Donnerstag, 21. November 2024
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Die Traditionsparteien befinden sich in einer Identitätskrise

Seit dem vergangenen Wahlsonntag ist in einem weiteren europäischen Land sichtbar geworden, dass sich die so genannten Traditionsparteien zumindest in einer Identitäts-, wenn nicht sogar Existenzkrise befinden.

Durch Jahrzehnte bestimmten in Frankreich zwei große Lager die Politik. Die konservativen Republikaner, hervorgegangen aus den Gaullisten und die Sozialdemokraten. Dazu kommt noch ein buntes Spektrum kleinerer Parteien. Die einstmals große Kommunistische Partei ist fast bedeutungslos geworden. Dabei gehörte sie in den 1970er Jahren zu jenen politischen Kräften, die noch einmal versucht hatten, in Westeuropa an die Macht zu kommen. Nach dem gewaltsamen Ende des Prager Frühlings versuchten die französischen Kommunisten ebenso wie deren Genossen in Spanien und Italien eine „Kommunismus mit menschlichen Antlitz“ zu kreieren. Man umgarnte sogar die Christdemokraten und Konservativen, die aber dann doch der Versuchung widerstanden.

Katzenjammerstimmung bei Republikanern und Sozialisten

Beim ersten Durchgang der Präsidentschaftswahlen mussten nun die so genannten „Traditionsparteien“, also die Republikaner und die Sozialisten eine herbe Niederlage einstecken. Erstmals kommt keiner der beiden Kandidaten in die Stichwahl. Während die Republikaner gerade noch knapp über 19 Prozent der Stimmen erreichten und für diese Schlappe auf den Skandal ihres Spitzenkandidaten Francois Fillon abschieben können, ist bei den Sozialisten der Katzenjammer ausgebrochen. Die etwas mehr als 6 Prozent der Stimmen sind Ausdruck eines Niedergangs, der auf den scheidenden Staatspräsidenten Francois Hollande und die unzureichenden Konzepte zur Lösung der großen wirtschaftlichen Probleme des Landes zurückgeht. Genau genommen eine Bankrotterklärung sozialdemokratischer Politik.

Frappierende Parallelitäten zu Österreich

Der französische Wahlgang erinnert frappant an die österreichische Präsidentschaftswahl im vergangenen Jahr. Auch da schieden bereits im ersten Wahlgang die beiden Kandidaten von SPÖ und ÖVP, Rudolf Hundstorfer und Andreas Khol aus. Und brachten es jeweils bloß auf etwas mehr als 11 Prozent der Stimmen. Was letztlich bedeutete, dass jeder zweite der parteitreuen Wähler den eigenen Parteikandidaten die Stimme verwehrt hatte. In Österreich tröstet man sich damit, dass dies ein Einmalereignis war, nachdem mittlerweile die SPÖ in den Umfragen wieder bei etwa 27 Prozent, die ÖVP bei 22 Prozent liegen. Kommt noch hinzu, dass dem auf seine Chance lauernden Außenminister Sebastian Kurz eine Macron-Effekt zuzutrauen ist.

Die Wählerschaft ist „fluid“ geworden

In den Parteisekretariaten darf man sich nur keinen Täuschungen hingeben. Die Wählerschaft ist nämlich, wie dies im politikwissenschaftlichen Deutsch heißt, „fluid“ geworden. Noch vor 30 Jahren zählte man in etwa 10 bis maximal 15 Prozent so genannte Wechselwähler. Von Wahl zu Wahl hat sich dieser Prozentsatz gesteigert. Mittlerweile sind dies mehr als die Hälfte. Und dem Kern der Stammwähler geht es wie den Gletschern in den Alpen, er schmilzt.

Die Große Koalition ist „unten durch“

Ein eigenes Beispiel wie sehr die Wähler auf Wanderschaft begriffen sind, zeigt das Meinungsbild der Bevölkerung zu allfälligen Koalitionsvarianten. In den vergangenen Jahrzehnten waren durch die Bank 70 Prozent der wahlberechtigten Österreicher für die rot-schwarze Zusammenarbeit. Mittlerweile ist dieses Regierungsmodell aber bei den Wählern „unten durch“. Selbst bei den Parteigängern von SPÖ und ÖVP wollen nur noch 15 bis maximal 20 Prozent eine Fortsetzung der Großen Koalition. Eine klare Alternative dazu hat sich freilich noch nicht herausgebildet. Jede andere Form der Kombination ist denkmöglich, es gibt keine wirklichen Präferenzen, kurzum „fix ist nix“.

