Innerhalb der Europa-Parlamentarier wird derzeit heftig diskutiert, dass Angela Merkel die Strategie für die Wahl des nächsten EU-Kommissionspräsidenten über den Haufen werfen könnte.
Vom 23. bis 26. Juni wird nach dem derzeitigen Stand der Dinge (wenn also der Brexit planmäßig erfolgt) in 27 EU-Staaten über die neue Zusammensetzung des EU-Parlaments abgestimmt. In der ersten Juni-Woche wird es dann gleich zur Angelobung der 705 Abgeordneten kommen. Und diese wollen dann in weiterer Folge auch entscheiden, wer die Nachfolge von Jean Claude Juncker antritt. Seine Amtszeit und die der Kommissare endet jedenfalls am 31. Oktober. Bis dahin muss die Besetzung der wichtigsten EU-Führungsposten ausverhandelt werden. Das sind neben dem „Regierungschef“ vor allem auch noch die Präsidenten des Parlaments, des EU-Rates, der Europäischen Zentralbank, des Rechnungshofes, der oder die Außenbeauftragte.
Ringen um Postenverteilung
Zuvor freilich wird es um die so genannte Koalitionsbildung gehen. Aufgrund der derzeitigen Umfragen gibt es bekanntlich keine rot-schwarze Mehrheit mehr. Das heißt man muss sich auf Partnersuche begeben, um eine tragfähige Mehrheit zustande zu bringen. Derzeit gibt es eine Präferenz, vor allem die Liberalen ins gemeinsame Boot zu holen, die schon sehr lange auf dieses Ziel hinarbeiten. Auch bei den Grünen gibt es gewisse Begehrlichkeiten. Nicht unwesentlich wird die Frage werden, wie stark noch die konservative Fraktion nach dem Ausscheiden der Briten sein wird. Wie auch immer, die Postenverteilung wird zu einem harten Ringen um Einflusssphären werden.
Parlament will Juncker-Nachfolger bestimmen
An sich haben sich die Parteien schon vor einiger Zeit darauf verständigt, dass das Parlament nicht nur (was selbstverständlich ist) sein eigenes Präsidium wählt sondern auch den Kommissionspräsidenten vorschlägt. Daher hat man sich ja darauf geeinigt, dass die Fraktionen Spitzenkandidaten aufstellen, aus deren Kreis dann der Juncker-Nachfolger bestellt wird. Das sind Manfred Weber für die EVP und Frans Timmermans für die Sozialdemokraten. Die Liberalen bilden eine Allianz mit Emmanuelle Macron, wollen aber erst die Führungspersönlichkeit nach der Wahl aus dem „Campaign-Team“ hervorholen. In jüngster Zeit fällt in diesem Zusammenhang öfters der Name der sozialliberalen dänischen Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager.
Fehlen eines verbindlichen Reglements
Freilich, wen immer die Parteien nach ihren Beratungen als Präsidenten der Kommission vorschlagen werden, zustimmen muss dieser „Empfehlung“ der Rat, also die Versammlung der einzelnen Staats- beziehungsweise Ministerpräsidenten. Das Problem daran ist bloß, dass es dafür kein vor-und festgeschriebenes Reglement gibt sondern es sich gewissermaßen nur um eine Absichtserklärung handelt, die man im Vorfeld vereinbart hat. Allerdings kann in weiterer Folge auch das Parlament einem Kandidaten, den der EU-Rat vorschlägt, seine Zustimmung verweigern. Was in einer schwierigen Situation auf ein Hin und Her, also ein Tauziehen hinausläuft.
Lust auf Brüssel
Und da kommt nun plötzlich der Name der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel ins Spiel. Nicht ganz zufällig. Heißt es doch schon seit längerer Zeit, dass sie nach den EU-Wahlen den Platz für ihre Nachfolge frei machen könnte. Und damit bereit sein könnte, nicht in den Ruhestand zu treten sondern zum Sprung nach Brüssel anzusetzen. Wenngleich Merkel bei einigen Staaten durchaus auf Ressentiments stößt hat sie doch auch einige Unterstützer. Zumal auch eine so lang gediente Regierungschefin eines zudem großen Landes eine entsprechendes Gewicht und die nötige Erfahrung hätte.
Tusk-Nachfolge würde Situation verkomplizieren
Innerhalb der EVP gibt es dafür freilich wenig Begeisterung. Dort will man Manfred Weber als den nächsten EU-Regierungschef sehen. Wird doch von ihm Veränderung und Erneuerung so mancher eingefrorener Strukturen erwartet. Daher wurde auch schon die ganze Zeit Wert auf die Feststellung gelegt, dass die Mehrheitsfraktion Anspruch auf den Kommissionspräsidenten hat. Und geht es nach den Umfragen, denn trifft dies auf die EVP zu. Nun könnte es allerdings durchaus sein, dass Merkel weniger auf die Nachfolge von Jean Claude Juncker als auf jene von Donald Tusk spitzt. Immerhin ist Merkel den Umgang mit den europäischen Regierungschef gewohnt. Das würde die Situation freilich noch mehr erschweren. Denn, dass gleich zwei EU-Spitzenpositionen von Deutschen besetzt werden, ist ein Ding der Unmöglichkeit.