Freitag, 18. April 2025
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Die (Un)Zulässigkeit des Verkaufs „Goldener Pässe“ und „Goldener Visa“ von EU-Mitgliedstaaten an Drittstaater wird endlich gerichtsförmig geklärt

Die (Un)Zulässigkeit des Verkaufs „Goldener Pässe“ und „Goldener Visa“ von EU-Mitgliedstaaten an Drittstaater wird endlich gerichtsförmig geklärt
Bild © Simon, Pixabay (Ausschnitt)

Einleitung

Erweist sich bereits die Kenntnis des Unterschieds zwischen Staatsbürgerschaft und Staatsangehörigkeit im Allgemeinen als wenig gesichert, so ist der Zusammenhang dieser beiden Begriffe mit dem der Unionsbürgerschaft in der EU nach wie vor weitgehend unbekannt. Dabei bestimmt das Recht der EU unmissverständlich: „Unionsbürger ist, wer die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt. Die Unionsbürgerschaft tritt zur nationalen Staatsbürgerschaft hinzu, ersetzt sie aber nicht“[1].

Ist damit also jeder Staatsbürger eines der 27 Mitgliedstaten der EU zugleich auch Unionsbürger, dann stellt sich umgehend die Frage, wie sich die beiden Rechtsbereiche zueinander verhalten bzw. wie sie aufeinander gegenseitig einwirken. Muss zwischen einem Staat und seinen Bürgern ein besonderes Naheverhältnis bestehen, das sich auch auf die EU erstreckt? Hat die Verleihung der Staatsbürgerschaft eines EU-Mitgliedstaates auf die Rechte und Pflichten aus der Unionsbürgerschaft Rücksicht zu nehmen bzw. hat der Verlust der Staatsbürgerschaft automatisch auch den Verlust der Unionsbürgerschaft zur Folge, uam?

Ganz allgemein gesprochen, geben die EU-Mitgliedstaaten mit ihren Voraussetzungen für die Erlangung ihrer Staatsangehörigkeit zugleich auch die Bedingungen für die Erlangung der Unionsbürgerschaft vor, ohne dass die EU darauf Einfluss nehmen kann und welchen Einfluss üben das Subsidiaritätsprinzip[2] und der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit[3] auf die gegenseitige Zusammenarbeit zwischen der EU und ihren Mitgliedstaaten aus?

Diese komplexen Fragestellungen manifestieren sich vor allem bei den Fragen der Zulässigkeit des Verkaufs von Staatsbürgerschaften („Goldene Pässe“) und Einreise- und Aufenthaltsgenehmigungen („Goldene Visa“) von EU-Mitgliedstaaten an Drittstaater, die zu den jeweiligen Mitgliedstaaten keine wie immer geartete Nahebeziehung aufweisen. Während der gegenständliche Autor bereits vor über zehn Jahren sowohl die staatsrechtlichen, als auch die völkerrechtlichen sowie die europarechtlichen Konsequenzen der Verleihung von „Goldenen Pässen“ und „Goldenen Visa“ von EU-Mitgliedstaaten an EU-Drittstaater untersucht hat,[4] zeichnet sich in dieser komplexen Fragestellung nunmehr erstmals eine gerichtsförmige Lösung ab.

Im Vorfeld des 2025 zu erwartenden Urteils des Gerichtshofes der EU, lieferte der Generalanwalt Anthony Michael Collins am 4. Oktober 2024 seine Schlussanträge in einer einschlägigen Rechtssache[5] ab, auf die anschließend näher eingegangen werden soll. Da die Urteile des Gerichtshofs in der Regel – dh zu 86 Prozent (sic)[6] – mit den Schlussanträgen des Generalanwalts übereinstimmen, kommt diesen eine ganz wichtige Funktion zu.

Davor ist aber, für das allgemeine Verständnis dieser außergewöhnlichen Rechtssache, auf die dieser Causa zugrundeliegenden allgemeinen Rechtsfragen der Staatsbürgerschaft im Rahmen des Staatsrechts, des Völkerrechts und des Unionsrechts kurz einzugehen. Ebenso muss auf die Voraussetzungen für die Erlangung der Staats- und der Unionsbürgerschaft entsprechend hingewiesen werden.

