Die Regierungsverhandlungen biegen in die Endrunde ein. Und bald stellt sich damit die Frage, wie wird das Regierungsprogramm zu bewerten sein?
Das politische Meinungsbild hat sich in den letzten zwei Monaten, seit dem Wahltag, weiter gefestigt. Vom Regierungsprogramm kennt man zwar vorerst nur Details und Umrisse, die Hoffnung, dass es zu Weichenstellungen kommt, die in die Zukunft führen und der Forderung nach einer „Veränderung“ entsprechen, lebt unverändert.
Geht es nach den jüngsten Umfragen, dann sehen ÖVP und FPÖ vorerst einer stabilen Zukunft entgegen. Die Österreicher rechnen fest mit einer türkis-blauen Regierung. Nur linke Randgruppen verweigern die Realität und kündigen Proteste an. Sowohl in Brüssel wie erst jüngst beim Wiener OSCE-Gipfel herrscht diplomatischer Alltag und man sieht keine Probleme mit einer Mitte-plus-Rechts-Regierung. Realität ist eingekehrt, umso mehr, als sich zeigt, dass Österreich mit einem Bundeskanzler Sebastian Kurz ein stabiler europäischer Partner bleibt. Und der mögliche Vizekanzler Heinz Christian Strache präsentiert sich mittlerweile recht staatsmännisch.
SPÖ auf Orientierungssuche
Für eine gewisse Aufmerksamkeit sorgt die schwache Opposition. Orientierungslosigkeit herrscht bei der SPÖ. Deren Vorsitzender Christian Kern ist zwar schon mit dem Ablaufdatum als Bundeskanzler konfrontiert, aber auf der Oppositionsbank noch nicht angekommen. Gebannt blickt die Partei auf Wien, wo sich innerhalb der nächsten eineinhalb Monate das Duell zwischen dem Pragmatiker – Wohnbaustadtrat Christian Ludwig – und dem „Linksverbinder“ – Klubobmann Andreas Schieder – entscheiden wird. Vorerst sucht man sein Heil darin, heimatlose Grün-Wähler für die Sozialdemokratie zu gewinnen, will aber nicht gleichzeitig seinen grünen Koalitionspartner vor den Kopf stoßen. Indessen zieht sich der rote Hoffnungsträger Hans Peter Doskozil ins heimatliche Burgenland zurück, um auf seine nächste Chance zu warten. Gleichzeitig zittern der Kärntner Landeshauptmann Peter Kaiser sowie die Landesparteichefs von Niederösterreich, Salzburg und Tirol den nächstjährigen Landtagswahlen entgegen. Derzeit sieht es auch dort nach einem türkis-blauen Trendverstärker aus.
Die Grünen haben Zukunftssorgen
Zukunftssorgen haben die gesamte Grünbewegung erfasst. Seit einem Jahr sitzt nun mit Alexander van der Bellen ein Parade-Grüner in der Hofburg, seine Partei ist aber nach dem so nicht erwarteten Rauswurf aus dem Parlament in eine Sinn-, Personen- und Finanzkrise gefallen. Derzeit ist nicht absehbar, wer nach dem Abtritt von Ulrike Lunacek die Bundespartei weiterführen soll. Deren derzeitiger Bundessprecher Werner Kogler hält die Position nur interimistisch und sieht ähnlich wie die SPÖ sorgenvoll dem Winter und Frühjahr 2018 entgegen. Geht es doch für die Grünen bei den nächsten vier Landtagswahlen um deren Existenz.
Spalt-Pilze und NEOS am Boden der Realität
Ungewissheit besteht auch bei der Spalt-Pilz-Bewegung. Nachdem deren Gründer Peter Pilz sich aufgrund von Sexismus-Vorwürfen zurückziehen musste, musste die Liste Pilz in allen Umfragen einen Totalabsturz verzeichnen. Heute hätte sie keine Chance mehr, Mandate zu erringen. Die Segel gestrichen hat man daher auch schon beim Vorhaben, am 28. Jänner in Niederösterreich zu kandidieren. Es fanden sich keine ausreichenden Unterstützungserklärungen mehr. Ähnlich könnte es übrigens den NEOS ergehen. Deren Vorsitzender Matthias Strolz führt zwar die große Lippe gegen Kurz, könnte aber in einer Woche schon recht kleinlaut werden. Bis zum 17. Dezember müssen die NEOS bekannt geben, ob sie in Niederösterreich kandidieren. Sollten sie die notwendigen Unterschriften nicht zustande bringen, bleibt ihnen nur die Möglichkeit noch offen, ein Agreement mit den Restbeständen des Team Stronachs, jetzt Liste Frank, zu schließen. Vorgespräche hat es diesbezüglich bereits gegeben.
Die hohe Latte als Maßstab
Der ehemalige ÖVP-Obmann, Vizekanzler und Außenminister Alois Mock hatte ein politisches Standardzitat bei der Hand, nämlich man solle sich „die Latte hoch, aber nicht zu hoch legen, um sie auch überspringen zu können“. Genau darum wird es jetzt schon bald auch für die Volkspartei bei der Beurteilung der Ergebnisse der Regierungsverhandlungen gehen. Nachdem Kurz die Wahl neben dem Flüchtlings- und Migrationsthema vor allem mit der Ansage „für Veränderung zu sorgen“ gewonnen hat, blickt nun alles gespannt auf das Programm der neuen Regierung. Erwartet wird, wie es von den politischen Beobachtern und den politischen Konkurrenten heißt, ein „großer Wurf“. Aus der Volkspartei, die schon immer gut war, ihr eigenes Licht unter den Scheffel zu stellen, heißt es neuerdings, man solle sich nicht der Illusion eines solchen großen Wurfes hingeben, aber es wird ohnedies ein ordentliches Ergebnis auf dem Tisch liegen.
