In seinen Schlussfolgerungen vom 23. Juni 2017 [1] stellte der Europäische Rat zum Thema Sicherheit und Verteidigung fest, dass die Mitgliedstaaten innerhalb von drei Monaten – auch im Hinblick auf Missionen mit höchsten Anforderungen – eine gemeinsame Liste von Kriterien und bindenden Verpflichtungen erstellen sollen, die voll und ganz im Einklang mit den Erfordernissen einer „Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit“ (PESCO) im Militärbereich stehen müssen. Dazu sind noch ein genauer Zeitplan und spezifische Bewertungskriterien auszuarbeiten, damit diejenigen Mitgliedstaaten, die dazu in der Lage sind, unverzüglich mitteilen können, dass sie sich an dieser Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit beteiligen möchten. Die mit diesem ersten Versuch der Errichtung einer PESCO aufgeworfenen Fragen sind komplex, vor allem auch, was die Beteiligung Österreichs daran betrifft.
Nach dem Scheitern der „Europäischen Verteidigungsgemeinschaft“ (EVG) und der darin vorgesehenen „Europa-Armee“ im Jahre 1954 wurde der Verteidigungspolitik im Zuge der Überwindung des „Kalten Krieges“ kein großes Interesse mehr geschenkt. Dieser Trend verstärkte sich nach dem Beitritt des Vereinigten Königreichs zu den drei Europäischen Gemeinschaften im Jahr 1973, da dieses im Aufbau einer europäischen Verteidigungsgemeinschaft eine Rivalität zur und damit auch eine Schwächung der NATO befürchtete. Im Zuge des „Brexit“ wurde das Vereinigte Königreich nunmehr aber ungewollt zum Geburtshelfer einer von Deutschland und Frankreich ausgehenden Initiative, das Ausscheiden der bisher stärksten Militärmacht der EU durch eine intensivere militärische Zusammenarbeit im Rahmen der GSVP zu kompensieren. Diese soll auch die EU unabhängiger von den USA machen und vor allem zu einer engeren Kooperation bei Rüstungsprojekten führen.
Nach der vorstehend erwähnten Aufforderung durch den Europäischen Rat vom 23. Juni 2017, die Voraussetzungen für die Einrichtung einer Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit näher zu definieren und auszuarbeiten, kam es am Rande der Tagung des Rates Auswärtige Angelegenheiten am 13. November 2017 in Brüssel schließlich zur Unterzeichnung einer Erklärung durch die Außen- und Verteidigungsminister von 23 [2] der 28 Mitgliedstaaten der EU [3], in der diese ihre Bereitschaft bekundeten, unter sich eine „Ständige Strukturierte Zusammenarbeit“ [„Permanent Structured Cooperation“ (PESCO)] auszubilden. Lediglich Dänemark, Irland, Malta, Portugal und das Vereinigte Königreich beteiligten sich nicht daran.
Unmittelbar nach der Unterzeichnung ihrer gemeinsamen Erklärung zur Errichtung einer PESCO notifizierten die 23 EU-Mitgliedstaaten diesen Umstand sowohl dem Rat, als auch der Hohen Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik [4]. In der Folge nahm der Rat in seinen Schlussfolgerungen diese Erklärung zur Kenntnis und bezeichnete die PESCO als „a historic step forward in the interest of European security and defence“ [5]. Damit wurde der Startschuss für die Einrichtung der ersten PESCO gegeben, wobei die definitive Beschlussfassung darüber, die gem. Art. 238 Abs. 3 lit. a) AEUV mit verstärkter qualifizierter Mehrheit erfolgen muss, für die nächste Tagung des Rates Auswärtige Angelegenheiten am 11. Dezember 2017 vorgesehen ist.