Staatsrechtliche, völkerrechtliche und unionsrechtliche Aspekte der Staatsbürgerschaft

Zunächst ist in diesem Zusammenhang zwischen Staatsbürgerschaft und Staatsangehörigkeit zu unterscheiden und in der Folge auch die Unionsbürgerschaft kurz darzustellen[7].

– Unter Staatsbürgerschaft („citizenship“), als staats- bzw. verfassungsrechtlicher Begriff, sind die sich aus der Staatsangehörigkeit ergebenden Rechte und Pflichten einer natürlichen Person in dem Staat, dem sie angehört, zu verstehen;

– Unter Staatsangehörigkeit („nationality“), als völkerrechtlicher Begriff, ist das rechtliche Band zwischen einer Person und einem Staat, zu verstehen.

Die Staatsbürgerschaft ist also gleichsam das rechtliche Substrat, das aus der Staatsangehörigkeit einer physischen oder juristischen Person folgt.

– Unter Unionsbürgerschaft, die die Innehabung der Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der EU voraussetzt, ist wiederum die Summe aller Rechte zu verstehen, die sowohl der EUV, als auch der AEUV, allen Unionsbürgern einräumt (Recht auf Aufenthalt und Mobilität in der EU, Zugang zum Binnenmarkt, Kommunalwahlrecht, aktives und passives Wahlrecht zum Europäischen Parlament, Petitionsrecht, Recht auf diplomatischen und konsularischen Schutz in Drittstaaten, in denen der eigene Heimatstaat nicht vertreten ist, Recht, sich an den Europäischen Bürgerbeauftragten zu wenden, uam)[8].

 Voraussetzungen für die Erlangung der Staats- und Unionsbürgerschaft

Staatsrechtlich steht es grundsätzlich jedem souveränen Staat frei, über die Vergabe seiner Staatsbürgerschaft allein zu disponieren bzw. den Erwerb derselben durch Drittstaater entsprechend seinen Vorstellungen zu konditionieren. Im Falle Österreichs trifft diesbezüglich die Verfassungsbestimmung des § 10 Abs. 6 des Staatsbürgerschaftsgesetzes (1985)[9] hinsichtlich einer erleichterten Verleihung der Staatsbürgerschaft an Drittstaater „im besonderen Interesse der Republik“ zu, gemäß derer von den Voraussetzungen eines mindestens zehnjährigen rechtmäßigen und ununterbrochenen Aufenthalts in Österreich, eines hinreichend gesicherten Lebensunterhalts sowie eines Ausscheidens aus dem bisherigen Staatsverband dann abgesehen werden kann, wenn die Bundesregierung durch einstimmigen Beschluss bestätigt, dass die Verleihung der Staatsbürgerschaft wegen der vom Fremden  bereits erbrachten und von ihm noch zu erwartenden außerordentlichen Leistungen im besonderen Interesse der Republik liegt. Dies traf zB im Fall der Operndiva Anna Netrebko, des Milliardärs Frank Stronach und des russischen Oligarchen Oleg Deripaska zu.[10]

Völkerrechtlich wird grundsätzlich ein effektives soziales Naheverhältnis („genuine link“) zwischen dem Staat und seinen Staatsbürgern gefordert, wie dies der Internationale Gerichtshof (IGH) Anfang April 1955 in seinem „leading case“ Nottebohm[11] festgestellt hatte. Dieses Kriterium macht vor allem beim diplomatischen Schutzrecht sowie bei Doppelstaatern Sinn, da hier ein besonderes Treueverhältnis zum Heimatstaat zum Ausdruck kommen soll.

