Reinhold Mitterlehner hat endlich einmal für einen politischen Knalleffekt gesorgt: In einem „Kurier“-Interview übte der Vizekanzler heftig Kritik an den rot-weiß-roten Sozialpartnern. Die traditionsreiche „Viererbande“ – ÖGB, AK, WKO und Landwirtschaftskammer – solle ihre „altbekannten Rituale“ vergessen, unentwegt „einen Rucksack von Forderungen an die Regierung“ aufzulisten und zu glauben, damit sei „ihre Aufgabe erfüllt“. Statt laufend Forderungen für die eigene Klientel zu erheben – beispielsweise die Ausweitung sozialer Rechte und Schutz-bestimmungen auf der einen bzw. Steuererleichterungen für die Wirtschaft auf der anderen Seite – müssten sie sich „komplett ändern“ und vor allem die Interessen des Standorts berücksichtigen.
ÖVP-Chef „Django“, der seit 1980 für die Wirtschaftskammer Oberösterreich und den Österreichischen Wirtschaftsbund tätig war, ehe er es zum Generalsekretär-Stellvertreter der Wirtschaftskammer Österreich brachte, brach damit wohl endgültig mit seiner eigenen sozialpartnerschaftlichen Vergangenheit. Seine Sager im „Kurier“ waren eine Art Notwehrakt, mit dem er offensichtlich der nunmehr kooperationswilligen Koalitionsregierung den Rücken freischaufeln wollte. Denn in der Tat treiben Arbeiterkammer und Gewerkschaft die SPÖ in gewohnter Manier vor sich her, während die Kämmerer von Wirtschaft und Landwirtschaft der ÖVP ständig mit ihren einschlägigen Direktiven in den Ohren liegen.
Wenn die neuformierte Bundesregierung indes den Funken einer Chance haben will, muss sie unter Christian Kern so harmonisch wie eine vereinigte Partei namens SPÖVP agieren und die klassischen Einsager, Ratgeber bzw. Auftraggeber möglichst rasch abschütteln – so weit halt wie möglich. Denn bislang haben die Sozialpartner die rot/schwarze Regierung unaufhörlich mit Wünschen und Anliegen bombardiert, die letztlich nicht auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen waren, und ihr schlussendlich immer wieder den Schwarzen Peter zugeschoben, wenn nichts weitergegangen ist. Mit dieser Klientelpolitik, mit der einerseits die Wirtschaftstreibenden, anderseits die Arbeitnehmer kalmiert werden sollten, muss nun Schluss sein – künftig will die Koalition offenbar in aller Ruhe ans Werk gehen.
Die Aussagen des schwarzen Vizekanzlers sorgten bei den Betroffenen erwartungsgemäß für Empörung: WKO-Präsident Christoph Leitl richtete seinem früheren Mitarbeiter schnaubend aus, dass sich „die Regierung ändern“ müsse und nicht die Sozialpartnerschaft. AK-Boss Rudolf Kaske wiederum konterte auf die „untergriffige Argumentation“ Mitterlehners mit dem Einwand, dass die Sozialpartner in den vergangenen Jahren „zahlreiche Vorschläge“ gemacht hätten, die Regierung allerdings „stets säumig geblieben“ sei. Kaskes Quintessenz: „Wir sind Teil der Lösung, nicht Teil des Problems – und der Herr Vizekanzler soll endlich Lösungskompetenz zeigen“. An der sozialpartnerschaftlichen Eintracht beteiligten sich naturgemäß auch der ÖGB – „an uns sind gute Lösungen für Österreich noch nie gescheitert“ (ÖGB-Vizepräsidentin Renate Anderl) – sowie die Landwirtschaftskammer – „wir müssen uns nicht umorientieren“ (LWK-Chef Hermann Schultes).