In diesem Zusammenhang muss einmal mehr darauf hingewiesen werden, dass unter den bestehenden zehn Ratsformationen kein Rat der Verteidigungsminister aufscheint, sondern diese nur im Schoß des Rates Auswärtige Angelegenheiten zusammenkommen und sich beraten, nicht aber über die Beratungsergebnisse selbst abstimmen können, da dies den Außenministern vorbehalten ist. Obwohl immer wieder die Einrichtung eines eigenen Rates der Verteidigungsminister gefordert wird [6], ist es bis jetzt noch nicht dazu gekommen. Gem. Art. 236 lit. a) AEUV bedürfte es dazu eines Beschlusses des Europäischen Rates mit qualifizierter Mehrheit.
Was die allgemeine Ausgestaltung der PESCO betrifft, so enthalten sowohl die Erklärung der 23 Mitgliedstaaten als auch die Schlussfolgerungen des Rates eine Reihe von Bestimmungen, die die primärrechtlichen Vorgaben in Art. 42 Abs. 6 und Art. 46 EUV iVm dem Protokoll (Nr. 10) über die Ständige Strukturierte Zusammenarbeit [7] näher ausdifferenzieren und die nachstehend in aller Kürze dargestellt werden sollen. Da sich aber auch das immerwährend neutrale Österreich an der PESCO beteiligen will, entstehen darüber hinaus eine Reihe neutralitätsrechtlicher und -politischer Fragen, auf die im Speziellen ebenso kurz eingegangen werden muss.
Allgemeine Ausrichtung der PESCO
Primärrechtliche Vorgaben
Gemäß Art. 42 Abs. 6 EUV können die Mitgliedstaaten, die anspruchsvollere Kriterien in Bezug auf die militärischen Fähigkeiten erfüllen und die im Hinblick auf Missionen mit höchsten Anforderungen untereinander weitergehende Verpflichtungen eingegangen sind, eine PESCO im Rahmen der EU begründen, die nach Maßgabe von Art. 46 EUV erfolgt.
Gem. Art. 46 EUV teilen die Vertreter der Mitgliedstaaten, die sich an einer PESCO beteiligen möchten, und hinsichtlich der militärischen Fähigkeiten die Kriterien erfüllen und die Verpflichtungen eingehen, die im Protokoll (Nr. 10) über die Ständige Strukturierte Zusammenarbeit enthalten sind, dem Rat und dem Hohen Vertreter der Union für die GASP ihre Absicht mit. Der Rat erlässt in der Folge – und zwar nach Anhörung des Hohen Vertreters und mit qualifizierter Mehrheit [8] – binnen dreier Monate nach dieser Mitteilung einen Beschluss über die Begründung der PESCO und über die Liste der daran teilnehmenden Mitgliedstaaten. Die an der PESCO teilnehmenden Mitgliedstaaten haben dabei die Kriterien und Verpflichtungen nach den Art. 1 und 2 des Protokolls (Nr. 10) zu beachten.
Gem. Art. 1 des Protokolls (Nr. 10) kann jeder Mitgliedstaat an einer PESCO teilnehmen, der sich verpflichtet, (a) seine Verteidigungsfähigkeiten durch Ausbau seiner nationalen Beiträge und gegebenenfalls durch Beteiligung an multinationalen Streitkräften, an den wichtigsten europäischen Ausrüstungsprogrammen und an der Tätigkeit der Agentur für die Bereiche Entwicklung der Verteidigungsfähigkeiten, Forschung, Beschaffung und Rüstung (Europäische Verteidigungsagentur) intensiver zu entwickeln und (b) spätestens 2010 über die Fähigkeit zu verfügen, entweder als nationales Kontingent oder als Teil von multinationalen Truppenverbänden bewaffnete Einheiten bereitzustellen, die auf die in Aussicht genommenen Missionen ausgerichtet sind, taktisch als Gefechtsverband konzipiert sind, über Unterstützung unter anderem für Transport und Logistik verfügen und fähig sind, innerhalb von 5 bis 30 Tagen sog. „Petersberg-Missionen“ nach Art. 43 EUV aufzunehmen, um insbesondere Ersuchen der Vereinten Nationen nachzukommen, und diese Missionen für eine Dauer von zunächst 30 Tagen, die bis auf 120 Tage ausgedehnt werden kann, aufrechtzuerhalten.
