Donnerstag, 21. November 2024
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Die Ukraine-Krise und die EU

Die Ukraine-Krise hat der EU in Summe mehr geholfen als geschadet – wenn auch zugleich Europas Schwächen deutlich offenkundig geworden sind. Aber diese Krise hat in Summe die EU ein Stück zusammengeschweißt und sie wird wohl den Erfolg der EU-kritischen Parteien etwas geringer ausfallen lassen, als es noch am Jahresbeginn schien.

[[image1]]Gerade in Österreich bedauern es seit der Ukraine-Krise viele, dass hier nicht die „Alternative“ kandidiert. Diese schafft es jedenfalls in Deutschland, auf hohem Niveau sowohl die Rechtsbrüche der EU bei der Euro-Politik wie auch jene Russland scharf zu tadeln. Während die österreichischen Parteien allesamt nur entweder die EU oder Russland kritisieren und gegenüber der EU beziehungsweise Russland eine eher absurd wirkende Liebe praktizieren.

Wie hat sich nun genau die Ukraine-Kontroverse auf Europa ausgewirkt?

Nicht der Westen hat die Ukraine gesucht, sondern umgekehrt

Am wichtigste ist es, eine derzeit mancherorts kursierende Geschichtslüge zurechtzurücken: Die Ukrainer wollten und wollen nach Europa, nach dem Westen; Und nicht umgekehrt, wie es manche auf dem äußersten linken und rechten Rand verkünden. Ganz im Gegenteil.

Bis auf den bisweilen artikulierten deutschen Ärger über die Inhaftierung der politischen Gegenspielerin von Präsident Janukowitsch war Westeuropa weitestgehend froh, sich nicht sehr den Kopf über die Ukraine zerbrechen zu müssen. Denn kaum eine politische Gruppierung wollte und will die Ukraine als Nato- oder EU-Mitglied. Hingegen wollen das sehr viele Ukrainer. Sie wurden daher extrem besorgt, als der eigene Präsident (also: Janukowitsch) selbst auf ein fertig ausgehandeltes Abkommen mit der EU verzichtete. Offensichtlich unter russischem Druck.

Ebenfalls nur in der russischen Propaganda ist die ukrainische Mehrheit vom CIA mobilisiert worden. Dafür gibt es überhaupt keinen Beweis. Was völlig klar ist: Denn auch die Amerikaner haben ganz andere Sorgen. Man denke nur an die Stichworte Nahost-Konflikt, Afghanistan-Abzug, Iran-Atomwaffen und Nordkorea. Aber dennoch glauben manche, die Amerikaner hätten die ukrainische Unruhe angestachelt. In Wahrheit zeigt sich da nur eines: Wieviel raffinierter heute die russische Propaganda als zu Sowjetzeiten ist.
Es war und ist ganz eindeutig die große Mehrheit der Ukrainer selbst, die mehrheitlich nach Europa will. So wie bei der Unabhängigkeit in einem Referendum (das viel weniger zweifelhaft war als die heutigen Referenden der zwischen Krim und Donezk marodierenden Banden) eine massive Mehrheit für einen einheitlichen ukrainischen Staat plädiert hatte.

Insbesondere die Erfolgsstory Polens und der baltischen Staaten, die dem Einfluss Moskaus entronnen sind, die Nato wie EU beitreten konnten und die sich sensationell entwickelt haben, übt gewaltigen Eindruck auf viele Ukrainer aus. Auch auf solche, die Russisch als Muttersprache haben. Das ist zweifellos ein positives Zeichen für die wirtschaftlich-kulturelle Anziehungskraft dieses West- und Mitteleuropas, dieser EU.

Es sprechen Merkel und Obama, nicht die EU

Zweitens ist aber ebenso eindeutig, dass von Russland bis zur Ukraine der Westen nicht durch die Organe der EU spricht oder wahrgenommen wird, sondern durch zwei Staaten. Und damit deren Führungspersönlichkeiten, also Angela Merkel und Barack Obama.
Dabei gibt es eine – bisher – sehr effiziente Arbeitsteilung. Merkel wirkt konziliant, Obama schärfer. Good cop, bad cop. Aber beide bleiben dennoch immer gemeinsam auf einer Linie. Sie machen damit den Russen klar, dass sie den Westen nicht spalten können. Das erleichtert ungemein. Dass Merkel überdies gleich in zwei Sprachen mit Russlands Putin reden kann, ist auch nicht gerade nachteilig.

Österreich hat sich peinlich geäußert – wurde aber eh nicht beachtet

Peinlichkeiten wie jene des österreichischen Bundespräsidenten Fischer oder des Landwirtschaftsministers Rupprechter (anfangs auch von Außenminister Kurz, der aber rascher die Fakten lernte) werden international zum Glück nicht wahrgenommen. Sie hatten sich in peinlicher Weise an Russland angebiedert. So wie es heute noch einige FPÖ- und Rekos-Exponenten tun.

Diese oft seltsamen Äußerungen sind Folge des Umstandes, dass hierzulande in den letzten 15 Jahren sowieso kein seriöser Dialog über Außenpolitik mehr stattgefunden hat. Und wohl auch in Zukunft nicht. Das zeigen die neuen „Berater“ des Außenministeriums in erschreckender Deutlichkeit.

Es ist jedenfalls das Neutralitätsgerede wieder weitestgehend aus der österreichischen Rhetorik verschwunden. Was man nur mit Freude zur Kenntnis nehmen kann. Gerade ein kleines Land wie Österreich hat in solchen Konfliktzeiten ein primäres Interesse: Es muss ständig als oberstes Gebot aller internationalen Beziehungen zentralen Wert darauf legen, dass auch kleinere Staaten volle Souveränitätsrechte haben, dass sie selber über ihren Weg zu entscheiden haben.

