Selbst wenn noch längst nicht alles paletti ist, tut der immer spürbarer werdende Optimismus gut: Trotz steigender Staatsschulden, hohen Arbeitslosenquoten und leider nur zaghaftem Wirtschaftswachstum deutet einiges darauf hin, dass das Ärgste überstanden ist und es wieder langsam aufwärts geht. Und obzwar Griechenland, Portugal oder Spanien beileibe noch nicht aus dem Schneider und andere Sorgenkinder wie Italien oder Frankreich in der Tat für jede Menge künftige Zores gut sind, macht sich allmählich die Hoffnung breit, dass der jahrelange Horror irgendwann vorbei sein wird.
[[image1]]Sofern bei den Wahlen im Mai nicht alles schief geht, indem etwa die eingefleischten EU-Kritiker überdimensional zulegen, und vorausgesetzt, dass in Brüssel eine entschlossenere Kommission ans Ruder käme als die jetzige, und wenn sich letztlich noch eine Riesenportion Glück dazugesellt, sprich: ein konjunktureller Aufschwung – tja, dann könnte die Europäische Union in absehbarer Zeit wieder Tritt fassen und die Krise weitgehend abschütteln. Schließlich ist jede Tragödie irgendwann einmal zu Ende.
Das war die gute Nachricht zum Tag – jetzt folgt die schlechte: Die jüngsten Turbulenzen an den Weltbörsen sind wieder einmal ein Alarmsignal zu deuten, dass etwas im Busch sein könnte. Krisenherde gibt es ja genügend in dieser Welt, nicht nur politische – wie Ägypten, Syrien, Thailand oder die Ukraine – , sondern auch ökonomische. Das Ungemach droht diesmal aus Schwellenländern, die in den vergangenen zehn Jahren drei Mal so hurtig gewachsen sind wie die etablierten Industriestaaten. Diese Emerging Markets befinden sich seit letzter Woche im freien Fall, weil ihre Währungen extrem unter Druck stehen und internationale Kapitalgeber ihr Geld massenhaft abziehen. Die Türkei beispielsweise, wo Premier Recep Tayyip Erdogan seine Wachstumsstrategie auf Pump finanziert hatte, hängt ebenso am Tropf ausländischer Investoren wie andere aufstrebende Staaten, die nunmehr allesamt erkennen müssen, dass diese Abhängigkeit auf Dauer nicht gut gehen kann – ein Kartenhaus fällt meistens in sich zusammen. Wo genau sich das Epizentrum des nächsten wirtschaftlichen Erdbebens befindet, lässt sich derzeit noch nicht abschätzen – fix ist allerdings: In absehbarer Zeit wird eine neuerliche Krise ausbrechen, mit weltweiten Auswirkungen, wie das – wie ein kurzer Blick zurück belegt – bei der Berg- und Talfahrt der letzten Jahrzehnte stets unvermeidlich war.
Die Krisen-Chronik
Die erste und zweite Ölkrise in den Jahren 1973 bzw. 1979/80, an die sich wohl nur noch betagtere Menschen erinnern können, bildeten den Auftakt zu einer stürmischen Berg- und Talfahrt. Das damalige Ölembargo der OPEC traf alle Industrienationen schmerzlich, die drastischen Preissteigerungen ein paar Jahre danach lösten in vielen Ländern eine schwere Rezession aus.
1981 sorgte die Savings- und Loan-Krise in den Vereinigten Staaten für den nächsten Schock: 3.300 von 3.800 Sparkassen haben seinerzeit rote Zahlen geschrieben, alles in allem betrug der Schaden 150 Milliarden US-Dollar. Ein Jahr danach erreichte die Schuldenkrise in Lateinamerika ihren Höhepunkt: Mexiko beispielsweise stellte seinen Schuldendienst ein und musste einen teilweisen Staatsbankrott eingestehen.
In Japan platzte 1990 eine gigantische Immobilienpreis-Blase, was in eine schwere Wirtschaftskrise mündete, von der sich der Inselstaat fast 15 Jahre lang nicht erholen konnte. Auch in Schweden und Finnland brach damals eine dramatische Bankenkrise aus, die zur Verstaatlichung etlicher Institute führte. 1994 folgte die so genannte Tequila-Krise, weil der mexikanische Peso total am Sand war – die Währungsbredouille löste in Mexiko prompt eine allgemeine Wirtschaftsbaisse aus.
