Großbritannien beschuldigt Spanien der Provokation. Im Herzen der EU wird der Ton zwischen zwei langjährigen Mitgliedern der Europäischen Union und der Nato immer rauer.
[[image1]]Vor dem Foreign Office fuhr eine schwarze Limousine mit getönten Scheiben vor: Die Regierung in London hatte den spanischen Botschafter einbestellt. Während des anschließenden Treffens beschwerte sich Großbritanniens Europaminister David Lidington bitter über das „provokative Eindringen“ eines spanischen Forschungsschiffs in die britischen Gewässer rund um Gibraltar. „Wir sind jederzeit bereit, alles zu tun, was nötig ist, um Gibraltars Souveränität, Wirtschaft und Sicherheit zu schützen“, drohte er. Zwar sei es undenkbar, dass Schusswaffen zum Einsatz kämen, heißt es in Großbritannien. Experten warnen jedoch, dass ein unangemeldetes spanisches Schiff, das in britischem Hoheitsgebiet aufkreuzt, versehentlich als Terrorgefahr eingestuft werden könnte.
Provokation
Das spanische Forschungsschiff war allerdings nicht versehentlich in britisches Hoheitsgebiet eingedrungen, es hielt sich immerhin 20 Stunden in den Gewässern um Gibraltar auf und näherte sich dem Hafen bis auf 250 Meter. Britische Schnellboote der Royal Navy wurden von dort aus losgeschickt, der Kapitän des spanischen Schiffs per Lautsprecher zum sofortigen Verlassen der Zone aufgefordert. Der allerdings konterte – ebenfalls über Lautsprecher – in höflichem Englisch, er halte sich im Auftrag der spanischen Regierung und mit Genehmigung der EU in den Gewässern auf und werde sich deshalb nicht entfernen. Eine Filmaufnahme in den Abendnachrichten der BBC dokumentierte die Auseinandersetzung. Das spanische Forschungsschiff ignorierte die wiederholten Aufforderung der Briten, zog aber inzwischen unverrichteter Dinge wieder ab.
Dauerfehde
Was von außen wie ein Sturm im Wasserglas – oder in der Teetasse – wirkt, hat einen ernsten Hintergrund. Denn die schwelende Dauerfehde zwischen Spanien und Großbritannien erhält in letzter Zeit ständig neue Nahrung. Es war das dritte Mal in knapp zwei Jahren, dass London den spanischen Botschafter einbestellte. Im Juli hatten die Briten vor der Küste von Gibraltar eine Betonbarriere installiert und spanische Fischer damit am Auswerfen ihrer Netze gehindert. Zur Begründung hieß es damals, damit solle die Überfischung des Meeres verhindert werden. Die Spanier protestierten und erklärten, die Sperre schade den spanischen Fischern. Im Gegenzug hatte Madrid vor der Küste von Gibraltar strengere Grenzkontrollen eingeführt. Spanien wirft Großbritannien vor, nicht entschlossen genug gegen den Zigarettenschmuggel vorzugehen, der über Gibraltar abgewickelt wird und begründet damit die schärferen Kontrollen, die am Grenzübergang zwischen Spanien und Gibraltar oft zu langen Schlangen führen.
EU stellt sich auf Seiten Spaniens
Aus Sicht Großbritanniens sind die stundenlangen Wartezeiten an der Grenze hingegen nichts anderes als Ausdruck spanischer Schikanen. Deshalb beschwerte sich die Regierung in London bei der EU-Kommission – erhielt damit aber nicht Recht. Erst vor wenigen Tagen konstatierte die EU-Kommission nämlich, Spanien habe mit seinen Kontrollen nicht gegen EU-Recht verstoßen. „Es gibt Engpässe, Probleme und lange Warteschlangen“ räumte die Kommission ein. Der Grund dafür seien aber nicht schikanöse Kontrollen von Personen und Fahrzeugen sondern die Tatsache, dass es einen physischen Engpass gebe: auf spanischer Seite stehe an der Grenze nur eine Fahrspur zur Verfügung. Den Streithähnen machte die Kommission dann ein paar praktische Vorschläge zur Entschärfung des Konflikts. Spanien solle die Einfahrt zur Grenze verbreitern und mehr Fahrspuren schaffen, gleichzeitig sollten die spanischen Beamten künftig nicht mehr eine flächendeckende Überprüfung aller Grenzgänger vornehmen, sondern gezielte Stichproben vornehmen. Die langen Staus an der Grenze zu Gibraltar resultieren nämlich zum Teil daraus, dass eine ganze Reihe spanischer Pendler auf der zu Großbritannien gehörenden Halbinsel arbeiten. Die EU-Kommission erwartet allerdings von den Briten künftig ein schärferes Durchgreifen zur Bekämpfung des Schmuggels. Beide Seiten sollten auf diesem Feld besser kooperieren, mahnte sie.
Historischer Hintergrund
Der sogenannte „Affenfelsen“ Gibraltar war vor knapp dreihundert Jahren im Jahr 1713 von Spanien an Großbritannien abgetreten worden und ist heute ein Überseegebiet der britischen Krone. Spanien fordert das Gebiet an der Südspitze der Iberischen Halbinsel jedoch schon seit Jahren wieder zurück, was die Briten mit der Begründung verweigern, die Bewohner Gibraltars seien dagegen. Tatsächlich fühlen sich die meisten Bewohner als Engländer und zelebrieren ihre britische Identität mit Gusto. Auf externe Beobachter wirkt die pro-britische Haltung der etwa 30.000 Einwohner manchmal sogar übertrieben. Die Regierung in London betont, sie werde Gibraltar nur dann an Spanien abtreten, wenn die Einheimischen zustimmen. Volksabstimmungen in den Jahren 1967 und 2002 ergaben jedoch, dass die Mehrheit der Bevölkerung bei Großbritannien bleiben will. Beim letzten Referendum stimmten 99 Prozent der Befragen dafür. Seit 2006 gibt es allerdings ein Kooperationsabkommen zwischen Spanien und Großbritannien, das unter anderem den Flugverkehr und das Telefonwesen auf der Halbinsel betrifft. Trotz der jüngsten Konflikte ist die Lage heute viel entspannter als früher: schließlich war die Grenze nach Spanien von 1969 bis 1985 geschlossen. Dennoch warnen Experten davor, die Dauerfehde eskalieren zu lassen.
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