So, jetzt geht‘s los: Die Kandidaten sind nominiert, die Programme ausformuliert, die ersten Veranstaltungen wurden bereits zelebriert und die ersten Plakate affichiert. Der EU-Wahlkampf hat, knapp zwei Monate vor dem 25. Mai, begonnen, spannend daran sind vorerst bloß die Prognosen der Meinungsforscher, die eine ziemlich geringe Wahlbeteiligung und letztlich ein Kopf-an-Kopf-Rennen voraussagen.
[[image1]]Der Auftakt wirkt vor allem deshalb relativ flau, weil sämtliche Parteien – mehr als bei früheren Wahlen – noch großteils auf das Internet, also eigene Homepages und soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter, setzen und weniger auf klassische Polit-Präsenz in der Öffentlichkeit.
Dazu kommt, dass sich die Freiheitlichen offenbar noch Zeit lassen möchte und kleinere Gruppierungen mangels Finanzmittel wenig Chance haben, sich bemerkbar zu machen. Auf der Homepage der „sozialen Heimatpartei“ FPÖ ist über die EU-Wahl noch weit und breit nichts zu finden, geschweige denn ein blaues Wahlprogramm – die populistische Haltung der Blauen zur Union ist aber ohnedies hinlänglich bekannt. Daher befassen sich HC Strache und seine Getreuen derzeit noch lieber mit der Hypo-Tragödie, dem Blutbad vom Annaberg oder dem Urteil gegen einen Kinderschänder. Zugleich agieren das Team Stronach, Martin Ehrenhausers Gruppierung „Europa anders“, Ewald Stadlers „Rekos“, das aus Kommunisten und Piraten bunt zusammengewürfelte Bündnis „Europa anders“ sowie der fraktionsfreie Brüssel-Solist Hans-Peter Martin unterhalb der öffentlichen Wahrnehmungsschwelle, weshalb man über sie getrost den Mantel des Schweigens ausbreiten kann.
Bleiben vier Parteien, die zum einen schon aktiv, zum anderen allesamt zwar EU-kritisch, was heuer einheitliche Mode zu sein scheint, letztlich aber unter dem Strich durchwegs Befürworter der Union sind. Ihre Kandidaten werden in den kommenden Wochen versuchen, via Pressekonferenzen, Medienberichte, TV-Auftritte, Gastvorträge, Diskussionen und naturgemäß auch per Internet ihre Standpunkte zur Union zu präzisieren, um damit den Wählerinnen und Wählern ein Kreuzel für die jeweilige Partei schmackhaft zu machen. Am vehementesten scheint sich Othmar Karas in die Schlacht werfen zu wollen: Der EP-Vizepräsident wird unter anderem beim „Josefi-Treffen“ des Wirtschaftsbundes Salzburg, beim 3. Österreichischen UnternehmerInnen-Kongress in Graz, beim Industrieforum der Industriellenvereinigung in Wien Reden schwingen, im Rahmen der Europäischen Notarentage, der Landeskonferenz der Jungen ÖVP Wien oder des Landesparteitags der Tiroler Volkspartei ebenso referieren wie bei der FCG-Bundesvorstandssitzung der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst, beim Altherrenlandesbund Niederösterreich oder bei der Frühlingssoiree der Wiener Neustädter Studentenverbindungen. Karas will gezielt CVer informieren, Studenten heimsuchen und Schulklassen beehren, darunter das Gymnasium Seitenstetten, sondern er startet Mitte April sogar beim Vienna City Marathon jobbedingt für die Aktion des Informationsbüros „Laufen für Europa“.