Ostasien war Schauplatz des nächsten Dramas: Die Asienkrise brach im Juli 1997 in Thailand aus, wo Investoren und Spekulanten massiv ihr Kapital abgezogen hatten, und infizierte mehrere asiatische Länder, darunter Indonesien, Südkorea und die Philippinen. Davon betroffen waren auch die so genannte Tigerstaaten – Taiwan, Singapur oder Hongkong – , die ebenfalls in eine jahrelange Depression abstürzten. 1998 war sodann Russland an der Reihe, wo ein massiver Kapitalabfluss zum Auslöser einer ebensolchen Wirtschafts- und Währungskrise geworden ist.
Fast zeitgleich ist Argentinien in eine hartnäckige Wirtschaftskrise geschlittert, deren Nachbeben bis 2005 spürbar waren. Eine starke Rezession hat seinerzeit u.a. zum Zusammenbruch des Finanzsystems, zur Schrumpfung des Bruttoinlandsprodukts, letztendlich zum Staatsbankrott und zu politischer Instabilität geführt. Das vielschichtige Dilemma – Kapitalflucht, Bankenchaos, Peso-Abwertung – konnte schlussendlich, wie in anderen Fällen auch, mit externer Hilfe etwa der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds durch einen Kapitalschnitt und eine langfristige Umschuldung planiert werden.
Auf die noch in bester Erinnerung befindliche Dotcom-Blase des Jahres 2000, die rezessive Tendenzen nach sich zog, folgte im Frühsommer 2007 die durch fallende Preise ausgelöste US-Immobilienkrise, die sich zum weltweit größten Rückschlag seit Jahrzehnten auswuchs. Seither liegt uns allen die große Weltwirtschaftskrise im Magen, ein schrecklicher, scheinbar unlösbarer Mix aus Staatsschulden-, Banken- und Finanzproblemen, unterlegt mit niedrigen Wachstumsraten, hohen Arbeitslosenquoten und vielen anderen Widerwärtigkeiten. Speziell in Europa, wo etwa Griechenland, Spanien, Portugal oder Zypern für Horror in Permanenz sorgten, schien der Weltuntergang unmittelbar bevorzustehen. Seit kurzem hat es zwar den Anschein, dass sich all das, was zum ganz normalen Wahnsinn geworden ist, allmählich wieder verziehen könnte – aber man weiß ja nie …
Die nächsten Krisenherde
Sofern sich die allgemeine Lage am Alten Kontinent tatsächlich beruhigt und der stärkste Wirtschaftsrückschlag seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs verkraftet werden kann, lautet die große Frage jedenfalls: Wo und wann werden die nächsten Turbulenzen ausbrechen? Schon längst zeichnet sich ab, dass fünf noch vor Jahren hochgelobte Schwellenländer mit aufstrebenden Volkswirtschaften ihre besten Zeiten hinter sich haben: Die Hoffnungsmärkte Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika, für die der Goldman-Sachs-Manager Jim O‘Neill das Akronym BRICS erfand, hatten im vergangenen Jahrzehnt – primär wegen ihres beeindruckenden Wirtschaftswachstums und ihrer imposanten Bevölkerungszahlen – noch als künftiges Eldorado der Weltwirtschaft gegolten. Ihr Glanz ist mittlerweile jedoch verblasst, der Hype vorbei und die Ernüchterung über das Ende des Booms groß.
