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Die „Europäische Gesundheitsunion“ und ihre einzelnen Instrumente

Maßnahmen zur Stärkung der Resilienz der EU gegenüber grenzüberschreitenden Gesundheitsgefahren

Bild © European Union, 2021, EC – Audiovisual Service, Photographer: Dati Bendo
1. Einführung

Am 11. März 2020 erklärte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) den Ausbruch des neuartigen Coronavirus (COVID-19) zur weltweiten Pandemie. Diese Pandemie hat zu einer beispiellosen universellen Gesundheitskrise mit schwerwiegenden sozio-ökonomischen Folgen sowie der Erkenntnis geführt, dass die Bekämpfung grenzüberschreitender Gesundheitsgefahren, mit nationalen Maßnahmen der einzelnen Staaten alleine, einfach nicht mehr bewerkstelligt werden kann. Unter diesem Aspekt könnte man nun von der Annahme ausgehen, dass sich die Europäische Union (EU), als supranationale Organisation, für die Bekämpfung dieser grenzüberschreitenden Pandemie geradezu idealiter anbieten würde. 

Wirft man in diesem Zusammenhang aber einen Blick auf die kompetenzielle Ausstattung der EU in Sachen Gesundheitspolitik, so muss man zur Kenntnis nehmen, dass es die Mitgliedstaaten sind, die die grundsätzliche Verantwortung für ihre Gesundheitspolitik, die Verwaltung ihres Gesundheitswesens und die medizinische Versorgung tragen, während die EU – unter Berücksichtigung der Prinzipien der Subsidiarität, der begrenzten Einzelermächtigung und der Verhältnismäßigkeit – lediglich ergänzend tätig wird. Für die unmittelbare Gesundheitspolitik der EU besteht damit nur eine Unterstützungs-, Koordinierungs- und Ergänzungsfunktion zur nationalen Gesundheitspolitik der Mitgliedstaaten. Unionsrechtliche Maßnahmen kommen daher immer erst dann zum Einsatz, wenn die nationalen Gesundheitssysteme nicht mehr ausreichen, wie etwa bei der Abwehr und Bekämpfung grenzübergreifender Gesundheitsgefahren, wie dies exemplarisch bei der Bekämpfung der COVID-19-Pandemie der Fall ist.

Zunächst hatten die Mitgliedstaaten der EU unilaterale Maßnahmen, wie zB Ausfuhrbeschränkungen für persönliche Schutzausrüstungen sowie die Wiedereinführung von Kontrollen an den Schengen-Binnengrenzen uam, zum Schutz der ihrer eigenen Bevölkerung ergriffen. Diese unkoordinierten nationalen Maßnahmen konnten aber nicht nur die Ausbreitung des Corona-Virus nicht wirksam bekämpfen, sondern führten auch zur Unterbrechung wichtiger Lieferketten und behinderten damit den Fluss wesentlicher Güter und Dienstleistungen im Binnenmarkt. Dementsprechend forderte die europäische Öffentlichkeit eine aktivere Rolle der EU zum Schutz vor grenzübergreifenden Gefahren für ihre Gesundheit. 

Die daraufhin von der EU ergriffenen Maßnahmen erfolgten zum einen aber nicht nur zu zögerlich, sondern wurden zum anderen auch nicht flächendeckend und konsistent umgesetzt. Darüber hinaus wiesen diese Mechanismen der EU zur Bewältigung von Gesundheitsgefahren allgemeine Mängel auf, die einen strukturierteren Ansatz erforderten. Dementsprechend forderte die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, in ihrer Rede zur „Lage der Union“ am 15. September 2020 den Aufbau einer „Europäischen Gesundheitsunion“, im Rahmen derer diese Mängel behoben werden sollten.