Unionsrechtlich ist zunächst festzustellen, dass, wie vorstehend bereits erwähnt[12], ein Unionsbürger derjenige ist, der die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der EU besitzt. Die Unionsbürgerschaft tritt zur nationalen Staatsbürgerschaft (automatisch) hinzu, ersetzt diese aber nicht. Verliert ein Unionsbürger aber die Staatsbürgerschaft eines der 27 EU-Mitgliedstaaten, dann geht an sich zugleich auch seine Unionsbürgerschaft verloren, wie der EuGH am 2. März 2010 in seinem Urteil in der Rechtssache Rottmann[13] festgestellt hat. Im Falle des Entzugs der erschlichenen deutschen Staatsangehörigkeit Janko Rottmanns wurde dieser dadurch nicht nur apatrid, dh staatenlos, sondern büßte auch gleichzeitig seine Unionsbürgerschaft ein. Der Gerichtshof wies zugleich aber darauf hin, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit es unter Umständen verlangt, dass Rottmann eine angemessene Frist eingeräumt wird, damit er versuchen kann, die Staatsangehörigkeit seines Herkunftsmitgliedstaats wiederzuerlangen.[14]

Was das von Rottmann in diesem Zusammenhang angestrengte Verfahren zur Wiedererlangung seiner Staatsbürgerschaft betrifft, so hat das deutsche BVerwG in seinem Urteil vom 11. November 2010[15] diesbezüglich festgestellt: „Angesichts der Schwere des Rechtsverstoßes und der vergleichsweise kurzen Zeitspanne zwischen Einbürgerung und Rücknahme erscheint der Staatsangehörigkeitsentzug auch bei Berücksichtigung der unionsrechtlichen Folgen für den Kläger insgesamt nicht unverhältnismäßig“.

Voraussetzungen für eine Einbürgerung in Malta

Malta ist ein kleines Land mit einer Fläche von 316 km2 und einer Einwohnerschaft von 563.443 Personen. Sein BIP pro Kopf ist mit 39.500 Euro größer als der EU-Durchschnitt mit 37.600 Euro. Malta veräußert seit 2013 seine Staatsbürgerschaft an Drittstaater – mit Ausnahme von Russen und Weißrussen (seit dem März 2022) – und erzielt dabei beachtliche Gewinne. Allein im Jahr 2023 haben, laut Angaben der EU, 259 Personen ein solches Geschäft mit Malta abgeschlossen.

Das maltesische Staatsbürgerschaftsgesetz (Maltese Citizenship Act) (1965) wurde am 15. November 2013 durch das Gesetz Nr. XV geändert, das für den Fall der Teilnahme am Programm für Einzelinvestoren (Individual Investor Programme) ein beschleunigtes Einbürgerungsverfahren mit besonderen Voraussetzungen und Verfahren vorsah. In der Folge wurde durch eine Verordnung das Programm für Einzelinvestoren der Republik Malta (Individual Investor Programme of the Republic of Malta) verabschiedet und am 4. Februar 2014 im Amtsblatt der maltesischen Regierung veröffentlicht. Diese Verordnung wurde am 20. November 2020 aber wieder aufgehoben und durch die Verordnung über die Gewährung der Staatsbürgerschaft für außergewöhnliche Dienste (Granting of Citizenship for Exceptional Services Regulation) ersetzt. Die Teile III und IV der neuen Verordnung enthalten detaillierte Vorschriften über die Bearbeitung von Anträgen auf Einbürgerung

(a) wegen außergewöhnlicher Dienste durch besondere Verdienste und

(b) „durch Direktinvestitionen in die wirtschaftliche und soziale Entwicklung der Republik Malta“. Ausländische Investoren können die Einbürgerung gemäß der zweiten Kategorie beantragen, sofern sie die folgenden Voraussetzungen erfüllen, oder sich zu deren Erfüllung verpflichten:

Wer einen maltesischen Pass erhalten will, hat zunächst

(a) einen Betrag von 600.000 oder 750.000 Euro an die maltesische Regierung zu überweisen und

(b) anschließend in Malta eine Wohnimmobilie im Wert von mindestens 700.000 Euro zu erwerben und zu halten oder einen Mietvertrag über eine Wohnimmobilie in Malta für einen Zeitraum von mindestens 5 Jahren zu einer Mindestjahresmiete von 16.000 Euro abzuschließen;

(c) des Weiteren muss der Interessent mindestens 10.000 Euro an eine behördlich genehmigte NGO oder Gesellschaft spenden, die auf dem Gebiet der Philanthropie, der Kultur, des Sports, der Wissenschaft, des Tierschutzes oder der Kunst tätig ist;

(d) der Interessent muss während eines Zeitraums von 36 Monaten auch in Malta ansässig gewesen sein (bei Zahlung von 600.000 Euro), wobei dieser Zeitraum bei einer außergewöhnlichen Direktinvestition, nämlich einer Zahlung von mindestens 750.000 Euro, bis auf 12 Monate verkürzt werden kann;

(e) des Weiteren muss der Interessent die behördliche Zulässigkeitsprüfung bestanden haben und zur Einreichung des Einbürgerungsantrags berechtigt sein.