Die Regierung geht auf Distanz
Faktum ist, dass die Sozialpartner nicht nur im Hintergrund gerne die Fäden ziehen, sondern auch stets um einflussreiche Polit-Jobs rittern und sich damit in den Vordergrund spielen. Bestes Beispiel: Derzeit sind mehr als 50 der 183 Abgeordneten im Hohen Haus mit den vier Interessenvertretungen verbandelt. Dem ÖGB und der AK etwa stehen 18 rote und zwei grüne Nationalräte sowie eine schwarze Parlamentarierin nahe – macht zusammen 21. Obendrein sitzen dort 19 Volksvertreter, denen eine Nähe zu den Wirtschaftskammern nicht abzusprechen ist – zehn schwarze, vier rote, vier blaue und ein grüner. Schließlich mischen noch 13 Repräsentanten der Bauernschaft mit – 11 schwarze, ein blauer und ein grüner. Gewiss gibt es darunter einige Hinterbänkler, die kaum jemals auffallen, doch manche Mandatare sind in hochrangigen Funktionen tätig: Ex-Wirtschaftsbündler Karl Heinz Kopf beispielsweise amtiert als Zweiter Nationalratspräsident, SP-Klubobmann Andreas Schieder war einstmals bei der AK-Wien beschäftigt, und seinem schwarzen Pendant Reinhold Lopatka ist eine gewisse Affinität zur Wirtschaftskammer nicht abzusprechen, stand er doch 2011 und 2012 auf deren Payroll. Andere wiederum spielen so wie Josef Muchitsch, Georg Strasser, Werner Groiß oder Gabriele Tamandl als Obmann/frau von parlamentarischen Ausschüssen zentrale Rollen im Hohen Haus.
Etliche Abgeordnete paaren schließlich ein prestigeträchtiges Amt, häufig auch gleich mehrere, mit einem lukrativen Sitzplatz im Parlament – darunter WKO-Vizepräsident Christoph Matznetter, Wolfgang Katzian, Vorsitzender der Fraktion sozialdemokratischer Gewerkschafter, aber auch Wirtschaftsbund-Generalsekretär Peter Haubner oder Bauernbund-Präsident Jakob Auer. Und dann gibt es noch jene, die so wie Maria Fekter, Niki Berlakovich oder Gerald Klug über den Verlust ihres Ministeramts sozialpartnerschaftlich hinweggetröstet und mit einem neuen Job belohnt wurden. In diese Kategorie fällt auch die frühere Präsidentin der Wiener WK, Brigitte Jank, die nunmehr allerdings kaum noch auffällt.
Damit nicht genug: Auch wenn die Gewerkschafter Klug und Sonja Steßl von Neo-Kanzler Kern kürzlich abgesetzt wurden, dürfen die Sozialpartner in der derzeitigen Regierung immer noch sechs der 17 zur Verfügung stehenden Ämter mit Getreuen besetzen. So wie Vizekanzler Mitterlehner, Finanzminister Hans-Jörg Schelling, früher WKO-Vizepräsident, und Staatssekretär Harald Mahrer, Vizepräsident des Österreichischen Wirtschaftsbundes, stammen auch die Minister Sabine Oberhauser, einst ÖGB-Vizepräsidentin, Alois Stöger, ehemals Gewerkschaftssekretär, und Jörg Leichtfried, der ehemals in der steirischen AK gewerkt hatte, aus ihren Ställen. Freilich: Seit mit Rudolf Hundstorfer der großkalibrigste Sozialpartner – der einstige ÖGB-Präsident war im Dezember 2008 ins Sozialministerium gewechselt – in den für ihn desaströsen Präsidentschaftswahlkampf abgetreten wurde, scheinen sich die beiden geschrumpften Regierungsparteien allmählich von ihren „Schatten“organisationen vorsichtig zu emanzipieren. Und falls die Volkspartei eines Tages notgedrungen für Reinhold Mitterlehner die Notbremse ziehen sollte, ist wohl garantiert, dass ihm kein Kämmerer mehr nachfolgen wird.