Wenige Tage später, nämlich am 11. November 2020, konkretisierte die Kommission diese Anregung und verabschiedete eine Mitteilung mit dem Titel „Schaffung einer europäischen Gesundheitsunion: Die Resilienz der EU gegenüber grenzüberschreitenden Gesundheitsgefahren stärken“.[1] Laut einer Aussage der für Gesundheitsagenden zuständigen Kommissarin Stella Kyriakides will sich die Europäische Kommission damit aber auch von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) emanzipieren und eine eigene Behörde schaffen, die die Entwicklung von ansteckenden Krankheiten beobachten und gegebenenfalls den Notstand für die EU ausrufen kann. Daneben sollen aber auch die Kompetenzen der bereits bestehenden Gesundheitsagenturen, nämlich der „Europäischen Arzneimittelagentur“ (EMA) sowie des „Europäischen Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten“ (ECDC) verstärkt werden. Im Mittelpunkt der Bemühungen steht aber die Schaffung der „EU-Behörde für die Krisenvorsorge und -reaktion bei gesundheitlichen Notlagen“ (HERA), als wichtigste Säule der Europäischen Gesundheitsunion.

Ohne die komplexe Kompetenzverteilung und den institutionellen Aufbau aller einschlägigen Agenturen im Gesundheitswesen auch nur annähernd komplett darstellen zu können, soll nachstehend zumindest versucht werden, die im Rahmen der Europäischen Gesundheitsunion für die Bekämpfung grenzüberschreitender Gesundheitsgefahren entwickelten Einrichtungen und Maßnahmen kurz darzustellen. Erst daraus wird ersichtlich, wie kompliziert sich der Einsatz der gegen die CORONA-19 – Pandemie ausgearbeiteten Maßnahmen der EU darstellt.

Für das allgemeine Verständnis der Sachlage muss zunächst aber ein kurzer Überblick über die allgemeine Verankerung des Gesundheitswesens in den Gemeinschafts- und Unionsverträgen gegeben werden. Erst danach kann auf die speziellen Maßnahmen der EU zur Stärkung der Resilienz gegenüber grenzüberschreitenden Gesundheitsgefahren eingegangen werden.

2. Primärrechtliche Verankerung der Materie „öffentliche Gesundheit“ in den EG- und EU-Verträgen

Die Materie „öffentliche Gesundheit“ fand erstmals im Vertrag von Maastricht (1992) Erwähnung, allerdings nur in der Form, dass die Europäische Gemeinschaft (EG) durch Förderung der Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten, und erforderlichenfalls durch Unterstützung ihrer Tätigkeit, einen Beitrag zur Sicherstellung eines hohen Gesundheitsschutzniveaus leistet (Art. 129 Abs. 1 EGV).

Im Vertrag von Amsterdam (1997) verblieb die vorrangige Zuständigkeit für Gesundheitsangelegenheiten zwar weiterhin bei den Mitgliedstaaten, doch die EG hatte bei der Festlegung und Durchführung aller Unionspolitiken und -maßnahmen ein hohes Gesundheitsschutzniveau sicherzustellen (Art. 152 Abs. 1 EGV) – und nicht nur, wie früher, lediglich „einen Beitrag dazu zu leisten“. Damit wurde erstmals eine allgemeine Regelungsgrundlage für das „Gesundheitswesen“ auf unionsrechtlicher Ebene geschaffen.

Durch den Vertrag von Lissabon (2007) obliegt diese Verpflichtung nunmehr der Union (EU) und wird inhaltlich weiter ausgestaltet (Art. 168 AEUV). Für die unmittelbare Gesundheitspolitik der EU besteht jedoch nur eine Unterstützungs-, Koordinierungs– und Ergänzungsfunktion zur nationalen Politik der Mitgliedstaaten, sodass eine Harmonisierung der nationalen Gesundheitspolitiken grundsätzlich ausgeschlossen ist (Art. 168 Abs. 1 iVm Art. 6 und Art. 2 Abs. 5 AEUV). Für die Koordinierungsfunktion wird in Art. 168 Abs. 2 UAbs. 2 AEUV auf die „offene Koordinierungsmethode“ verwiesen, gemäß derer die Kommission Leitlinien und Indikatoren festlegen kann, damit bei der Festlegung und Durchführung aller Unionspolitiken ein hohes Gesundheitsschutzniveau erreicht wird. Auch gem. Art. 9 AEUV sowie Art. 35 der EU-Grundrechte-Charta ist bei der Festlegung und Durchführung aller Unionspolitiken und -maßnahmen ein hohes Gesundheitsschutzniveau sicherzustellen.