Gemäß Regulation 19 der vorerwähnten Verordnung von 2020 „darf die Zahl der Urkunden über den Erwerb der maltesischen Staatsbürgerschaft im Wege der Einbürgerung wegen außergewöhnlicher Dienste durch Direktinvestitionen – unter Ausschluss der Unterhaltsberechtigten – höchstens 400 jährlich betragen, und die Gesamtzahl der erfolgreichen Antragsteller, ebenfalls unter Ausschluss der Unterhaltsberechtigten, darf auf keinen Fall mehr als 1.500 betragen“.[16]

 Vertragsverletzungsverfahren gegen Malta gem. Art. 258 AEUV

 Klagegründe und wesentliche Argumente beider Parteien

Auf der Basis der Entschließung des Europäischen Parlaments vom 16. Jänner 2014 zum Verkauf der Unionsbürgerschaft[17] und dessen Bericht über die Unionsbürgerschaft 2017[18], legte die Kommission erstmals am 23. Jänner 2019 einen umfassenden Bericht über Staatsbürgerschaftsregelungen und Aufenthaltsregelungen für Investoren in der Europäischen Union[19] vor, in dem sie die bestehenden Praktiken und bestimmte Risiken aufzeigt, die solche Systeme für die EU in sich bergen, insbesondere in Bezug auf Sicherheit, Geldwäsche, Steuerhinterziehung und Korruption[20].

Nach Ansicht der Kommission schließt das Unionsrecht nationale Staatsbürgerschaftsprogramme für Investoren aus, die die systematische Gewährung der Staatsbürgerschaft eines Mitgliedstaates gegen eine im Voraus festgesetzte Zahlung oder Investition, ohne Erfordernis einer tatsächlichen Verbindung zwischen dem Staat und den betroffenen Personen iSe „genuine link“, ermöglichen. Durch die Einführung eines solchen Programms beeinträchtige und untergrabe Malta den Wesensgehalt und die Integrität der Unionsbürgerschaft, und zwar unter Verstoß gegen Art. 20 AEUV und gegen den in Art. 4 Abs. 3 EUV verankerten Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit innerhalb der EU.[21]

Da die Einbürgerung in einen EU-Mitgliedstaat automatisch mit dem Erwerb der Unionsbürgerschaft und dem Genuss der damit verbundenen Rechte verknüpft ist, haben die Einbürgerungsvoraussetzungen unmittelbare Auswirkungen auf andere Mitgliedstaaten und die EU selbst, die so bedeutend seien, dass die Einbürgerungsvoraussetzungen nicht mehr allein Sache des betreffenden EU-Mitgliedstaates sein können. Deshalb müssten die EU-Mitgliedstaaten bei der Einbürgerung von Drittstaatsangehörigen das Unionsrecht und insbesondere den Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit (Art. 4 Abs. 3 EUV) sowie den durch Art. 20 AEUV geschaffenen Status der Unionsbürgerschaft gebührend beachten. Im Gegensatz dazu gibt es keinerlei Unionsvorschriften über den Erwerb oder über den Verlust der Unionsbürgerschaft.

Dementsprechend leitete die Kommission am 20. Oktober 2020 gem. Art. 258 Abs. 1 AEUV das Vorverfahren eines Vertragsverletzungsverfahrens gegen Malta ein, indem sie an dieses Land ein Mahnschreiben richtete und es aufforderte, seine Systeme der Vergabe von Staatsbürgerschaften gegen die Zusicherung der Tätigung hoher Investitionen im Land näher darzustellen und zu begründen. Sie gab der maltesischen Regierung dafür zwei Monate Zeit, die diese aber weit überschritt, da sie dafür ganze 67 Tage benötigte.