Zwecks Erreichung dieser Ziele verpflichten sich gem. Art. 2 des Protokolls (Nr. 10) die an der PESCO teilnehmenden Mitgliedstaaten zur Ergreifung von folgenden fünf Maßnahmen:
(a) gegenseitige Abgleichung der Höhe der Investitionsausgaben für Verteidigungsgüter;
(b) möglichst weitgehende Angleichung des Verteidigungsinstrumentariums durch Harmonisierung des militärischen Bedarfs und gemeinsame Nutzung der Verteidigungsmittel;
(c) Stärkung der Verfügbarkeit, der Interoperabilität, der Flexibilität und der Verlegefähigkeit der Truppen im Hinblick auf die Entsendung von Streitkräften;
(d) Ergreifung der erforderlichen Maßnahmen, um im Rahmen des „Mechanismus zur Entwicklung der Fähigkeiten“ bestehende Lücken zu schließen und
(e) Mitwirkung an der Entwicklung gemeinsamer oder europäischer Programme für wichtige Güter im Rahmen der „Europäischen Verteidigungsagentur“ (EVA).
Konkrete Vorgaben in der gemeinsamen Erklärung der 23 Mitgliedstaaten
Die Mitteilung der vorerwähnten gemeinsamen Erklärung der 23 Mitgliedstaaten (samt drei Anhängen) vom 13. November 2017 ist der erste förmliche Schritt zur Begründung der PESCO, der Folgendes enthält:
(a) die Grundsätze der PESCO, wobei insbesondere darauf hingewiesen wird, dass diese ein ehrgeiziger, verbindlicher und inklusiver europäischer Rechtsrahmen für Investitionen in die Sicherheit und Verteidigung des Gebiets der EU sowie deren BürgerInnen ist (Anhang I);
(b) eine Liste von 20 ambitionierten und verbindlichen gemeinsamen Verpflichtungen, die die betroffenen Mitgliedstaaten – im Rahmen der vorstehend angeführten fünf Maßnahmen iSv Art. 2 des Protokoll (Nr. 10) – einzugehen haben, einschließlich einer regelmäßigen realen Aufstockung der einzelnen Verteidigungshaushalte auf bis zu 2 Prozent des BIP [9], um die vereinbarten Ziele zu erreichen. So sollen künftig ua 20 Prozent der gesamten Verteidigungsausgaben aller Mitgliedsländer in Investitionen und zwei Prozent in Forschung und Entwicklung fließen und die teilnehmen Mitgliedstaaten müssen auch „substantiell“ zu EU-Battle-Groups beitragen und an deren Übungen für Einsätze teilnehmen (Anhang II) und
(c) Vorschläge für die Steuerung der PESCO, mit einer übergeordneten Ebene zur Gewährleistung der Kohärenz der PESCO und der mit ihr verfolgten Ziele, ergänzt durch spezifische Steuerungsverfahren auf Projektebene (Anhang III) [10].
GSVP Operationen und zivile Missionen 2017
Um dieses ambitionierte Vorhaben der PESCO – allein im Bereich der Entsendung von militärischen und zivilen Verbänden – mit dem gegenwärtigen Stand von multinationalen Einsätzen im Rahmen der EU zu kontrastieren, soll nachstehend nur eine kurze Aufstellung derselben vorgenommen werden.
Was die Beteiligung von EU-Truppen an multinationalen Truppenverbänden betrifft, so führt die EU gegenwärtig folgende sechs aktive militärische Operationen durch, die über den am 1. März 2004 vom Rat eingerichteten „Athena“-Mechanismus finanziert werden:
1) EUFOR ALTHEA (Bosnien & Herzegowina) (seit 2004)
2) EUNAVFOR ATALANTA (Horn von Afrika) (seit 2008)
3) EUTM Somalia (seit 2010)
4) EUTM Mali (seit 2013)
5) EUNAVFOR MED, Operation Sophia (Mittelmeer) (seit 2015)
6) EUTM RCA (Zentralafrikanische Republik) (seit 2016).