Eine, über die bloße Unterstützungs-, Koordinierungs- und Ergänzungsfunktion hinausgehende, geteilte Zuständigkeit zwischen der EU und ihren Mitgliedsstaaten gem. Art. 4 Abs. 2 lit. k) AEUV, besteht nach Art. 168 Abs. 4 AEUV lediglich bei gemeinsamen Sicherheitsanliegen. Diesbezüglich können das Europäische Parlament und der Rat im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren gem. Art. 289 AEUV vor allem Maßnahmen zur Festlegung hoher Qualitäts- und Sicherheitsstandards für Arzneimittel, Medizinprodukte etc. ergreifen.   

Was die Beobachtung, frühzeitige Meldung und Bekämpfung schwerwiegender grenzüberschreitender Gesundheitsgefahren betrifft, sieht Art. 168 Abs. 5 AEUV eine Kompetenz des Europäischen Parlaments und des Rates vor, unter Ausschluss jeglicher Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten, gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren (Art. 289 AEUV), Maßnahmen zur Bekämpfung weit verbreiteter schwerer grenzüberschreitender Krankheiten zu erlassen. Die Rechtsgrundlage für eine diesbezügliche Angleichung der Rechtsvorschriften zur Verwirklichung der Ziele des Binnenmarktes ist laut ständiger Judikatur des Gerichtshofs Art. 114 AEUV.[2]

3. Sekundärrechtliche Maßnahmen zur Beseitigung von Gesundheitsgefährdungen

Nach der Einrichtung eines „Netzes für die epidemiologische Überwachung und Kontrolle übertragbarer Krankheiten in der Gemeinschaft“ durch die Entscheidung Nr. 2119/98/EG des Europäischen Parlaments und des Rates[3], dauerte es in der Folge ganze fünfzehn Jahre (!) bis die ersten Maßnahmen für die grenzüberschreitende Gesundheitssicherheit in der EU getroffen wurden. So wurden im Beschluss Nr. 1082/2013/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2013 zu schwerwiegenden grenzüberschreitenden Gesundheitsgefahren[4] Bestimmungen über die epidemiologische Überwachung, Beobachtung, frühzeitige Meldung und Bekämpfung schwerwiegender grenzüberschreitender Gesundheitsgefahren, einschließlich der diesbezüglichen Bereitschafts- und Reaktionsplanung festgelegt, um damit die Politik der Mitgliedstaaten zu koordinieren und zu ergänzen. Das dabei eingeführte Netz umfasste institutionell neben der Kommission und den zuständigen nationalen Behörden vor allem das bereits im April 2004 gegründete „Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten“ (ECDC)[5], mit Sitz in Solna/Schweden, das vor allem klare Verfahren für die Zusammenarbeit mit der Weltgesundheitsorganisation (WHO) auszuarbeiten hatte.

Gem. Art. 8 des Beschlusses Nr. 1082/2013/EU wurde das „Frühwarn- und Reaktionssystem“ (Early Warning and Response System) (EWRS) als EU-weites Schnellwarnsystem zur Meldung schwerwiegender grenzüberschreitender Gesundheitsgefahren eingerichtet, das bereits erfolgreich bei früheren Ausbrüchen von SARS, Grippepandemien, Ebola, Zika uam. eingesetzt wurde. Im darauffolgenden Durchführungsbeschluss (EU) 2017/253 der Kommission vom 13. Februar 2017[6] sind die Verfahren für die Übermittlung von Warnmeldungen im Rahmen des EWRS und für den Informationsaustausch, die Konsultation und die Koordinierung der Reaktionen auf grenzüberschreitende Gesundheitsgefahren näher festgelegt. Bezüglich der datenschutzrelevanten Aspekte des EWRS meldete die Kommission dieses am 18. Februar 2009 dem Europäischen Datenschutzbeauftragten – allerdings verspätet – zur „nachträglichen“ Vorabkontrolle ein, die dieser in seiner Stellungnahme vom 26. April 2010[7] auch zur Kenntnis nahm.

