rupprechter / Bild © Alexander Haiden / parlament.gv.atAuf einem Bestemm besonderer Art beharrte Tirols Landeshauptmann Günther Platter. Nicht nur dass er weiter bei der Parteifarbe Schwarz bleibt und nicht auf Türkis wechselt, er wollte vor allem auf Biegen und Brechen Andrä Rupprechter mit einem Ministeramt bedacht wissen. Dabei galt der Tiroler als ein eitler und wenig effizienter Minister, der vor allem auch noch anstrebte, in zwei Jahren wenn Johannes Hahn Abschied von Brüssel nimmt, als neuer EU-Kommissar aufgestellt zu werden. Das Motiv für Platters Pressing war übrigens, dass er die von Kurz präsentierte querschnittgelähmte Sportlerin Kira Grünberg auf den ersten Platz der Tiroler Landesliste setzen musste. Kurz wiederum hatte es sich von allem Anfang angenommen, Elisabeth Köstinger mit den Agenden Landwirtschaft und Umwelt zu betrauen. Immerhin hatte sie auf diesem Gebiet acht Jahre im EU-Parlament Erfahrungen sammeln können.

 

Überraschungs-Coup beim Finanzminister

Für Überraschung in manchen Kreisen sorgte, dass die Chefin der Österreichischen Lotterien und Parteiobmannstellvertreterin Bettina Glatz-Kremsner nun doch kein Ministeramt bekommt. Sie selbst hätte, so heißt es schon länger, nicht wirklich nach einem Regierungsamt und der damit verbundenen Verantwortung gestrebt. Zudem wäre wohl das Image einer Repräsentantin des Glückspielwesens nicht unbedingt für das Image einer Finanzministerin geeignet gewesen. Gerechnet wird allerdings, dass sie vielleicht an die Spitze der staatlichen Beteiligungsgesellschaft ÖBIB rücken könnte. Diese hält noch immer einen Anteil von 33,24 Prozent am Casag-Konzern.

 

Löger war schon lange Favorit

Hartwig Löger / Bild © APA / Neue Volkspartei / Jakob GlaserLeer ausgegangen ist Oberösterreichs VP-Obmann Thomas Stelzer, der seinen einstigen Mitbewerber um das Amt des Landeshauptmannes, Michael Strugl gerne als obersten Hüter der Finanzen in Wien gesehen hätte. Bloß für das Finanzministerium hatte Kurz schon seit langem den Uniqa-Vorstandsvorsitzenden Hartwig Löger im Visier. Er gehörte übrigens ebenso wie der Arbeits- und Sozialrechtler Wolfgang Mazal zum engsten Beraterkreis. Hans Jörg Schelling brachte sich dagegen schon früher aus dem Rennen. Hatte er sich doch innerhalb der alten Regierung und der neuen Volkspartei den Ruf einer „Ich-AG“ erworben. Zuletzt als er sich als aussichtsreicher Kandidat für die Nachfolge des Euro-Gruppenchefs ins Gespräch brachte, aber dann von der EVP erst gar nicht aufgestellt wurde.

 

Dünne FPÖ-Personaldecke

Interessant sind gewisse Unterschiedlichkeiten bei der Personenauswahl zwischen ÖVP und FPÖ. So hat sich Kurz sieben Minister und eine Staatssekretärin in seine Regierungsmannschaft geholt, die er schon länger im Talon hatte, die er aber – sieht man vom Wiener Parteiobmann Gernot Blümel ab – zu keinem Zeitpunkt aus der Deckung ließ. Und Karin Kneissl (der allerdings ein sich in Grenzen haltender Ruf unter den Kennern des Außenamts voraneilt) hatte er von sich aus Strache empfohlen. Im Gegensatz zum hohen Expertenanteil unter den ÖVP-Regierungsleuten handelt es sich bei den fünf Ministern und einem Staatsekretär weitgehend um Politruks neuzeitlicher Prägung. Das reicht vom Parteigeneral und Mastermind Herbert Kickl bis zum steirischen Parteiobmann Mario Kunasek, der als Unteroffizier künftighin das Bundesheer befehligt. Was übrigens auch ein Hinweis auf die dünne Personaldecke dieser Partei ist.

Aderlass für die Parteizentrale

Gerade wenn eine Partei Posten in einer Regierung zu besetz hat, besteht die Gefahr, dass die Parteiarbeit zu kurz kommt. Vor allem dann wenn man von der Oppositions- auf die Regierungsbank wechselt. Zunächst allein schon dadurch, dass viele Mitarbeiter aus der Partei hinüber in die Ministerien wechseln. Gerade im Falle der FPÖ sieht dies geradezu wie ein Aderlass aus.

Grünes Licht vom Bundespräsidenten

Ein besonderes Meisterstück gelang mit der Einbindung des Bundespräsidenten. Noch als Kandidat der Grünen für das höchste Amt im Staate ließ es Alexander van der Bellen offen, ob er eine Regierung mit FPÖ-Beteiligung angeloben würde. Er wurde von allem Anfang an von Kurz und Strache laufend über die Verhandlungen zur Bildung einer Regierung informiert. Ganz zu Beginn äußerte er Bedenken gegen zwei FPÖ-Politiker, die zunächst zur Auswahl standen. Missfallen äußerte er auch an der Absicht Straches, ein nach US-Vorbild geschaffenes Heimatschutzministerium einzurichten. Schließlich legte er auch noch Wert darauf, dass eines der drei Sicherheitsressorts (Justiz, Innen und Verteidigung) von der ÖVP geführt werden muss sowie im künftighin blau geführten Innenressort eine ÖVP-Staatssekretärin installiert wird. Diese Funktion bekleidet nun mit Karoline Edtstadler eine anerkannte Juristin und Richterin. Das grüne Licht seitens des (grünen) Bundespräsidenten macht es linken Kreisen im In- und Ausland etwas schwer, gegen die neue ÖVP-FPÖ-Regierung auf die Straße zu gehen. Sie tun es trotzdem.

 

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