Daneben bestehen elf laufende zivile Missionen:
1) EUBAM (Republik Moldau und Ukraine) (seit 2005)
2) EUBAM RAFAH (Palästinensische Gebiete) (seit 2005)
3) EUPOL COPPS (Palästinensische Gebiete) (seit 2006)
4) EUMM Georgien (seit 2008)
5) EULEX Kosovo (seit 2008)
6) EUCAP Somalia (seit 2012)
7) EUCAP Sahel (Niger) (seit 2012)
8) EUBAM Libyen (seit 2013)
9) EUCAP Sahel (Mali) (seit 2014)
10) EUAM Ukraine (seit 2014)
11) EUAM Irak (seit 2017).
Insgesamt sind bei diesen Operationen mehr als 4.000 Personen im Einsatz [11].
PESCO – ein erster Schritt zur „Europäischen Verteidigungsunion“?
Für die deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen stellt die PESCO das Gründungsdatum für die europäische „Sicherheits- und Verteidigungsunion“ und einen weiteren Schritt „in Richtung der Armee der Europäer“ dar [12]. Diese mehr als euphemistische Äußerung stellt aber lediglich ein Wunschdenken der Verteidigungsministerin der Bundesrepublik dar, da die PESCO keinesfalls einen großen Schritt in Richtung Verteidigungsunion darstellt und auch nicht dazu geeignet ist, den ersten formalen Schritt zur Gründung einer „gemeinsamen Verteidigung“ iSv Art. 42 Abs. 2 UAbs. 1 EUV darzustellen, wie der Autor bereits mehrfach feststellen konnte [13]. Dazu ist nämlich gem. Art. 42 Abs. 2 UAbs. 1 EUV ein einstimmiger Beschluss des Europäischen Rates erforderlich, der in der Folge von allen Mitgliedstaaten gemäß deren verfassungsrechtlichen Bestimmungen zu ratifizieren ist.
Weder eine „verstärkte Zusammenarbeit“ von lediglich 23 Mitgliedstaaten, noch eine schwerpunktmäßige Absprache iSv „Pooling and Sharing“[14],die in der gegenständlichen PESCO schwerpunktmäßig zum Ausdruck kommt, kann diesbezüglich als Ausgangspunkt für eine „gemeinsame Verteidigung“ angesehen werden. Der französische Verteidigungsexperte Frederic Mauro stellt in diesem Zusammenhang pointiert fest, „dass Europa von einer echten Verteidigungsunion oder gar einer autonom agierenden „EU-Armee“ noch „Lichtjahre entfernt“ sei“ [15].
Zusammenarbeit zwischen der EU und der NATO
Die zukünftige PESCO soll keine Konkurrenz zur NATO darstellen, sondern diese so weit als möglich ergänzen. In diesem Sinne hatten die EU und die NATO bereits am 8. Juli 2016 in einer gemeinsamen Erklärung angekündigt, ihre Zusammenarbeit in folgenden sieben strategischen Bereichen verstärken zu wollen:
1) Hybride Bedrohungen,
2) Operative Zusammenarbeit, auch auf der Hohen See;
3) Cybersicherheit,
4) Ausbau der Verteidigungsfähigkeiten,
5) Industrie und Forschung,
6) Abhaltung koordinierter Übungen und
7) Aufbau von Fähigkeiten [16].
In der Folge billigte der Rat am 6. Dezember 2016 ein gemeinsames Paket von 42 Vorschlägen, dem die NATO ebenfalls zugestimmt hat [17].
Kann Österreich die geforderten „anspruchsvolleren Kriterien“ hinsichtlich der militärischen Fähigkeiten überhaupt erfüllen?
Sowohl Art. 42 Abs. 6 EUV als auch Art. 46 Abs. 1 EUV iVm dem Protokoll (Nr. 10) verlangen von einem an einer PESCO teilnehmenden Mitgliedstaat, „anspruchsvollere Kriterien“ in Bezug auf die militärischen Fähigkeiten zu erfüllen und im Hinblick auf „Missionen mit höchsten Anforderungen“ untereinander weitergehende Verpflichtungen eingegangen zu sein. Es ist mehr als zweifelhaft, ob alle 23 an der PESCO beteiligten Mitgliedstaaten diesen Anforderungen überhaupt genügen können, ein Umstand, der auch auf die gegenwärtige Ausstattung des österreichischen Bundesheers zutrifft.