Durch das Frühwarn- und Reaktionssystem (EWRS) sowie den Informationsaustausch und die Zusammenarbeit im Rahmen des vom Rat bereits 2001 eingerichteten Gesundheitssicherheitsausschusses der EU wurde allerdings nur ein begrenzter rechtlicher Rahmen für die Koordinierung der Maßnahmen auf EU-Ebene geschaffen.

Die ersten Erfahrungen mit den Anfang 2020 ausgebrochenen COVID-19-Erkrankungen haben gezeigt, dass mit dem bisherigen System keine optimale Reaktion auf die sich anbahnende Pandemie erreicht werden kann, vor allem aber, dass das sekundärrechtliche Instrument des Beschlusses unbedingt durch eine unmittelbar anwendbare Verordnung ersetzt werden muss. Es sollte aber weitere sieben Jahre (!) dauern, bis die Europäische Kommission am 11. November 2020 einen Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zu schwerwiegenden grenzüberschreitenden Gesundheitsgefahren und zur Aufhebung des Beschlusses Nr. 1082/2013/EU[8] vorlegte. Der Durchbruch sollte aber erst mit der Schaffung der HERA erfolgen, die demgemäß auch einen der wichtigsten Pfeiler der Europäischen Gesundheitsorganisation darstellt.

4. Die „EU-Behörde für die Krisenvorsorge und -reaktion bei gesundheitlichen Notlagen“ (HERA)

Die Schaffung der „EU-Behörde für die Krisenvorsorge und -reaktion bei gesundheitlichen Notlagen“ (Health Emergency Preparedness and Response Authority) (HERA) wurde von der Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, erstmals in ihrer vorerwähnten Rede zur Lage der Union vom 15. September 2020 angekündigt und anschließend auch in die erwähnte Mitteilung der Kommission über den Aufbau einer Europäischen Gesundheitsunion aufgenommen.[9]

Um den Aufbau der Europäischen Gesundheitsunion zu erleichtern, schlug die Kommission in ihrer Mitteilung vom 17. Februar 2021 mit dem Titel „HERA Incubator: unsere gemeinsame proaktive Antwort auf die Bedrohung durch  COVID-19-Varianten[10] zunächst die Errichtung des „HERA-Inkubator“ vor, der in einer neuartigen öffentlich/privaten Partnerschaft in Form einer Taskforce bestehen soll, die das Know-how und die Ressourcen der Industrie, der Forschungs- und Wissenschaftsgemeinschaft, des gesamten Gesundheitssektors und der Behörden und Regulierungsstellen in- und außerhalb der EU bündeln soll. Im Rahmen dieses Programms sollen alle verfügbaren Ressourcen optimal genützt werden, um neuen Gefahren, wie weiteren COVID-19-Varianten, schnell entgegentreten zu können. Die HERA soll auf den im Rahmen des Inkubators eingeleiteten Maßnahmen aufbauen und als dauerhafte Einrichtung die Forschung und Entwicklung im Bereich Medizin und Impfstoffe unterstützen.

Bei der Durchführung des Programms des „HERA-Inkubators“ wird die Kommission im Namen der EU handeln und dabei über folgende Verwaltungsorgane verfügen:

(a) HERA-Verwaltungsrat, der die strategische Ausrichtung der Vorsorge und Reaktion im Gesundheitsbereich sowohl auf nationaler, als auch auf EU-Ebene, gestaltet;

(b) HERA-Beirat, der bei der Planung und Durchführung der wissenschaftlichen, gesundheitsbezogenen und industriellen Tätigkeiten der HERA berät;

(c) Gesundheitskrisenstab, der Maßnahmen als Reaktion auf eine Krise koordiniert.[11]

Mit dieser umfassenden Kooperation zwischen Wissenschaft, Industrie und Behörden soll in Zukunft beim Auftreten neuer COVID-19-Varianten alles schneller gehen – von der Erkennung neuer Mutationen über die Entwicklung, Prüfung und Zulassung von angepassten Impfstoffen bis hin zu deren Massenproduktion in Europa.[12]   