Daher darf ein österreichischer Politiker niemals von außen raten, was ein souveränes Land tun sollte. Geschichtsbewusste würden überdies wissen, dass Österreich (selbst!) sich 1955 nur in Verfolgung des zentralen Ziels zur Neutralität bereit erklärt hat, dass alle ausländischen Truppen verschwinden. Freilich: Geschichtsbewusstsein ist in Österreich nicht mehr sehr verbreitet.
Seltsam fällt besonders der russlandfreundliche Kurs der Freiheitlichen auf. Gewiss haben sie recht, dass Russland ihnen und vielen anderen Österreichern in mancherlei Hinsicht sympathischer ist als der Westen: Es wirkt als Bollwerk gegen Islam und Sittenverfall. Das ist aber nur Schein. Denn ein Land, das keinerlei echte Demokratie und Meinungsfreiheit zulässt, in dem es keine unabhängige Justiz gibt, dass sich andere Territorien einfach militärisch einverleibt, wirkt auch als Bollwerk in keiner Weise seriös.

Das heutige Russland sollte daher gerade für eine wirklich freiheitsliebende Partei eigentlich in keiner Weise akzeptabel sein. Umso unverständlicher ist das russlandfreundliche Verhalten der FPÖ, die ja die Freiheit sogar im Namen führt. Viel weniger überraschend ist, dass fast gleichlautend auch auf der äußeren Linken die Sympathien für das neostalinistische Russland groß sind. Und dass diese die wilden Erfindungen russischer Medien übernimmt.

Umso erfreulicher ist, dass sich in Deutschland die „Alternative“, die mit Sicherheit ins EU-Parlament einziehen wird, ganz klar gegen das russische Vorgehen ausspricht. In Österreich gibt es hingegen nichts Vergleichbares, das sowohl Russland wie auch die EU kritisiert.

Sanktionen wirken doch

Viertens: Man sieht ihre Folgen nicht gleich, aber Sanktionen wirken. Die massive Flucht von Geld aus Russland, der Absturz seiner Aktien, der Rückgang an Kooperationen mit Russland schaden zwar allen, aber vor allem Russland. Langsam scheint dort trotz aller nationalistischen Aufwallungen die Lehre zu sickern, dass es mehr wehtut als erwartet, wenn man sich fremde Territorien einnäht.
Umso katastrophaler ist es freilich, wenn einige westliche Politiker über die Sanktionen gegen Russland jammern. Das reduziert die friedenserhaltende Wirkung von Sanktionen. Aber vielleicht bringt man der Wirtschaft noch bei, dass bei einem Krieg die Betriebe noch viel mehr leiden würden als jetzt durch Sanktionen.

Militärisch zählen die Nato und damit die USA

Fünftens muss die EU traurig zur Kenntnis nehmen, dass militärisch nur die Nato und damit die USA zählen. Die EU ist militärisch weniger denn je relevant. Die gemeinsamen EU-Einheiten werden sogar aufgelöst.

Auch wenn – zum Glück – der Ukraine-Konflikt bisher nicht zum Ost-West-Krieg geworden ist, so hat man doch da wie dort genauer angefangen, die Truppen zu zählen. Und die Balten und Polen haben gute Gründe, jetzt viel intensiver zu drängen, dass amerikanische und Nato-Einheiten ständig auf ihrem Boden stationiert bleiben. Die EU ist für Außenstehende kulturell und wirtschaftlich attraktiver, als es die meisten EU-Europäer begreifen, sie ist aber politisch wie militärisch nicht relevant.

Nur geordnete Selbstbestimmung kann Konflikte lösen

Sechstens und letztens aber bleibt der große Vorwurf an den Westen: Er hat bis heute den großen Wert des Selbstbestimmungsrechts nicht erkannt. Zwar zeigt Großbritannien, wie sehr dieses Recht Spannungen reduziert. Zwar haben auch Kanada und die Tschechoslowakei das Funktionieren des Selbstbestimmungsrechts exzellent vorexerziert. Für die Mehrheit aber, insbesondere Spanien, Rumänien, Finnland, die Slowakei und offenbar noch immer Italien, ist Selbstbestimmung einer Minderheit hingegen nach wie vor des Teufels. Allerdings deuten in Italien einige Indizien darauf hin, dass die Bevölkerung in dieser Frage zunehmend anders denkt. Manche Länder haben sich jedoch tendenziell von der Selbstbestimmung wegentwickelt: Alois Mock und der Südtiroler Silvius Magnago haben noch sehr positiv vom Selbstbestimmungsrecht gesprochen, für einen Sebastian Kurz ist das hingegen nur noch „ewig gestrig“.
Noch immer fehlt jedenfalls jede rechtliche Regelung, wie europaweit Völker entscheiden können, zu welchem Land sie überhaupt gehören wollen.

Es wird daher wohl noch viele Konflikte geben, bevor die Politik erkennt, dass nur Selbstbestimmung eine Basis für eine wirkliche Befriedung sein kann. Dass Selbstbestimmung eine lange Vorlauf- und Diskussionsphase braucht. Dass sie niemals auf einer Augenblicksstimmung allein beruhen kann. Dass sie – noch viel mehr als nationale Wahlen – eine internationale Begleitung und eine genaue Sichtung der Wahlberechtigung braucht. Dass das Verhalten der Russenfreunde in der Ukraine alle diese Bedingungen nicht erfüllt hat, hat daher der Selbstbestimmung schwer geschadet.

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