Im Sinne eines „modularen Ansatzes“ [18] kann sich jeder Mitgliedstaat auf der Ebene der Projekte und Initiativen gemäß seinen Fähigkeiten in die PESCO einbringen und entsprechende Projekte vorlegen. Im Falle Österreich handelt es sich dabei um zwei Projekte, nämlich zum einen um die Weitergabe der Erfahrung in der Gebirgsjäger-Ausbildung und zum anderen durch ein Industrieprojekt zu Cybertechnik und Luftsensorik [19].
Insgesamt wurden von 15 der 23 Mitgliedstaaten bis Ende November 2017 47 Projekte vorgeschlagen, wobei die Bundesrepublik insbesondere für ein medizinisches Einsatzkommando, ein Netz von Logistikdrehkreuzen und eine gemeinsame Offiziersausbildung plädiert [20]. Allgemeines Ziel ist eine verstärkte Rüstungszusammenarbeit und Vereinheitlichung der Beschaffung, um die Zahl von derzeit fast 180 verschiedenen Waffensystemen in der EU zu verringern.
Es bleibt aber letztlich einem Beschluss des Rates Auswärtige Angelegenheiten vorbehalten, den genauen Umfang der erforderlichen Beteiligung bzw. Abstimmung eines Mitgliedstaates an der PESCO im allgemeinen sowie an der koordinierten jährlichen Überprüfung der Verteidigung (Coordinated Annual Review on Defence, CARD), dem Plan zur Fähigkeitenentwicklung (Capability Development Plan, CDP) und dem Prozess der Verteidigungsplanung in der NATO (NATO Defence Planning Process, NDPP) zu determinieren. Ebenso muss die Verknüpfung der PESCO mit dem Europäischen Verteidigungsfonds (European Defence Fund, EDF) präzisiert werden.
Verträgt sich die PESCO mit den Verpflichtungen aus der immerwährenden Neutralität Österreichs?
Hinsichtlich der Vereinbarkeit der Erfordernisse einer Mitwirkung an der PESCO mit den Pflichten aus der dauernden Neutralität Österreichs herrschen unter den potentiellen Koalitionspartnern ÖVP und FPÖ unterschiedliche Meinungen vor. Außenminister Kurz hegt keine wie immer gearteten neutralitätsrechtlichen Bedenken [21] und merkt diesbezüglich konkret an: „Wir sind insofern mit der Neutralität im Rahmen, was eine künftige verstärkte Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich betrifft. Aber wir werden uns rechtlich genau ansehen, dass das Ziel der verstärkten Zusammenarbeit nicht staatlichen Regelungen, auch nicht der Neutralität, widerspricht. Sonst hätten wir von Anfang an nicht mitgemacht“ [22]. Im Gegensatz dazu pochen Vertreter der FPÖ auf die Einhaltung der immerwährenden Neutralität Österreichs und stellen fest, dass „die Neutralität für uns an oberster Stelle steht und nicht verhandelbar ist“ [23].
In diesem Zusammenhang muss zunächst zwischen der neutralitätsrechtlichen und –politischen Ebene unterschieden werden. Neutralitätsrechtlich kann sich ein dauernd neutraler Staat ohne weiteres an einem „Pooling and Sharing“, vorwiegend in den Bereichen Ausbildung und Materialbeschaffung, sowie an der Teilnahme an „Petersberg-Maßnahmen“ iSv Art. 43 EUV beteiligen, soweit dies nicht zu einer völkerrechtswidrigen Unterstützung einer von beiden (potentiellen) Kriegsparteien führt. Im Rahmen der EU ist er diesbezüglich ja noch durch die sog. „irische Klausel“ des Art. 42 Abs. 2 UAbs. 2 EUV abgesichert. Im Übrigen wirken neben Österreich noch weitere drei Mitgliedstaaten aus der Riege der sechs neutralen bzw. paktfreien EU-Mitgliedstaaten, nämlich Finnland, Schweden und Zypern, an der PESCO mit.