Wandel im gegenseitigen Umgang
Faktum ist, dass schon bisher die Regierungsverhandlungen zwischen der ÖVP und der FPÖ in einem Stil abgelaufen sind, der sich deutlich von den letzten Jahren der rot-schwarzen Koalitionsregierung unterscheidet. Streiten statt arbeiten war ein zentraler Vorwurf, den die Mehrheit der Österreicher vorbrachte und der auch zum Vertrauensverlust führte. Ganz anders ließen sich die seit über einen Monat verlaufenden Verhandlungen an. Bislang wurden jedenfalls keine Unstimmigkeiten oder Streitereien an die Öffentlichkeit getragen. Im Gegenteil, es wurde von einem guten, vertrauensvollen Gesprächsklima geredet. Laufend wurde aber wohl dosiert über die Verhandlungen in den diversen Fachgruppen berichtet. Allein dieses neue Bild im Umgang künftiger Partner miteinander ist schon ein beachtlicher Wandel gegenüber den früheren Zeiten.
Drei Bereiche, die Veränderung signalisieren
Aber auch inhaltlich zeigen die bisher bekannt gewordenen Ergebnisse der Regierungsverhandlungen, dass die nächste Regierungspariode beträchtliche Veränderungen wird. Dazu nur drei Beispiele:
Im Bildungsbereich heißt dies Abschied zu nehmen, von linken Illusionen. Bereits ab der Volksschule kommt es wieder zur Einführung eines Notensystems. Angespornt werden sollen die Schüler vor allem in punkto Leistungsgedanken, um so den Bildungsstandard zu heben und Österreich international wettbewerbsfähig zu machen. Der Kampf angesagt wird vor allem der Leseschwäche. Wer Lesen und Rechnen mit Abschluss der Pflichtschulzeit nicht ordentlich beherrscht hat eine Bildungspflicht bis zum 18. Lebensjahr
Im Wirtschaftsbereich werden massive Maßnahmen ergriffen, um den Wirtschaftsstandort Österreich wieder besser herauszuputzen. Dazu zählen unter anderem eine Entbürokratisierung bei den Behördenwegen, die Erleichterung von Unternehmensgründungen, so genannten Start Ups, eine Stärkung der dualen Berufsausbildung, massive Maßnahmen zur Behebung des Fachkräftemangels, nicht zuletzt auch die Ermöglichung eines 12-Stunden-Arbeitstages. Hier wird nur der Realität, die die Gewerkschaften nicht begreifen wollen, in einigen Branchen Rechnung getragen. Es sind die Arbeitnehmer, die länger arbeiten wollen, um damit mehr freie Tage für sich in Anspruch nehmen zu können.
Im Zukunftsbereich will man auf eine Digitalisierungs-Initiative setzen, und damit nicht nur Anschluss an die globale Entwicklung zu finden sondern auch in Europa eine Vorreiterrolle einnehmen. Schon bisher zählt die eCard, eingeführt unter der ersten schwarz-blauen Regierung, zu einem solchen Vorzeigeprojekt. Nun wird als nächstes das digitale Bürgerkonto eingeführt, das alle Daten von der Geburtsurkunde über den Reisepass bis zum Führerschein verfügbar macht. Auch am Smartphone. Österreich hat hier übrigens Größeres vor als es von der Jamaika-Koalition in Deutschland geplant war. Ein Knackpunkt werden nur die so genannten Verkehrsplattformen, weil hier mehrheitlich rote Städte – wie Wien – und rote Unternehmen – wie die ÖBB – Extratouren reiten.
Die Kardinalfrage betrifft die „Handschrift“
Verfolgt man die Berichterstattung in den letzten Wochen so ist freilich nur eines auffällig. Nämlich, dass die Volkspartei relativ ruhig und zurückhaltend agiert. So hatte die FPÖ, wiewohl sie mit 26 Prozent der Stimmen eine klare Nummer 2 hinter der ÖVP ist, die 33 Prozent der Wählerstimmen erhielt, immer wieder Forderungen erhoben. Bis hin zu einer 50:50-Aufteilung der Regierungsämter. Begonnen hatte es mit dem Innenministerium, dann folge das Außenamt und inzwischen steht auch das Infrastruktur- sowie neuerdings auch das Familienministerium ganz oben auf der Agenda. Von ÖVP-Seite wurden dagegen nur mögliche Ministernamen kolportiert. Allen voran tauchen dabei immer die jetzige Parlamentspräsidentin Elisabeth Köstinger, die Chefin der Österreichischen Lotterien Bettina Glatz-Kremsner und der Wiener Parteiobmann Gernot Blümel auf. In den Hintergrund getreten sind etwa Innenminister Wolfgang Sobotka oder Ex-Rechnungshofpräsident Josef Moser. So sehr erst über Personen entschieden werden soll, wenn die Inhalte fix und fertig feststehen, den Schlussakkord wird jedenfalls mit der Frage gesetzt, welche Handschrift das Regierungsprogramm trägt.