Um weitere einschlägige Anregungen zu sammeln, eröffnete die Kommission am 6. April 2021 eine öffentliche Konsultation, die auf sechs Wochen ausgelegt war, und dementsprechend bis zum 12. Mai 2021 lief. Die Konsultation umfasste vor allem Fragen zu folgenden fünf Schwerpunkten[13]:

a) Ausarbeitung eines EU-Rahmens für die Entwicklung, Herstellung und den Einsatz medizinischer Gegenmaßnahmen;

b) Vorausschauende Bedrohungsanalysen und Risikobewertungen;

c) Marktdynamik und Lieferketteninformation;

d) Entwicklung und Finanzierung neuer Gegenmaßnahmen in Krisenzeiten;

e) Einfluss, Rolle, Aufgabenbereich und Koordinierung einer künftigen HERA-Behörde.

Im Rahmen dieser Konsultation wurden eine Reihe von Beiträgen eingereicht, wie die EU sich künftig besser für gesundheitliche Notlagen wappnen und effektiv darauf reagieren kann. Nach Auswertung dieser Rückmeldungen, und aufbauend auf den Erfahrungen des HERA-Inkubators, erließ der Kommission am 16. September 2021 ihren Vorschlag für eine Verordnung des Rates über einen Rahmen für Maßnahmen im Zusammenhang mit medizinischen Gegenmaßnahmen im Falle einer Notlage im Bereich der öffentlichen Gesundheit auf Unionsebene.[14] Dabei wurde die HERA aber nicht als eigene EU-Agentur,[15] sondern bloß „als Struktur innerhalb der Europäischen Kommission“[16] konzipiert.[17] Ihre volle Funktionsfähigkeit wird sie Anfang 2022 erreichen und bis 2025 wird ihre Funktionsweise jährlich überprüft und gegebenenfalls angepasst werden. Als wichtigste Säule der „Europäischen Gesundheitsunion“ und zentrales Element der Krisenvorsorge soll die HERA dazu dienen, Gefahren und potenzielle Notlagen im Gesundheitsbereich in Zukunft besser antizipieren und im Notfall die Entwicklung, Herstellung und Verteilung beispielsweise von Arzneimitteln und Impfstoffen sicherstellen zu können.

Damit wird die HERA vor dem Ausbruch einer Krise die entsprechenden Vorsorgemaßnahmen und während dieser die notwendigen Sofortmaßnahmen setzen. Einen wichtigen Aspekt im Rahmen der Vorsorgemaßnahmen wird die Befassung der HERA mit den Herausforderungen des Marktes und der Stärkung der industriellen Kapazitäten darstellen. Aufbauend auf den Arbeiten der EU-Taskforce für den Ausbau der industriellen Produktion von COVID-19-Impfstoffen wird die HERA eine langfristige Strategie für Herstellungskapazitäten und gezielte Investitionen im Pharma-Bereich entwickeln und Engpässe der Lieferketten für die medizinische Versorgung beseitigen.

Zur Finanzierung der vielfältigen Tätigkeiten der HERA werden 6 Mrd. Euro aus dem derzeitigen mehrjährigen Finanzrahmen für den Zeitraum 2022-2027 bereitgestellt, wobei ein Teil aus dem Europäischen Konjunkturpaket „NextGenerationEU“ stammt. Neben HERA werden aber auch andere einschlägige EU-Programme, wie zB die Aufbau- und Resilienzfazilität, REACT-EU, die Kohäsionsfonds und das Programm InvestEU sowie das außenpolitische Instrument für Nachbarschaft, Entwicklungszusammenarbeit und internationale Zusammenarbeit, zur Stärkung der Resilienz der Gesundheitssysteme der 27 EU-Mitgliedstaaten beitragen. Zusammen mit den vorstehend genannten 6 Mrd. Euro wird sich die Unterstützung der Aktivitäten von HERA im nächsten mehrjährigen Finanzrahmen damit insgesamt auf beinahe 30 Mrd. Euro belaufen.[18]