Was aber die neutralitätspolitische Komponente betrifft, so muss darauf hingewiesen werden, dass ein Neutraler damit unter Umständen bis an die Grenze seiner Glaubwürdigkeit im Hinblick auf dritte Staaten geht, seine neutralitätsrechtlichen Verpflichtungen unter allen Umständen einhalten zu können bzw. auch zu wollen.
Fazit
Die Einrichtung der ersten „Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit“ (PESCO) als Sonderform einer „verstärkten Zusammenarbeit“ von 23 Mitgliedstaaten wirft zum einen eine Reihe von allgemeinen, grundlegenden Fragen, zum anderen aber auch einige spezielle Probleme hinsichtlich der Mitwirkung einiger, vor allem neutraler, Mitgliedstaaten an dieser militärischen Kooperationsform auf. Keinesfalls handelt es sich dabei aber um einen ersten Schritt in Richtung auf eine „Verteidigungsunion“ bzw. eine „gemeinsame Verteidigung“ iSv Art. 42 Abs. 2 UAbs. 1 AEUV, sondern lediglich um einen ständigen Rahmen für eine effektivere Verteidigungszusammenarbeit der 23 Mitgliedstaaten iSd gemeinsamen Entwicklung der Verteidigungsfähigkeiten, der Investition in gemeinsame Rüstungsprojekte und der Verbesserung der operativen Einsatzbereitschaft.
Die Teilnahme an dieser engeren militärischen Zusammenarbeit ist an sich freiwillig, wird allerdings dann bindend, sobald ein Mitgliedstaat sein Mitwirken offiziell bekundet hat und dieses auch durch einen Beschluss des Rates über die Einrichtung der PESCO anschließend sanktioniert wird. Dieser Beschluss ist im Rahmen der Tagung des Rates Auswärtige Angelegenheiten vom 11. Dezember 2017 zu erwarten, der auch die in diesem Beitrag noch nicht ganz endgültig gelösten Fragen – wie zB die Beteiligung einer Reihe von EU-Mitgliedstaaten an der gegenständlichen PESCO, die die anspruchsvollen militärischen Kriterien der Art. 42 Abs. 6 und 46 AEUV sowie des Protokolls (Nr. 10) offensichtlich nicht erfüllen – hoffentlich beantworten wird.
Anmerkungen:
[1] EUCO 8/17, vom 23. Juni 2017.[2] Unverständlicherweise spricht der Brüssel-Korrespondent der renommierten deutschen Tageszeitung „Die WELT“ davon, dass sich Österreich an der PESCO nicht beteiligt; Schiltz, C. B. Europäer gründen Verteidigungsbündnis, Die Welt vom 13. November 2017, S. 1.
[3] Interessanterweise unterzeichneten Ursula von der Leyen und Sigmar Gabriel die Erklärung als Mitglieder einer bloß geschäftsführend im Amt befindlichen (deutschen) Bundesregierung. An sich ist einer geschäftsführenden Regierung nur die Vornahme der „laufenden Geschäfte“ erlaubt. Offensichtlich wird darunter auch die Beteiligung an einer PESCO verstanden (sic).
[4] Notification on Permanent Structured Cooperation (PESCO) to the Council and to the High Representative of the Union for Foreign Affairs and Security Policy, Brussels, 13 November 2017; vgl. //europa.eu./rapid/press-release_STATEMENT-17-4608_en.htm
[5] Council conclusions on security and defence in the context of the EU Global Strategy, Rats-Dok. 14190/17, vom 13. November 2017, Annex, S. 3.
[6] Zuletzt forderte das Europäische Parlament in seiner Entschließung vom 22. November 2016 zu der europäischen Verteidigungsunion (2016/2051/INI) einmal mehr die Einrichtung einer Rats-Formation der Verteidigungsminister; P8_TA(2016)0435, A8-0316/2016 (Punkt 5).
