Mit dem Zusammenbruch des Ostblocks und damit des Systems des realen Sozialismus mussten zu Beginn der 90er Jahre auch die sozialdemokratischen Parteien von ihren ideologischen Ahnen Marx & Co. Abschied nehmen. Nun versucht die SPÖ eine Reanimierung.
Als Christian Kern im Frühjahr 2016 sein Amt als neuer Vorsitzender der SPÖ und damit auch als Bundeskanzler antrat, schien es, als würde nun anstelle eines Apparatschiks ein smarter, weltaufgeschlossener Manager die Führung der Sozialdemokraten übernehmen und Österreich in eine neue Zukunft führen. Bereits sein Vorschlag zur Einführung einer Art „Maschinensteuer“ im Kampf gegen die zunehmende Automatisierung war eine Art Warnsignal für eine Rückwärts- statt Vorwärtsbewegung. Der nun von der SPÖ präsentierte zentrale Wahlslogan „Holen Sie sich, was Ihnen zusteht“ ist geradezu ein Rückfall in die Zeiten des Klassenkampfes. Und die Kern-Truppe bekennt sich sogar zu den klassenkämpferischen Tönen. Weil ihrer Meinung nur fünf Prozent der Bevölkerung von den guten Wirtschaftsdaten profitieren, hätten 95 Prozent das Recht, sich vom „Gabentisch“ das zu holen, was sie glauben, das ihnen zusteht.
Neiddebatte und Umverteilungspolitik
Kerns Aufruf ernst genommen, stellt genau genommen eine Belastung für den sozialen Frieden in Österreich dar. Mit gewisser Spannung darf man in diesem Zusammenhang auch bereits auf die nächsten Lohnverhandlungen der Gewerkschaften warten. Und sie ist noch dazu geeignet, eine Neiddebatte auszulösen. Typisch für sozialistische Politik ist auch, dass nicht der vom Staat betriebenen Verschwendungspolitik und Bürokratisierung aller Lebensbereiche der Kampf angesagt wird, sondern der Umverteilung das Wort gepredigt wird. Anstatt durch eine Sparpolitik bei der Sozial-Bürokratie zusätzliche Gelder für den erhöhten Pflegebedarf frei zu bekommen, will man auf das Erbe zugreifen, das sich Eltern mühsam erarbeitet haben, um es ihren Kindern für ein besseres Leben zu hinterlassen.
Klassenkampf versus Partnerschaft
Die SPÖ versucht mit diesem „Schlachtruf“ daher in der heißen Phase des Wahlkampfs verlorenes Terrain wiederzugewinnen, indem sie zu ihren ideologischen Wurzeln zurückkehrt und eine Neuauflage des „Austromarxismus“ propagiert. Begründet wurde der Austromarxismus übrigens 1904 von Otto Bauer. Er machte die Soziale Revolution und die Etablierung der Diktatur des Proletariats vom Erringen der absoluten Mehrheit im Rahmen einer parlamentarischen Demokratie abhängig. Bis hinauf in die Zeit von Bruno Kreisky bekannte sich die SPÖ in ihrem Parteiprogramm zum Klassenkampf, ehe sie sich leise davon distanzierte – aber offenbar nie ganz davon verabschiedete. Dabei hatte Norbert Leser, einer der führenden Denker im SP-Lager, in den 1980er Jahren offen eingestanden, dass mit dem Klassenkampf kein Staat zu machen ist, die Volkspartei mit dem Prinzip der „Partnerschaft“ über das bessere gesellschaftliche Modell verfüge.
Drei Viertel haben bereits die Wahl getroffen
Anstatt eine Anleihe bei Leser zu nehmen, ließ sich Kern durch seine in- und ausländischen Berater zu einer Stoßrichtung in diesem Wahlkampf verleiten, die eine einzige Panikreaktion darstellt. Das lässt sich aus den jüngsten Umfragedaten herauslesen, die zur Schlagzeile führten: „Nur 15 Prozent glauben an einen Wahlsiegt von Kern“. Die eigentliche Dramatik für die SPÖ bedeutet freilich, dass gleichzeitig 54 Prozent in Kurz den kommenden Wahlsieger sehen. Schlimm sieht es für die Sozialdemokraten aber auch bei der Parteipräferenz aus. Während die ÖVP derzeit mit 34 Prozent rechnen darf, ist die SPÖ bei mageren 25 Prozent gelandet und liegt nur noch um einen Prozentpunkt vor der FPÖ. Wenngleich es noch 70 Tage bis zum Wahltag sind und daher auch noch Stimmenprozente hin und hergeschoben werden können, so ist zusätzlich bemerkenswert, dass drei Viertel der Wähler bereits erklären, ihre Entscheidung fix getroffen zu heben.
Rückholaktion für verloren gegangene Wähler
Die Strategie des Kern-Teams ist somit klar erkennbar. Indem sich die SPÖ ihres alten Rufes besinnt, hofft sie verlorengegangene Wähler zurück zu holen. Es sind jene sozialdemokratischen Wähler, die spätestens ab Mitte der 1990er Jahre begonnen hatten, auf das Parteibuch mit den drei Pfeilen auf rotem Grund zu verzichten und sich den Freiheitlichen zuzuwenden. Sie haben mittlerweile die FPÖ auch zu einer Arbeiterpartei gemacht und sind bei Heinz Christian Strache heimisch geworden. Zu glauben, dass sie sich nun wieder zurückbesinnen und in ihre alte politische Heimat zurückkehren werden, ist eine mehr als riskante Strategie. Fokussiert doch damit das SP-Wahlkampfteam die Auseinandersetzung primär auf die FPÖ.
Keine rot-blaue Mehrheit
Mit klassenkämpferischen Tönen werden Kern & Co. freilich Kurz-Wähler nicht gewinnen können. Die stehen für eine Aufbruchsstimmung und eine Erneuerung. Denkbar ist, dass der eine oder andere Sozialdemokrat, der damit spekulierte, Peter Pilz seine Stimme zu geben, nun von einem Wechsel Abstand nimmt. Anstelle des „Duells“ von Kern mit Kurz tritt somit der Kampf um den zweiten Platz zwischen SPÖ und FPÖ, wobei derzeit beide Parteien zusammen nur auf 45 Prozent kommen und damit eine rot-blaue Koalition außer Teichweite ist.
Diskussion über eine kern-lose Zeit
Und kaum, dass sich die SPÖ auf eine neue Wahlkampflinie eingeschworen hat, gibt es auch schon Absatzbewegungen. Selbst vielen Sozialdemokraten ist beim Rückfall in Klassenkampfzeiten nicht wohl zu Mute. Während Kern ständig für die SPÖ unangenehme Themen ausklammern will – wie z.B. die Flüchtlingspolitik – sieht der Landeshauptmann des Burgenlandes, Hans Niessl, dafür keinen Anlass. Ganz im Gegenteil. Er will seinen Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil in Stellung bringen. Wie es aussieht als Nachfolger von Kern. Dabei wird aber auch Wiens Bürgermeister Michael Häupl mitreden wollen. Sollte am 15. Oktober nämlich tatsächlich auch das „rote Wien“ verloren gehen, und darauf weisen die Umfragedaten hin, dann wird er dafür den Bundeskanzler voll verantwortlich machen und auf eine Revision des Links-Kurses drängen. Die Wiederbesinnung auf alte Klassenkampfmotive ist drauf und dran zum Rohrkrepierer zu werden.