Wie gut es für ihn und die übrigen Kandidaten am 25. Mai tatsächlich laufen wird, lässt sich relativ schwer einschätzen. Die Standpunkte der Parteien mit den größten Chancen, im EU-Parlament vertreten zu sein, sind nämlich erstens noch viel zu wenig bekannt, weil bekanntlich nur eine verschwindende Minorität bereit ist, sich durch seitenlange Programme zu kämpfen; und zweitens – das lässt sich bereits feststellen – sind sie alles andere als diametral verschieden, weil manche Aspekte in unterschiedlicher Textierung und Gewichtung mehrmals auftauchen. Zum Glück haben sich sowohl SPÖ und ÖVP als auch die Opposition diesmal für eine kritische Grundhaltung gegenüber der Europäischen Union entschieden, um irgendwie einen Schlussstrich unter die vergangenen Krisenjahre zu ziehen, in denen klar geworden ist, wo Brüssels Schwachstellen zu orten sind.
Welche Partei möchte was?
Die SPÖ fordert einen Kurswechsel in Europa, also eine gerechtere, demokratischere und sozialere Politik, und hat den Kampf gegen die Arbeitslosigkeit, speziell der Jungen, in ihrem 26 Seiten umfassenden Programm gleich an die erste Stelle gesetzt. Sie setzt dabei auf Investitionen, zum Beispiel in Infrastruktur und Forschung, die die Wirtschaft ankurbeln sollen, sodass sichere Jobs geschaffen werden. Weiters verlangen die Sozialdemokraten europaweite soziale Mindeststandards, demnach etwa wirksame Maßnahmen gegen Lohn- und Sozialdumping bzw. faire Einkommen für die BürgerInnen, was unter Einbindung der Sozialpartner in einem europäischen Sozialpakt verankert werden soll. Die Roten möchten die Finanzmärkte an die kurze Leine nehmen, will heißen die Finanztransaktionssteuer endlich fixieren und die Bankenunion samt aktiver europäischer Finanzmarktaufsicht möglichst rasch Realität werden lassen. Weiters legt die SPÖ großen Wert auf einen künftigen Kampf gegen Steuerbetrüger, mehr direkte Demokratie, beispielsweise durch den Ausbau von BürgerInneninitiativen und die Einführung europaweiter Volksabstimmungen, eine umweltbewusste und nachhaltige Politik, einen besseren Datenschutz und schließlich ein friedliches, geeintes und gerechtes Europa, wo die Kluft zwischen Reich und Arm verringert wird und jene, die Schutz brauchen, auch Schutz erhalten.
Die ÖVP, die auf den Plakaten ihres Spitzenkandidaten Othmar Karas gar nicht einmal erwähnt wird, fährt unter dem Motto „Für ein besseres Europa“ einen klaren Pro Europa-Kurs. Der Dialog mit den WählerInnen, der auf www.besseres-europa.at geführt werden soll, ist ihr dabei sehr wichtig. Im Wesentlichen geht es den Schwarzen in ihrem 20-seitigen Schwerpunktprogramm darum, das „historisch einzigartige Friedensprojekt“, das dem Land große Vorteile verschaffe, dort zu reformieren, wo es notwendig ist. Konkret heißt das: eine starke, demokratische, verantwortungsvolle und sichere Europäische Union. Als Spitzenkandidat will Karas die Wettbewerbsfähigkeit Europas weiterentwickeln, was wiederum bedeutet: die Unternehmen stärken, Forschung und Wissenschaft forcieren, weniger Bürokratie und unnötige Regulierungen, sowie diverse Strukturreformen und Bildungsinitiativen umsetzen. Brüssel soll künftig nicht mehr Banken mit Steuergeldern retten, sondern müsse aus der Finanzkrise lernen, demnach etwa die Finanztransaktionssteuer rasch großflächig einführe. Karas steht weiters der Überreglementierung in der EU kritisch gegenüber, plädiert für mehr Effizienz und Transparenz, aber weniger Bürokratie und weniger Rechtsvorschriften auf EU-Ebene. Er hält es für unerlässlich, dass die EU u.a. nachhaltig die Arbeitslosigkeit bekämpft, die Regionalförderung weiterentwickelt und für mehr Sicherheit in allen Lebensbereichen sorgt. Nicht zuletzt müsse Brüssel die Menschen stärker in den Mittelpunkt politischer Entscheidungen rücken und ihre demokratische Mitwirkung bei europäischen Entscheidungsfindungsprozessen erweitern – Stichworte: Europäische Bürgerinitiative bzw. europaweite Volksabstimmungen.
