Der „Fall Silberstein“ hat nicht nur die Problematik so genannter ausländischer Politik-Gurus thematisiert. Er macht auch auf das „Dirty Campaigning“ aufmerksam.
Verfolgt man jüngste Interviews von Bundeskanzler und SPÖ-Vorsitzenden Christian Kern, so könnte man fast von einem gewissen Realitätsverlust sprechen. So will er, nach der Verhaftung seines Politikberaters Tal Silberstein, die eine ganze Reihe von aufklärungswürdigen Verstrickungen bis in höchste SPÖ-Kreise aufbrachte, der ÖVP ein „Dirty Campaigning“ unterstellen. Dabei blieb schon zu Jahresbeginn beim Bekanntwerden des Engagements dieses international und vor allem für sozialdemokratische Parteien tätigen Politik-Beraters von der SPÖ unwidersprochen, dass das Vorbereiten von „Dirty Camaigning“ eine seiner Hauptaufgaben sein wird. Den Gegner zu diskreditieren, um sich selbst einen besseren Startvorteil zu verschaffen, ist freilich keine Erfindung der Gegenwart.
Wenn Gefahr im Verzug ist
So sehr die Zeit ab 1945, also die Zweite Republik, von der Zusammenarbeit der beiden großen politischen Lager geprägt war und insbesondere in der Sozialpartnerschaft ihre dominante und einflussreiche Ausformung war, ließ sich die SPÖ nicht abbringen, immer wieder Methoden und Wege zu suchen, den Regierungspartner bzw. Konkurrenten abseits des Wählervotums zu schwächen. Vor allem dann, wenn Gefahr in Verzug war, also die Möglichkeit eines Machtverlustes ins Haus stand.
Es begann mit dem „Rentenklau“
Das, was man heute „Dirty Campaigning“ nennt, hat genau genommen eine lange Tradition bei der SPÖ. Schon in den 1950er Jahren wurde das Gespenst vom „Rentenklau“ an die Plakatwände geklebt und damit der ÖVP zumeist in den letzten Wochen vor dem Wahltag unterstellt, Pensionen und Renten kürzen zu wollen. Bis in die jüngere Vergangenheit herauf, verfassten die Bundeskanzler ebenso wie der Wiener Bürgermeister auch immer wieder Briefe, die an die Rentner und Pensionisten versandt wurden. Mit dem Inhalt, dass nur die SPÖ Garant für sichere Sozialleistungen ist und bei der ÖVP die Gefahr besteht, dass es zu Kürzungen und Beeinträchtigungen kommt.
Waldheim, der Sündenbüßer
Um einen klassischen Fall von „Dirty Campaigning“ handelte es sich auch bei dem 1986 von der SPÖ angestifteten Feldzug gegen den Präsidentschaftskandidaten Kurt Waldheim, mit der letztlich verhindert werden sollte, dass ein von der ÖVP unterstützter Kandidat erstmals die Funktion des Staatsoberhauptes ausübt. Weil damals Alois Mock die Strategie von Bruno Kreisky durchkreuzte, der den hochangesehenen langjährigen UN-Generalsekretär als Nachfolger von Rudolf Kirchschläger kandidieren lassen wollte, ließ Kreiskys Nachfolger Fred Sinowatz eine fast schon an Menschenhatz grenzende „Dirty Campaign“ vom Stapel laufen. Waldheim sollte die Rolle des Sündenbüßers für die ganze Kriegsgeneration bilden, was von der Mehrheit der Wähle nicht goutiert wurde. Damals spielte übrigens die Rolle des Silbersteins der Pressesekretär von Sinowatz, Hans Pusch. Nachdem Waldheim die Wahl gewonnen hatte, dankte der Bundeskanzler und SPÖ-Vorsitzende ab.