Zusammenfassend wird die Funktion der HERA von einzelnen Mitgliedern der Kommission in höchsten Tönen gelobt, zugleich aber darauf hingewiesen, „dass diese Gesundheitsbehörde, nach fast zwei Jahren einer verheerenden Pandemie das Symbol für ein Umdenken in der Gesundheitspolitik ist, dem wir uns alle anschließen sollten: Nur wenn wir gemeinsam handeln, sind wir stark genug und in der Lage, die Gesundheitssicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger entscheidend zu verbessern“.[19] Der für den Binnenmarkt zuständige Kommissar Thierry Breton wiederum fügt dem noch hinzu: „Mit der HERA ziehen wird die Lehren aus der Krise (…) Wir haben die Produktion der COVID-19-Impfstoffe für Europa und den Rest der Welt in Rekordzeit aufgestockt. Auf künftige Krisen im Gesundheitsbereich müssen wir uns aber noch besser vorbereiten. Die HERA wird neue, flexible Produktionskapazitäten aufbauen und Lieferketten sichern, um Europa in die Lage zu versetzen, bei Bedarf schnell zu reagieren“.[20]

Flankierend zu HERA wurden die Exekutivagentur HaDEA sowie das EU4Health-Programm eingerichtet, die weitere wichtige Elemente für den Aufbau der „Europäischen Gesundheitsunion“ darstellen.

5. Die „Europäische Exekutivagentur für Gesundheit und Digitales“ (European Health and Digital Executive Agency“, HaDEA)

Neben der HERA, die, wie vorstehend erwähnt, nicht als Exekutiv-Agentur[21] errichtet wurde, setzte die Kommission am 16. Februar 2021 die „Europäische Exekutivagentur für Gesundheit und Digitales“ (European Health and Digital Executive Agency, HaDEA)[22] ein. Sie wurde für die Dauer vom 16. Februar 2021 bis zum 31. Dezember 2028, mit Sitz in Brüssel eingerichtet[23] und soll bis Ende 2021 mit einem Personalstand von 381 Beamten ausgestattet werden.

Auf die HaDEA sollen alle bisherigen EU-Programme in den Bereichen Gesundheit und Digitales übertragen werden, vor allem aber die Agenden der bisher in Luxemburg ansässigen „Exekutivagentur für Verbraucher, Gesundheit, Landwirtschaft und Lebensmittel“.[24] Eine der wichtigsten Aktivitäten der HaDEA ist aber die – gemeinsam mit der Europäischen Kommission vorzunehmende – Verwaltung des ersten jährlichen Arbeitsprogramms für die EU-Gesundheitsunion (EU4Health).[25]       

6. „EU4Health“: Jährliches Arbeitsprogramm für die EU-Gesundheitsunion

Das erste Arbeitsprogramm der Union im Rahmen der EU-Gesundheitsinitiative (EU4Health-Programm) wurde durch die Verordnung (EU) 2021/522 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. März 2021[26] für den Zeitraum 2021-2027 eingerichtet und ist insbesondere auf Art. 168 Abs. 5 AEUV gestützt. Darin ist vorgesehen, dass die EU – unter uneingeschränkter Wahrung der Verantwortung der Mitgliedstaaten für die Festlegung ihrer Gesundheitspolitik sowie für die Organisation, Verwaltung des Gesundheitswesens und die medizinische Versorgung – die Gesundheitspolitik der Mitgliedstaaten ergänzt und unterstützt sowie die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten und die Koordinierung ihrer Programme fördert.