Die Grünen wiederum wollen – die Kurzfassung in Originalversion – eine Europäische Sozialunion, eine gemeinsame europäische Wirtschaftspolitik, beinharte Finanzspekulationsregeln sowie ein atomkraftfreies Europa. Sie fordern, unisono mit ihren europäischen Schwesterparteien, Zukunftsinvestitionen im Sinne eines Green New Deals – gemeint ist die Bekämpfung von Arbeitslosigkeit, Armut und sozialer Ungerechtigkeit – , weiters eine gemeinsame Steuerpolitik, eine Finanztransaktionssteuer und den umfassenden Schutz der BürgerInnenrechte. Spitzenkandidatin Ulrike Lunacek, die ihr eigenes Programm erst im April vorlegen wird, hat es insbesondre auf „skrupellose Lobbys“, „gierige Großkonzerne“ und die „entfesselte Finanzindustrie“ abgesehen, die Umwelt, Wirtschaft, Arbeitsmarkt und damit Grund- und Menschenrechte, letztlich „die europäische Idee“ bedrohen würden. Jetzt gelte es für die Union, das nötige Vertrauen neu zu gewinnen, sofern es gelänge, die „Immer-Mehr-Gesellschaft“ in eine „Immer-Fair-Gesellschaft“ zu verwandeln. Letztlich würde sie mehr europäische Solidarität, ja mehr gemeinsames Europa begrüßen, denn nur so könne die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit, der Kampf gegen Steueroasen, die Lebensmittelkontrolle, die Energiewende oder der Naturschutz gelingen. Österreichs Grüne wollen Europa jedenfalls, Hand in Hand mit Europas Grünen, in jeder Hinsicht grüner machen.
Ihre pinken Mitbewerber sehen das teilweise genau so, peilen aber zugleich etwas andere Ziele an: Die Neos (Slogan: „Wir lieben Europa“) plädieren in ihrem 46-seitigen Wahlkampfprogramm „Pläne für ein neues Europa“ für das Fernziel Vereinigte Staaten von Europa. Es gelte nunmehr, Grenzen zu überwinden, Regionen zu stärken, Ressourcen zu schonen und nachhaltig zu wirtschaften – und zugleich die UnternehmerInnen zu beflügeln, der Jugend eine Chance zu geben, finanzielle Stabilität zu schaffen, sowie – last but not least – Frieden, Freiheit und Grundrechte zu sichern. Die EU stehe allerdings an einer Weggabelung: Entweder können die Europäer für die weitere politische Integration gewonnen werden oder das Zurück zur Re-Nationalisierung wird sich für ihr Leben drastisch negativ auswirken. Ersteres werde nur gelingen, wenn es zu Reformen der EU-Institutionen käme, um primär die Rolle des Parlaments zu stärken, und wenn Transparenz und Mitbestimmung der BürgerInnen erheblich ausgebaut werden würden. Eine neue europäische Identität zu schaffen sei daher für die Neos ein unbedingtes Muss – nur so könne der Schritt von der „überverwalteten Schicksalsgemeinschaft“ zur „vielfältigen Chancengemeinschaft“ geschafft werden.
Freilich: Welche Partei auch immer ihre Argumente besser rüberbringen wird – die Entscheidung, wer künftig das Steuer in der Union übernehmen darf, fällt nicht in Österreich allein, sondern zugleich in 27 anderen Staaten. Weitaus wichtiger als die Frage, ob Eugen Freund oder aber Othmar Karas am Wahlabend jubeln kann, ist der Ausgang des Gigantenduells Links gegen Rechts. Letztlich wird es darum gehen, ob eher der deutsche Sozialdemokrat Martin Schulz oder eher der luxemburgische Bürgerliche Jean-Claude Juncker in der Lage ist, die zahllosen Versprechungen, die wir in den nächsten Wochen zuhauf hören werdenden nötigen Reformprozess in Brüssel umzusetzen.