Bremser und Blockierer
Die goldenen Zeiten sind jedenfalls nicht nur für SPÖ und ÖVP endgültig vorbei, sondern auch für die österreichischen Sozialpartner. Zweifellos haben sie sich um die Republik jahrzehntelang große Verdienste erworben, indem sie auf freiwilliger Basis in partnerschaftlicher Harmonie mit Konsenspolitik tausend Dinge ausgeschnapst haben. Auf diese Weise wurde der jeweiligen Regierung eine Menge Arbeit und Zores abgenommen und zugleich der soziale Friede im Land gesichert. Die bereits 1957 gegründete Paritätische Kommission etwa kümmerte sich vorrangig um Lohn- und Preisverhandlungen, doch auch bei allen anderen wirtschaftspolitischen Themen schalteten sich die Sozialpartner ein. Wie dominant diese machtbewussten Institutionen seinerzeit waren, zeigt sich an – heute übrigens unvorstellbaren – Details: Eines ihrer personifizierten Symbole, ÖGB-Präsident Anton Benya, der ab 1963 nicht weniger als 24 Jahre an der Spitze des mächtigen Gewerkschaftsbundes stand, war zugleich von 1971 bis 1986 Erster Nationalratspräsident. Vor ihm, in den Fünfzigern, hatte es Julius Raab, Mitbegründer und Präsident der Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft, sogar zum Bundeskanzler gebracht.
Aus einer langen Reihe von unterschiedlichsten Gründen – das reicht vom EU-Beitritt Österreichs über den Bawag-Skandal bis zur Kritik an der Pflichtmitgliedschaft der Kammern – verloren die Sozialpartner, einst gerne als „Nebenregierung“ apostrophiert, mit der Zeit an Aufgaben, Einfluss, aber auch Reputation. Ihr an sich löbliches Bestreben, die unterschiedlichen Interessen zwischen Arbeitgebern und – nehmern vorab auszugleichen und meist kompromissartige Lösungen zu finden, wurde wahlweise als „permanente Dauerpackelei“ oder „intransparenter Kuhhandel“ hinter verschlossenen Türen zusehends kritisiert. Regierung und Parlament hatten sich häufig bloß in der Rolle von Zuschauern gewähnt, Oppositionsparteien waren gänzlich ausgeschaltet. Tatsächlich wurde der einst gemeinsame Kurs der Standesvertretungen vielfach von gegenteiligen Positionen und handfesten Konflikten vereitelt, die wiederum dazu führten, dass eine vernünftige Einigung in Sachfragen immer schwieriger war. Die konstruktive Kooperation von früher bekam immer mehr Risse, weil es überwiegend nur um Klientelpolitik ging, die von der Regierung umgesetzt werden sollte. Sukzessive wandelte sich das Image der Sozialpartner, und die ehemaligen Problemlöser Nummer Eins wurden als uneinsichtige Bremser, notorische Blockierer und beinahe klassenkämpferisch agierende Bollwerke überkommener Strukturen erlebt.
Obzwar es hoch an der Zeit für die Einsicht wäre, dass im 21. Jahrhundert alles anders funktioniert wie einstmals, wird der jüngste Weckruf von Reinhold Mitterlehner vermutlich nicht allzu viel bewirken – außer Frust bei den Betroffenen. Grund: Die sogar im Gesetz verankerten Standesvertretungen müssen nämlich um ihre Existenz bzw. um ihre Zukunft beileibe nicht bangen. Die Arbeiterkammer etwa hat mit mehr als drei Millionen Pflichtmitgliedern zahlenmäßig die meiste Power; die Wirtschaftskammer wiederum schöpft ihre Kraft aus fast 500.000 Zwangsmitgliedern, wobei freilich Mehrfach-Mitgliedschaften inkludiert und manche Unternehmer auf die Kammer total sauer sind; der Gewerkschaftsbund schließlich kann, obzwar er seit 1980 eine halbe Million Mitglieder eingebüßt hat, immer noch auf 1,2 Millionen – diesmal freiwillige – Beitragszahler bauen. Das heißt also: Regierungen kommen und gehen, doch rot-weiß-rote Sozialpartner wird es in diesem Land immer geben. Wahrscheinlich werden sie aber noch mehr an Stellenwert verlieren…