Für das erste Arbeitsprogramm im Rahmen von „EU4Health“ werden Finanzmittel in Höhe von 312 Mio. Euro bereitgestellt, um in den EU-Mitgliedstaaten in die Krisenvorsorge, Krankheitsprävention, sowie in widerstandsfähige Gesundheitssysteme und die Digitalisierung zu investieren. In den kommenden Jahren wird die Kommission über „EU4Health“ insgesamt 5,3 Mrd. Euro (zu jeweiligen Preisen) in Maßnahmen investieren, die einen zusätzlichen gesundheitlichen Nutzen auf EU-Ebene bringen und die jeweiligen Maßnahmen der EU-Mitgliedstaaten ergänzen. Die EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides erklärte in diesem Zusammenhang: „Mit dem ersten EU4Health-Arbeitsprogramm beginnen wir, den Weg zu einer starken europäischen Gesundheitsunion zu ebnen. Wir werden die Lehren aus der Covid-19-Pandemie ziehen und in die Krisenvorsorge investieren“.[27]

7. Schlussbetrachtung

Nach wie vor sind in erster Linie die Mitgliedstaaten der EU für den Gesundheitsschutz und insbesondere die Gesundheitsversorgungssysteme zuständig. Jedoch kommt der Europäischen Union im Gefolge der Bekämpfung der COVID-19 – Pandemie eine wichtige Rolle bei der Verbesserung der Gesundheit der Bevölkerung, der Vorbeugung und Behandlung von Krankheiten, der Beseitigung von Gesundheitsgefährdungen sowie der Angleichung der einzelstaatlichen Gesundheitsstrategien zu.

Mitte November 2021 setzte die Europäische Kommission erste Schritte zur Schaffung einer Europäischen Gesundheitsunion und legte eine Reihe von Vorschlägen für den Ausbau des EU-Rahmens für Gesundheitssicherheit und für eine Stärkung der Rolle wichtiger EU-Agenturen bei der Krisenvorsorge und Reaktion vor. Dieses Paket von Vorschlägen überschreitet nicht die Grenzen des AEUV. Es beruht sowohl auf Art. 168 AEUV über die öffentliche Gesundheit, als auch auf Art. 114 AEUV über den Binnenmarkt. Die Verordnung über die HERA beruht speziell auf Art. 168 Abs. 5 AEUV.

Im Mittelpunkt der Vorschläge steht dabei eine Neugestaltung des geltenden Rechtsrahmens für schwerwiegende grenzüberschreitende Gesundheitsgefahren durch die Schaffung der HERA sowie eine Aufwertung der wichtigsten EU-Agenturen bei der Krisenvorsorge und -reaktion, insbesondere des ECDC und der EMA. Konkret hat das ECDC kontinuierlich Risikobewertungen und wissenschaftliche Leitlinien auf der Grundlage der epidemiologischen Ausbreitung des Virus bereitgestellt, und die EMA hat ihre Prüfverfahren gestrafft, um eine effizientere Bewertung vielversprechender Covid-19-Impfstoffe oder -Behandlungen zu ermöglichen.

So ambitioniert diese Maßnahmen auch klingen, so erfolgten sie aber bemerkenswert spät und wurden bisher auch nicht optimal umgesetzt. Lediglich die Pharmaindustrie scheint den Ernst der Lage erkannt zu haben und sendet ermutigende Signale aus. Spätestens Mitte 2022 wird, laut Aussendung des globalen Branchenverbandes „International Federation of Pharmaceutical Manufacturers & Associations“ (IFPMA), ein Produktionsvolumen von insgesamt 24 Mrd. Dosen (gerechnet ab dem Ausbruch der COVID-19 – Pandemie) erreicht werden, das mehr als ausreichen würde, um die gesamte Weltbevölkerung von knapp 8 Mrd. Menschen mit zwei Dosen zu versorgen. Albert Bourla, Konzernchef von Pfizer, führte in diesem Zusammenhang noch aus, „dass wir in der Lage sind, einen Impfstoff gegen neue Varianten innert 95 Tagen zu entwickeln und zu produzieren“.[28]

Abschließend kann in Bezug auf den ambitionierten Versuch der Kommission, eine „Europäische Gesundheitsunion“ einzurichten, festgestellt werden, dass er zum einen spät angekündigt – es gab vor der COVID-19-Pandemie, wie vorstehend erwähnt, bereits andere Pandemien, die eine entsprechende Behandlung erfordert hätten – und zum anderen auch einigermaßen zögerlich umgesetzt wurde. Es wäre daher angezeigt gewesen, dass die Kommission rascher und effektiver reagiert hätte.  