Die unterschiedlichsten Troubles machen nunmehr den vermeintlichen Supermärkten, die den eingesessenen Industrienationen den Rang hatten ablaufen wollen, schwer zu schaffen: Brasilien etwa, wo bei Massendemonstrationen laufend die Wut der Bürger formuliert wird, laboriert an einer hohen Inflation, einem schwachen Konsum, der zu geringen Investitionslaune und einem riesigen Devisenabfluss. In Russland wiederum fällt der Rubel von Rekordtief zu Rekordtief, wächst das BIP nur marginal, geht der Konsum stark zurück und zieht das Kapital massiv ab. Indien leidet an einer horrenden Inflationsrate von rund zehn Prozent, was die unteren Einkommensschichten besonders trifft, die indische Währung verliert sukzessive an Wert, was Importwaren immer teurer macht, schließlich machen dem Subkontinent eine gigantische Staatsverschuldung ebenso zu schaffen wie die ungelösten Infrastrukturprobleme. Auch der Exportweltmeister China, der mit seinen nahezu 1,4 Milliarden Menschen unbedingt zur größten Weltwirtschaft am Globus aufsteigen möchte, hat zahllose Hausaufgaben zu bewältigen, um auf Kurs zu bleiben und nicht auf einen bösen Crash zuzusteuern. Und Südafrika schließlich, das kleinste der fünf BRICS-Staaten, muss sich nicht bloß um seine Währung sorgen, die gerade auf ein Fünf-Jahres-Tief gefallen ist, sondern auch um die hohe Verschuldung, viele infrastrukturelle Schwächen sowie um die ständigen Streikwellen, insbesonders in Gold- und Platinminen.
So wie die fünf Staaten, die ehemals für Turbo-Ökonomien gehalten wurden, spüren auch einige jener Länder deutlichen Gegenwind, die laut einschlägigen Experten unter dem Code „Next Eleven“ die Nachfolge der BRICS-Länder antreten sollten. In dieser bunt zusammen gewürfelten, scheinbar wahllos auserwählten Gruppe sind der Langzeit-Champion Südkorea ebenso vertreten wie die asiatischen Größen Indonesien und Philippinen, aber auch Entwicklungsländer wie Vietnam, Pakistan und Nigerien und letztlich sogar der lange vollkommen unbeachtete Nachzügler Bangladesch. Wie beträchtlich die politischen und ökonomischen Probleme von Next 11-Staaten bereits sind, zeigt sich am Beispiel Ägypten, das nach wie vor ein Pulverfass ist.
Selbst das neueste, ebenfalls von Jim O‘Neill erfundene Modekürzel für vielversprechende Hoffnungsmärkte – „MIST“ – sorgt da und dort bereits für frühzeitige Alarmstimmung. Von den angeblichen Boom-Märkten Mexiko, Indonesien, Südkorea und Türkei sorgen zwei gerade für unliebsame Nachrichten – nämlich Indonesien, wo die Rupiah stark abgestürzt ist, und die Türkei, wo sich die politischen Unruhen in jüngerer Zeit vergangene Woche mit dem historischen Absturz der türkischen Lira auf den Tiefstand vermengten – ein nicht ungefährlicher Cocktail.
Die Währungsturbulenzen in Schwellenländern lassen in diesen Tagen nichts Erfreuliches erwarten – da muss man erst gar kein notorischer Pessimist sein. Argentinien steht beispielsweise wieder massiv unter Druck, und der dortige Peso fällt wie ein Stein, sodass die Regierung gezwungen war, die Dollarbindung aufzuheben. In anderen Staaten wiederum – Thailand oder die Ukraine – sorgen heftige Proteste gegen die Obrigkeit für handfeste Krisen. Die Entwicklungsländer bekommen zu spüren, dass die Zeiten rauer geworden sind: Nachdem sie sich in den vergangenen Jahren über massenhaft hereinströmendes Auslandskapital freuen durften, werden plötzlich über Nacht riesige Summen abgezogen.
Was nicht zuletzt damit zu tun hat, dass viele Investoren dank der dortigen Notenbank Fed wieder die USA als sicheren Hafen betrachten. Ein trügerisches Kalkül? Die Vereinigten Staaten, die nach wie vor am Tropf der Zentralbank hängen, haben zwar das Ärgste überwunden und – bildlich gesprochen – die Intensivstation bereits verlassen. Die größte Volkswirtschaft der Welt steht jedoch angesichts ihrer Schuldenlast mit dem Rücken zur Wand, und ein selbsttragender Aufschwung ist weit und breit nicht in Sicht. Sollten sich die Troubles in den Schwellenländern, die teilweise gefährlich nahe an der Schwelle zum Absturz stehen, dramatisch ausweiten, hätte das auch prompt negative Folgen für die Supermacht Nummer Eins – und genauso für Europa.
Bild: Initiative Echte Soziale Marktwirtschaft (IESM) / PIXELIO/©www.pixelio.de