Mittwoch, 13. November 2024
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Die Presse (Kommentar von Hans Winkler): „Die Entzauberung der Grünen ist schon im Gange“

Werner Kogler / Die Grünen / Bild © APA/Hochmuth

Die Grünen sind eine Partei wie alle anderen – oder müssen es werden. Enttäuschung in intellektueller Anhängerschaft.

Österreich wird Österreich bleiben – auch unter der zweiten Regierung von Bundeskanzler Sebastian Kurz“, schrieb die „Neue Zürcher Zeitung“. Obwohl es die Kollegen in der Schweiz nicht so gemeint haben mochten, klingt das in den Ohren von Österreichern wie eine gefährliche Drohung. Zwar hat jeder der beiden Koalitionspartner das „Beste aus seiner Welt bekommen“, daraus wird aber kein wirkliches Reformprogramm für die Republik: nicht bei den Pensionen, die für Kurz ohnehin eine Tabu sind, nicht im teuren Föderalismus, der Kurz in seinem eisernen Griff hat; nicht einmal auf eine Abschaffung der kalten Progression darf man sich große Hoffnungen machen. „Die schwarz-grüne Revolution bleibt aus“, konstatiert das Blatt nüchtern.

Seit sich diese Koalition abzuzeichnen begann, wird sie begleitet von einer schwärmerischen Vorschussbegeisterung gerade der sogenannten bürgerlichen Medien. Kaum ein Kommentator, der in seiner Hymne auf eine türkis-grüne Regierung nicht das Wort „Charme“ verwendet hätte. Was an einer Sache charmant sein soll, weiß man nicht, normalerweise werden nur Menschen so bezeichnet. Auf die beiden Protagonisten, Sebastian Kurz und Werner Kogler, trifft das jedenfalls nicht zu: Der eine ist zu kühl und kontrolliert, der andere zu derb, als dass man ihn als charmant bezeichnen würde. Auch das Kürzel K & K ist verräterisch. Es klingt eher nach Nostalgie als nach großem Aufbruch.

Österreich soll nun die „Versuchsstation für das Neue“ sein. Von „avantgardistisch“ ist gar die Rede oder einem „kühnen Politikprojekt“, das Ökonomie und Ökologie versöhne, und was dergleichen Schlagworte noch sind. Von der „Entschlossenheit“, die für die Erfüllung solcher Visionen notwendig wäre, ist im Pakt allerdings wenig zu merken. Das Koalitionsabkommen vermeidet es, „den großen Problemen des Staatswesens auf den Grund zu blicken“, um den bedeutenden österreichischen Staatsrechtler Georg Jellinek zu zitieren.

Die neuen Sozialdemokraten

Die großen Probleme des (österreichischen) Staatswesen sind viele verkrustete Strukturen und nicht die Klimarettung für die anderen. Wir müssen kein Modell für Europa sein, wie uns Ursula von der Leyen freundlicherweise erklärt.

Wenn man als eine Große Koalition eine bezeichnet, die die beiden  politischen Lager zusammenbindet, dann haben wir jetzt wieder eine. Kurz selbst ließ kürzlich die Bemerkung fallen, die Grünen seien eben die neuen Sozialdemokraten. Dieselben, die jahrelang kein gutes Haar an der Großen Koalition als Regierungsform des Stillstands gelassen haben, erklären Türkis-Grün jetzt aber zu einem „Projekt der Zukunft und Frische“. Die Erfahrung zeigt auch, dass die Grünen treue Koalitionspartner sind und ein relativ unempfindliches Wählerpublikum haben.

Linke Enttäuschung ist maßlos

Im links-intellektuellen Umfeld der Grünen ist die Enttäuschung maßlos; nicht so sehr über dieses oder jenes Detail im  Koalitionsabkommen, sondern über die Ungerechtigkeit der Welt: Die Grünen, die eigentlich den Weltgeist in der österreichischen Politik vertreten und als Einzige das Richtige wissen und das Gute wollen, bekommen von den Wählern nur 13,9 Prozent, müssen sich mit der ÖVP auf einen schnöden Handel einlassen und verlieren dabei ihre Unschuld. Jemand meint sogar, die Grünen hätten nun die Berufung zur „Demokratisierung des Bürgerlichen“, was immer das bedeuten mag.

Die Grünen pflegten ein „hegemoniales Politikverständnis“, sagt Giovanni di Lorenzo von der „Zeit“. Sie wollten an die Macht, auch wenn sie nur einen geringen Anteil an Wählerstimmen erhalten haben. „Sie meinen, das Recht darauf zu haben, da sie ja die höheren und objektiv richtigen Ziele verfolgen. Das ist eine genuin linke Haltung, die einen perfekten Zustand der Welt erträumt und herbeizuführen bestrebt ist.“

Der Philosoph Peter Strasser gesteht allein den Grünen zu, sich dem „Gemeinwohl“ verpflichtet zu fühlen, und verwendet damit auffallenderweise einen Begriff aus dem christlich-sozialen Denken. Dass auch die ÖVP an das Gemeinwohl denken könnte, nur davon vielleicht eine andere Vorstellung hat, scheint er auszuschließen. In der politischen Wirklichkeit wird aber durch Verhandlungen und Kompromisse definiert und entschieden, was das Gemeinwohl ist.