Am 9. Juni 2021 richtete die Kommission ein ergänzendes Mahnschreiben an die Republik Malta, das diese aber mit dem Argument zurückwies, dass die Auffassung der Kommission mit dem Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung iSv Art. 5 Abs. 2 EUV unvereinbar sei, da sie damit in einen Bereich eingreife, der eindeutig zur Souveränität der Mitgliedstaaten gehöre.

Am 6. April 2022 richtete die Kommission eine mit Gründen versehene Stellungnahme an die Republik Malta, in der sie ihre Vorwürfe im Mahnschreiben und im ergänzenden Mahnschreiben wiederholte und weiter vertiefte.

Am 21. März 2023 reichte die Kommission schließlich gegen die Republik Malta eine Vertragsverletzungsklage beim Gerichtshof ein[22], in der sie erneut feststellte, dass eine Einbürgerung ohne echte Bindung der Antragsteller zu dem gegenständlichen Land – bloß gegen eine im Voraus festgelegte finanzielle Investition – gegen deren unionsrechtliche Verpflichtungen aus Art. 20 Abs. 1 AEUV und Art. 4 Abs. 3 EUV verstoße. Dementsprechend müsse derjenige Drittstaater, der Bürger eines EU-Mitgliedstaates werden wolle, zu diesem eine entsprechende Beziehung aufweisen.

Nach einem weiteren Schriftsatzwechsel fand am 17. Juni 2024 eine mündliche Verhandlung statt, in der die Republik Malta, im Gegensatz zu den vorstehenden Behauptungen der Kommission, feststellte, dass das Unionsrecht nicht die Voraussetzungen regelt, nach denen jemand die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates erwerbe, es sei denn, dass diese Voraussetzungen dergestalt seien, dass sie die Werte und Ziele der EU in allgemeiner und systematischer Weise gefährden würden. Weder nach Völkerrecht, noch nach Unionsrecht, sei es erforderlich, dass jemand vor der Einbürgerung eine „vorherige echte Bindung“ zu dem jeweiligen Staat haben müsse.

Im Übrigen sei die Darstellung des maltesischen Staatsbürgerschaftsprogramms 2020 durch die Kommission – als ein „automatischer und an keine Bedingungen geknüpfter“ Zugang zur maltesischen Staatsangehörigkeit „durch die systematische Gewährung seiner Staatsbürgerschaft im Gegenzug für die Zahlung im Voraus festgelegter erheblicher Beträge“ aus „rein fiskalischen Interessen“ der Republik Malta – eine zu starke Vereinfachung, da das Programm den Folgen jedes Antrags für „Sicherheit, Leumund, systemische Auswirkungen, Vorschriftsmäßigkeit und andere Kriterien“ erhebliches Gewicht beimesse. Dass etwa ein Drittel aller zulässigen Anträge abgelehnt werde, sei ein hinreichender Beweis dafür, dass diesbezüglich kein Automatismus vorliege.[23]

 Schlussanträge des Generalanwalts Anthony Michael Collins

 Vorbemerkung

Die Besonderheit der gegenständlichen Vertragsverletzungsklage stellt Generalanwalt Collins in seinen Schlussanträgen vom 4. Oktober 2024 wie folgt fest: „Abgesehen von der vorliegenden Klage ist mir kein früherer Fall bewusst, in dem der Gerichtshof die Vorschriften eines Mitgliedstaats über den Erwerb der Staatsangehörigkeit im Licht des Unionsrechts – und insbesondere in Bezug auf die Unionsbürgerschaft – geprüft hätte. Dies dürfte sich dadurch erklären, dass das Unionsrecht niemandem das Recht, Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats zu werden, gewähren kann“.[24] Damit weist der Generalanwalt darauf hin, dass der Status der Unionsbürgerschaft in untrennbarem Zusammenhang mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates steht und vollends davon abhängig ist. Dementsprechend führt der Erwerb der Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates automatisch zum Erwerb der Unionsbürgerschaft, zu deren Anerkennung alle anderen Mitgliedstaaten aufgrund des Unionsrechts verpflichtet sind.