[7] ABl. 2016, C 202, S. 275 ff.
[8] Gem. Art. 238 Abs. 3 lit. a AEUV.
[9]Diese Orientierung am umstrittenen NATO-Finanzierungsziel von 2 Prozent des BIP würde eine Verdreifachung (!) des gegenwärtigen österreichischen Verteidigungshaushalts bedeuten; vgl. Brocza, S. Verdreifachung des Verteidigungsbudgets?, Wiener Zeitung vom 15. November 2017, S. 16. Gegenwärtig erfüllen lediglich vier Staaten das Ausgabenziel von 2 Prozent des BIP, nämlich Estland, Griechenland, Polen und das Vereinigte Königreich (Europäischer Verteidigungs-Aktionsplan (COM(2016) 950 final, vom 30. November 2016, S. 4). Zum Vergleich: Der österreichische Beitrag beträgt diesbezüglich 0,6 Prozent.
[10] Vgl. Rat der EU, Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich: 23 Mitgliedstaaten unterzeichnen eine gemeinsame Mitteilung über die Ständige Strukturierte Zusammenarbeit (PESCO); //www.consilium.europa.eu/de/press/press-releases/2017/11/13/defence-cooperati…
[11] EAD (Hrsg.), EU verstärkt Zusammenarbeit im Bereich der Sicherheit und Verteidigung; https://eeas.europa.eu/headquarters/headquarters-homepage/35498/node/35498_de, S. 2.
[12] EU-Verteidigung: PESCO rüttelt laut Kurz nicht an Neutralität, Tiroler Tageszeitung, vom 13. November 2017; EU-Verteidigungspakt beschlossen: „Kein Rütteln an der Neutralität“, Die Presse vom 13. November 2017.
[13] Vgl. Hummer, W. Sicherheits- und Verteidigungspolitische Konzepte der EU im Rahmen der ESVP/GSVP. Verschlungene Wege im „semantisch-begrifflichen Irrgarten“ der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (Teil II), EU-Infothek vom 18. Oktober 2017, S. 5.
[14] Vgl. Hummer, Sicherheits- und Verteidigungspolitische Konzepte der EU im Rahmen der ESVP/GSVP (Fn. 13), S. 6; Gallhöfer, P. Effizienz und Effektivität durch Verteidigungskooperation (2014), S. 126 ff.
[15] Zitiert in EU-Verteidigung: PESCO rüttelt laut Kurz nicht an Neutralität (Fn. 12), op. cit.
[16] EAD (Hrsg.), EU verstärkt Zusammenarbeit im Bereich der Sicherheit und Verteidigung (Fn. 11), S. 3; https://eeas.europa.eu/headquarters/headquarters-homepage/35498/node/35498_de S. 3.
[17] Zusammenarbeit der EU im Bereich der Sicherheit und Verteidigung; //www.consilium.europa.eu/de/policies/defence-security/#
[18] Schlussfolgerungen des Rates zu Sicherheit und Verteidigung im Kontext der Globalen Strategie der EU, vom 18. Mai 2017 (Rats-Dok. 9178/17), S. 12.
[19] Vgl. 23 EU-Staaten bringen Verteidigungsunion auf den Weg, Salzburger Nachrichten vom 13. November 2017.
[20] EU-Verteidigung: PESCO rüttelt laut Kurz nicht an Neutralität (Fn. 12), op.cit.
[21] EU-Verteidigungspakt beschlossen: „Kein Rütteln an der Neutralität“, Die Presse, vom 13. November 2017.
[22] EU-Verteidigung: PESCO rüttelt laut Kurz nicht an Neutralität (Fn. 12) op. cit.; EU-Verteidigungspakt beschlossen: „Kein Rütteln an der Neutralität“ (Fn. 21), op. cit.
[23] So zB der FPÖ-Abgeordnete zum Europäischen Parlament, Georg Mayer; FPÖ pocht auf die Neutralität, Tiroler Tageszeitung vom 15. November 2017, S. 12.