_______________________________

[1] COM(2020) 724 final.

[2] Vgl. zB EuGH, Rs. C-547/14 (ECLI:EU:C:2016:325).

[3] ABl. 1998, L 268, S. 1 ff.

[4] (und zur Aufhebung der Entscheidung Nr. 2119/98/EG) (ABl. 2013, L 293, S. 1 ff.).

[5] Errichtet durch die Verordnung (EG) Nr. 851/2004 des EP und des Rates vom 21. April 2004 (ABl. 2004, L 142, S. 1 ff.).

[6] ABl. 2017, L 37, S. 1 ff.; geändert durch den Durchführungsbeschluss (EU) 2021/1212 der Kommission (ABl. 2021, L 263, S. 32 ff.).

[7] 2009-0137.

[8] COM(2020) 727 final.

[9] Vgl. Europäische Kommission, Eine europäische Gesundheitsunion: Gesundheitskrisen gemeinsam bewältigen, 13. November 2020, S. 3.

[10] COM(2021) 78 final.

[11] Europäische Kommission, Die EU-Behörde für die Krisenvorsorge und -reaktion bei gesundheitlichen Notlagen (Health Emergency preparedness and Response Authority – HERA), vom 16. September 2021.

[12] Vgl. Stüttler-Hartmann, M. Zusätzliche Impfdosen und neues Projekt HERA-Inkubator, Europa wirkt!, vom 8. März 2021, S. 2 f.

[13] HERA: Europäische Kommission startet öffentliche Konsultation zur neuen EU-Behörde zur Vorsorge und Reaktion bei gesundheitlichen Notfällen; https://ec.europa.eu/germany/news/20210406-hera-konsultation_de

[14] COM(2021) 577 final.

[15] Wie zB das vorstehend erwähnte ECDC oder die EMA.

[16] LEAKED: Das neue EU-Gremium zur Prävention der nächsten Pandemie, euractiv.de vom 20. 10. 2021, S. 2.

[17] COM(2021) 576 final.

[18] Neue Gesundheitsbehörde HERA: EU-Kommission stärkt Vorsorge der EU auf künftige Gesundheitsnotlagen; https://ec.europa.eu/germany/news/20210916-neue-gesundheitsbehoerde-hera_de

[19] Bemerkung von Stella Kyriakides, EU-Kommissarin für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, IP/21/4672, S. 2.

[20] IP/21/4672, S. 3.

[21] Rechtsgrundlage von „Exekutiv-Agenturen“, die von der Kommission mit bestimmten Aufgaben bei der Verwaltung von Gemeinschaftsprogrammen beauftragt werden, ist die Verordnung (EG) Nr. 58/2003 des Rates vom 19. Dezember 2002 zur Festlegung des Statuts der Exekutivagenturen (…) (ABl. 2003, L 11, S. 1 ff.). 

[22] Durchführungsbeschluss (EU) 2021/173 der Kommission vom 12. Februar 2021 (ABl. 2021, L 50, S. 9 ff.).

[23] Vgl. dazu European Commission, Annual Work Programme 2021 – European Health and Digital Executive Agency (HaDEA) (2021).

[24] Vgl. dazu den Durchführungsbeschluss der Kommission vom 17. Dezember 2014 zur Änderung des Durchführungsbeschlusses 2013/770/EU zur Umwandlung der „Exekutivagentur für Verbraucher, Gesundheit und Lebensmittel“ in die „Exekutivagentur für Verbraucher, Gesundheit, Landwirtschaft und Lebensmittel“ (ABl. 2014, L 363, S. 183 f.).

[25] https://ec.europa.eu/health/funding/eu4health_de

[26] ABl. 2021, L 107, S. 1 ff.

[27] https://ec.europa.eu/germany/news/20210618-eu4health_de

[28] Zitiert nach Feldges, D. Pharmabranche sendet ermutigende Signale aus, NZZ vom 10. September 2021, S. 25.

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