Im Gegensatz dazu existiert zur Frage der Entziehung oder des Verlustes der Unionsbürgerschaft weitaus mehr Judikatur des Gerichtshofs. Aufgrund der Bedenken, dass die Entziehung der Staatsbürgerschaft, die zum gleichzeitigen Verlust der Unionsbürgerschaft führt, dazu führen kann, dass Personen staatenlos werden und damit ihre Rechte aus den Unionsverträgen und der Grundrechte-Charta verlieren, garantiert das Unionsrecht einen Mindeststandard an Rechtsschutz, sofern nur der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gewahrt wird, und der betreffenden Person bestimmte Verfahrensgarantien gewährt werden, wie vorstehend anhand der Rechtssache Rottmann bereits ausgeführt wurde.

 Das Erfordernis einer „echten Bindung“

Was das Erfordernis einer „echten Bindung“ nach unions- und völkerrechtlichem Staatsangehörigkeitsrecht betrifft, so stellt der Generalanwalt fest, dass es nach ständiger Rechtsprechung Sache eines jeden einzelnen EU-Mitgliedstaates ist – im Rahmen seiner ausschließlichen Zuständigkeit handelnd und unter Beachtung des Völkerrechts – die Voraussetzungen für den Erwerb und den Verlust seiner Staatsangehörigkeit festzulegen. Wie er in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache Préfet du Gers[25] bereits ausgeführt habe, hätten sich die Mitgliedstaaten dafür entscheiden können, ihre Zuständigkeiten zu bündeln und der EU die Befugnis für die Regelung der Frage zu übertragen, wer das Recht hat, Unionsbürger zu werden. Sie haben sich aber dafür entschieden, dies nicht zu tun.

Im Geiste wechselseitigen Respekts und Vertrauens haben sich die Mitgliedstaaten bedingungslos verpflichtet, die von anderen Mitgliedstaaten getroffenen Entscheidungen darüber, ob jemand dessen Staatsangehörigkeit – und damit die Unionsbürgerschaft – besitzt, zu beachten, und zwar unabhängig vom jeweiligen Verhältnis zwischen der Person und dem Mitgliedstaat. Nach Art. 9 EUV, Art. 20 Abs. 1 AEUV und der Erklärung Nr. 2 zur Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats im Anhang zum Vertrag von Maastricht von 1992[26] ist es weder den Unionsorganen noch anderen Mitgliedstaaten gestattet, die Anerkennung der Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaates an bestimmte Bedingungen zu knüpfen.

Abschließend stellt Generalanwalt Collins fest, dass es sich bei der unionsrechtlichen Pflicht, die von anderen Mitgliedstaaten gewährte Staatsangehörigkeit anzuerkennen, um eine gegenseitige Anerkennung und Achtung der Souveränität jedes Mitgliedstaates handelt und nicht um ein Mittel zur Untergrabung der ausschließlichen Zuständigkeiten, die die Mitgliedstaaten in diesem Bereich genießen. Anderenfalls würde das in den Verträgen sorgfältig austarierte Gleichgewicht zwischen nationaler Staatsbürgerschaft und Unionsbürgerschaft erschüttert und die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten auf einem hochsensiblen Gebiet, das – wie sie eindeutig entschieden haben – in ihrer ausschließlichen Zuständigkeit verbleiben sollte, in völlig rechtswidriger Weise ausgehöhlt.

Daraus folgt für den Generalanwalt, dass die Kommission nicht nachgewiesen hat, dass Art. 20 AEUV für eine rechtmäßige Verleihung der Staatsbürgerschaft voraussetzt, dass eine „echte Bindung“ oder eine „vorherige echte Bindung“ zwischen einem Mitgliedstaat und einer Person besteht, die eine andere ist als diejenige, die das nationale Recht eines Mitgliedstaats verlangen kann.