Message Control verstanden

Jetzt stellt sich heraus, dass die Grünen eine Partei wie alle anderen sind oder es werden müssen. Werner Kogler muss man das nicht erklären. Er hat seine Partei schon weit auf diesem Weg gebracht. Die Grünen sind nun ein Koalitionspartner derselben ÖVP, die noch vor einigen Monaten in einer Regierung mit den Freiheitlichen gesessen ist und auf bestem Fuß mit deren Spitzenfunktionären war. Bis zuletzt mussten sie um Ministerposten verhandeln und um Kompetenzen feilschen. Kohle, Erdgas, Erdöl, fossile Energieträger, für die man die Zuständigkeit logischerweise der grünen Infrastrukturministerin, Leonore Gewessler, zugeordnet hatte, musste sie ausgerechnet an die türkise Landwirtschaftsministerin abgeben, damit sich diese nicht zu stiefmütterlich behandelt vorkommen muss.

Man muss den Grünen zugestehen, dass auch sie schon die Methode der Message Control verstehen. In ihrem Fall mit negativen Vorzeichen. Der allgemein verbreiteten Auffassung, sie seien bei den Verhandlungen von der ÖVP übervorteilt worden, haben sie wohlweislich nicht widersprochen. Sie wollen das Misstrauen in ÖVP-Kreisen und bei Türkis-Wählern ihnen gegenüber nicht auch noch durch Triumphalismus anfachen. Was sie erreicht haben, wissen sie ohnehin, sonst hätten nicht 93 Prozent der Teilnehmer auf dem Parteitag dieser Koalition zugestimmt.

Wenn die Grünen angeblich die Verlierer sind, scheint es auch irgendwie gerechtfertigt, dass Justizministerin Alma Zadić ankündigt, jetzt müssten die Verhandlungen erst beginnen, das Koalitionsprogramm sei nur ein Anfang gewesen. Darin hat sie sogar nicht ganz unrecht, denn die Punkte im Koalitionsabkommen, die den Grünen wichtig sind, kommen dort meistens als Wünsche und in der Möglichkeitsform vor, während die ÖVP-Interessen definitiv festgeschrieben worden sind.

Die Grünen haben viel erreicht

Trotzdem haben die Grünen für eine Partei von 13,9 Prozent viel erreicht: Ein riesiges Ressort für die von ihnen versprochene und ersehnte „Umsteuerung“ bei Verkehr, Energie und Umwelt und den Löwenanteil an den Kompetenzen des klassischen Sozialministeriums. Letzteres können sie noch dazu mit einem Koalitionspolitiker besetzen, der mehr Erfahrung hat als alle anderen Minister – Kurz ausgenommen. Aber auch die Grünen haben sich dem Diktat der begrenzten Finanzmittel zu unterwerfen. Umsteuerung könne es eben nur im Rahmen der den Ministerien zugewiesenen Budgets geben, musste Kogler nach dem ersten Ministerrat zum Wohlgefallen des neben ihm stehenden Finanzministers zugeben.

Quelle:

Ein Kommentar vorhanden

  1. Sehen wir doch das Ganze etwas realistischer. Diese Koalition ist aus Mangel an Alternativen entstanden außerdem sind beide Parteien die Wahlsieger. Sowohl FPÖ als auch SPÖ sind mit sich selbst beschäftigt und steuern immer mehr ihrem Untergang zu.
    Die Wähler der Grünen (14 %) und die Wähler der Türkisen (37,5 %) stellen sehr unterschiedliche Ansprüche an ihre Partei.
    Es wäre sehr vermessen würden die Einen die Anderen von ihren Zielen und Vorstellungen überzeugen wollen also ist es nur respektvoll und vernünftig jedem seinen Schwerpunkt zu lassen.
    Ich habe den Besuch von Kurz, Kogler und Anschober im Pflegeheim in den Medien verfolgt und habe einen sehr positiven Eindruck gewonnen.
    Journalisten sind eben Journalisten – sie machen aus allem eine Schlagzeile!!!
    Leider, ich würde mir wünschen, dass sie ihre Berichte oder Diskussionen sachlicher angehen und nicht schon im Vorhinein urteilen oder verurteilen.
    Lassen wir diese Regierung arbeiten und messen wir sie an ihren Taten nicht an ihren Äußerlichkeiten.

    Journalisten können wir nur an ihren Aussagen messen – über den Tisch gezogen,… die Hose ausgezogen,… etc. Sollen sich doch alle Bürger eine eigene Meinung bilden über die Politiker aber auch über die Journalisten!

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