Wechselspiel Regierung-Opposition
Wenngleich das Wechselspiel von Regierung und Opposition das Wesensmerkmal einer funktionierenden Demokratie und Ausdruck fest verankerter demokratischer Gesinnung ist, so fällt es offenbar doch schwer, den Wählerwillen zu akzeptieren und temporär Abschied zu nehmen. Wer im Augenblick die Postings in den Sozialen Medien und die Leserbriefe in den Zeitungen verfolgt, findet überraschend viele, die der SPÖ (nicht nur aufgrund der „Causa Silberstein“) eine Regenerationsphase empfehlen.
Das Sanktionenregime der EU
Genau ein solcher Fall trat zu Beginn des dritten Jahrtausends ein. Die ÖVP landet erstmals in ihrer Parteigeschichte auf dem dritten Platz bei Nationalratswahlen und die FPÖ dafür auf dem zweiten Platz. Beide Parteien trennen gerade einmal 375 Stimmen. In den Verhandlungen gelingt es allerdings ÖVP-Obmann Wolfgang Schüssel ein Koalitionsbündnis mit dem FPÖ-Obmann Jörg Haider zu schließen. Die SPÖ ist außer Rand und Band. Wieder einmal wird zum Mittel eines „Dirty Campaigning“ gegriffen, diesmal um eine Regierung mit einer klaren Mehrheit an Stimmen und Mandaten schlichtweg national und vor allem international zu verteufeln. Man mobilisierte die Sozialistische Internationale, veranlasste sogar die EU, Sanktionen gegen Österreich zu verhängen, von denen man sich alsbald klammheimlich verabschieden musste, weil diese schlicht grundlos waren. Und nur von der SPÖ angezettelt wurden, weil diese ihren Machtverlust nicht verkraften konnte. Was übrig blieb, wie schon bei der Waldheim-Kampagne, war eine Imagedelle für Österreich, made by SPÖ.
Die Kapuzenmänner-Story
Auch die ÖVP hatte in der schon lange zurückliegenden Vergangenheit einmal zu einem „Dirty Camapaigning“. 1970 wollte sie Angst vor einer unberechenbaren SPÖ machen und ließ so genannte Kapuzenmänner aufmarschieren. Die sollten signalisieren, dass man nicht weiß, welche Absichten der neue Parteivorsitzende Bruno Kreisky im Schilde führte. Diese Negativkampagne ging damals, wie man in Wien sagt, so richtig in die Hosen. Und man zog letztlich daraus die Konsequenzen. In der Bevölkerung herrschte damals eine Stimmung, etwas Neues zu versuchen. Und das versprach Kreisky.
Musterbeispiele von „Betriebsterror“
Aber auch in der so hochgelobten Ära Kreisky gab es auf „unterer Ebene“ von der Parteispitze geduldete Kampagnen, die dem heutigen „Dirty Campaigning“ alle Ehre machen würden. So wurde 1976 eine Dokumentation mit 77 notariell beglaubigten Fällen von „Betriebsterror“ der Öffentlichkeit vorgestellt, die offenlegten, mit welchen Methoden von den SPÖ-Gewerkschaftern unliebsame Konkurrenz bekämpft wurde. Nur ein Beispiel für viele: In einem verstaatlichten Betrieb gelingt es zum ersten Mal eine ÖAAB-Liste aufzustellen. Wenige Tage vor der Wahl wird der Spitzenkandidat von einer Genossin verdächtigt, ihr die Geldbörse gestohlen zu haben. Der Verdächtigte hat gar keine Chance, bis zur Wahl diesen Vorwurf zu entkräften. Er muss zurücktreten. Die „schwarze“ Liste fällt bei der Betriebsratswahl durch. Noch ehe die Erhebungen abgeschlossen sind, erklärt die Genossin – nach dem Wahltag versteht sich – dass sie sich geirrt habe und die Diebstahlanzeige mit dem Ausdruck des Bedauerns zurückzieht.
„Die Geschichte lehrt ständig, sie findet keine Schüler“, lautet ein Sprichwort der Schriftstellerin Ingeborg Bachmann. Das dürfte auch für so manche Parteistrategen und einen Wahlkampf zutreffen, der gerade in die heiße Phase eintritt.