Daher empfiehlt Generalanwalt Collins dem Gerichtshof, die vorliegende Klage abzuweisen.[27]

Schlussbetrachtungen

Wenngleich die Abweisung der Vertragsverletzungsklage der Kommission in den Schlussanträgen des Generalanwalts mehr oder weniger zu erwarten war, ist es unklar, was die Kommission denn eigentlich dazu bewogen hat, gegen Malta eine Vertragsverletzungsklage gem. Art. 258 AEUV – mit offensichtlich geringen Erfolgschancen – einzubringen. Zum einen wird damit argumentiert, dass das EU-Parlament die Kommission dazu gedrängt habe[28], zum anderen wird darin aber auch ein Beispiel für den Hang der Kommission gesehen, „kleine Mitgliedsstaaten zu schurigeln.“[29] In dieselbe Kerbe schlägt auch Carl Baudenbacher, der in einem Gastkommentar in der NZZ – im Zusammenhang mit dem gleichgelagerten Fall Zypern – feststellt, dass es sich dabei um einen fragwürdigen Aktionismus der Kommission handelt: „Zwei mediterrane Kleinstaaten herauszupicken und an den Pranger zu stellen, ist mit dem Gebot der Konsistenz und den immer wieder zitierten „europäischen Werten“ nicht vereinbar. Die 27 EU-Mitgliedstaaten haben von 2017 bis 2019 rund 2 Mio. Staatsbürgerschaften vergeben. Die Fälle zypriotischer Staatsbürgerschaften gegen Investition betreffen davon lediglich rund 0,0125% des Gesamttotals“.[30]

Abschließend soll noch kurz darauf hingewiesen werden, was denn einzelne Staatsangehörige eigentlich veranlasst, eine zweite Staatsbürgerschaft zu erwerben bzw. welchen Umfang dieses einträgliche Geschäft für eine Reihe von Staaten bereits angenommen hat. Wie eine rezente Studie belegt, gibt es aktuell 23 Länder, die ihre Pässe oder Staatsbürgerschaften an Drittstaater verkaufen.[31] Bedenkt man, dass es im Jahr 2024 weltweit 2.800 Personen mit einem Milliardenvermögen gab – deren Gesamtvermögen von 13 auf 15 Billionen US-$ gestiegen ist[32] – dann wird es verständlich, dass vor allem diese Personen Wert auf den Erwerb einer zweiten Staatsbürgerschaft legen.

Die Gründe dafür sind vielfältig: zum einen ist es das damit verbundene Statussymbol zweier Staatsbürgerschaften, zum anderen aber auch der Umstand, dass ein zweiter Pass das Reisen einfacher machen kann. Neben der freien Beweglichkeit im Binnenmarkt können EU-Bürger in fast alle Länder der Welt reisen, ohne vorher ein Visum beantragen zu müssen. Vor allem aber ist es die Möglichkeit, die Steuerverwaltung selbst regulieren zu können, falls man sich in dem zweiten Land, zB in Malta, einen Wohnsitz einrichtet. Dabei muss aber zwischen den Effekten der Verleihung einer Staatsbürgerschaft an sich und der Erteilung der Staatsbürgerschaft durch Investitionen unterschieden werden, ebenso wie auch einer Teilnahme an Visumprogrammen durch bloße Wohnsitznahme.

 

[1] Art. 9 EUV, Art. 20 Abs. 1 AEUV.

[2] Art. 5 Abs. 3 EUV.

[3] Art. 4 Abs. 3 EUV.

[4] Hummer, W. Einbürgerung in den Mitgliedstaaten der EU, EU-Infothek vom 27. November 2012, S. 1 ff.; Hummer, W. Ist der Verkauf von Staatsbürgerschaften an Drittstaater durch EU-Mitgliedstaaten zulässig?, EU-Infothek, vom 3. Dezember 2013, S. 1 ff.; Hummer, W. Ist der Erwerb „Goldener Pässe“ und „Goldener Visa“ EU-konform? Die Europäische Kommission ist anderer Meinung, EU-Infothek, vom 4. Dezember 2020, S. 1 ff..

[5] Schlussanträge des Generalanwalts Anthony Michael Collins in der Rs. C-181/23, Europäische Kommission/Republik Malta (ECLI:EU:C:2024:849).

[6] Aussage von GA Juliane Kokott, im JuS-Kurzinterview vom 24. April 2018, unter Berufung auf die FAZ, www.Jus.de.

