Die Abhöraffäre rund um die deutsche Kanzlerin Angela Merkel markiert eine dramatische Zäsur in den Beziehungen USA – Europäische Union. Die von der Pleite bedrohten Amerikaner, die den Europäern zuletzt mit ihren unerbetenen Tipps schon ziemlich auf die Nerven gegangen sind, haben sich endgültig disqualifiziert und am Alten Kontinent massiv an Reputation verloren.
[[image1]]In Brüssel und Umgebung mehren sich daher die kritischen Stimmen, die etwa vom geplanten Freihandelsabkommen nur noch herzlich wenig halten. Wenn das Vertrauen zwischen zwei Partnern verloren geht, ist es sinnlos, gemeinsame Sache machen zu wollen – die transatlantische Kooperation ist jedenfalls auf der langen Bank gelandet und bestenfalls Zukunftsmusik.
Da trifft es sich prima, dass die EU neuerdings mit der Volksrepublik China eine recht gute Gesprächsbasis gefunden zu haben scheint. Die Verhandlungen laufen zwar schon seit gut sechs Jahren und waren aus vielerlei Gründen ziemlich kompliziert, doch vor zwei Wochen könnte so etwas wie ein Durchbruch gelungen sein: Die Kommission empfing Vertreter der neuen chinesischen Führung um über eine intensive Zusammenarbeit zu diskutieren. Bei diesem vierten Wirtschafts- und Handelsdialog, an dem der stellvertretende chinesische Premierminister Ma Kai, sowie sieben Minister teilnahmen, ging es u.a. um aktuelle Wirtschaftsreformen, künftige Wachstumsquellen, industriepolitische Fragen, die Themen Handel und Investitionen, sowie um die Zusammenarbeit der Zollbehörden.
Ein konstruktiver, harmonischer Dialog, so ganz ohne Abhöraffären und ähnliche Scharmützel, wäre nun einmal in beidseitigem Interesse der höchst unterschiedlichen Giganten: Für die Union, die bekanntlich mit mehr als 500 Millionen Menschen und einem Bruttonationalprodukt von 13 Billionen Euro der größte Wirtschaftsraum der Welt ist, könnte sich der Export-Weltmeister China als kongenialer Partner entpuppen. Obwohl der bilaterale Handel der Volksrepublik mit der EU seit 1978 von vier auf 434 Milliarden Euro im vergangen Jahr explodiert ist – macht pro Tag weit mehr als eine Milliarde – , gibt es noch ein beträchtliches Potenzial: China, bislang bevorzugt auf die USA und den ASEAN-Raum fokussiert, lieferte 2012 Waren im Wert von 290 Milliarden Euro an die EU-Staaten und erzielte dabei einen Handelsbilanzüberschuss von 146 Milliarden. Aus Sicht der Union ist es erfreulich, dass dieses Defizit tendenziell sinkt. Faktum ist aber, dass die 28 Mitgliedsländer weitaus mehr Waren in die Schweiz liefern als nach China. Die Europäer hoffen jedenfalls, künftig bei ihren Ausfuhren ins Reich der Mitte kräftig aufholen zu können – das Plus von 5,6 Prozent im vergangenen Jahr stimmt sie einigermaßen optimistisch. Im Dienstleistungsverkehr, der sich zuletzt auf 50 Milliarden belief, wäre ebenfalls einiges drinnen, würde China weiter seinen Markt öffnen. Auch bei den Investitionen sind die beidseitigen Chancen bei weitem noch nicht ausgeschöpft: Während sich die chinesischen Direktinvestitionen in der EU zuletzt auf 3,5 Milliarden Euro summierten, haben EU-Unternehmen fast 10 Milliarden in China investiert. In beiden Fällen handelte es sich jedoch um lediglich zwei Prozent aller ausländischen Direktinvestments.
Kurswechsel in Peking?
Während die Chinesen auf der Jagd nach hochwertigen Technologien laufend ausländische, liebend gerne deutsche Unternehmen aufkaufen, sind Akquisitionen im asiatischen Riesenreich für europäische Konzerne immer noch äußerst rare Ereignisse, weil sich China diesbezüglich extrem zurückhaltend erweist. Die Hoffnung der EU-Kommission, mit dem neuen Regime in Peking zügig ein Investitionsabkommen auszuhandeln, den Marktzugang zu vereinfachen und den Investitionsschutz abzusichern, wird freilich viel Geduld erfordern: Zum einen sollte sich schon relativ kurzfristig weisen, wie der angekündigte, ja geradezu angedrohte Reformprozess der neuen KP-Führung aussieht, der nächste Woche bei einer viertätigen Plenarsitzung des Zentralkomittes offiziell gestartet wird. Staatspräsident Xi Jinping und Ministerpräsident Li Keqiang geht es offensichtlich um einen tiefgreifenden ökonomisch-politisch-sozialen Kurswechsel, der mit einer Drosselung des bislang spektakulären Wirtschaftswachstums und vielen neuen Spielregeln einhergeht.
Zum anderen bleibt abzuwarten, wie das Land mittelfristig mit seinen vielfältigen Troubles fertig wird – Stichworte: Verletzung der Menschenrechte, Korruption, Umweltverschmutzung, soziale Probleme, Massenarmut, Produktpiraterie u.v.m. Falls es nicht zügig gelingt, diese Probleme in den Griff zu bekommen, wird China wohl die Chance verspielen, die USA irgendwann zu überholen und zur größten Volkswirtschaft der Welt aufzusteigen. Sicher ist jedenfalls, dass die Verhandlungen der EU mit einem potenziellen Partner, der zwar am liebsten die ganze Welt mit seinen Produkten erobern würde, das eigene Terrain jedoch abschottet, so gut es geht, ein beinharter Brocken sein werden – das wissen naturgemäß die federführenden EU-Kommissare Olli Rehn, Karel De Gucht und Algirdas Semeta. Von ihrem Geschick im Umgang mit dem unberechenbaren China wird es letztlich abhängen, was beim Flirt zweier Giganten alles rauskommen kann. Ob die Sache bald wieder im Sande verläuft oder ob gar Liebe daraus entsteht, das wird man erst in einigen Jahren wissen …