Italien hatte eine Art Vorreiter-Rolle

Das erste Land, das den Niedergang des Lagers der großen Parteien erlebte, war Italien. Zu Mitte der 1990er Jahre versanken die Christdemokraten und die Sozialisten nicht nur in einem Korruptionssumpf sondern auch zunächst von der politischen Oberfläche. Alsbald entstand mit der Partito Democratico eine neue politische Kraft im Mitte-Links-Spektrum, während sich Mitte-Rechts die Forza Italia etablieren konnte. Die Forza Italia profitierte zunächst von ihrem Führer Silvio Berlusconi, der schließlich Matteo Renzi Platz machen musste, mittlerweile aber auch die Segel streichen musste. Der Grund war, dass die Bürger frustriert von den Machtspielen der etablierten Parteiführer waren und einer politischen Bewegung – Cinque Stelle – ihre Stimmen gab, die einfach proklamierte mit den bestehenden Zuständen aufzuräumen.

Populismus ist Trumpf in den neuen Demokratien

Auch in den so genannten neuen Demokratien hat es gravierende Veränderungen gegeben. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs waren es konservative und christdemokratische Parteien, die in den ehemaligen Volksdemokratien Zulauf erhielten. Sie spielen heute weitgehend nur ein Randdasein. Etwas besser ergeht es den Linksparteien, wo offenbar noch Nostalgiegefühle an das alte kommunistische System spürbar sind. Tonangebend freilich sind vor allem links- wie rechtspopulistische Parteien. Dazu aber kommt noch, dass neue Gruppierungen auf den politischen Markt getreten sind, die zwar kein wirkliches Programm anbieten, aber von Oligarchen und Millionären geführt werden und offenbar den Wählern die Illusion bieten, besser wirtschaften zu können.

Abschied von grundsatzpolitischen Positionen

Für die Politikwissenschaftler stellt sich angesichts dieser Zustände immer mehr die Frage, wohin sich den das europäische Parteiensystem entwickelt. Das Hauptargument sieht man daran, dass den großen Parteien ihre ideologische Basis abhandengekommen ist. Sie haben sich von der Tradition, von den grundsatzpolitischen, ja auch weltanschaulichen Positionen ihrer Parteiprogramme verabschiedet. Bei den Sozialisten geschah dies sukzessive im Gefolge des Zusammenbruchs des kommunistischen Systems und damit der Illusion von einem „realen Sozialismus“. Die Altväter von Karl Marx angefangen waren aus der Mode gekommen, mussten schubladisiert werden. Und im christlich-demokratischen Lager begann man sich aus falsch verstandener Solidarität und im Parallelschritt mit der Krise der Kirchen auch von den „alten Wurzeln“ zu trennen, vom Rüstzeug alten Zuschnitts zu verabschieden, in diesem Fall vom „hohen C“.

Wechselseitig austauschbare „Allerweltsparteien“

Das Kardinalproblem stellt ohne Zweifel dar, dass wir es heute nicht mehr mit klar konturierten sondern mit so genannten „Allerweltsparteien“ zu tun haben. Die Parteien sind beinahe schon untereinander austauschbar geworden, sie vertreten aus Opportunitätsgründen oft Positionen, die sie noch vor Jahren schroff von sich weggewiesen hätten. Anstelle der Inhalte geht es nur noch um die Personen und die wiederum orientieren sich nicht an programmatischen Zielen und Visionen sondern an einer Medienöffentlichkeit, die heute oft zum alleinbestimmenden Trendfaktor geworden ist und die mit den Schlagzeilen der Politik und den Politikern die Richtungen vorgibt. Und viele Wähler lassen sich von der medialen Stimmungsmache nicht unwesentlich beeinflussen.  

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