[7] Vgl. Slominski, P. Staatsangehörigkeit und Staatsbürgerschaft (2001).

[8] Vgl. Art. 20 Abs. 2 lit. a) bis d), Art. 21 Abs. 1, Art. 22, Art. 23 und Art. 24 AEUV.

[9] BGBl. Nr. 311/1985 idF BGBl. I Nr. 162/2021.

[10] Vgl. Hummer, Ist der Verkauf von Staatsbürgerschaften an Drittstaater durch EU-Mitgliedstaaten zulässig? (Fn. 4).

[11] IGH, Nottebohm Case (Liechtenstein versus Guatemala), second phase, Urteil vom 6. April 1955; ICJ Reports 1955, S. 4 ff.

[12] Siehe dazu Fn. 1.

[13] EuGH, Rs. C-135/08, Rottmann/Freistaat Bayern, Slg. 2010, S. I-1449 ff.

[14] Urteil, Rdnr. 58.

[15] BVerwG, Rottmann, 5 C 12.10.; NVwZ 2011, S. 760.

[16] Schlussanträge des GA Anthony Michael Collins vom 4. Oktober 2024 in der Rs. C-181/23 (Fn. 5), Rdnr. 6; vgl. Imwinkelried, D. Die Staatsbürgerschaft für Geld? Die sonnige Insel Malta und die EU streiten um Passverkäufe, nzz.ch, vom 5. November 2024, S. 4.

[17] P7_TA(2014)0038; 2013/2995 (RSP).

[18] COM(2017)030 final.

[19] COM(2019)12 final.

[20] Vgl. OECD/Financial Action Task Force, Misuse of Citizenship and Residency by Investment – A Joint FATF/OECD Report (2023), S. 13 ff.

[21] Vgl. dazu auch die Rechtssachen C-369/90 (Micheletti, EU:C:1992:295); C-192/99 (Kaur, EU:C:2001:106), C-200/02 (Zhu und Chen, EU:C:2004:639), C-135/08 (Rottmann, EU:C:2010:104) und C-221/17 (Tjebbes, EU:C:2019:189).

[22] EuGH, Rs. C-181/23, Europäische Kommission/Republik Malta (Fn. 5); ABl. 2023, C 173, S. 27.

[23] Schlussanträge (Fn. 5), Rdnr. 29.

[24] Schlussanträge (Fn. 5), Rdnr. 50.

[25] Schlussanträge des GA Collins in der Rechtssache Préfet du Gers und Institut national de la statistique et des études économiques, EuGH, Rs. C-763/20 (EU:C:2022:129, Rdnr. 22).

[26] ABl. 1992, C 191, S. 98; vgl. dazu EuGH Rs. C-689/21, Udlaendinge- og Integrationsministeriet, Urteil vom 5. September 2023 (EU:C:2023:626, Rdnr. 27).

[27] Schlußanträge (Fn. 5), Rdnr. 58, 62.

[28] Vgl. dazu die vorerwähnte Entschließung des Europäischen Parlaments vom 16. Jänner 2014 zum Verkauf der Unionsbürgerschaft (Fn. 17), die unter Punkt M.3. die Kommission als Hüterin der Verträge wie folgt auffordert: „eindeutig festzustellen, ob diese Regelungen im Einklang mit Geist und Buchstaben der Verträge und des Schengener Grenzkodex und mit den Nichtdiskriminierungsvorschriften der EU stehen“; vgl. auch Punkt M.11..

[29] Imwinkelried, Die Staatsbürgerschaft für Geld? (Fn. 16), S. 6.

[30] Baudenbacher, C. „Goldene Pässe“ – fragwürdiger Aktionismus der EU-Kommission, NZZ vom 4. Dezember 2020, S. 14.

[31] Millington, A. 23 Länder, in denen ihr für Geld einen Pass oder eine Elite-Staatsbürgerschaft kaufen könnt, vom 18. September 2018; https://www.businessinsider.de/strategy/23-laender-in-denen-ihr-f

[32] Oxfam-Studie, zitiert von Salzburger Nachrichten, vom 21. Jänner 2025, S. 11.

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